„Tabubruch“, gar ein „besonderer Tabubruch“ – die Kommentatoren der Ampel geben sich zusammen mit journalistischen Unterstützern größte Mühe, einen banalen Vorgang im thüringischen Landtag zur Katastrophe für die Demokratie zu erklären.
Die CDU hatte einen Antrag zur Senkung der Grunderwerbssteuer in das Parlament eingebracht, in dem die rot-rot-grüne Regierung keine Mehrheit besitzt. Neben der Union stimmten AfD uns FDP für den Antrag, der damit zum Gesetz wurde. „Die heutige Abstimmung im Erfurter Landtag war kein Unfall“, tobte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert: „Die CDU in Thüringen hat sich sehenden Auges darauf eingelassen, eine politische Entscheidung herbeizuführen, die ohne die Stimmen der AfD nicht möglich gewesen wäre“. Das sei eine neue Qualität im deutschen Parlamentarismus. „Wenn das in der CDU Schule macht, dann wird der Parlamentarismus nach dem heutigen Tag ein anderer sein. Demokraten dürfen die AfD niemals zum parlamentarischen Zünglein an der Waage machen.“
Warum der CDU-Antrag zur Bürgerentlastung nur mit der AfD durchsetzbar gewesen sei, und was seine Partei daran hinderte, ihm zuzustimmen, verriet Kühnert nicht. Hätten die Thüringer Regierungsfraktionen dafür votiert, wäre es auch die AfD schließlich nicht angekommen. Nach der Logik von Kühnert, den Grünen und anderen dürfte die CDU also nur Anträge in den Landtag einbringen, von denen sie sicher weiß, dass sie die Stimmen der AfD nicht erhalten. Was faktisch bedeuten würde: Die Landespartei von Mario Voigt müsste sich darauf beschränken, die Minderheitsregierung von Bodo Ramelow (Linke) zu stützen, und sich ansonsten jeder eigenen Politik enthalten.
Umgekehrt gibt es allerdings kein Tabu, AfD-Stimmen zu nutzen, wenn es Linkspartei, SPD und Grünen in Thüringen gerade in die Strategie passt. Im Frühjahr 2023 geriet Ramelows Kabinett nach einem Bericht des Landesrechnungshofs in Schwierigkeiten. Die Prüfungsbeamten kritisierten unter anderem, dass bei der Bestellung von Staatssekretären die Bestenauslese ignoriert und Dokumentationspflichten verletzt worden seien. Der Landesrechnungshof sah systematische und schwerwiegende Verstöße gegen Vorschriften zur Einstellung von Beamten. CDU und FDP beantragten einen Untersuchungsausschuss zu diesem brisanten Thema. Das konnte Rot-Rot-Grün nicht verhindern. Aber die Koalition suchten zumindest nach einer Möglichkeit, den Druck für sich etwas zu verringern, indem sie beantragte, den Untersuchungsauftrag zu erweitern: Auch die die Einstellungspraxis unter der CDU-geführten Vorgängerregierungen sollte ihrer Ansicht nach durchleuchtet werden. Diesen Antrag konnte Rot-Rot-Grün nur mit Hilfe der AfD durchsetzen.
Und so geschah es auch: Eine ganz große Koalition von Linkspartei bis zu dem Höcke-Verband votierte im April für die Änderung. Dieses Mal natürlich ohne zornbebenden Ministerpräsidenten, ohne den Auftritt eines hoch erregten Kevin Kühnert in der ARD, der die Zukunft des Parlamentarismus in den düstersten Farben malte, ohne grüne Mahnungen vor einer Diktatur – und ohne entsprechenden Theaterdonner von ARD und ZDF. Auch dort meinte man offenbar: AfD-Stimmen sind gut, falls der der richtigen Seite nützen.
Nah dem angeblichen Tabubruch – also den AfD-Stimmen für den CDU- Antrag – drehte die ARD die Lautstärke hoch. Der „Bericht aus Berlin“ machte das Thema groß auf, und holte sich ein entsprechendes Zitat zur „Einordnung“ von Matthias Quent ab, der den Zuschauern als „Soziologe und Rechtsextremismusforscher“ präsentiert wurde.
Die ARD-Kunden erfuhren allerdings weder, dass Quent früher für eine selbst innerhalb der Linkspartei radikale Landtagsabgeordnete arbeitete, noch, dass das „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“, an dem er tätig ist, zu der berüchtigten Amadeu-Antonio-Stiftung gehört.