Heute bleiben die Apotheken in Deutschland geschlossen - aus Protest gegen zunehmenden Medikamentenmangel und wachsende Bürokratie. Die Krankenkassen kritisieren die Proteste. Karl Lauterbach möchte statt Reformen lieber die Krankenkassenbeiträge erhöhen. Von Samuel Faber
Ob Mittel gegen zu hohen Blutdruck. Insuline, Fiebersäfte für Kinder, Antibiotika oder bestimmte Schmerzmittel: Viele Medikamente fehlen in Deutschland. Besonders kritisch ist die Lage auf dem Markt der Generika. Generika sind Arzneimittel, deren Patente nach sieben Jahren ausgelaufen sind und daher von Pharmaunternehmen wie Ratiopharm, Stada oder Hexal günstiger angeboten werden.
Neben den Patienten betrifft auch die Apotheker diese Mangellage. Letztere wollen am Mittwoch, den 14. Juni, aus Protest die Ladentüren geschlossen lassen. “Der Streik bringt nur was, wenn alle mitmachen”, meint Eva Löhle gegenüber der Zeitung Merkur. Frau Löhle ist Inhaberin der Alten Apotheke in Lenggries bei Bad Tölz und kritisiert neben dem „Bürokratie-Wahn“ auch die Situation aufgrund der Medikamentenknappheit. Sie fordert, dass Apotheker die Möglichkeit haben sollten, bei Lieferengpässen ein anderes Medikament herausgeben zu dürfen, selbst wenn dieses teurer sei. Dies ist aktuell aufgrund von Vorgaben seitens des Gesetzgebers nicht möglich.
Reduzierte Apothekendichte
Laut dem Pharmazeuten Thomas Preis, dessen Apotheken ebenfalls geschlossen bleiben, geht es um die Versorgung der Patienten, die immer schwieriger werde: “Derzeit gibt es Lieferprobleme bei 500 Medikamenten, weil sich etwa die Produktion für viele Hersteller nicht mehr lohnt oder Vorprodukte aus Asien fehlen,” sagte er in der Wirtschaftswoche. So sei jedes zweite Rezept, das Kunden in deutsche Apotheken einreichten, von Lieferschwierigkeiten betroffen. “Das ist ein trauriger Rekord“, so Preis.
Auch in Rheinland-Pfalz streiken die Pharmazeuten. Einer, der sich bei den Protesten beteiligt, ist Andreas Hott, seines Zeichens Erster Vorsitzender des Apothekerverbands Rheinland-Pfalz und selbst Apotheker: “In meinem Bundesland haben wir seit den letzten zehn Jahren mehr als 20 Prozent der Apotheken verloren”, sagte Hott im SWR. Laut Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (Abda) sind die Schilderungen aus der Pfalz keine Ausnahme, sondern ein bundesweiter Trend. So gibt es derzeit rund 18.000 Apotheken, was den niedrigsten Stand seit mehr als 40 Jahren markiert. Tendenz sinkend. In Rheinland-Pfalz reduzierte sich die Apothekendichte in zehn Jahren um ganze 20 Prozent.
Bürokratie als wachsendes Problem
Laut Andreas Hott liegt der Grund hierfür auch im Fachkräftemangel. Viele junge Pharmazeuten wollen nicht in die Fußstapfen der älteren Generation treten. So würden in der Forschung und in der freien Wirtschaft auch besser bezahlt. “Wir haben 20 Jahre alles erduldet, ertragen und einfach hingenommen,” so Hott. In der Zeit seien die Honorare für Apotheker um gerade einmal drei Prozent gestiegen. “Für junge Kollegen ist damit einfach die wirtschaftliche Voraussetzung nicht da, um eine Apotheke übernehmen zu wollen und langfristig zu führen”, so der Pharmazeut.
Auch bei Frank Henle im schwäbischen Vöhringen gehen am 14.06. keine Pillen über die Ladentheke. “Es ist ein Schritt, der uns schwerfällt. Den Kunden die Tür vor die Nase zuzuknallen ist nicht unsere Art”, gibt Henle gegenüber dem Bayerischen Rundfunks zu. Jedoch zwinge ihn die Politik dazu, ein Signal nach Berlin zu schicken. Die Probleme sieht Henle, ähnlich wie seine Kollegen, vor allem bei der Bürokratie und der Lieferengpässe. „Wenn ein Arzneimittel nicht geliefert werden kann und wir die Packungsgrößen ändern wollen, dann müssen wir zuerst aufwändig beim Hausarzt nachfragen. So geht dort und bei uns viel Arbeitskraft verloren,” so Henle.
AOK-Südwest findet die Proteste “extrem unangemessen”
In Bremen ist die Situation besonders angespannt. Seit dem Jahr 2010 sind in dem Bundesland 49 Apotheken geschlossen. Damit gehört Bremen inzwischen zu den Ländern, die die geringste Apothekendichte aufweisen. “Mit dem Protest wollen wir als geschlossene Aktion zeigen, dass wir mit den Umständen nicht zufrieden sind. Wir sehen unter Druck”, machte der stellvertretende Vorsitzender des Bremer Apothekerverbands, Thomas Real, in der Fernsehsendung buten un binnen deutlich.
Kritik an dem Protest kommt dagegen von den Krankenkassen. So hält der Chef der Südwest-AOK, Johannes Bauernfeind, die Forderung nach höheren Honoraren für überzogen. “Die Umsätze in den Apotheken sind in den vergangenen zwei Jahren um 13 Prozent gestiegen”, sagte er den Stuttgarter Nachrichten. So sei er gegen die Erhöhung, vor allem mit Blick auf die angespannte Situation der gesetzlichen Krankenversicherung, die das erste Quartal 2023 voraussichtlich mit einem knappen Minus abschließen werde. Weiter kritisiert Bauernfeind die Form des Protestes als “extrem unangemessen”. “Das geht auf die Kosten jener Patienten, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind. Die haben weitere Wege zu den Notdiensten”.
Lauterbach will die Beiträge erhöhen
Währenddessen ist Gesundheitsminister Karl Lauterbachs Versuch, die Medikamenenkrise mithilfe eines Gesetzes zu bekämpfen, gescheitert. “Der Generikamarkt ist komplett staatlich reguliert”, sagt der Vorstandsvorsitzende von Pro-Generika, Andreas Burkhardt, in der Süddeutschen Zeitung. So gebe es durch das Gesetz ein Preismoratorium, Festbeträge und weiterhin Rabattverträge, die den Wettbewerb behindern. Auch der Deutsche Apothekenverband und die gesetzlichen Krankenkassen üben Kritik an dem Gesetz. Doch Lauterbach hält weiterhin an seinen Maßnahmen fest.
Derweil hat der Gesundheitsminister erneut angekündigt, die Krankenkassenbeiträge im kommenden Jahr zu erhöhen. „Finanzminister Christian Lindner hat klargemacht, dass die Steuerzuschüsse an die Gesetzliche Krankenversicherung nicht erhöht werden können“, sagte der SPD-Politiker dem RND. „Mit mir wird es keine Leistungskürzungen geben. Der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung wird daher im nächsten Jahr erneut leicht steigen müssen.“
120 Kilometer Fahrt zur nächsten Apotheke
Eine Aussage, die Johannes Bauernfeind “fassungslos” macht. “Es braucht dringend Reformvorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium zur nachhaltigen Stabilisierung der KGV”, so der Chef der Südwest-AOK. So müsse endlich Schluss damit sein, die Probleme weiter in die Zukunft zu verschieben und die Beitragszahler mit immer weiter steigenden Beiträgen zu belasten.
Was Medikamentenengpässe bedeuten können, berichtete die Apothekerin aus Colbitz, Anne-Kathrin Haus in der Pharmazeutischen Zeitung. So träte immer öfter die Situation ein, dass sie ihren Kunden keine Medikamente aushändigen könne. obwohl diese lebensnotwendig seien: “Der erste Fall vor ungefähr vier Wochen war ein Kind, das schwer an Scharlach erkrankt war und entsprechend hoch fieberte”, so Haus. “Die Familie kam aus einer Klinik in Halle und fuhr bereits fünf Apotheken auf ihrem Weg an, bis sie nach einer Strecke von circa 120 Kilometer bei mir waren.” „Scharlach ist hochansteckend. Unbehandelt sind Patienten bis zu drei Wochen mit der Krankheit ansteckend. Ohne Arzneigabe kann es zu schweren Erkrankungen von Herz, Nieren, Gelenken oder Gehirn kommen.
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Es gibt zwei tragende Säulen des gegenwärtigen Arzneimittelvertriebssystems bzw. der Institution Apotheke in Deutschland:
Erstens das Abgabemonopol für verschreibungspflichtige Arzneimittel
Zweitens – negativ ausgedrückt- das Fehlen eines Preiswettbewerbs für ebensolche- Daher die große Aufregung über das erwähnte Urteil des EuGH.
So besteht allenfalls eine Konkurrenz aufgrund von Standortvorteilen (Arztpraxen in der Nähe) oder von Serviceleistungen.
Die deutschen Apotheken existieren, marktwirtschaftlich gesehen, in einem Schonraum.
„weil sich etwa die Produktion für viele Hersteller nicht mehr lohnt oder Vorprodukte aus Asien fehlen“
Punkt 1: eine freie Marktwirtschaft gleicht das aus durch steigende Preise, was die Herstellung wieder lohnenswert macht. Wodurch wird das behindert?
Punkt 2: Woran liegt es, dass die Vorprodukte fehlen?
In den USA z.B. sind die Hälfte der hier rezeptpflichtigen Mittelchen im Supermarkt frei verkäuflich. Apotheken unterliegen dort einem viel schärferen Wettbewerb. Bei uns sollen die Apotheken in erster Linie beraten und dann verkaufen. Die Realität sieht oft anders aus. Außerdem profitieren die Apotheken davon, dass die Kunden ein Rezept vorlegen und das Medikament von der Kasse bezahlt wird. In Spanien kosten Medikamente nur die Hälfte, weil die Krankenkassen oft nur die Behandlung beim Arzt bezahlen, nicht aber die Medikamente.
Apotheken hatten wie andere auch schon immer ihre Krisen, wenn es um Umsatz und Ertrag ging und wenn eine Apotheke schließt, dann ist es halt so, denn wenn man sich so umsieht in deren Angebot, dann sind dort auch viele Produkte zu sehen, die man auch anderweitig verorten könnte, weil sie nicht unbedingt, dem Arzneimittelgesetz untergeordnet sind. Nun wird eine weitere Bastion alter Gewohnheiten angegriffen und dem Patienten ist es doch egal, wo er seine verschreibungspflichtigen Mittel herbekommt, als letzte Hürde staatlicher Regulierung und das betrifft allenfalls noch das ältere Semester, das sich nicht mehr umstellen will oder kann und… Mehr
Ich habe im Umkreis von 1 km von meiner Wohnung immer noch 8 Apotheken. Die Bedingungen sind offensichtlich sehr unterschiedlich. Wenn es nur 4 wären, dann hätte wenigstens diese eine bessere Geschäftsgrundlage ohne dass die Versorgung der Bevölkerung schlechter wäre.
Wenn ich viele der Kommentare lese, scheint mir die Politik der letzten Jahre reife Früchte zu tragen. Sie scheinen es hingekriegt zu haben, die Leute gegeneinander auszuspielen. Kunden gegen Apotheker, Patienten gegen Ärzte und dabei spreche ich mit einem schwer dementen Vater aus reichlicher Erfahrung. Dabei hat die Politik die Lieferketten zerstört und blödsinnigste Anweisungen erlassen und die Leute dazu gezwungen, sich für Pest oder Cholera zu entscheiden. Und jetzt, wo es darum geht, zusammenzuhalten und diesem Spuk endlich ein Ende zu bereiten, gehen sich die Leute gegenseitig auf den Sack. Nachvollziehbar, aber gerade jetzt, wo sich auf der Strasse… Mehr
Ein Indiz dafür, daß die Apotheker selbst ihre Unentbehrlichkeit beschwören, ist auch die Tatsache, daß auf den standeseigenen Fortbildungsveranstaltungen fast nur medizinische Themen vertreten sind. Von der ursprünglichen Tätigkeit: Herstellung, Prüfung und Abgabe von Arzneimitteln ist fast nur letztere erhalten geblieben. Die Ärzte wachen natürlich penibel darüber, daß die Apotheker ihnen nicht ins Handwerk pfuschen, indem sie nämlich Diagnosen stellen – was sie von Gesetzes wegen nicht dürfen. Sie können ein (freiverkäufliches) Medikament nur abgeben, wenn der Kunde mit einer Eigendiagnose daherkommt. Ebenso sprechen die Apotheker gern von ihren „Patienten“, wo es sich um Kunden handelt. Am Apothekerstand erleben wir… Mehr
Das ist hier durchgehend wirklich Apotheken-Bashing der primitivsten Art. Hätte gar nicht vermutet, daß solche Leute auch Tichy lesen. Hauptsächlich wohl von den Leuten, die meinen, selbst nichts mehr für den Erwerb ihrer Medikamente tun zu müssen. Da ist vielen schon der Weg zum Arzt zu viel. Man bestellt das Medikament per Telefon, die Praxis solle es doch bitte zu der gewünschten Apotheke bringen, und die sollte es gefälligst zu passender Zeit an die Haustür liefern. Botendienst kostet ja auch nichts, die arbeiten alle total umsonst. Bestellt doch einfach alles im Internet, geht manchmal halt etwas langsamer, die schicken nicht… Mehr
Der Apotheker erfüllt lt. Gesetz eine öffentliche Aufgabe. Trotzdem sollten die Apotheken ihre (völlig legitimen) Geschäftsinteressen nicht mit dem Gemeinwohl gleichsetzen.
Damit werden sie nur unglaubwürdig. Als sie auf eine Solidarisierung der Verbraucher anläßlich des EuGH-Urteils zum Rabatt einer Internet-Apotheke setzten, war der Erfolg auch nur mäßig.
Z.Zt. sieht man Plakate, die dem Volk das Elend der Retaxationen durch die AOK inkl. Honorarstreichungen vermitteln sollen. Wird kaum einen interessieren – wenn er es überhaupt versteht.
Das es ums Geld geht sagen die doch selbst! So soll, so der Wille der Apotheker, die Pauschale für jedes abgegebene rezeptpflichtige Medikament von 8,35€ auf 12€ steigen und bei nicht lieferbaren Medikamenten soll es für „die Suche nach einem Austauschmedikament“, was der Computer wahrscheinlich sowieso schon anzeigt, nochmal 21€ obenauf geben. Die Apothekenpreise sind hier so hoch wegen der MwSt, von 19% So ein Quatsch, Onlineapotheken bezahlen auch die Mehrwertsteuer. Aber vielleicht können Sie mir da ja mal was erklären: Wieso ist eine stationäre Apotheke die nebenbei auch eine „Onlineapotheke“ betreibt beim Internetverkauf um vieles preiswerter als bei der… Mehr
Streiken weil man keine Medikamente hat. Genau mein Humor! Man kann so oder so nichts verkaufen und nützt eigentlich niemandem. Dem Karl ist das alles total egal und die Gelackmeierten sind eh die Bürger. Also haben sich die Apotheker einen schönen freien Tag gemacht, jammern ein wenig herum, laufen aber ansonsten brav im System mit, denn man verdient ja doch recht gut. Was bin ich froh, dass wir hier in USA mit CVS, Walgreens oder Rite Aid besser dran sind! Medikamente zum größten Teil frei verkäuflich (und erhältlich) und nur „over the counter“ Waren benötigen Fachkräfte. Dazu an 7 Tagen… Mehr
Die Apotheken haben mir (71) unmaskiert den Zutritt verboten. Ich habe noch nie regelmäßig Medikamente eingenommen, höchstens mal eine Mückenstichsalbe dort gekauft. Seit 4 Jahren verzichte ich auf jedwede Medikamente aus der Apotheke und das wird auch so bleiben. Ich schwör. Meiner ganz speziellen Apothekerin vor Ort wünsche ich das, was sie verdient.
Diese Staatshörigkeit gab es bei vielen Branchen! Ich hätte mir damals mehr Widerstand und eigenständiges Denken gewünscht anstelle der ewigen Gängelei!