Marc Pitzke und Spiegel Online verbreiten in ihrem Artikel keine Lügen. Aber ihre Einseitigkeit der Darstellung, um sie gegen Trump auszulegen, und Verschweigen von Fakten, die ihren Intentionen entgegenlaufen, kommen einer Lüge nahe wie nur möglich.
Zu den gelegentlichen Rückfällen in alte Gewohnheiten gehört es, in der Hoffnung auf interessante Nachrichten die Seite von Spiegel Online aufzurufen. Bestraft werden solche Momente der Schwäche sogleich mit Artikeln, die Überschriften wie „Trumps Traum vom Polizeistaat“ tragen. In diesem Exemplar arbeitet sich der US-Korrespondent von SPON, Marc Pitzke, an den jüngsten „Executive Orders“ des US-Präsidenten ab, die sich mit der inneren Sicherheit befassen. Die Strafe für den ehemaligen SPON-Leser besteht darin, Stil und Wahrheitsgehalt des Beitrags überprüfen zu müssen, um sich aufs Neue davon zu überzeugen, dass er seine Dämonen während des Surfens im Internet besser im Zaum halten muss.
„Hinter diesen Worten verbergen sich die ersten Schritte zur Errichtung eines erhofften Polizeistaats, zu Lasten von Minderheiten – und Trump-Kritikern.“
Zum Glück schreibt Marc Pitzke für SPON. Denn gemessen am Titelbild der Printausgabe mit enthaupteter Freiheitsstatue ist die Unterstellung, Trump wolle die USA in einen Polizeistaat verwandeln, kein Zeichen von Paranoia, sondern eine begrüßenswerte Mäßigung.
„Kein Wort von den Gewalttaten meist weißer Polizisten gegen Schwarze und andere Minderheiten.“
Diese Aussage ist ohne Berücksichtigung der Anteile der jeweiligen Bevölkerungsgruppen an den Polizeikräften und an den Straftätern bedeutungslos. Der (afroamerikanische) Ökonom Robert Fryer Jr. hat zudem Daten der Polizei in Houston untersucht und im Ergebnis festgestellt, dass hispanische und farbige US-Amerikaner tatsächlich häufiger von Polizeibeamten festgenommen und misshandelt werden. Allerdings überträgt sich dieses Resultat nicht auf den Einsatz tödlicher Gewalt – hier sind Schwarze nicht häufiger betroffen als andere Bevölkerungsgruppen.
„Sie sollen Amerikas jetzt schon aufgerüstete Polizei mit noch mehr Macht ausstatten und zugleich die, die oft auf der anderen Seite stehen, schwächen – Afroamerikaner, Minderheiten, Justizopfer, Demonstranten, Protestierende, Widerständler.“
Wenn die drei letztgenannten Gruppen auch die Chaoten umfassen, die gerade auf dem Campus der Universität Berkeley randaliert haben, um den Auftritt eines missliebigen Redners zu verhindern, wäre es dann nicht wünschenswert, dass die Polizei die Meinungs- und Redefreiheit durchsetzt? Leisten „Widerständler“ Widerstand gegen die Staatsgewalt? Dann kämen sie auch in Deutschland zumindest theoretisch mit dem Gesetz in Konflikt. Die schlechte Ausstattung der deutschen Polizei verhindert hierzulande das Abgleiten in den Polizeistaat gerade noch.
„Zwar steigt die Zahl der Morde neuerdings landesweit wieder an, liegt aber weiter unter der von 2009. Auch die gesamten Verbrechensraten sind so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht.“
Dies kommt der ungeschminkten Wahrheit sogar sehr nahe, was mittlerweile leider Anlass ist, es hervorzuheben. Ebenso ist es korrekt, darauf hinzuweisen, dass Trump fälschlicherweise von der höchsten Mordrate seit Jahrzehnten gesprochen hat. Die richtige Aussage von Trump zum starken Anstieg der Mordraten in Großstädten hätte allerdings auch erwähnt werden können.
„In der Tat leidet Chicago unter einer Mordwelle, die vor allem arme Schwarze trifft. […] Dass voriges Jahr landesweit fast 1000 Amerikaner von Polizisten erschossen wurden, lässt er völlig unerwähnt“
Die Opfer dieser 799 Tötungsdelikte in Chicago im Jahr 2016 lassen sich überwiegend mithilfe dreier Charakteristika beschreiben: Jung, männlich, schwarz. Was Marc Pitzke hier zu nennen vergisst, sind die drei Charakteristika, mit denen sich wiederum die Täter beschreiben lassen: Jung, männlich, schwarz. Nur elf der tödlichen Waffeneinsätze in Chicago gingen dagegen auf Polizeibeamte zurück. Diese Fakten erfährt man kaum von BlackLivesMatter, nichtsdestotrotz sind sich auch in Chicago lebende Afroamerikaner ihrer erdrückenden Eindeutigkeit und der Schwere des Problems der Gangkriminalität in Großstädten bewusst.
Inzwischen befürchtet man sogar einen „Ferguson-Effekt“, benannt nach dem Vorort von St. Louis, in dem 2014 der Afroamerikaner Michael Brown von einem Polizisten erschossen worden war (nachdem Brown zuvor einen Schnapsladen ausgeraubt hatte), was Unruhen und Proteste zur Folge hatte. Der Effekt besteht darin, dass die Polizei sich als Konsequenz aus der negativen öffentlichen Reaktion auf ihre Handlungen mit ihrer Präsenz und Einsatzbereitschaft zurückhält, was wiederum in mehr Verbrechen resultiert. So nahmen Polizisten nach dem Tod des Afroamerikaners Freddie Gray in einem Polizeiwagen in Baltimore 2015 auch mehrere Wochen nach den schweren Unruhen durchschnittlich nur 54,6 Festnahmen pro Tag vor – im Vergleich zu durchschnittlich 87,7 Festnahmen pro Tag vor Grays Tod. Dies ging einher mit einem Anstieg der durchschnittlichen Tötungsdelikte pro Tag von 0,53 auf 1,35 nach Grays Tod. Dies stellte die größte bisher in Baltimore gemessene Häufung von Tötungsdelikten dar.
Natürlich widmet sich Marc Pitzke auch dem gerade eingesetzten Justizminister Jeff Sessions, welcher wohl die Rolle des Roland Freislers unter Trumps Helfern übernehmen soll:
„Dem Südstaatler [Jeff Sessions] war wegen rassistischer Äußerungen einst ein Richteramt verwehrt worden.“
Auch hier wird die Realität so zurechtgebogen, dass sie in die Weißer-Südstaaten-Republikaner-Rassist-Schablone passt. Die damaligen Anschuldigungen gegen Sessions, die ihn die Nominierung für ein Richteramt in Alabama kosteten, waren in der Anhörung des Rechtsausschusses des Senats von vier Anwälten des Justizministeriums geäußert worden. Bewiesen werden konnten die Anschuldigungen jedoch nicht. Eine von Sessions Äußerungen soll gelautet haben, dass er den Ku-Klux-Clan in Ordnung gefunden habe, bis er erfahren habe, dass der Clan Gras rauche. Wenig überraschend war diese Einschätzung von anderen im Ausschuss befragten Mitarbeitern als Scherz gewertet worden. Auch der Hauptträger der damaligen Anschuldigungen ist kein hundertprozentig glaubwürdiger Zeuge.
Die Abstimmung des Rechtsausschusses über die Empfehlung der Nominierung von Sessions ging schließlich 10:8 gegen Sessions aus. Die darauffolgende Abstimmung über die Weiterleitung von Sessions Nominierung an den Senat ohne Empfehlung ging 9:9 aus, allerdings war eine Mehrheit für die Weiterleitung erforderlich, woraufhin die Nominierung zurückgezogen wurde.
23 Jahre später wurde Sessions ironischerweise selbst Mitglied des Rechtsausschusses, der ihn 1986 abgelehnt hat. Eines der damaligen Ausschussmitglieder, das gegen Sessions votierte und mittlerweile von der republikanischen zur demokratischen Partei gewechselt war, bekundete zur selben Zeit, dass er damals mit seiner Stimme gegen Sessions einen Fehler begangen habe.
Als letzte Zeugin gegen Sessions lädt Marc Pitzke die demokratische Senatorin Elizabeth Warren vor, welche „diese Woche im Plenum einen Protestbrief von Coretta Scott King, der Witwe Martin Luther Kings, gegen Sessions verlesen [wollte]“. Wie gewohnt gibt sich der deutsche Journalismus dabei der Illusion hin, dass die Ansichten einer Ostküstensenatorin in irgendeiner Weise wichtig oder repräsentativ für den Rest des Landes wären. Eine nicht uninteressante Zusatzinformation, die es seltsamerweise nicht in den Spiegel-Beitrag geschafft hat, ist die, dass Warren von Martin Luther Kings Nichte für ihre versuchte Lesung scharf kritisiert worden ist: „Stir up their emotions, use the name of King – and my name is Alveda King – play the race card, which she was attempting to do.“ Vermutlich hat die Tatsache, dass Alveda King sich gegen Abtreibungen engagiert und Donald Trump gewählt hat, ihre Zitierfähigkeit in den Augen von Spiegel Online nicht gerade gesteigert.
Ein weiterer Angehöriger der in Trumps kommendem Polizeistaat unterdrückten Minderheit, den Marc Pitzke nicht zu Wort kommen ließ, ist der afroamerikanische republikanische Senator Tim Scott, der kürzlich einen Auszug der unglaublichen Hassbotschaften verlas, die er als Reaktion auf seine Unterstützung von Jeff Sessions erhalten hatte – „and I let out all the ones that used the N-word“.
Marc Pitzke und Spiegel Online haben in ihrem Artikel keine Lügen verbreitet. Aber ihre Einseitigkeit, mit der sie die Dinge darstellen, um sie gegen Trump auszulegen und ihr Verschweigen von Fakten, die ihren Intentionen entgegenlaufen, kommen einer Lüge so nahe wie nur irgend möglich. Damit spielen sie das Spiel von Donald Trump, denn letzterer weiß diese Art medialer Kritik zur Mobilisierung seiner Anhänger und zur Rechtfertigung seiner selbst zu nutzen. Trump sucht diese Schlägereien mit den Medien, weil er weiß, dass er sie gewinnen kann und je weiter die Medien sich darauf einlassen, je mehr umfassende Wahrheiten sie opfern, desto mehr beginnen sie, ihm zu ähneln.
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