Nie dagewesene Bedrohung der Gesundheitsversorgung in Deutschland

Karl Lauterbach und die Gesundheitsminister der Länder beraten zur Krankenhausreform. Ohne einen Entwurf als Grundlage. Dabei sind die Einsätze hoch: Es droht ein nie dagewesenes Kliniksterben.

IMAGO / Seeliger

Eine „Revolution“ stehe an. So hat Karl Lauterbach (SPD) seine Krankenhausreform angekündigt. Im Dezember. Ende Juni liegt immer noch kein Entwurf vor. Trotzdem verhandeln die Länder mit dem Bundesminister für Gesundheit über eben diese Reform. Auf der Grundlage von seinen Aussagen und von Studien, die Lauterbach ausgewertet hat – und die ihn bestätigen.

Nach der jüngsten Runde sagte Lauterbach der Presse, die Länder und er hätten sich noch nicht geeinigt, aber sie seien aufeinander zugegangen. Von wo ausgehend? Wo endend? So genau kann das der Gesundheitsminister nicht sagen. Wie auch, ohne Entwurf? Aber er hatte Schlagzeilen zur Tagung und Schlagzeilen zum „Ergebnis“. Das genügt ihm erst einmal. Immerhin merkte der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister, Karl-Josef Laumann (CDU) im RBB24 Inforadio an, es wäre schon gut, mal zu wissen, was das Ergebnis von dem wäre, worüber die Minister da so diskutierten.

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Einig scheinen sich Lauterbach und Länder lediglich darüber zu sein, dass sie nicht mehr Geld für Kliniken ausgeben wollen. Das sagt zumindest der Vorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. Gerald Gaß. Das werde Folgen haben: „Der kalte Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft und das Kliniksterben werden weitergehen und sogar eine neue Dynamik entfalten.“ Bund und Länder kämen nicht einmal für die Kosten auf, die durch die hohe Inflation zusätzlich entstünden. Sie ließen die Kliniken mit deren Verlusten allein. Gaß spricht von einer „nie dagewesenen Bedrohung der für die Gesundheitsversorgung wichtigsten Infrastruktur in Deutschland“. Es drohten „massive Lücken bei der Patientenversorgung“.

Anders als der Bund und die Länder argumentiert die Krankenhausgesellschaft anhand von konkreten Zahlen – denen des „Krankenhaus Rating Reports“. Demnach hat sich die Situation der Kliniken im Pandemiejahr 2021 „dramatisch verschlechtert“. In den beiden Jahren danach sei sie weiterhin negativ verlaufen. Für das kommende Jahr 2024 sagt der Report 80 Prozent aller Krankenhäuser ein negatives Ergebnis voraus. „Entscheidend werden dabei die hohen Personalkostensteigerungen sein, die nur teilweise refinanziert sind.“

„Die Zahlen des Krankenhaus Rating Reports verdeutlichen, dass ohne ein Vorschaltgesetz zum Inflationsausgleich 80 Prozent der Krankenhäuser mit negativen Finanzergebnissen Gefahr laufen, die Reform überhaupt nicht mehr zu erleben“, sagt Gaß. Die Situation sei einfach: In den beiden vergangenen Jahren hätten die Krankenhäuser ihre Einnahmen um 2,3 beziehungsweise 4,3 Prozent steigern können – gleichzeitig seien die Kosten um 17 Prozent gestiegen.

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Lauterbach selbst hat davon gesprochen, dass einem Viertel der Kliniken die Schließung drohe. Die Zahl, es sei die Hälfte, der die Schließung droht, dementierte er. Wörtlich: „Sie überleben dort, wo sie benötigt werden.“ Das klingt so, als ob seine „Revolution“ so verlaufe, wie das Revolutionen gemeinhin an sich haben: mit vielen Todesfällen. Drei Jahre lang haben Bund und Länder Menschenrechte einkassiert, mit dem Hinweis darauf, die Struktur der Krankenhäuser dürfe nicht überlastet werden. Nun kürzen sie selbst sehenden Auges diese Struktur.

Zudem gefährden Lauterbachs Pläne die Ärzteausbildung. Davor haben die Bundesärztekammer und die Kassenärztliche Bundesvereinigung gewarnt. Nach dem, was bekannt wurde, einen Entwurf des Gesetzes gibt es nicht, soll die Weiterbildung an den Krankenhäusern mit dem niedrigsten Versorgungsniveau gebündelt werden. Das sei ein „unsinniges und für die ärztliche Nachwuchsgewinnung desaströses Vorhaben“, warnen die Ärzteverbände.

„Dieser Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums ist bestenfalls ein nicht durchdachter Schnellschuss, der nur auf eine Weise korrigiert werden kann, durch seine vollständige Streichung aus den Krankenhaus-Eckpunkten“, sagt Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Das sei auch deshalb nötig, weil die Regelung der ärztlichen Weiterbildung überhaupt nicht in den Kompetenzbereich der Bundesregierung falle. Zuständig für die Organisation der ärztlichen Weiterbildung sind die Landesärztekammern auf Grundlage der jeweiligen Landesgesetze.

Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, warnt: „Um es auf den Punkt zu bringen: In Krankenhäusern dieses Typs findet kein breites medizinisches Fachspektrum statt.“ Es sei völlig unklar, wie angehende Fachärzte dort etwas lernen könnten. Hofmeister sagt: „In allen medizinischen Fächern brauchen wir Diagnosen, Therapien und generell ein breites Feld an Fachlichkeit. Das alles werden wir in diesen Häusern nicht finden. Das wäre eine Katastrophe für die ärztliche Weiterbildung.“

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Kommentare ( 63 )

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63 Comments
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Mare
1 Jahr her

Aktuell beginnt bereits eine Insolvenzwelle bei den Pflegeheimen und ambulanten Diensten durch das Land zu rollen. Auch die Tagespflegen haben schwer zu kämpfen. Die Kostenträger (Pflegekassen und Sozialhilfe) betätigen sich als Totengräber, indem sie den Heimen und Diensten auskömmliche Preise verweigern. Insbesondere die kleineren und mittelgroßen Familienbetriebe gehen am Stock und sind nach und nach gezwungen aufzugeben oder an die großen Player zu verkaufen. Die Regierung schaut dem ganzen nicht nur tatenlos zu, sondern verschärft die Lage durch immer neue Bürokratie sowie unsinnige Gesetzesentwürfe und Ideen. Es ist frustrierend…

Lana S.
1 Jahr her

Durch den Inflationsausgleich, den das Krankenhaus, in dem unsere Tochter arbeitet, an die Beschäftigten zu zahlen hatte, ist dem Krankenhaus ein Minus von 2 Millionen Euro entstanden. Eine Freundin, die unsere Tochter letzten Herbst von einem anderen Krankenhaus abgeworben hatte, hat glücklicherweise das Angebot angenommen, denn ihr alter Arbeitgeber „Der katholische Krankenhausverbund Kplus mit mehr als 1.500 Mitarbeitern hat Insolvenz angemeldet. Die St. Lukas Klinik in Solingen wird bereits Anfang nächsten Jahres geschlossen. Während das Bilanz der Kliniken im vergangenen Jahr noch ausgeglichen war, summierte sich das Defizit In den ersten fünf Monaten dieses Jahres auf satte 5 Millionen Euro… Mehr

Michael Westler
1 Jahr her

Prof. Dr. Karl Lauterbach ist der beste Gesundheitsminister aller Zeiten!

Dr. Rehmstack
1 Jahr her

Lauterbach war damals im Aufsichtsrat der Rhönkliniken, man google, wem diese gehörten.

AlexR
1 Jahr her

Lauterbach! Einer der größten Wirrköpfe in dieser Hampelregierung. Steigerungen sind nur Habock und Bärbeck.

Wo ist eigtl dieser Olaf Scholz? Hat er vergessen, dass er als Kanzler eingesetzt wurde? Anscheinend schon. Oder hat Habock wegen fortschreitenden Erinnerungslücken des Olaf bereits die Amtsgeschäfte übernommen? Es sieht sehr danach aus.

stoffel333
1 Jahr her

Es sollte sich keiner der Ärzteverteter wundern, daß er nicht für voll genommen wird. Der Staat hat in den letzten Jahren gelernt, daß die Ärzteschaft und insbesondere ihre Standesvertreter alles abnicken was von der Politik gefordert wird und sei es auch noch so hanebüchen, unethisch, jeder ärztlichen Vernunft und Ausbildung widersprechend. Die Ärzteschaft wird als witlfähriger, Charakter- und prinzipienloser Begleiter in den Untergang angesehen, verachtet und auf allen erdenklichen Ebenen gespalten. Hätten die Verantwortlichen auch nur einen Funken Anstand und ein halbwegs stabiles Rückgrat, hätten sie die Zusammenarbeit mit dem aktuellen Krankheitsminister und auch schon seinem Vorgänger längst auf sämtlichen… Mehr

Robert Tiel
1 Jahr her

Schon Spahn fand, es gäbe zu viele Krankenhäuser.
Über Einwanderung und Corona wird man es schaffen, das Bismarcksche Sozialsystem zu beseitigen.
Der Bismarck-Saal mit dem Namen des Gründers des Auswärtigen Amtes wurde bereits umbenannt, ein Lenbach-Bildnis abgehängt. Nun wird das von ihm geschaffene Sozialsystem angegriffen. Vermutlich stehen Versicherungen schon parat, Deutschland mit sowas wie Obamacare zu beglücken… Dem wird ein KL wohl recht positiv gegenüber stehen…
Wozu also soll er ein eigenes Konzept vorlegen?

Last edited 1 Jahr her by Robert Tiel
Niklot
1 Jahr her

Heute werden Krankenhäuser geschlossen, morgen werden wir eingeschlossen und es werden Operationen verschoben, weil es zu wenige Krankenhausbetten gibt und Überlastung der Gesundheitsversorgung droht. Wenn es nicht so ernst wäre…

Kritikerin-2020
1 Jahr her

Kann man nicht das Geld für Krankenhäuser umleiten, das allein Baerbock in der ganzen Welt verteilt? In diesem Monat hat sie eben mal 300 Millionen für das Stromnetz in Südafrika springen lassen und schnell mal die Hilfe für den Sudan von 100 auf 200 Millionen Euro verdoppelt. Eine Milliarde unseres Steuergelds hat Deutschland Mitte Juni Syrien zugesagt, wovon Baerbock 484 Millionen übernimmt, usw., usw. Das sind allein im Juni fast 1 Milliarde Euro, die unserem Gesundheitssystem verdammt gut tun würden. 
Wer bremst endlich diese Ausplünderung unseres Landes?

RandolfderZweite
1 Jahr her

Nun, das „Krankenhaus-Abbau-Gesetz“ ist die logische Reaktion auf den Fachkräftemangel in diesem Bereich, hier beweist Herr Lauterbach seine Problemlösefähigkeit! 🙂
Dennoch, das Problem aller Reformen steht als Elefant mitten im Raum:
Der überbordende Sozialstaat, der wichtige Geldmittel bindet und gleichzeitig den Arbeitsmarkt lähmt – die große Zuwanderung an Menschen landet verständlicherweise in diesem System!
Möchte man ein funktionierendes Gesamtsystem am Leben halten, dann ist ein Umdenken im Vollkaskostaat die einzige Chance! Leider scheitert jegliches Vorhaben an der persönlichen Inkompetenz der Minister in dieser Ampelkoalition….jeder kocht sein eigenes Süppchen unter den Augen eines vergesslichen Kanzlers!!