Ob die Inflation im Euro dieses Jahr wirklich schon mit Macht kommt, oder erst 2018, erscheint offen, ändert aber am prinzipiellen Problem nichts. Es gibt eben strukturelle Fehler, die einen zwangsläufig wieder einholen.
Es ist nun gut acht Jahre her, dass mit den Rettungsaktionen der Notenbanken im Rahmen der Finanzkrise 2008 auch die Warnungen vor der kommenden Inflation kamen. Auf den ersten Blick hörte sich das logisch an, denn auch ohne nun in die Details der verschiedenen Geldmengen-Definitionen zu steigen, steckt ja Wahrheit darin, dass wo viel mehr Geld in einen ansonsten unveränderten Wirtschaftskreislauf eingeführt wird, sich dieses in Form von Inflation bemerkbar macht.
Nur ist genau das in all den Jahren nicht passiert, zumindest vordergründig nicht. Und selbst in den Türmen der Notenbanken herrschte zeitweilig Ratlosigkeit und Irritation, dass trotz immenser „Quantitative Easing“-Programme die Inflation auch nicht ansatzweise in die Nähe der gewünschten 2% kam. So haben die Warner vor Inflation nun langsam den Status von obskuren Kassandra-Rufern erlangt, denn wer zu lange vor etwas warnt, was nie passiert, macht sich am Ende lächerlich. Am Markt ist eben „zu früh“ auch nur ein anderes Wort für „falsch“.
Wenn man aber genauer hinschaut, stellt man schnell fest, dass es so einfach eben doch nicht ist. Denn im Wort „Wirtschaftskreislauf“ steckt eine der Ursachen, warum die Inflation so lange abwesend war. Die in den Computern der Notenbanken geschöpften Multi-Milliarden, die dann unter anderem für Anleihen-Käufe eingesetzt wurden, haben den eigentlichen, produktiven Wirtschaftskreislauf kaum erreicht.
Viele Faktoren haben dabei mitgewirkt. Die Bilanzrezession des privaten, wie auch insbesondere des Finanz-Sektors und eine damit einhergehende, gesenkte Kreditvergabe, ist sicher ein wichtiger Faktor. Stattdessen ist das „frische Geld“ in den Finanz- und Asset-Märkten verblieben und hat dort zu inflationären Effekten geführt, die wir heute in Form von Aktienindizes, Kunst, Oldtimern und Immobilien nahe der Höchststände bewundern dürfen.
Die Inflation ist also sehr wohl da, nur eben weniger im Einkaufskorb des Bürgers, sondern mehr an den Asset-Märkten und das hat nicht nur mit der Konstruktion des Einkaufskorbes, sondern auch mit der Globalisierung zu tun. Denn durch diese wurde Produktion in billigere Länder verlagert, und der weltweite Wettbewerbsdruck hat sich durch abgesenkte Handelsschranken weiter erhöht. Das bremste Zweitrundeneffekte bei Lohnerhöhungen, denn wer befürchten muss, dass seine Arbeitsplätze nach China abwandern, kann keine Lohnrunden erzwingen wie weiland ein Heinz Kluncker zu Zeiten von Willy Brandt. Und die Produkte, die in diesen Ländern dann zu billigen Kosten hergestellt wurden, kamen wieder in die westliche Welt zurück und erzeugten Preisdruck – Produkte wurden also billiger, nicht teurer. Die Globalisierung war lange ein wichtiger Faktor, der inflationäre Effekte im Zaum gehalten hat.
Das Fatale ist, all das scheint sich nun zu ändern. Das Raubtier der Inflation ist „Ante Portas“.
Dabei sind die aktuell stark steigenden Inflationsdaten gar nicht das große Problem – zuletzt hat diese sich in Deutschland um 1,9% gegenüber dem Vorjahr erhöht. Diese Erhöhung hat aber zu einem guten Teil mit Basiseffekten der aus den Tiefs wieder steigenden Rohstoffpreise zu tun und muss man nicht überbewerten, da diese Effekte auch wieder auslaufen. Die Kerninflation ist derzeit noch niedrig, kein Grund zur Panik also.
Viel schlimmer und machtvoller sind aber die strukturellen Effekte, die nun langsam sichtbar werden. Denn die Globalisierung hat ihren Zenit überschritten, die Löhne in den Schwellenländern steigen, Produktion wird auch durch neue Verfahren wieder lokaler und protektionistische Anwandlungen werden immer breiter sichtbar. Letzteres war schon vor Trumps Sieg im Gange, wird durch seine „America First“ Politik aber verstärkt, die absehbar einen Handelskonflikt mit China heraufbeschwören könnte. Gleichzeitig scheint die Bilanzrezession des Finanzsektors nun zumindest in den US überwunden und mit Trump dürfte Regulierung hier eher gelockert, als weiter verschärft zu werden.
Zu allem Überfluss erhöht die massive Euro-Schwäche zum Dollar den inflationären Druck aber massiv, da alle Waren außerhalb der Eurozone und insbesondere Rohstoffe, so erheblich teurer werden. Und höhere Lohnrunden und mehr Druck von Seiten der Gewerkschaften sind in einem Land wie Deutschland, das sich nahe der Vollbeschäftigung bewegt, auch absehbar und schon heute zu besichtigen.
Diese Entwicklung trifft auf eine Eurozone, die die Jahre der durch die EZB erzwungenen Niedrigzinsen in keiner Art und Weise produktiv genutzt hat. Im Gegenteil, in den sowieso fiskalisch schwächsten Ländern ist die Schuldenlast auf absurde Werte angestiegen – in Italien beispielsweise sind es nun deutlich über zwei Billionen Euro!
Und das sind Schulden, deren Gläubiger gerade Deutschland mit seinen Export-Überschüssen ist – Schulden, deren Rückzahlung auch bei viel Phantasie als völlig illusorisch erscheinen. Das ist auch kein Wunder in einer Demokratie – wer Politikern, die wieder gewählt werden wollen, höheren finanziellen Spielraum gewährt, verhält sich so wie jemand, der vor einen hungrigen Hund einen Teller mit duftenden Würsten stellt und sich dann mit dem erhobenen Zeigefinger „nicht essen!“ abwendet. Das Ergebnis ist klar.
Nun ist aber Inflation dummerweise etwas, das sich wie eine Ketchup-Flasche verhält. Das Bild stammt wohl von Nassim Nicholas Taleb („Der schwarze Schwan“) – man schüttelt und schüttelt und nichts passiert. Man schüttelt und schüttelt und wieder passiert nichts. Und dann, wenn man schon frustriert aufgeben will, macht es *Platsch* und der halbe Flascheninhalt schwappt auf den Teller. So ist das mit der Inflation, bisher haben die Notenbanken kräftig geschüttelt und nichts ist passiert – bisher. Wenn die Inflation nun aber anspringen sollte, wie bekommt man sie dann wieder in Flasche?
Die tragische Antwort ist: Vermutlich gar nicht!
Denn wie das geht, hat uns Paul Volcker, der FED Chef von 1979 bis 1987 vorgemacht, der zu Zeiten von Ronald Reagan die Leitzinsen zeitweise auf über 20% erhöhte und damit am Ende gegen die grassierende Inflation obsiegte. Aber schon bei einem nominellen Anstieg von wenigen Prozent gegenüber heute zerreißt es einen auf Kante genähten Staatshaushalt wie den italienischen, wenn sich die höheren Renditen durch die Laufzeiten gefressen haben. Und Zinsen wie in den 80er und 90er Jahren, sind auch für Deutschlands Haushalt mittlerweile untragbar. Womit die einseitige „Rettungspolitik“ um den Euro dann in eine Sackgasse geraten würde. Wenn die Inflation mit Macht kommt, kann sie nicht mehr mit den bewährten Mitteln Volckers bekämpft werden.
Aktuell stellt sich aber auch die Frage, ob die EZB diese Inflation überhaupt bekämpfen will. Mario Draghi hat sich bei der letzten Pressekonferenz schon ein ganzes Arsenal an Relativierungen zurechtgelegt, um das Mandat in seinem Sinne zu interpretieren. Er hat nicht nur darauf hingewiesen, dass die Inflation oberhalb des Basiseffekts nachhaltig sein muss, sondern auch viel Wert auf den Durchschnitt gelegt. Wenn die Inflation in den Südländern also bei Null und in Deutschland bei 4% steht, ist für Draghis EZB wohl alles in Ordnung – so kann man das verstehen.
Ganz fatal ist die Inflation dabei für die deutschen Sparer. Denn schon eine Inflation um 2% führt bei faktischen Nullzinsen zur massiven Entwertung jeglichen Geldvermögens. Das gilt für Festgeld und Sichteinlagen ebenso wie für die Besitzer von Anleihen und für die aus Lebensversicherungen zu erwartenden Rückzahlungen oder sonstige Renten- oder Pensionsansprüche. All das ist eine toxische Mischung, bei der der eher reißerische Satz vom „Raubtier ante Portas“ keineswegs übertrieben erscheint. Und die Gefahr der Altersarmut wird dadurch größer, Ideen wie „Riester“ wirken in Anbetracht dieser Scherkräfte wie der Versuch eines Kleinkindes, eine Dampfwalze mit einem Pappkarton aufzuhalten.
Was können die Bürger in der Euro-Zone und insbesondere in Deutschland tun?
Politisch bisher recht wenig, das Mantra vom für Deutschland guten Euro ist bis auf die AfD und in Teilen die FDP, weiterhin allgemeines Glaubensbekenntnis. Dabei zeigt der Euro heute als Weichwährung Ähnlichkeiten zum Verhalten von Lira und Franc zu Zeiten der starken D-Mark. Das Ergebnis waren damals permanente Abwertungen von Lira und Franc, langfristig Verlust der Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder und relative Wohlstandsverluste im Vergleich zu Deutschlands Bürgern.
Was das bisher noch kaschiert hat ist, dass die anderen großen Währungen wie der Dollar sich bisher ähnlich verhalten haben. Nun hat die FED aber den Hebel umgelegt, und damit besteht die Gefahr, dass der Euro zum Dollar noch viel weiter abwertet. Auf gut Deutsch, wer die starke D-Mark damals deswegen liebte, müsste aus den gleichen Gründen den Euro heute ablehnen.
Und wer es genau wissen will, wie sich der Euro auswirkt, der sollte sich die letzte EZB-Studie zum Nettovermögen der Euroländer zu Gemüte führen, in dem Deutschland nur im unteren Mittelfeld rangiert, hinter vielen Südländern. Man vergleiche das mit der Wohlstandsentwicklung zu Zeiten der D-Mark, in der die diversen Aufwertungen Garant für beständige, relative Wohlstandsgewinne gegenüber den Südländern waren. Einen Vergleich mit der Wohlstandsentwicklung der Schweiz sollte man schon gar nicht anstellen, wenn man nicht depressiv veranlagt ist.
Aber politische Mehrheiten, die das Mantra vom für Deutschland positiven Euro hinterfragen, sind weiter nicht in Sicht. So bleibt den Bürgern und Anlegern vielleicht nur, ihr Vermögen so weit wie möglich vom Euro zu emanzipieren und auf Sachwerte zu konzentrieren, zu denen auch zwingend Aktien internationaler, stabiler Konzerne gehören. Gleichzeitig sollten etwaige Geldbestände oder geldliche Forderungen wie Anleihen, mit Priorität in Währungen gehalten werden, die zum Euro potentielles Aufwertungspotential besitzen. Damals zu Zeiten der Lira wollte auch jeder lieber in die D-Mark tauschen.
Ob die Inflation im Euro nun dieses Jahr wirklich schon mit Macht kommt, oder erst 2018, erscheint offen, ändert aber am prinzipiellen Problem nichts. Es gibt eben strukturelle Fehler, die einen zwangsläufig wieder einholen. Der Euro in dieser halbfertigen, bruchstückhaften Form scheint so einer zu sein. Schon 1992 haben 60 namhafte Professoren in ihrem Manifest gegen den Vertrag von Maastricht, vor der Einführung des Euros deutlich gewarnt. Zitat:
Die überhastete Einführung einer Europäischen Währungsunion wird Westeuropa starken ökonomischen Spannungen aussetzen, die in absehbarer Zeit zu einer politischen Zerreißprobe führen können und damit das Integrationsziel gefährden.
Eine Rolle bei der politischen Entscheidung hat es nicht gespielt. Politische Verantwortung dafür wird wohl eine Illusion bleiben.
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Anhang:
Erstes Manifest gegen den Vertrag von Maastricht
Initiatoren: Renate Ohr und Wolf Schäfer.
Von 62 Professoren unterzeichnet
Erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. Juni1992
„Die währungspolitischen Beschlüsse von Maastricht: Eine Gefahr für Europa”
- Eine Wirtschafts- und Währungsunion kann als erstrebenswertes Ziel des europäischen Integrationsprozesses angesehen werden. Die Beschlüsse von Maastricht sind allerdings in entscheidenden Punkten ungeeignet, dieses Ziel angemessen zu verwirklichen.
- Eine funktionsfähige Wirtschafts- und Währungsunion erfordert als Vorbedingung eine dauerhafte – über mehrere Jahre hinweg nachgewiesene – Angleichung der relevanten Wirtschaftsstrukturen der Mitgliedsländer. Eine einmalige – stichtags- bezogene – und damit mehr oder weniger zufällige Erfüllung einzelner Kriterien ist kein Nachweis der erforderlichen Konvergenz.
- Die in Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien sind zu weich. So ist unter anderem nicht irgendeine relative, sondern allein eine in absoluten Werten definierte Preisniveaustabilität als ökonomische Vorbedingung für den Eintritt in die Wirtschafts- und Währungsunion zu fordern.
- Der endgültig fixierte Termin für die Realisierung der Währungsunion (1. Januar 1999) wird eine politische Eigengesetzlichkeit gegenüber den vereinbarten Konvergenzkriterien nach sich ziehen: Ist der Zeitpunkt erreicht, besteht die Gefahr, dass insbesondere das Inflationskriterium und das Defizitkriterium einer ‚tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand’ politisch verwässert werden, um Diskriminierungen einzelner Länder zu vermeiden.
- Die europäische Zentralbank wird – trotz weitgehender Unabhängigkeit – Preis- stabilität in Europa nicht durchsetzen, weil es für sie aufgrund unterschiedlicher Interessen der nationalen Entscheidungsträger keinen genügend starken Anreiz gibt, dies zu wollen. Die persönliche Unabhängigkeit der Gouverneure ist nicht gesichert, und Sanktionen bei Verletzung des Stabilitätsziels fehlen.
- Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik der Preisstabilität müsste die Europäische Zentralbank auch die Wechselkurskompetenz gegenüber Drittlands- währungen besitzen. Da diese Kompetenzübertragung nicht vorgesehen ist, besteht die Gefahr, dass über politische Einflussnahme auf die Wechselkurse die Geldpolitik stabilitätswidrig konterkariert wird. Dies gilt gleichermaßen für die Tatsache, dass Kapitalverkehrskontrollen gegenüber Drittländern immer noch möglich sind.
- Einen Konsens, Preisstabilität als Priorität zu betrachten, wie er traditionell in Deutschland vorliegt, gibt es in Gesamteuropa bisher noch nicht. Nur mit einem solchen Konsens, den Notenbank, Regierung und Bevölkerung gemeinsam tragen, kann jedoch eine konsequente Stabilitätspolitik verfolgt werden, da diese unter anderem der Unterstützung der Lohnpolitik und der Finanzpolitik des Staates bedarf.
- Die ökonomisch schwächeren europäischen Partnerländer werden bei einer gemeinsamen Währung einem verstärkten Konkurrenzdruck ausgesetzt, wodurch sie aufgrund ihrer geringeren Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit wachsende Arbeitslosigkeit erfahren werden. Hohe Transferzahlungen im Sinne eines „Finanzausgleichs“ werden damit notwendig. Da bisher noch keine Vereinbarungen über die Struktur einer politischen Union existieren, fehlt hierfür jedoch ein demokratisch hinreichend legitimiertes Regelungssystem.
- Zur Zeit gibt es daher kein ökonomisch zwingendes Argument dafür, von oben eine monetäre Einheit auf ein wirtschaftlich, sozial und interessenpolitisch noch uneiniges Europa zu stülpen. Die Verwirklichung des EG-Binnenmarktes benötigt oder erzwingt keineswegs eine gemeinsame europäische Währung.
- Die überhastete Einführung einer Europäischen Währungsunion wird Westeuropa starken ökonomischen Spannungen aussetzen, die in absehbarer Zeit zu einer politischen Zerreißprobe führen können und damit das Integrationsziel gefährden.
- Die Beschlüsse von Maastricht, nicht die Kritik an ihnen, gefährden ein konfliktarmes Zusammenwachsen in Europa.
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