49-Euro-Ticket wird teurer oder stirbt

Die Zukunft des 49-Euro-Ticket entscheidet sich in der kommenden Woche. Entweder wird es teurer – oder stirbt ganz. Doch selbst wenn Bund und Länder es noch retten: Von Verkehrswende kann kaum die Rede sein.

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Derzeit mühen sich viele zu betonen, welch ein Erfolg das „Deutschlandticket“ ist: Im ersten Halbjahr ist das Fahrgastaufkommen um zehn Prozent gestiegen, meldet das Statistische Bundesamt und folgert daraus: Das 49-Euro-Ticket habe zu diesem Anstieg beigetragen. Die meisten Medien übernehmen diese Sprachregelung. Tusch. Die Verkehrswende ist geglückt. Fanfare. Eine Pressemitteilung und viele, viele Medienberichte lang ist die grüne Welt in Ordnung.

Doch eigentlich nur eine halbe Pressemitteilung lang. Denn am Ende steht der entscheidende Satz: „Trotz des Anstiegs der Fahrgastzahlen im ersten Halbjahr 2023 waren im Linienverkehr mit Bussen und Bahnen allerdings noch immer 13 Prozent weniger Fahrgäste unterwegs als vor der Corona-Pandemie im ersten Halbjahr 2019.“ Die Pandemiepolitik hat den Menschen ihr soziales Leben genommen – nur allmählich holen sie sich es zurück. Deswegen steigen die Fahrgastzahlen wieder und eben nicht wegen des Deutschlandtickets. Immer noch ist mehr als jeder zehnte Fahrgast nach der Pandemiepolitik nicht in die Busse und Bahnen zurückgekehrt.

Startschwierigkeiten
Das 49-Euro-Ticket – eine sehr deutsche Revolution
5,3 Milliarden Fahrgäste zählte das Statistische Bundesamt im ersten Halbjahr in Bussen und Bahnen. Am stärksten waren die Zahlen im Fernverkehr zusammengebrochen. Dort sind es nun 72 Millionen Fahrgäste gewesen, 16 Prozent mehr als vor einem Jahr. Tusch, Fanfare und so weiter in der geneigten Presse. Aber, Vorsicht: Das sind immer noch elf Prozent weniger als vor der Pandemiepolitik.

Doch so sehr sich viele bemühen, das Deutschlandticket als Erfolg aussehen zu lassen. In der kommenden Woche fällt eine Entscheidung. Beide Optionen, die zur Wahl stehen, sind aus Sicht der Fans des Tickets wenig attraktiv. Entweder muss die Monatskarte deutlich teurer als 49 Euro werden – oder sie stirbt ganz. Denn es bewahrheitet sich das, was die Kritiker von Anfang an gesagt haben. 49 Euro genügen nicht, um die Kosten des öffentlichen Verkehrs zu finanzieren.

Es mehren sich Meldungen von Verkehrsbetrieben, die vor der Pleite stehen. Etwa in Dresden, wo laut Sächsischer Zeitung seit dem 49-Euro-Ticket Millionen fehlen. Die Verteilung des eingenommenen Geldes klappt nicht. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat zwar mit der Einführung die „Ticket-Revolution“ verkündet – doch die zuständige Verwaltung ist genauso sehr bräsig und wenig funktional wie vor der Revolution.

Serverausfall, lange Schlangen, Datenpannen
Massive Probleme rund um das 49-Euro-Ticket
Vor allem fehlt aber durch das billige Ticket Geld im System. Über 4 Milliarden Euro kostet es im Jahr, wie die Berliner Morgenpost berichtet – nur 3 Milliarden Euro sind Bund und Länder bereit zu zahlen. Entweder holen sich die Verkehrsbetriebe das Geld über höhere Preise zurück oder das Deutschlandticket steigt im Preis. Schon zur Einführung des Tickets im Frühjahr haben die meisten Verbände die anderen Fahrkarten um gut zehn Prozent erhöht. Also Einzelfahrscheine zum Beispiel oder regionale Monatskarten.

Der Dachverband der Verkehrsbetriebe, der VDV, mahnt eine Entscheidung noch im September an: „Wir brauchen eigentlich bis zum 1. Oktober eine klare Zusage von Bund und Ländern, wie die gesamten Kosten der Branche im Zuge des Deutschland-Tickets auch im kommenden Jahr finanziert werden sollen“, sagt VDV-Hauptgeschäftsführer Oliver Wolff. Die Art, wie die Politik über das Ticket diskutiert, irritiert den Verband. Es werde regelrecht so getan, als ob es unanständig sei, dass für etwas so viel gezahlt werde, wie es kostet.

Einsparungen habe das Ticket noch keine gebracht, kritisiert der VDV. Stattdessen höhere Kosten: für den Vertrieb des 49-Euro-Ticket oder für die Information der Kunden zum Beispiel. Doch selbst, wenn sich Bund und Länder in der kommenden Woche einigen. Dann steht dem System nur so viel Geld bereit, wie es braucht, um den laufenden Betrieb zu finanzieren. Investitionen in mehr Angebot und folglich in mehr Kunden – als vor der Pandemie – sind dann immer noch nicht finanziert. Verkehrswende lässt sich das kaum nennen. Tusch und Fanfare sind nur dann angebracht, wenn Medien bereit sind, die entscheidende Hälfte von Pressemitteilungen wegzulassen.

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Kommentare ( 62 )

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Endlich Frei
1 Jahr her

Das 7-Euro-Ticket hat bewiesen, dass die Kapazitäten der Bahn hinten und vorne nicht ausreichen und Aggression eine Folge von Zuständen ist, wie ich sie bislang nur bei in Züge gequetschten Menschenmassen in Bangladesh kennengelernt habe.
Insofern kommt dem Automobil neben der Aufrechterhaltung der Mobilität auch noch eine friedensstiftende Aufgabe in unserer Gesellschaft zu. Darüber wird leider nie diskutiert, obwohl es von so enormer Bedeutung ist.

A rose is a rose...
1 Jahr her

Ich bin immer noch dafür, endlich das „Ehrlichkeitsprinzip“, wonach nur stichprobenartig überprüft wird, ob Fahrgäste einen gültigen Fahrschein haben, abzuschaffen. Es funktioniert einfach nicht mehr und es entsteht dadurch jährlich bundesweit ein Milliardenschaden aufgrund von Schwarzfahrern. Man könnte zunächst Schranken bzw Barrieren an Stationen bzw Bahnhöfen, die besonders frequentiert werden anbringen, wo man ohne gültige Fahrkarte nicht hinein bzw hinaus kann. In Bussen und Strassenbahnen könnte man einführen, dass Einlass nur vorne beim Fahrer ist, wo entweder eine Karte gekauft wird oder eine gültige Fahrkarte vorgelegt werden muss. So wird es seit vielen Jahren in anderen Ländern erfolgreich praktiziert, warum… Mehr

alter weisser Mann
1 Jahr her

„49 Euro genügen nicht, um die Kosten des öffentlichen Verkehrs zu finanzieren.“ Stimmt. Deshalb muss man ja den öffentlichen Verkehr außerhalb der Geltung des 49 Tickets, z.B. ICE-Verbindungen, trotzdem zahlen. Das 49 Euro-Ticket wird sich wohl peu-a-peu zu einer Art universellen ÖPNV+Langsambahn Monatskarte entwickeln und sich dazu im Preis entsprechend aufwärts an solche Tarife angleichen. Netzmonatstickets deutscher Großverkehrsverbünde/Großstädte kosten ja fix mal 150-200 Euro und da hat ma nichtmal die maximalen Ausdehnungen. Der Nutzen bleibt dann übrigens immer noch vom Bedarf des Einzelnen und vom regelmäßig nutzbaren Angebot abhängig. Nichtpendler auf dem Land vs. Pendler und Großstadtbewohner. Der Spass für… Mehr

Radikaler Demokrat
1 Jahr her

Dem Sozialismus geht IMMER das Geld der anderen Leute aus…
Und dann muß man bedenken, daß die Forderung nach einem komplett freien ÖPNV im Raum steht, also niemand mehr ein Ticket braucht, bei gleichzeitiger Erhöhung von Qualität und Taktzahlen. Rechnen scheint ein Privileg der Konservativen zu sein…

Niklot
1 Jahr her

Ich fahre Auto, da ich keine Lust habe, in einem Zug mit möglichen Messerstechern eingeschlossen zu sein.

Wolfram_von_Wolkenkuckucksheim
1 Jahr her

Ich bin zwar auch ein Nutzer dieses Tickets, aber aus ordnungspolitischen Sicht total dagegen. Ich rechtfertige es damit, dass ich als Nettosteuerzahler ja ohnehin für diesen Unsinn aufkomme. Das war doch alles abzusehen. Ich nutze es, in dem ich jeden Monat in den Harz fahre und damit habe ich den Preis raus.

Endlich Frei
1 Jahr her

Entzöge man all die Sozialmilliarden, die man jungen, fitten Männer, die illegal das Land betreten und trotzdem durch die Politik vollversorgt werden, der Zweckentfremdung und führte man diese der Mobilität zu, könnte jeder Bürger u. a. locker eine Bahncard-100 gratis zur Verfügung gestellt werden.
Das wäre doch mal ein „Klima-Beitrag“.
Doch man kann nicht beides haben: Bunte Zustände, auf die wir uns freuen und Klimapolitik.

Metric
1 Jahr her

Als ich als Impffreier, ohne Möglichkeit der ständigen Testung, nicht mehr Bahn fahren durfte, habe ich mir das erste Mal in meinem großstädtischen Leben ein Auto gekauft. Ich liebe es und komme nicht mehr zurück zu den Öffis. „Freie Fahrt für freie Bürger“ fand ich früher einen dämlichen Slogan; seit Corona hat das einen anderen Klang für mich.

Last edited 1 Jahr her by Metric
jsdb
1 Jahr her

<sarkasmus an>
Bekommt man mit dem Ticket auch einen „Krav Margar“ Überlebenskurs, um im ÖPNV die Messerangriffe zu zu überleben?
</sarkasmus aus>

AnSi
1 Jahr her

Sozialismus hat noch nie funktioniert.
Was hatte man denn geglaubt, wie sich das alles finanziert? Glaubt man wirklich, dass die Mehrheit sich in die Bahn setzt, die entweder nicht kommt oder wenn dann zu spät oder durch Schienenersatzverkehr ersetzt wird? Dazu die Klientel, die die Bahn nutzt. Sind Kettenhemden und Big-T-Shirts im Preis inbegriffen oder muss ich die selbst kaufen? Man kann als normal wirtschaftlich denkender Mensch nur mit dem Kopf schütteln! So blond können nur unsere ungebildeten Minderleister im bunten Tag sein.