Eskalation mit Ansage

AfD-Delegierte werden niedergebrüllt, beschimpft und blockiert. Die Polizei greift zu Schlagstöcken und Pfefferspray. Selbst Journalisten werden angegriffen. In Essen herrscht eine Stimmung wie bei G7-Protesten. Sitzen die Antidemokraten wirklich in der Gruga-Halle?

picture alliance/dpa | Henning Kaiser
Demonstranten und Polizei stehen sich gegenüber. Wenige Stunden vor Beginn des AfD-Bundesparteitags hat es am Samstagmorgen einen ersten Zusammenstoß von Demonstranten mit der Polizei gegeben.

Der Westen hat ein Demokratieproblem. Das ist mittlerweile zur Floskel geworden. In Essen kann man es jedoch kaum plastischer verfolgen. „Wehrhafte Demokraten“ die demokratischen Spielregeln aushebeln und einen Parteitag verhindern wollen. Und das alles unter den wachen Augen des demokratisch verfassten Staates.

Es war eine Eskalation mit Ansage. Während der Bauernaufstand zu Beginn des Jahres die Nation in einen Schockzustand setzte, weil die Landwirte es wagten, gegen die Regierung zu demonstrieren, ist es in der gegenwärtigen Republik guter Ton, die Gefahr in der Opposition zu vermuten und diese mit einer gewissen Genugtuung zu bekämpfen. Dass die politische Minderheit auch eine Minderheit ist, die unter dem Schutz pluralistisch verfasster Staaten steht, hat man hierzulande vergessen. Denn Recht hat, wer in der Mehrheit ist.

In der politischen Theorie befinden wir uns damit in der Dekadenz der Demokratie, übrigens nicht nur in Deutschland, wie gestern das US-Duell der Geronten bewies, sondern im gesamten Westen, und wie so häufig steht die unbedingte Systembewahrung in dieser Phase über den Prinzipien, auf denen das System eigentlich steht. Da lässt man auch eine gewalttätige Protestgruppe gegen die Opposition gewähren, während es der Staat bei Ankündigungen und Bekenntnissen belässt.

Es gibt eine ganze Reihe bemerkenswerter Vorfälle im Umfeld des AfD-Parteitags, die ein bezeichnendes Licht auf den Zustand der Republik werfen. Es geht nicht etwa um Sitzblockaden, wie sie die „Letzte Generation“ über Monate salonfähig gemacht hat, oder die versuchte Blockade von Autobahnen. An diese früheren Ausnahmezustände hat man den Zuschauer längst gewöhnt. Ähnliches gilt für den Versuch von Linksextremisten, Absperrungen zu durchbrechen. Warum soll das, was bei Tesla erlaubt ist, nicht auch bei der AfD erlaubt sein? Die Muster sind offensichtlich.

Deutschland hatte wochenlang über Chemnitzer Verhältnisse diskutiert, in deren Zuge am Ende sogar ein Präsident des Verfassungsschutzes seinen Hut nehmen musste. Wie ist dann aber etwa die Belagerung dreier AfD-Politiker zu bewerten, die sich in einer Bäckerei verschanzen mussten, weil sie von „Gegendemonstranten“ (welche Demonstration findet überhaupt statt?) blockiert wurden? Es brauchte laut Medienberichten eine Kohorte von rund 20 Polizisten, damit die Politiker den Kessel wieder verlassen konnten.

Bereits um 7 Uhr haben die Radikalen versucht, zur Gruga-Halle vorzudringen, die Polizei musste Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzen. AfD-Politiker können nur unter massivem Polizeischutz anreisen. Bis 9 Uhr war nur die Hälfte der Delegierten eingetroffen. Eigentlich war der Beginn des Parteitags für 10 Uhr angesetzt. Die Parteiführung hatte zeitweise Zweifel daran, ob das Geschehen vor dem Mittag stattfinden kann. Um circa 10:30 konnte die Sitzung dann beginnen. Die demokratisch bewegte Zivilgesellschaft hatte also großen Erfolg dabei, einen demokratischen Parteitag zu verzögern.

Zahlreiche Bilder und Videos geben eine Stimmung wieder, wie man sie nur bei internationalen, linksradikalen Protesten zu G7-Gipfeln kennt. AfD-Delegierte werden in Seitenstraßen blockiert, die Polizei kann ihren sicheren Weg zur Gruga-Halle nicht garantieren. Das Vermummungsverbot scheint in Essen überdies außer Kraft gesetzt. Unter „Auch die Polizisten schützen die Faschisten“-Rufen versuchen die Beamten mit Schlagstöcken die Blockierer von bedrängten AfDlern fortzutreiben. „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“, tönen die Radikalen auf einer Brücke.

Per Whatsapp hatten sich die Störer verabredet, um ICEs „abzufangen“ und ankommende AfD-Politiker zu blockieren. Woanders belagerten Demonstranten mit Sitzblockaden ein B&B-Hotel, in der vagen Vermutung, dort drinnen könnten sich AfD-Politiker aufhalten. Mittlerweile geht nicht mehr die Zahl von 80.000, sondern von 100.000 Protestlern um, die sich dieses Wochenende in Essen einfinden sollen.

Hervorzuheben ist, mit welchen Mitteln die Stadt Essen versucht hat, bis zuletzt die Veranstaltung zu hintertreiben, aber wie wenig sie dafür getan hat, um die absehbaren linksextremistischen Ausschreitungen im Keim zu ersticken. Am Nachmittag wollen Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU), Evonik-Vorstandschef Christian Kullmann und die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, auf einer zentralen Versammlung sprechen.

Das Selbstbild der „Demonstration“ spiegelt Carola Rackete wider. Die mittlerweile zur Abgeordneten des EU-Parlaments avancierten Skipperin behauptete, die Proteste seien bisher völlig friedlich verlaufen. Dabei fällt auf, dass es mit diesen hehren Ansprüchen gar nicht so weit her sein kann, wenn offenbar jeder, der nicht auf der eigenen Seite marschiert, als Feind gilt. Der Vernichtungswille ist total – und trifft zuletzt jeden, der nur verdächtig scheint, nicht die Ideale des Jakobinismus zu teilen.

— Mariam Lau (@MariamLau1) June 29, 2024

Genau das ist der Zeit-Journalistin Mariam Lau passiert, die sich mit Kollegen des Deutschlandfunks auf den Weg zur Gruga-Halle gemacht hatte. „Demonstranten fragen eine von uns: Presse? Sie beantwortet die Frage nicht, warum sollte sie – und wird daraufhin von fünf Leuten angegriffen und angebrüllt“, schreibt sie auf X. Auf die Relativierung eines Users, bei allen Massenveranstaltungen fänden sich Idioten, entgegnet Lau: „Es schien mir eine ziemliche Menge an Idioten.“

Im Bezug auf die AfD fällt häufig das Wort der „wehrhaften Demokratie“. Und immer ist es gegen die Blauen gerichtet. Dabei ist genau diese „wehrhafte Demokratie“ in Essen gescheitert, wenn Opposition und Presse niedergemacht werden. Um neuerlich Franz Josef Strauß zu bemühen: „Wer durch Lautstärke oder andere Gewaltanwendung die Abhaltung einer politischen Veranstaltung verhindern will, ist ein Radikaler, ein Extremist und in den Methoden ein Nazi.“

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