Zum dritten Mal innerhalb weniger Monate ist der Notruf in Berlin nicht erreichbar. Softwareprobleme sollen die Ursache sein. Parallel arbeitet man fleißig weiter daran, die Rettung von Menschen zu erschweren. Von Selma Green.
Als ich das erste Mal mit meinem Motorroller durch die Straßen düste und das Martinshorn hinter mir dröhnen hörte, war ich aufgeregter denn je. Ich suchte hektisch in meinen Spiegeln nach dem Rettungswagen. Ich fahre nur 25 km/h und habe oft Angst, schnell mal über den Haufen gefahren zu werden. Ich war dankbar, dass ich den Rettungswagen, der auf mich zuraste, durch die vielen Lichter noch rechtzeitig bemerkte und ihm ausweichen konnte.
Der Beschluss stößt verständlicherweise auf Widerspruch. Pierre-Enric Steiger, der Präsident der Björn Steiger Stiftung für Notfallhilfe warnt: “Die Maßnahme wird die Zahl tödlicher Unfälle an Einsatzkräften erhöhen.” Es sei besonders nachts, auf Landstraßen sowie auf Autobahnen wichtig, dass möglichst viele Lichter am Einsatzfahrzeug in alle Richtungen leuchten. Dazu erklärt Steiger: „Die Maßnahme gefährdet Einsatzkräfte in ihrem beruflichen Alltag und damit in ihrem für uns alle überaus wertvollen Wirken.”
Die Rettungsdienst-Kooperation Schleswig-Holstein hält die Maßnahme ebenfalls für “akut lebensgefährlich für die Einsatzkräfte und Verkehrsteilnehmer” und fordert das Bundesverkehrsministerium auf, sie rückgängig zu machen.
In Berlin hat der Rettungsdienst ohnehin mit genügend Schwierigkeiten zu kämpfen: In diesem Jahr wurde beim Rettungsdienst der Feuerwehr 149 Mal, doppelt so oft wie im Vorjahr, ein Ausnahmezustand ausgerufen. Das geschieht, wenn 80 Prozent der Rettungswagen ausgelastet und die Eintreffzeit bei den Patienten, die bei höchstens zehn Minuten liegen sollte, nicht mehr eingehalten werden kann. Hinzu kommt, dass 275 Stellen des Rettungsdienstes der Berliner Feuerwehr unbesetzt bleiben. Bei nur 120 Ausbildungsplätzen, dessen Anzahl in den letzten Jahren unangetastet blieb, ist das kein Wunder. In diesem Jahr beendeten nur 35 Menschen die Feuerwehrakademie und wurden bei der Berliner Feuerwehr eingestellt.
Während des Ausfalls mussten die Bürger über das Bürgertelefon oder beim Polizeiabschnitt vor Ort anrufen. Die Zahl der Notfälle, für die kein Rettungsdienst erreicht werden konnte, ist offen.
In der Nacht zum Donnerstag, dem 2. Dezember, sollen die Berliner jetzt zum dritten Mal in Folge für eine knappe halbe Stunde auf sich allein gestellt gewesen sein – auch wenn bislang nicht ganz klar ist, wie viele und warum. Die Telekom weist die Schuld von sich und meldete über t-online, dass die Notrufnummern nicht wirklich ausgefallen gewesen seien, sondern lediglich ein Server-Ausfall zu Störungen einiger Festnetzanschlüsse geführt habe. Laut rbb hingegen habe die Polizei auf Anfrage mitgeteilt, dass die Ursache ein technischer Defekt bei der Telekom gewesen sein soll.
Selma Green ist 15 Jahre alt und Teil des Nachwuchsprogramms von Tichys Einblick und Apollo News. Lesen Sie mehr junge Perspektiven in der neuen digitalen Edition des Jugendmagazins Apollo News. Hier.
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Danke, Selma für den schönen Artikel. Ich finde es begrüssenswert, wenn auch mal andere Problem angesprochen werden…
Aber wir sollen ja alle eh‘ nicht mehr so viel nach draußen gehen, soziale Kontakte sind auch nicht mehr erwünscht. Die Gesellschaft ist gespalten und jeder isoliert sich zuhause, so gut er eben kann.
P.S.: Da hat Herr Tichy wohl ein neues junges Talent entdeckt :-))
Danke, Selma, für Deinen gut recherchierten und geschriebenen Beitrag.
Vielleicht sollte ich noch ergänzen, dass wir in unserem uckermärkischem Dorf stolz auf unsere Freiwillige Feuerwehr sind. Eine „Übersignalisierung“ können wir nicht erkennen. Im Gegenteil, wenn die Sirene heult (ja, liebe westdeutsche Wegrationalinskis, wir haben sie behalten) schauen wir alle auf die Uhr, und freuen uns, wenn es bis zum ersten Tatütata wieder nur 2 min gedauert hat. Deswegen fahren die Kameraden hier auch in tiefer Nacht bei leeren Straßen mit Martinshorn los. Damit wir alle beruhigt sind.
Danke! An TE und an die Nachwuchskräfte.
Und gerne weitere Notstände recherchieren!
Mit 15 einen so gut recherchierten und gut argumentierten Artikel der auch noch unterhaltsam geschrieben ist.
TE scheint sich zum Magneten begabten Nachwuchses zu entwickeln.
Toll.
Respekt für die junge Autorin, Dank an TE. Es lohnt sich hier zu lesen, da Sie noch wichtige Themen ansprechen statt nur zu kopieren.
Ich finde gut, daß man in Berlin die Lebensumstände an die Gewohnheiten der Bewohner anpaßt. Mit einer effizienten und funktionierenden Infrastruktur wären unsere vielen Neubürger doch womöglich total überfordert, sowas sind die doch aus ihrer Heimat gar nicht gewohnt. Jetzt müssen nur noch wir Altbürger lernen, wie man sich im Notfall Hilfe besorgt, oder vielleicht besser, selber hilft.
vielen Dank für die Mühe,mit 15 swchon hier so gut recherchierte und geschriebene Beiträge einzustellen!
viel Glück,bei der Lernbereitschaft wird aus Ihnen mal ein echt guter „Journalist“ im Wortsinn,also kein „Haltungsverkünder“ wie heute üblich
Die Linksgrünroten mögen´s halt gern etwas verschärft. Wenn man nach außenhin stets den beherrschten und moralisch überlegenen Gutmenschen mimen muß, suchen sich die düsteren Seelenanteile eben ein anderes Ventil.
Linksgrünrote, so stelle ich es mir vor, sind in ihrem Innersten Kinder, die auf ihrer Modellbahn gerne Frontalzusammenstöße inszenieren. Auf der Ebene des realen Lebens erhöhen sie mit geeigneten strukturellen Maßnahmen gern das allgemeine Unfallrisiko.
Respekt Selma Green, schöner Artikel, ich hoffe weitere Berichte aus dem Kalkutta Deutschlands folgen.
Früher wurde gerade im Bereich Telefonanlagen (in dem ich damals gearbeitet habe) ein sehr großer Arbeitsaufwand dafür aufgewendet, die Ausfallsicherheit der Anlage zu gewähren. Die verkaufende Firma musste gewährleisten, dass die Anlage höchstens ein paar Sekunden im Jahr ausfällt, ansonsten drohten ihr empfindliche Strafzahlungen. Das scheint heute alles egal zu sein.