Prestige statt Vernunft – Berlins unendliche Geschichte: BER – auf ewig Deutschlands teuerste Bauruine vor den Toren der Hauptstadt? Anlass für Tomas Spahn, sich an seine Zeit in der Berliner Verkehrsverwaltung zurück zu erinnern.
Vor wenigen Tagen ging der Aufsichtsratsvorsitzende des Großprojektes Flughafen Berlin an die Öffentlichkeit, um einmal mehr einen möglichen Eröffnungstermin zu verkünden. Im Sommer dieses Jahres nun soll es endlich so weit sein, dass das Milliardengrab bundesdeutscher Steuergelder fertiggestellt ist, so Berlins Bürgermeister Michael Müller. Die offizielle Eröffnung allerdings datierte er vorsorglich bereits auf das das Ende des kommenden Jahres.
Nur der Versuch, den Abschluss der unendlichen Geschichte im Jahr der Bundestagswahl angesichts flauer Erwartungen der beiden Großkoalitionäre publikumswirksam zu präsentieren? Oder steckt vielleicht doch noch mehr dahinter? Denn nur vier Tage nach Müllers Verkündung meldete sich erst das Bauordnungsamt mit einem neuen Anforderungskatalog an den Betrieb des integrierten Bahnhofs zu Wort. Das könnte weitere Verzögerungen organisieren.
Und nun erhob auch noch Flughafenplaner Dieter Faulenbach da Costa Einwände. Er, der bis 1999 an den Planungsaufgaben beteiligt gewesen war, geht davon aus, das BER überhaupt nicht mehr ans Flugnetz gehen wird. Begründung: Durch die grundlegende Überarbeitung der nicht funktionsfähigen Entrauchungsanlage sei dort keine „durchgängige Systemarchitektur“ mehr vorhanden. Die aber sei für die Funktionsgarantie unverzichtbar – und außerdem auch nicht Bestandteil der ursprünglich erteilten Baugenehmigung.
BER – auf ewig Deutschlands teuerste Bauruine vor den Toren der Hauptstadt? Anlass für Tomas Spahn, sich an seine Zeit in der Berliner Verkehrsverwaltung zurück zu erinnern.
Prestige statt Vernunft – Berlins unendliche Geschichte
Mindestens viereinhalb Milliarden Euro soll der Großflughafen Berlin-Brandenburg bereits gekostet haben. Bis zu 5,5 Milliarden sollen es nach derzeitigen Schätzungen bis zur Fertigstellung werden. Die EU-Kommission soll die Gesamtkosten zwischenzeitlich bei 6,5 Milliarden gedeckelt haben. Und immer noch deutet vieles darauf hin, dass die Eröffnung auf den Sankt-Nimmerleinstag fällt. Denn nichts an diesem Projekt läuft wirklich so, wie es laufen sollte.
Da werden einmal mehr Überlegungen laut, das Gebäude abzureißen. Denn es böte sich vielleicht immer noch eine ganz andere Lösung an. Auch wenn diese heute nicht mehr ganz so einfach zu realisieren wäre wie vor zwei Jahrzehnten, als der Traum vom Großflughafen Berlin-Brandenburg noch kein Alptraum war. Weshalb wir jetzt, um diese Lösung zu verstehen, eine kleine Zeitreise machen.
Berliner Verwaltung in den 1990ern
Als ich Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Ehre hatte, die Öffentlichkeitsarbeit der Berliner Verkehrsverwaltung zu managen, befand sich das Projekt Großflughafen gerade in den Kinderschuhen. Nein, eigentlich war es eher noch in der präembryonalen Phase. Kurz vor der ersten Zellteilung. Das bedeutete nicht, dass es damit noch keine Kosten verursacht hätte. Denn in froher Erwartung eines baldigen Zeugungsprozesses hatte man im Großraum Schönefeld schon einige Grünlandbesitzer zu glücklichen Menschen gemacht, indem man ihnen ihre dortigen Grundstücke zu Fantasiepreisen abgekauft hatte. Aber das nur am Rande. Eigentlich will ich etwas ganz anderes erzählen.
In unserer Verwaltung gab es einen überaus rührigen, mittlerweile leider verstorbenen Mitarbeiter namens Horst Rösgen. Welche konkrete Aufgabe der Hardcoreraucher Rösgen hatte, den ich ab sofort eingedenk unseres freundschaftlichen Verhältnisses Horst nennen werde, ist mir zwischenzeitlich entfallen. Obgleich ich mich nicht wirklich erinnern kann, das jemals gewusst zu haben. Aber auch das ist nur Nebensache.
Horst war, wie gesagt, ein überaus rühriger Mann, der über Fähigkeiten verfügte, die sonst in der Verwaltung nicht so häufig anzutreffen sind. Er war eigentlich immer da, wo es wichtig schien. Und er verfügte über ein Netzwerk, das ganz tief in alle Unternehmen und Organisation ging, die in irgendeiner Weise mit Verkehr zu tun hatten. Deshalb war Horst ein Mensch, der seine Ohren überall hatte – und der blitzschnell in der Lage war, wichtiges von weniger wichtigem zu unterscheiden. Aus dem, was sich an Informationen bei ihm sammelte, konnte Horst perfekt neue Szenarien entwickeln, auf die in dieser Weise zuvor kaum jemand gekommen war. Das machte ihn einerseits seinen Vorgesetzten suspekt, weil es so gar nicht dem klassischen Verwaltungsmitarbeiter entsprach. Andererseits aber nutzte insbesondere die politische Leitung des Hauses gern die eine oder andere seiner Ideen, um innovatives Denken zu demonstrieren. Soweit erst einmal zu Horst.
Eine Stadt – drei Flughäfen
Die Mitte der neunziger Jahre war in Sachen Verkehrspolitik geprägt von einer Mischung aus Wiedervereinigungs-Verzweiflung, Alles-Ist-Möglich-Mentalität und dem ideologischen Kampf um das umweltfeindlichste Verkehrsmittel. Berlin hatte da ganz besondere Probleme. Denn die Stadt hatte alles mindestens doppelt. So gab es trotz gemeinsamer Dachgesellschaft immer noch zwei staatliche Bahnen und zwei Berliner Verkehrsbetriebe, die gerade im Sinne Brandts zusammenwuchsen. Auch gab es mehrere Versorgungsunternehmen, die teilweise schon zusammengewachsen waren. Und sogar drei Flughäfen.
Der schönste und traditionsreichste dieser Flughäfen war Tempelhof. Eigentlich Deutschlands erster richtiger Verkehrsflughafen mit nunmehr aber viel zu kurzen Rollbahnen – aber immer noch ein echtes Flugerlebnis vermittelnd. Wer jemals mit der JU 52 der Lufthansa in langsamer Sinkgeschwindigkeit dort eingeflogen ist, wird nachvollziehen können, wovon ich spreche.
Tempelhof stand auch für die schwerste Zeit von Berlin (West), als nach dem Krieg die Sowjets die Versorgung abgeschnitten hatten und die Westalliierten mit der Luftbrücke die Bürger der Millionenstadt vor dem Verhungern und Erfrieren bewahrten. Tempelhof war insofern deutlich mehr als nur ein Flughafen – er war ein Symbol, welches in der sogenannten Hungerforke vor dem Flughafen in Beton gegossen in Erinnerung blieb. Aber für den modernen Flugverkehr war Tempelhof nicht mehr zu gebrauchen, weshalb er schon seit geraumer Zeit nur noch und zum Leid der Anwohner immer noch von Turboprop-Maschinen angeflogen wurde.
Berlins (West) moderner Flughafen war Tegel. Diesen ehemaligen Zeppelin-Lande- und Raketen-Übungsplatz hatte man im Zuge der Luftbrücke 1948 schnell notdürftig einsatzfähig gemacht. Doch erst 1960 landete dort die erste Passagiermaschine der Air France. 1964 folgte mit PanAm die zweite Linienflugverbindung. Vier Jahre später dann wurde Tegel zum eigentlichen Flughafen von Berlin (West). Jedoch mit dem ständigen Handikap, nicht nur begrenzt ausbaufähig zu sein, sondern im Grunde auch mitten in der Stadt zu liegen.
Parallel zu Tegel hatte die sowjetische Besatzungsmacht in ihrem Teil des geteilten Berlins das Problem, weder Tegel noch Tempelhof anfliegen zu können. Also nutzte man schon seit 1946 die alte Landebahn der Henschel-Flugzeugwerke im südöstlich von Berlin gelegenen Schönefeld. 1949 fiel die Entscheidung, dieses Flugfeld zum größten Zivilflughafen in der Sowjetzone auszubauen – und so bekam die DDR ihren „Hauptstadtflughafen“.
Würde man Flughäfen als Persönlichkeiten betrachten, so könnte man mit Fug und Recht behaupten: Die beiden Schwestern Tegel und Schönefeld waren sich spinnefeind – und die alte Dame Tempelhof saß als unglückliche Mutter irgendwo zwischen ihren Kindern.
Der Vollständigkeit halber: Es gab auch noch das Flugfeld Gatow im äußersten Südwesten von Berlin (West) – aber das hatte schon 1950 den Zivilflugverkehr eingestellt und ging 1995 abschließend außer Betrieb.
Eine Hauptstadt – ein Flughafen
Nachdem nun 1991 Berlin wieder deutsche Hauptstadt geworden war, stellte sich dringlicher denn je zuvor die Frage nach der Flughafenanbindung. Die Berliner (West) liebten ihren Flughafen Tempelhof und hatten sich an Tegel gewöhnt. Und sie verabscheuten Schönefeld, denn das stand für die immer noch tief verhasste DDR und die russische Besatzungsmacht. Umgekehrt hatten sich die Berliner (Ost) an ihren Flughafen in Schönefeld gewöhnt und konnten mit den beiden Wessie-Flughäfen allein schon deshalb wenig anfangen, weil sie bis 1990 jenseits jeglicher Erreichbarkeit gelegen hatten.
Doch da die Politik gelegentlich auch rational entscheiden kann, lag die Idee des Berliner Flughafens Schönefeld an sich auf der Hand. Tempelhof sollte nicht zuletzt, weil sich einige dort anwohnende Politiker vom Flugzeuglärm heftig gestört fühlten, möglichst bald vom Netz. Und Tegel war auf Grund der enger werdenden Randbebauung und der mittlerweile fast schon zentralen Lage als großes Drehkreuz der Hauptstadt nicht vorstellbar. Wollte man also in Berlin einen Flughafen von Weltniveau und dabei auf bestehende Strukturen zurückgreifen, dann konnte dieses nur Schönefeld sein.
Doch Schönefeld brachte einige ernst zu nehmende Probleme mit sich. So gab es auch dort einige Anliegergemeinden, die wenig Lust verspürten, sich dem vorgesehenen Tag- und Nachtbetrieb ausgesetzt zu sehen. Viel gravierender aber war, dass Schönefeld das Schicksal der gesamten DDR teilte und kaum noch für etwas Leistungsfähiges zu gebrauchen war. Insofern stand fest: Mit der dortigen Bausubstanz war nichts mehr anzufangen. Was gleichzeitig aber die Augen nicht nur mancher Bauingenieure zum Leuchten brachte, konnte man nun doch völlig neu in großem Maßstab ein mögliches Projekt Großflughafen angehen. Daneben gab es allerdings noch ein drittes Problem, denn Schönefeld war nicht wirklich an das Hauptstreckennetz der Deutschen Reichs/Bundesbahn angeschlossen und auf die nicht eben immer sehr leistungsfähige Berliner S-Bahn angewiesen.
Rösgens Idee
Nun kam Horst ins Spiel. Denn er hatte nicht nur Ideen – er kannte auch die Tücken deutscher Verwaltungsarbeit bei Großprojekten. Und er konnte rechnen. So diskutierte er mit mir eines Tages eine Idee, die er aus seinen zahlreichen Informationen zusammengetragen hatte und de wir anschließend gemeinsam dem Senator vortragen würden.
Zu den Informationen gehörte
- Auf dem Gelände des ehemaligen Lehrter Bahnhofs sollte ein zukunftfähiger Großbahnhof als künftiger Berliner Hauptbahnhof entstehen.
- Die maßgeblich in unserem Hause entwickelte Idee, den Transrapid als Schnellverkehrsmittel der Zukunft in Berlin anzubinden, schien im Zuge der Bahnhofsplanung als Referenzstrecke zwischen Hamburg und Berlin konkrete Formen anzunehmen.
- In Halle/Leipzig stand ein perfekt geeignetes Flughafenkreuz kurz vor einem großzügig angelegten Ausbau. Dabei handelte es sich um einen Flughafen, der durch seine außerstädtische Lage nicht nur genug Raum für spätere Erweiterungen vorhielt, sondern auch für den Nachtbetrieb genutzt werden konnte – etwas, das für Schönefeld wegen der Randgemeinden faktisch schon gestrichen war.
Horsts Idee zeigte auf, dass allein die reine Fahrzeit der S-Bahn vom künftigen Berliner Hauptbahnhof zum Flughafen Schönefeld doppelt so lang dauerte wie die Fahrt mit dem Transrapid von eben diesem Hauptbahnhof nach Halle/Leipzig. Selbst dann, wenn man den Transrapid dort nicht nutzen würde, wäre die Strecke Berlin-Halle/Leipzig mit einem Hochgeschwindigkeitszug der neuen DB-Generation kaum länger als die Fahrt nach Schönefeld. Und Horst hatte noch weiter gedacht. Da Hauptbahnhof und Sachsens Flugdrehkreuz beide noch nicht fertig waren, hätte man sie so planen können, dass die Fluggäste bereits im Hauptbahnhof Berlin einchecken und in Halle/Leipzig vielleicht nicht einmal mehr die Personenkontrollen über sich ergehen lassen müssten. Das Gepäck würde derweil mit dem gleichen Zug zum Flughafen gebracht und sofort verladen. Da man die Bahnstation direkt in die neuen sächsischen Terminals bauen könnte, wäre das ein Modell der kurzen, schnellen Wege und unter dem Strich schneller, als nach Schönefeld zu zockeln und dort kompliziert durch die Terminals zu irren. Von der gesparten, damals veranschlagten einen Milliarde Baukosten für BER könnten Berlin und Brandenburg, die ohnehin immer unter Geldknappheit litten, andere Projekte in Angriff nehmen.
Prestige statt Vernunft
So also sah Horsts Modell aus. Es schien schlüssig und sinnvoll, weshalb wir es nun gemeinsam unserem Senator Herwig Haase vortrugen. Der war Wirtschaftsprofessor ohne Politikerfahrung, vermochte daher der Idee erst einmal grundsätzlich zu folgen und versprach, sie mit den Verantwortlichen in Berlin und Brandenburg zu diskutieren. Womit das Modell dann umgehend starb. Denn wenige Tage später eröffnete uns Haase, dass er mit dieser Idee auf vehementen Widerspruch sowohl beim Regierenden Bürgermeister Berlins als auch beim Ministerpräsidenten und dessen Verkehrsministers des Landes Brandenburg gestoßen sei.
Die Begründung für die Ablehnung war derart simpel, dass man es kaum wagt, sie niederzuschreiben. Es ging nicht darum, dass dieses Projekt noch nicht bis in das letzte Detail durchdacht war. Es ging auch nicht darum, dass man das Modell nicht als zweckmäßig betrachtet hätte. Es ging schlicht und einfach nach Loriots klassischem Jodeldiplom-Prinzip darum, dass Berlin und Brandenburg etwas Eigenes haben wollten. Beiden Länder und noch weniger der Bundesregierung sei zuzumuten, die vielen Staatsgäste auf einem Feldflughafen in der sächsischen Provinz in Empfang zu nehmen. Auch sei es durch nichts zu rechtfertigen, die internationalen Fluggäste dadurch zu malträtieren, auf dem Weg nach Berlin in einem Flughafen mit dem Namen Halle/Leipzig landen zu müssen. Die Bezeichnung Berlin/Brandenburg sei von fundamentaler Bedeutung – koste es, was es wolle. Was es dann ja auch tat.
Und so starb Horsts Idee bevor auch nur ein einziger Verwaltungsmitarbeiter die Möglichkeit hatte, dieses Projekt einmal grob durchzurechnen und in Relation zu den damals noch erwarteten, aus heutiger Sicht lächerlichen Kosten des Komplettneubaus eines schlecht angebundenen Feldflughafens südöstlich von Berlin zu stellen. Denn Geld spielte eben bei Prestige keine Rolle.
Da steht nun heute, rund zwanzig Jahre später, bei Leipzig ein gut ausgebauter, leistungsfähiger Flughafen, während Berlin immer noch über Tegel angeflogen werden muss und das Prestigeobjekt Schönefeld Milliarden verschlingt. Aber wie hatte Horst Rösgen schon damals festgestellt: Politische Entscheidungen haben leider nur selten etwas mit Vernunft zu tun. Denn es ist ja nicht das Geld der Entscheidungsträger, welches im Ernstfall zum Schornstein herausgejagt wird. Nachdem das nun aber mit Bravour geschehen ist und langsam die Erkenntnis wächst, die Bauruine nicht mehr retten zu können, wäre es vielleicht an der Zeit, doch noch einmal ernsthaft über das Rösgen-Modell nachzudenken. Und ihm im Zweifel posthum ein Denkmal für seine Weitsicht aufzurichten.
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