Israel brennt – und keinen interessiert’s

Sollte Israel sich als Reaktion auf den Beschuss der Hisbollah-Miliz für einen Einmarsch im Südlibanon entscheiden, wird das Land wohl fast die ganze Welt und sämtliche Medien gegen sich haben – weil fast keiner mitbekommt, wie unhaltbar die Lage in Nordisrael seit dem 7. Oktober ist. Alle schauen nur in den Gazastreifen.

picture alliance / Anadolu | Stringer

Wann haben Sie das letzte Mal etwas zur Situation in Israel gehört oder gelesen? Nein, ich meine nicht die schreckliche Lage im Gazastreifen, ich meine wirklich die Situation der Menschen in Israel, ihre Gefühle, ihre Ängste, ihre Bedrohungslage? Ich vermute, es ist schon etwas her. Acht Monate nach den Massakern der Hamas und anderer Terroristen in Südisrael sprechen fast alle nur noch vom Leid der Palästinenser.

Haben Sie zum Beispiel mitbekommen, dass zu Beginn dieser Woche erhebliche Teile Nordisraels in Flammen standen? Weder Tagesschau noch Heute-Nachrichten haben darüber berichtet. Ja, es stimmt: In Zentralisrael gibt es fast keinen Raketenalarm mehr, aber besonders die Ortschaften an der Nordgrenze stehen unter ständigem Beschuss der terroristischen Hisbollah-Miliz aus dem Libanon. Allein in den vergangenen drei Tagen wurde nur in Nordisrael 32 Mal Alarm ausgelöst. Wobei ein Alarm häufig in mehreren Orten gleichzeitig losgeht.

Die Lage heizt sich auf, nicht nur weil der Beschuss in letzter Zeit spürbar zugenommen hat. Da es aktuell sehr warm und trocken ist, führten einige Raketen beziehungsweise Drohnen zu schweren Bränden entlang der Grenze. Die Einsatzkräfte hatten große Mühe, die Feuer unter Kontrolle zu bringen, kämpften stundenlang gegen sie an. Schätzungen zufolge wurden mehrere Quadratkilometer niedergebrannt, teils kam es zu Schäden an Wohnhäusern.

Dass es nur einige Leichtverletzte gab, hat nicht zuletzt damit zu tun, dass sowieso kaum jemand mehr in den betroffenen Ortschaften wohnt: Zehntausende wurden mit Kriegsbeginn im Oktober evakuiert und hausen seitdem in Hotels oder Airbnb-Unterkünften irgendwo im Land. Manch ein Israeli meint, gerade deswegen sehe sich die israelische Regierung bislang nicht dazu gezwungen, den ganz großen Schlag gegen die Hisbollah zu wagen – weil es dank der Evakuierungen nicht ständig Verletzte oder gar Tote gibt (wie erst am Mittwoch wieder nach dem Einschlag von Drohnen).

Trotzdem ist der Zustand unhaltbar: Zehntausende Flüchtlinge im eigenen Land, über Monate, ganze Staatsgebiete unbewohnbar, unzählige beschädigte Gebäude durch Beschuss – Staatsversagen ist dafür noch ein freundlicher Ausdruck. „Israel verliert den Norden“, schreiben israelische Medien dazu. Angesichts der aktuellen Brandbilder fahren Regierung und Armee gerade mal wieder ihre Rhetorik hoch: „Wir nähern uns dem Punkt, wo wir entscheiden müssen“, erklärte Armeechef Herzi Halevi – entscheiden, ob Israel in einen vollen Krieg im Libanon einsteigt. Benny Gantz, Minister im Kriegskabinett, tönte, die Frage sein nun: „Hasdara oder Haslamah – Arrangement mit der Hisbollah oder Eskalation“. Und Premier Benjamin Netanjahu drohte mit einer „extrem starken Operation“.

Wenn Sie mich fragen: An eine Eskalation glaube ich erst, wenn ich sie sehe. Schon vor dem 7. Oktober, als die Hisbollah die Zügel bereits anzog, klopften israelische Vertreter große Sprüche. In der Realität aber fährt das Land einen äußerst zurückhaltenden Kurs. Oder wie würden Sie es bezeichnen, wenn sich die Regierung de facto damit abfindet, dass die libanesisch-schiitischen Terroristen die ganze Grenzregion zum unbewohnbaren Gebiet gemacht haben?

Als ich jüngst auf der israelischen Luftwaffenbasis Tel Nof war, machte uns auch ein Kampfpilot deutlich, dass er auf keinen Fall einen Krieg mit der Hisbollah will, sondern irgendeine Art von Arrangement. Bei mir hinterließ das Fragezeichen: In meiner Vorstellung spielen Militärs im politischen Spiel eigentlich die Rolle der „Kriegstreiber“, die dann von der Regierung ausgebremst werden. Hier aber zeigte sich selbst ein Kampfpilot zurückhaltend.

In Israel ist seit dem 7. Oktober das Wort „Konseptzija“ in aller Munde. „Konzeptzija“ (also „Konzept“) meint in diesem Fall die Vorstellung, dass man ein Auskommen mit der Hamas finden und sich mit ihr arrangieren könne. Diesem Konzept hingen zahlreiche israelische Regierungen vor dem Schwarzen Schabbat an, bis es an diesem schrecklichen Tag spektakulär und grausam in die Luft flog. Darüber sind sich eigentlich alle einig.

Trotzdem scheinen Teile in Politik und Militär immer noch der Vorstellung zu folgen, man könne sich irgendwie mit Terroristen arrangieren, jetzt eben mit der Hisbollah. Gut, ich habe leicht reden: Ich sitze in Deutschland und muss im Fall der Fälle weder im Südlibanon einmarschieren noch den anschließenden Raketenhagel aushalten, der dann folgen wird, und zwar bis ins Landesinnere – die Hisbollah verfügt über eine ungleich stärkere Schlagkraft als die Hamas.

Israelische Politiker haben in diesen Tagen Entscheidungen zu fällen, die man sich gar nicht richtig ausmalen kann: Eine Invasion im Südlibanon wird viele Soldaten ums Leben bringen, außerdem gibt es ja schon eine Front im Gazastreifen; alles einfach so weiterlaufen zu lassen wie bisher, ist aber genauso unmöglich. Als ich einen Israeli am Dienstag fragte, ob er einen Krieg gegen die Hisbollah für gut oder schlecht halte, antwortete er nur: „Ich weiß nicht.“ Wie soll man diese Frage auch anders beantworten?

Wie dem auch sei. Klar ist jedenfalls: Sollte Israel sich tatsächlich für einen Einmarsch entscheiden, wird es wohl fast die ganze Welt und sämtliche Medien gegen sich haben – ganz einfach, weil fast keiner mitbekommt, wie unhaltbar die Lage in Nordisrael seit dem 7. Oktober ist. Alle schauen nur in den Gazastreifen. Es wird dann wohl heißen, Israel habe einen Krieg provoziert, wolle expandieren, und Netanjahu gehe es nur darum, sich an der Macht zu halten. Dieses Spiel ist so alt wie vorhersehbar – ich habe inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass es sich noch einmal ändern wird.

Übrigens bin ich nicht der Meinung, dass sich jeder zwingend permanent mit dem beschäftigen muss, was in Israel vor sich geht. Manchmal ist es besser, wenn sich Menschen einfach aus Dingen heraushalten, die weit weg passieren. Das gilt dann aber auch noch, wenn Israel sich selbst verteidigt. Erst permanent wegschauen, wenn das Land attackiert wird, dann aber laut „Foul“ schreien, wenn es reagiert – das kann es jedenfalls nicht sein!


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Kommentare ( 33 )

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33 Comments
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ChrK
6 Monate her

Wie soll man diese Frage auch anders beantworten? In „Der Herr der Ringe – Die Zwei Türme“ gibt es (im Film) eine Szene zwischen Théoden, König von Rohan, und Aragorn bzgl. der Bedrohung durch Saruman. Théoden: „Ich werde keinen Krieg riskieren!“ Aragorn: „Der Krieg ist schon da, ob Ihr ihn riskiert oder nicht.“ Man möge nochmal bei der Royal Air Force der Jahre 1942-45 und der Roten Armee vom Oktober 1944 nachfragen, wie man eine „ganze Sache“ macht, nach der Ruhe herrscht. Richtig, durch die Androhung und oft genug auch Anwendung von – im Nachgang besehen überzogener – brutalster Gewalt.… Mehr

Helfen.heilen.80
6 Monate her

Man kann es nur ad infinitum betonen: lt. Cicero-Umfrage (und weiteren die folgten) verorten sich über 90% unserer Journalisten politisch bei „Rotrotgrün“. Dieses politische Lager hat sich beim Konflikt in Israel klar festgelegt. Allerdings zeigt die Demoskopie, dass „Rotrotgrün“ keineswegs eine Wählerzustimmung von 90% hat. Die Zustimmungswerte der Ampel sehen anders aus. Die Haltung der Medienschaffenden ist demnach klar erkennbar nicht repräsentativ für die Stimmung in der Bevölkerung. Diese übermächtige, ans Einseitigkeit grenzende Mediengestaltungskraft ermöglicht jedoch die Bestimmung der gesellschaftlichen Realitätswahrnehmung. Wer der offizielle Berichterstatter der „vermeintlichen Realität“ ist, der kann einen gewissen Einfluss auf die „tatsächliche Realtität“ ausüben, indem… Mehr

Last edited 6 Monate her by Helfen.heilen.80
Memphrite
6 Monate her

Israel zerbombt ganz Gaza und bombt einfach so in Syrien und Libanon und es interessiert niemanden. Deshalb wenn die Hisbollah ganz Nord-Israel zerbombt interessiert es die Mehrheit der Menschheit ebenfalls nicht. Sollte Israel in den Süd-Libanon einmarschieren wird das so enden wie 2007. Damals hat die Hisbollah, welche ein ganz anderes Kaliber ist als die Hamas, die IDF nach herben Verlusten nach Hause geschickt.
Mal sehen wie das ausgehen wird. Vielleicht wird die Hisbollah in Nord-Israel einmarschieren ?

Last edited 6 Monate her by Memphrite
Dieter
6 Monate her
Antworten an  Memphrite

die Hamas schickt aber auch täglich Raketen nach Israel .. und hält immer noch Geiseln gefangen.
Kommt halt nicht in den Nachrichten..

DWatch
6 Monate her
Antworten an  Memphrite

Und Sie? Sie würden gerne noch den Nord-Libanon in Süd-Deutschland einmarschieren lassen, oder was?
PS: in Syrien organisieren die iranischen Revolutionsgarden den Nachschub der Hisbollah, neben anderen kriminellen Aktivitäten.

Last edited 6 Monate her by DWatch
Memphrite
6 Monate her
Antworten an  DWatch

Nein würde ich nicht. Ich bin nach meinen eigenen Studien zum dem Schluss gekommen, das es hier (Israel-Gaza-Konflikt) mit einer sehr sehr hohen Wahrscheinlichkeit keinen Frieden außer durch die vollständige Niederlage einer der Seiten geben wird. Leider, leider, leider und ich hoffe ich habe unrecht. Was ich definitiv nicht ausstehen kann, ist Scheinheiligkeit und Doppelstandards. Egal von welcher Seite. Deshalb verstehe ich nicht wie man jede Greul der Hamas offen bis in Detail zelebriert und die Greul Israels komplett unter den Teppich gekehrt wird. Sieht man sich die nackten Zahlen an (Tote durch Israel und Tote durch Hamasterror) in den… Mehr

Felix Dingo
6 Monate her

Es gibt sie noch, die Bärchenwerfer, wie man heute in Hamburg sehen konnte. Rund 26.000 demonstrierten gegen Rechts und für mehr (!) Zuwanderung.

Gastgeber
6 Monate her

Es gibt in Deutschland leider sehr konkrete Gründe, sich nicht nur mit Israel sondern auch mit Hisbollah zu befassen, da palästinensische Hochschulgruppen an deutschen Unis Symbole und Ideologie der Hisbollah übernehmen. Sicher auch, weil Hisbollah als Muslim-Miliz im mehrheitlich nichtislamischen Libanon dessen Politik stark dominiert.
Ein Beispiel ist das Bündnis Yousef Shaban an der Uni Kassel. Die mit dem Bündnis Yousef Shaban verbundene migrantische Hochschulgruppe Unidiversität vertritt übrigens die Auffassung, dass die Hamas keine Terrororganisation sei.
https://www.hna.de/kassel/polizeieinsatz-im-studierendenhaus-93113084.html, https://bgakasselblog.wordpress.com/2024/05/30/nakba-und-die-hisbollah-wie-es-aus-ihnen-spricht/

DWatch
6 Monate her
Antworten an  Gastgeber

Diese Provinzgeschichte habe ich auch verfolgt, es ist sogar noch etwas drastischer: besagtes Bündnis hatte bereits Anfang November ´23 eine Gedenkveranstaltung im Beisein der Universitätsleitung in eine dann abgebrochene laut antisemitische Kundgebung überführt. Der fragliche Student war nach Angaben eines Kommilitonen am 26.9., also nur wenige Tage vor den Terrorangriffen auf Israel, nach Gaza verreist, da könnte man schon mal ein paar Fragen stellen…

Felix Dingo
6 Monate her

Es gibt weltweit nur drei Länder, die sich nicht von Islamisten auf der Nase herumtanzen lassen. Diese sind:

  • Israel
  • Japan
  • China.

Wobei China am entschlossensten vorgeht.

Schwabenwilli
6 Monate her
Antworten an  Felix Dingo

Und, geht es diesen Ländern schlecht? Umgekehrt kann man eine ganze Liste von Ländern erstellen die Islamisch sind, geworden „wurden“ die das Gegenteil von „gut und gerne Leben“ sind

Wilhelm Roepke
6 Monate her

Ich schätze mal, Israel will erst die Rafah-Front beenden, bevor es sich um den Norden kümmert. 2-Fronten-Kriege sind noch schwerer zu gewinnen….

Chris Groll
6 Monate her

Sehe auf dem Sender Bibel TV immer die Sendungen „Fokus Jerusalem“ und „Faszination Israel“.
Da ist man sehr gut informiert. Auch wenn es um die Angriffe der Hisbollah aus dem Libanon geht.
Ja, Israel ist umgeben von Feinden. Dazu zähle ich auch die EU und den gesamten Westen.
Ich hoffe und bete, daß Israel aus diesem Konflikt siegreich hervorgeht. Einmal für das Land und die Bürger dort und zum anderen auch für uns. Sollte Israel besiegt werden, wird dieser Krieg, der ja jetzt schon im Ansatz auf unseren Straßen zu sehen ist, im Westen weitergehen. Wir alle sind dann Israel.

Hutten
6 Monate her

Ich denke, daß die radikale Politik von Leuten wie Scharon und Netanjahu Israel erst in diese missliche Situation gebracht hat. Friedenspolitiker wie Rabin, Peres oder Teddy Kollek hätten es durch Diplomatie niemals so weit kommen lassen. Ich fürchte aber, daß die Zeiten vorbei sind, in denen Israel die Konflikte aufghrund eigener Überlegenheit militärisch lösen konnte. Somit bleibt nur der Kompromiss.

Martin Mueller
6 Monate her
Antworten an  Hutten

Israel wurde seit 1948 von seinen Nachbarn mehrmals angegriffen, um Israel von der Landkarte zu tilgen.
Und das ist bis heute so. Israel steht seitdem stets mir dem Rücken zum Meer, kämpft um seine Existenz. Und das macht das Land jeden Tag, egal wer Regierungschef ist. Denn Israel hat noch nie selber angegriffen.

„Wenn alle Palästinenser die Waffen niederlegen, wird es Frieden geben. Wenn alle Israelis die Waffen niederlegen, wird es Israel nicht mehr geben.“ , Golda Meir.

Exakt das ist der Unterschied bis heute…

Last edited 6 Monate her by Martin Mueller
Memphrite
6 Monate her
Antworten an  Martin Mueller

Nun wenn die UNO irgendwann in einigen Jahre Teile von Deutschland einfach als neues Land „Neu-Germanistan“ erschafft, so wie mit Israel, werden die einigen wenigen „Einheimischen“ vielleicht nicht so davon begeistert sein und dagegen mit Gewalt vorgehen, oder?
Aber egal: Israel ist für liberal-konservative heilig und alles ist gerechtfertigt. Die anderen Länder sehen das anders und alles wird sich irgendwann (meine Meinung) mit Gewalt auflösen.
Dann wird Israel im neuen Staat Palästina aufgehen, wer weiß es schon.
Warum wurden eigentlich nicht Teile von Deutschland damals für den neuen Staat Israel konfisziert. Das wäre wirkliche Gerechtigkeit.

Last edited 6 Monate her by Memphrite
Nibelung
6 Monate her

Das heutige Staatsgebilde ist ein Konstrukt der Auslands-Juden mit den damaligen Mandatsmächten im Nahen Osten und wurde an den Palästinensern vorbei beschlossen, was von anfang an einen fragwürdigen Charakter hatte und zu Dauerkrisen führte und die heutige ist nur eine von vielen, die das Ganze nicht besser macht. Wer um diese Entscheidung von damals drumherum reden will ist ein Phantast, weil sich da mittlerweile Kräfte gegenüber stehen und das ist zum einen die Schutzmacht USA und zum anderen die großen Anrainerstaaten im muslimischem Glauben, die wiederrum ebenfalls gestützt werden von anderen Interessenten und am Ende ist Blut immer dicker als… Mehr

Lesterkwelle
6 Monate her
Antworten an  Nibelung

Die 2-Staatenloesung wird nicht funktionieren. Sie ist nur die Vorstufe, Israel endgueltig auszuloeschen. So wie die staendigen Angriffe im Sueden, dazu im Norden und die aggresiven Aktivitaeten in der Westbank. Selbst eine neue Intifada ist denkbar. Israel befindet sich in einer verweifelten Situation und alle Wlelt drischt auf diesen Staat ein.