Angebliche Gewalttat von Grevesmühlen: alles war anders. Politik und Medien wussten trotzdem sofort Bescheid

Den vermeintlichen Überfall Rechter auf zwei aus Ghana stammende Mädchen gab es offenbar gar nicht. Trotzdem waren sich Spitzenpolitikerinnen und Medien in ihrem Blitzurteil wieder einmal einig.

picture alliance/dpa | Bernd Wüstneck
Wohnhäuser im Ploggenseering. In diesem Wohngebiet soll eine Gruppe junger Leute am 14.06.2024 zwei ghanaische Mädchen angegriffen haben. Doch das stimmte offenbar nicht.

Am 17. Juni 2024 herrschte wieder einmal Großalarm im Politik- und Medienbetrieb: die Polizei im Mecklenburg-vorpommerschen Grevesmühlen meldete, eine Horde von rechtsradikalen Jugendlichen sei über zwei aus Ghana stammende Mädchen, 10 und 8 Jahre alt, hergefallen, und habe eins der Mädchen „ins Gesicht getreten“. Dabei handelte es sich noch um unbestätigte Meldungen: die Aussagen stammten von dem Vater der Mädchen, der an den Schauplatz des vermeintlichen Überfalls kam, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen. Ein Punkt passte von Anfang an nicht zu der Schilderung von sechs brutalen Angreifern und einem Gesichtstritt: die Polizei sprach nur von „leichten Verletzungen“.

Obwohl die Ermittlungen noch gar nicht richtig begonnen hatten, meldeten sich reihenweise Spitzenpolitiker, und wetteiferten um die härteste Verurteilung. Die Grüne Vize-Bundestagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt erklärte auf X: „Die Täter haben jeden Funken Menschlichkeit verloren.“

— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) June 17, 2024

Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig stattete der Familie einen Besuch ab, Bundesinnenministerin Nancy Faeser erklärte, sie sei zumindest mit ihren Gedanken bei den Opfern.

Der NDR berichtete über die angebliche Attacke in großer Aufmachung, und interviewte dazu gleich einen angeblichen Experten, der eine Verbindung zwischen der angenommenen Gewalttat und der AfD konstruierte. Dass es sich bei dem Interviewten um den Vize-Chef der Linkspartei-Fraktion in Schwerin handelt, erfuhren die Zuschauer nicht.

In München leuchtete eine Kommentatorin der „Süddeutschen“ schon die Hintergründe der Tat aus, die sie als feststehendes Faktum behandelte.

Am Tag danach sah der Fall schon sehr viel anders aus. Vielmehr: es gab ihn eigentlich nicht. Jedenfalls ereignete sich auf dem Sportplatz in Grevesmühlen nichts, was der ersten Meldung auch nur entfernt ähnelte. „Nach derzeitigem Ermittlungsstand hat das achtjährige Mädchen keine körperlichen Verletzungen erlitten, die auf die in der Erstmeldung geschilderte Tathandlung hindeuten“, teilte die Polizei mit. Weder habe es einen Tritt ins Gesicht gegeben, noch überhaupt einen gewalttätigen Übergriff auf die beiden Kinder.

„Der Sachverhalt stellt sich derzeit so dar, dass die Achtjährige mit ihrem Roller an einem Jugendlichen vorbeifahren wollte. Dieser versperrte dem Mädchen offenbar mit seinem ausgestreckten Bein den Weg und traf sie mit seiner Fußspitze“, heißt es in der Polizeimitteilung. Anschließend sei der Vater erschienen und habe die Jugendlichen zur Rede gestellt. Dabei kam es, wie ein Video zeigt, das der „Nordkurier“ veröffentlichte, zu einem Wortgefecht zwischen beiden Seiten und einem kurzen Handgemenge, auch zu möglicherweise strafbaren Beleidigungen. Mehr war nicht passiert. Hätte es sich bei den Beteiligten ausschließlich um Weiße oder auch ausschließlich um Dunkelhäutige gehandelt, der Vorfall hätte es vermutlich noch nicht einmal in die Grevesmühlener Lokalzeitung geschafft. Vor allem hätte die Polizei keine zehnköpfige Sonderkommission zur Aufklärung gebildet.

Immerhin: durch diesen Großeinsatz kam das tatsächliche Geschehen auch innerhalb von 24 Stunden heraus. Also: alles war anders. Nur die Politiker-Reaktion fielen wie immer aus wenn eine noch so vage Kriminalmeldung ins eigene Verwertungsraster passt.

Bis jetzt gibt es weder von Göring-Eckardt noch Nancy Faeser eine korrigierende Äußerung. Und viele Bürger dürften sich fragen, wo der Politiker- und Medieneinsatz in anderen sehr viel gravierenderen Fällen bleibt. Allein in Berlin ereigneten sich 2023 insgesamt 111 Gruppenvergewaltigungen, und in ganz Deutschland laut Polizeistatistik durchschnittlich 60 Fälle von Messergewalt – pro Tag. Stellungnahmen von Spitzenpolitikern, Besuch bei den Opfern, große Meldung in den Öffentlich-Rechtlichen – das bleibt selbst dann in der Regel aus, wenn eine Gewalttat tödlich endet.

Sogar nach der islamistischen Bluttat von Mannheim, bei der ein Polizist bei einem Angriff auf den Islamkritiker Michael Stürzenberger von einem afghanischen Migranten ermordet wurde, meinte eine STERN-Autorin, Dachdecker lebten schließlich gefährlicher als Polizisten, und spekulierte: „Möglicherweise war der Täter psychisch gestört?“ Jedenfalls, befand sie, handle es sich nicht um einen Terrorakt. Die badische Landesbischöfin Heike Springhart reagierte auf die Bluttat von Mannheim, indem sie die Mehrheitsgesellschaft zu einer „Kultur der Toleranz und des Respekts“ ermahnte, durch die solche Gewalttaten künftig verhindert werden könnten.

Mit anderen Worten: wenn es keine Kritik am Islam gibt, haben Attentäter wie Sulaiman A. auch keinen Grund zum Zustechen.

Das Herunterspielen eines Mordes in Mannheim und das maßlose Aufblasen eines Vorfalls in Grevesmühlen, beides zeigt: große Teile der politisch-medialen Elite haben den Kontakt zur Realität verloren.

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