Aufmerksamkeit um jeden Preis

Der SPIEGEL hat mit seinem Titelbild das politische Signal ausgegeben: Feuer frei für alle alten und neuen Klischees des Antiamerikanismus, der den Antikapitalismus immer mit im Tornister trägt.

Im Handbuch für NS-Radioleute fand Lord Weidenfeld den Begriff „Hörfang“, wie er dem SPIEGEL in einem Interview 2005 zum SPIEGEL-Buch „Das Goebbels-Experiment“ erklärte: „Das bedeutete, der NS-Radiokommentator sollte schon im ersten oder zweiten Satz Meinung und Nachricht vermischen, im Sinne der nationalsozialistischen Volksaufklärung.“

Das Titel-Bild eines Magazins ist der „Blickfang“, in dem die Botschaft so sehr verdichtet ist, dass sie selbst durch entgegengesetzte oder differenzierende Texte – folgten sie denn – nicht mehr relativiert werden könnte.

Als ich den Titel im Netz angekündigt sah, machte er mich erst fassungslos und dann ratlos. Der Netizen schaut zu Google und entdeckt, dass sich mit dem Titelbild kaum jemand befasst.

Trump ist buchstäblich zum Abschuss freigegeben, wie der Taxibenutzer in New York von jedem zweiten Taxifahrer hört und wie es in „sozialen“ Netzen verbreitet wird.

Dushan Wegner hat seinen Beitrag „Freiheit und Sicherheit – oder höhere Moral?“ nicht als Reaktion auf den SPIEGEL-Titel geschrieben. Aber seine Feststellung trifft ins Schwarze. Im Dienste einer „höheren Moral“ ist alles erlaubt, buchstäblich alles.

Meine erste Assoziation auf einen Trump, der Lady Liberty den Kopf abgetrennt hat, war eine Freiheitsstatue, die Trump geköpft hat. Ein solcher „Blickfang“ verselbständigt sich. Ob das den Blattmachern klar ist oder egal oder beides, weiß ich nicht. Das Streben nach Aufmerksamkeit ist legitim, kein Zweifel. Die Begriffe, mit denen in den Meinungsführer-Medien exzessiv ausgeteilt würde, erschiene das SPIEGEL-Sujet mit anderen politischen Anführern, will ich nicht aufzählen: „Hetze“ wäre das mindeste.

Mir ist klar, dass es nutzlos ist, den SPIEGEL-Titel und ihm entsprechende Texte mit moralischen Bewertungen zu versehen. Wer nicht selbst ein Gespür dafür hat, was geht und was nicht, an dem prallt alles ab. Das gilt für das öffentliche Klima im ganzen Westen. Wolfgang Herles schrieb heute unter anderem:

„Die USA taugen gegenwärtig nicht mehr als Fundament des Westens, weil ihre Gesellschaft mit sich selbst überfordert ist. Dafür ist Trump das Symptom, aber nicht die Ursache.“

Auch die meisten Gesellschaften Europas sind mit sich nicht mehr im Reinen: Die sogenannten Populisten sind dafür das Symptom und nicht die Ursache. Die Anhänger aller politischen Lager, der etablierten und noch nicht etablierten Parteien diesseits des Atlantiks starren nur zu gerne auf den großen Splitter im Auge der USA, um die Balken in den eigenen Augen nicht zu sehen. Der SPIEGEL hat mit seinem Titelbild das politische Signal ausgegeben: Feuer frei für alle alten und neuen Klischees des Antiamerikanismus, der den Antikapitalismus stets automatisch mit im Tornister trägt. Der Tradition der Aufklärung folgt das nicht.

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