Auf dem SPD-Parteitag im September 2018 in Wildau gab sich Simon Vaut, der frühere Redenschreiber von Sigmar Gabriel, ganz bodenständig – und verwurzelt in der Region: Er lebe in Brandenburg, mit seiner Partnerin. Das schönste an Berlin sei für ihn die Fahrt mit dem RE1 am Abend nach Brandenburg/Havel, sagte der 41-Jährige – während er in Wirklichkeit in der Hauptstadt lebte und lebt und jahrelang keinen nennenswerten Bezug zu Brandenburg hatte. Vaut hatte sich in den sozialen Medien als unermüdlicher „Vorkämpfer gegen Rechts“ inszeniert – etwa mit Attacken gegen Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen.
Wer erwartete, nach seinem Auffliegen würde der Gabriel-Schützling, der unter der Ägide seines Förderers Ministerialbeamter werden sollte (und es wohl auch noch wird), Demut an den Tag legen, wurde bitter enttäuscht. „Seine Mitleidsinszenierung im ,Spiegel´ und der ,Zeit´ treibt seine Genossen noch weiter auf die Palme“, schreibt die Märkische Allgemeine (MAZ). „Entschuldigt hat er sich bis heute nicht“, klagt Werner Jumpertz, der Chef des SPD-Kreisverbandes, der Opfer des Hochstaplers Vaut geworden ist. Weiter sagte Jumpertz der MAZ: „Die Landespartei hat uns im Vorjahr gesagt, wir sollen uns um Vaut kümmern. Der sei seit 25 Jahren in der Partei, bei uns liiert und gut vernetzt. Inzwischen glaube ich dem gar nichts mehr.“
Vaut brachte auch noch die Märkische Allgemeine selbst gegen sich auf (die laut wikipedia seit 1. Januar 2012 im Besitz der Madsack Mediengruppe Hannover ist, bei der wiederum die SPD über Beteiligungen größte Kommanditistin ist). Das Blatt ist für alle Wahlkämpfer in Brandenburg eines der wichtigsten Medien. Vaut ließ die Redaktion wissen, er werde ihr kein Interview geben – weil er doch im SPIEGEL alles erzählt habe und es nun genug sei mit Interviews. „Wieder gelogen!“, empört sich die MAZ: „In dieser Woche ist „Die Zeit“ mit Vaut im ICE Zug gefahren. Der 41-Jährige hatte seine Mutter im Schlepptau.“ Als „eine Art seelisch-moralischen Beistand“, wie die Journalistin schrieb. Die Landes-SPD hatte Vaut nach dem von ihm angerichteten Schaden um Zurückhaltung gebeten, so die MAZ: “Ein frommer Wunsch, der in immer neuen Geschichten und Mitleidsaufführungen untergeht.“
Es mache ihn rasend, heute zu wissen, dass durch Vauts Lügengeschichte der Brandenburger Kandidat auf dem eher aussichtslosen Platz 22 der SPD-Bundesliste gelandet sei, während die junge Maja Wallstein als Frau aus dem Osten auf Platz 12 und damit ziemlich sicher im EU-Parlament gewesen wäre, klagte Jumpertz in der Lokalzeitung. „Erst auf Initiative des Unterbezirksvorstandes hat Vaut schriftlich seinen Rücktritt aus dem Vorstand des Unterbezirkes erklärt.“ Seit das Lügengebilde aufflog, liege die SPD am Boden. „Die Leute sagen: Was ist das für ein Arsch! Aber was nützt uns das Verständnis? Wie stehen da wie begossene Pudel“, so Jumpertz. „Für ihn ist klar: Typen wie Vaut „zementieren das Gefühl der Politikverdrossenheit.“ Sein gebeutelter Kreisverband sei Opfer eines lang eingefädelten Betruges des Mannes aus dem Bundeswirtschaftsministerium, der vorgab, als Redenschreiber von Siegmar Gabriel in der Partei bestens vernetzt zu sein.
In dem erwähnten ZEIT-Artikel heißt es über den Felix Krull von Brandenburg: „Anders als viele andere Menschen, die beim Fälschen, Täuschen oder Betrügen erwischt worden sind, ist Vaut nicht abgetaucht. Immer wieder versucht er, die Geschichte neu zu deuten, sie so zu erzählen, dass sie nicht mehr ganz so schäbig klingt“. Das Wort Lüge vermeide er, so gut es gehe. Er rede, er wolle sich erklären. „Die Vorwürfe treffen zu“, schrieb Vaut auf Facebook. „Ich bedauere mein Verhalten zutiefst.“ Das sei ”ein gutes Statement“, so die ZEIT: “Simon Vaut trifft darin, wie so oft, den richtigen Ton. Dutzende Kommentarschreiber zollen ihm Respekt. Viel zu selten werde in Deutschland mit Fehlern so offen umgegangen, wie er das tut. Vaut freut sich über die Kommentare. Seine Geschichte, das ist nun die eines Geläuterten“.
Gleichzeitig erzähle Vaut „auch schon wieder eine Geschichte: Einerseits bemüht er sich um Aufrichtigkeit. Andererseits fällt er immer wieder in den alten Modus zurück. Er verschickt Videos vom Parteitag in Wildau, vergleicht seine „Inszenierung“ mit der seiner Konkurrentin Maja Wallstein und stellt zwischendurch ganz unbescheiden fest, er sei vielleicht einfach besser gewesen.“
Deshalb könnte sich der enttäuschte SPD-Lokalfürst Jumpertz irren mit seiner Prognose – „Glücklich wird der auch nicht mehr in unserer Partei“. Die Unterstützung für Vaut in den sozialen Medien ist erstaunlich. Auf Facebook zollen ihm auch Prominente Respekt, wie Jan Techau, Leiter des Europaprogramms des German Marshall Founds und Constanze Stelzenmüller, bekannt als Senior Fellow an der Brooking Institution und als Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Stiftung Friedensforschung.
Unrechtsbewusstsein? Einsicht? Fehlanzeige. Stattdessen, auch mit Hilfe des SPIEGEL, eine neue Inszenierung – diesmal als jemand, der ideal mit den eigenen Fehlern umgeht. The show must go on, die Show muss weitergehen. Und so wird der Eindruck erweckt, als ob er selbst geständig gewesen sei, und nicht von Enthüllungen des Regionalsenders zum Offenlegen seines Betrugs gezwungen worden wäre. Die positiven Reaktionen zeigen, dass Vauts Fehlverhalten offenbar kein Einzelfall ist – anders wäre die massive Unterstützung nicht zu erklären. Teilen der politischen und medialen Klasse scheint der Kompass abhanden gekommen zu sein. Betrug ist für sie offenbar salonfähig – wenn man nur auf der „richtigen Seite“ steht, zu einer der richtigen, linken Parteien gehört. Und auch noch gegen rechts kämpft. Viele Schlagzeilen über Vaut fielen denn auch entsprechend beschönigend aus.
Trost gab es auch vom politischen Gegner – Angela Merkels früherem Generalsekretär und jahrelangen Vorsitzenden des ZDF-Fernsehrats Ruprecht Polenz, der sich nach dem Rückzug aus dem Bundestag in den sozialen Netzen als heftiger Kämpfer inszeniert für alles Gute und gegen alles Schlechte – insbesondere dessen Verkörperung in Form der AfD. Polenz wirkt derart allgegenwärtig auf twitter und facebook, so omnipräsent in den Kommentaren, dass Spötter bereits feixen, er müsse eine eigene kleine Trollfabrik betreiben.
Bekannte von Vaut berichten, er brüste sich nach der Enthüllung, er sei jetzt bundesweit bekannt, sogar die großen Medien würde über ihn berichten. Genau in diesem Sinne zitiert auch die ZEIT Vaut: „Noch vor einer Woche musste ich alles geben, um eine Meldung in der Märkischen Oderzeitung zu bekommen“. Vaut scheint der Unterschied zwischen Gut und Böse nicht voll bewusst zu sein. Es wirkt, als lebe er in seiner eigenen Realität. Einem Freund, der ihm einen längeren Text schrieb, in dem es auch hieß, er sei menschlich tief enttäuscht, weil Vaut ihn so lange angelogen und unter Vorspiegelung falscher Tatsachen um Wahlkampfspenden gebeten habe, antwortete der Sozialdemokrat mit nur zwei Worten: „Heul doch!“