Ein Beamter hat vor den Folgen der Corona-Politik gewarnt und damit Recht behalten. Jetzt wird er dafür wirtschaftlich ruiniert. Er hat vorausgesagt, was nicht sein darf. Protokoll einer Politik, die Recht behalten will, auch wenn sie im Unrecht ist.
Ein schmaler, hochgewachsener Mann steht vor dem Sitzungssaal 416 des Verwaltungsgerichts Berlin. Neben ihm sein deutlich kleinerer Rechtsbeistand, der aus den Medien bekannte Gregor Gysi. Letzte Besprechungen vor dem Prozess, noch einmal öffnet Gysi ein dickes Aktenbündel mit rotem Pappdeckel, reicht die Gummibänder an Kohn weiter und nimmt sie wieder an sich. In Aktendeckeln wie diesen soll das Tun und Lassen des Oberregierungsrats Stephan Kohn gefangen bleiben, wenn es nach der Klägerin geht. Und die Klägerin, das wären in diesem Fall wir alle: Es geht um die „Disziplinarsache Bundesrepublik Deutschland gegen Stephan Kohn“ an diesem 16. März. Kohns einstige Wirkungsstätte, das heutige Bundesministerium des Inneren und für Heimat, kurz BMI, liegt kaum 500 Meter von diesem Gerichtssaal entfernt.
Dass zu so einer Leistung mehr gehört als sturer Herdentrieb, liegt auf der Hand. Als Referent war Stephan Kohn zum Handeln aus eigener Initiative nicht nur berechtigt, sondern geradezu aufgerufen. Seit August 2013 arbeitete er in der Abteilung KM (Krisenmanagement und Bevölkerungsschutz) und war darin für den „Schutz kritischer Infrastrukturen“ (Referat 4) zuständig.
An dieser Stelle arbeitete er seit März 2020 an einer Gefahrenanalyse, die in der Folge berühmt werden sollte, vor allem weil Tichys Einblick sie exklusiv veröffentlichte und als „brisante Analyse“ würdigte.
Brisant war die Analyse in der Tat, stellte sie doch fest, dass „durch vermeintliche Schutzmaßnahmen“ gegen das Virus „jeden Tag weitere schwere Schäden“ entstünden, darunter „materielle und gesundheitliche bis hin zu einer großen Zahl von vermeidbaren Todesfällen“. Kohn äußerte den Verdacht, dass es den Regierungsparteien (damals CDU/CSU und SPD) schon zu diesem frühen Zeitpunkt nicht mehr um das Wohl der Bevölkerung gehen könnte, sondern vor allem um die eigene „Glaubwürdigkeit und Akzeptanz“.
Kohns Existenz soll vernichtet, seine Stimme zum Verstummen gebracht werden
Anfang Mai 2020 hatte Kohn das Papier dem zuständigen Abteilungsleiter zugeschickt, der es ungelesen in die Schublade wandern lassen wollte. Er untersagte Kohn, weiter an dem Thema zu arbeiten – das ist zumindest die im Prozess erneut erklärte Sicht des BMI. Kohn sagt im Prozess, dass es sich bei den verlesenen Schreiben des Referatsleiters, dann des Abteilungsleiters um „missverständliche E-Mails“ gehandelt habe. Jedesmal, wenn sich eine Mitteilung auch nur ansatzweise so verstehen ließ, dass er die Arbeit an der Analyse einstellen sollte, hat Kohn demnach das Gespräch gesucht und die Dinge in seinem Sinne klären können.
Auch dem Minister wollte er seine Analyse zukommen lassen, aber das wurde ihm verweigert. Am Nachmittag des 8. Mai 2020, damals ein einmaliger Feiertag in Berlin, schrieb Kohn eine weitere Mail an den Abteilungsleiter, die unbeantwortet blieb. Daraufhin wandte er sich an verschiedene Bundes- und Landesministerien, um vor der aus seiner Sicht unmittelbar drohenden Gefährdung des Allgemeinwohls zu warnen. Den Entscheidungsträgern in Bund und Land schickte er „vorab mit der Bitte um Kenntnisnahme“ seine Analyse zu. Zu diesem Zeitpunkt sah er „gravierende Fehlleistungen im Krisenmanagement“ und vermutete, dass sich die Corona-Krise insgesamt als „Fehlalarm“ erweisen könnte, wenn seine in dem Papier zusammengefassten Befürchtungen den Tatsachen entsprächen. Der Staat könnte sich als „einer der größten fake-news-Produzenten“ erweisen.
Die Rechtsanwältin Viviane Fischer, die bei dem Prozess als Beobachterin dabei war, hält das Gericht für befangen und glaubt an ein politisches Urteil. Schon die Darstellung des Sachverhalts sei unausgewogen gewesen, immerzu ging das Gericht von der Darstellung der Klageseite aus. Zwei Teile des Beamtenapparats schienen letzten Endes miteinander zu sympathisieren.
Der vorsitzende Richter kritisierte zu Beginn der Verhandlung, dass sich in der Klageschrift schon ein Abschnitt zur Bewertung des Falls finde. Offenbar hielt man sich im Innenministerium für so kompetent, dass man den Ausgang der eigenen Klage zumindest teilweise vorwegnahm. Eigentlich brauche das Gericht nur die Fakten, die Bewertung nehme man dann schon selbst vor, rügte der Richter. Der Vertreter der Klage schützte Unerfahrenheit mit solchen Disziplinarverfahren vor. Daneben ist dem Richter unklar, welche „Verschlusssachen“ Stephan Kohn öffentlich gemacht haben soll. Der Klagevertreter kann nichts dazu sagen.
Kohn selbst erklärt, dass es durchaus üblich sei, andere Ministerien um Auskunft zu bitten, wenn man eine Analyse erarbeitet. Und natürlich habe er seine Analyse nicht in die Öffentlichkeit getragen, sondern nur den zuständigen Stellen in Bundes- und Landesministerien zugesandt. Seine Analyse war also als eine Gesprächsgrundlage für den internen Gebrauch vorgesehen. Sie war „vorab“ zugesandt, das heißt, nicht als offizielle, definitive Auskunft seines Ministeriums. Nur den einen Fehler gibt Kohn zu: Er hat sein Anschreiben „im Auftrag“ unterzeichnet, was ein Versehen gewesen sei.
Der Referent wollte wissen, wie groß der Schaden sein könnte
Kohn sah, dass sich die von Bundes- und Landesregierungen ergriffenen Maßnahmen auf ihn und andere Menschen auswirkten, von den Auswirkungen des Virus bemerkte er dagegen wenig. Beides – die Maßnahmen wie das Virus selbst – konnten aber enorme Kosten und Schäden bewirken. Als Referent im Referat KM4 war Kohn mit Risikoeinschätzungen des Innenministeriums vertraut, die 2012 in einem Papier diskutiert worden waren. Und schon dieser Risikobericht von 2012 hatte festgestellt, dass die Schäden durch überzogene Maßnahmen deren Nutzen auslöschen können.
Aus diesem Grund erstaunte Kohn das Fehlen jeder Abschätzung dieser Kosten und Schäden durch die Bundesregierung. Schon im Frühjahr 2020 wurden Hunderte Milliarden Euro für die Umsetzung der Maßnahmen ausgegeben, ebenso große Verluste sah Kohn infolge des Lockdowns auf Deutschland zukommen. Er sollte, wie wir heute wissen, Recht behalten. Längst ist noch nicht klar, wie tief die Post-Corona-Krise sein wird, zumal das Endergebnis gerade durch andere Faktoren (den Ukraine-Krieg etwa) verwischt wird.
Die Feuerwehr verweigerte die Annahme der Brandmeldung
Für Kohn stand nun fest, dass in einer Krisensituation jeder seinen Beitrag im Rahmen seiner Möglichkeiten und Zuständigkeiten leisten musste. Seine Zuständigkeit war der Schutz kritischer Infrastrukturen. Anfang Mai war für Kohn ein Scheitelpunkt erreicht: Sein Erkenntnisstand hatte sich in kurzer Zeit stark erweitert, ebenso hatte sich die Situation rapide gewandelt. Er sah nun eine große Gefahr im Verzug. In dem Bild, das er wählt, brannte das Haus lichterloh, doch die Feuerwehr verweigerte die Annahme der Brandmeldung.
In dieser Situation verschickte er sein Papier an die verschiedenen Bundes- und Landesstellen. Das Ergreifen von Maßnahmen zum Katastrophenschutz, das bemerkte auch der Richter, ist in Deutschland eigentlich Länder- und Kommunalsache. Kohns Vorgehen gewinnt durch dieses Argument an Sinn, zumal wenn er eine unmittelbare Gefahr in Verzug sah. Zuvor hatte Kohn nach eigenem Bekunden jeden Mitarbeiter in seinem Referat konsultiert. Das Papier sei abgestimmt, beraten und „gestreamlinet“ worden. Zudem war er nach dem Ausscheiden des alten Referatsleiters und durch die Krankheit des neu eingesetzten selbst zum Referatsleiter geworden, weil er der dienstälteste Referent war.
Klagevertreter: Tat passt zum „Persönlichkeitsbild des Beklagten“
Der Hauptvorwurf gegen Kohn ist, er habe den Dienstweg nicht gewahrt und Anweisungen seiner Vorgesetzten missachtet. In der Lektüre, zu der das Gericht zunächst neigt, haben sowohl der zum 1. Mai verabschiedete Referatsleiter als auch der Abteilungsleiter dem Referenten Kohn dazu aufgefordert, von seinem Thema abzulassen. Kohn erklärt später, dass er jedesmal, wenn sich eine Mitteilung auch nur ansatzweise so verstehen ließ, das Gespräch gesucht habe und eine Klärung in dem Sinne herbeiführen konnte, dass er an dem Thema weiterarbeiten konnte. Das könnten auch von ihm benannte Zeugen bestätigen.
Doch Kohn und seine Anwälte bestreiten praktisch alle Vorwürfe, vor allem den der Veröffentlichung. Auch einen Imageschaden für das BMI kann Kohn nicht erkennen, das zeigten ja schon die Beliebtheitswerte der Bundesregierung, die von dem Vorgang nicht beeinträchtigt worden seien. Vielmehr sei ihm, dem Referenten Kohn, ein massiver Ansehensverlust entstanden, indem sein Name kurz nach dem Versenden des Papiers selbst öffentlich gemacht wurde.
Gysi: Welche Art Beamten wollen wir haben?
Rechtsanwalt Gysi konnte zusammenfassen: Nicht nur war Kohn zum Zeitpunkt des Versendens seiner Analyse geschäftsführender Referatsleiter. Außerdem machte er seine Analyse durch das Verschicken keineswegs öffentlich, weil sie bei allen Adressaten auch weiterhin der Geheimhaltung unterlag. Dass einer der Empfänger das Dokument offenbar weitergab – sonst hätten wir bei TE nicht darüber schreiben können –, dafür könne man seinen Mandanten nicht haftbar machen. Doch als drittes Argument fragte Gysi schließlich, welche Art von Beamten man sich in Deutschland eigentlich wünsche? Solche, die Dienst nach Vorschrift machen und jede Weisung annehmen, oder verantwortungsbewusste Menschen, die Leidenschaft für ihre Arbeit entwickeln und dabei auch Gefahren für sich selbst in Kauf nehmen?
Der Vertreter der Klage erwiderte darauf, Beamten sollten beratend tätig werden und sich an Regeln halten. Der Oberamtsrat flocht außerdem ein, dass die Verwendung eines Beamten vom Schlage Kohns nicht zumutbar sei – er könnte sich ja erneut so verhalten wie in diesem Fall, zumal Kohn kein Fehlverhalten seinerseits anerkannt habe. Der Richter fand das nicht entscheidend, das sei vielmehr eine legitime Verteidigungsstrategie.
Zum Ende der knapp dreistündigen Verhandlung hin fragte der Richter den Beklagten, ob es in seinem Privatleben belastende Faktoren gegeben habe, die vielleicht für das Verfahren von Belang wären. Kohn verwies nochmals auf die von ihm empfundene Dringlichkeit, um dann auch auf ein zeitgeschichtlich bekanntes Erlebnis aus „meiner Geschichte“ hinzuweisen: In den 1980er-Jahren war er zum Zeugen des Missbrauchs seiner Brüder durch seinen Stiefvater, einen evangelischen Pastor, geworden. Der Stiefvater hatte daneben dutzende weitere Kinder missbraucht. Kohns Brüder kamen durch die psychischen Folgen des Missbrauchs in jungen Jahren ums Leben.
1985 hatten die Brüder sich an den zweiten Pastor der Gemeinde gewandt, der ihre Geschichte aber als unglaubwürdig abgewiesen habe. Erst Jahrzehnte später gelang die Aufklärung des Ahrensburger Missbrauchsskandals. Kohn berichtet glaubwürdig, dass diese Geschichte ihn tief geprägt hat: Für Jahrzehnte wusste er von den Taten, konnte sie aber nicht beweisen. Es war eine Ohnmachtserfahrung, die er so sicher nicht noch einmal machen wollte. Für den Beamten Stephan Kohn folgte daraus das sofortige, frühestmögliche Handeln, wo Gefahr für seine Mitbürger im Verzug war.
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Korrektur für Datum: 19.03.2022 nachträglich geändert.
Nachtrag, Zitat von Dushan Wegner, Essayist vom 19.03.2022:
In Diktaturen wie Russland, Nordkorea oder deutschen Nachrichtenredaktionen kann die Führung die Kritik an ihrem Charakter und ihren Entscheidungen schlicht verbieten, explizit oder implizit. (»Du kannst sagen, was du willst, aber manches eben nur einmal.«)
Im Falle dieses Urteils und ähnlichen Fällen (zB H. G. Maaßen) wird besonders das „einmal“ praktiziert.
Das ist der beste Beweis, dass in Deutschland der Rechtsstaat, hier bezogen auf Politik, nicht (mehr) vorzufinden ist.
Mal wieder an angemessenes und ausgewogenes (!) Urteil in diesem besten Deutschland aller Zeiten !
Bei dieser Justiz ist die Demokratie „in besten Händen“ und wir alle können beruhigt (weiter)schlafen !
Für mein Rechtsempfinden ist dies die letzte Eskalationsstufe von Unrecht: wenn die wenigen, die noch rechtskonform handeln, bestraft werden statt jene, die Recht brechen. Dafür gibt es schon eine Reihe prominenter Beispiele. Man sollte sich mit seiner Kritik nicht mehr nur an die Öffentlichkeit wenden, sondern auch ans Militär und die Polizei, denn wer könnte sowas noch verhindern außer die Exekutive.
Sie schlafen nicht, sie delirieren herum und hören Stimmen, die ihnen Selbstmordbefehle erteilen. Als die Väter und Mütter des Grundgesetzes Absatz 4 des Art. 20 GG formulierten, der nach Ansicht etlicher Rechtsexperten durchaus auch den Tyrannenmord rechtfertigt, konnten sich halt nicht vorstellen, daß der Souverän selber mal zum geisteskranken Tyrannen werden könnte. Das ist das Problem.
Abwarten: Die Nazis haben am 7. Mai auch noch nicht geglaubt, daß sie am 9 Mai selber am Galgen baumeln würden.
Wieso erinnert mich das an den BKK ProVit Vorstand Andreas Schöfbeck, der die Anzahl der beim PEI gemeldeten Impfschäden anzweifelte. Auch er veröffentlichte etwas, was der Mainstream nicht hören wollte.
Auch von ihm, hat man sich entfernt.
Ob im Fall Kohn auch Antisemitismus eine Rolle spielt, weiß ich nicht. Jedenfalls ist es jammerschade, dass man ihm nicht die Schulterstücke herunterreissen, den Paradesäbel zerbrechen und ihn auf die Teufelsinsel schicken kann, so würde es jedenfalls Seehofer sehen. Und wer schreibt „J’accuse“? Jedenfalls danke für diesen Artikel!
Die Revolution frisst ihre Kinder! Was sich hier abspielt, gibt es hundertfach im demokratischen Deutschland! Volk,- nicht nachdenken sondern brav Gendern! So bleibt alles wie es ist…
Wer bei der neuen Weltordnung nicht mitspielt, wird aus dem Weg geräumt. So einfach ist das.