Mit Ruck-Zuck-Kurswechseln kennt sich Angela Merkel aus. Sie braucht nicht einmal eine Executive Order; es genügt ihr gesprochenes Wort. Nun favorisiert sie ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten: wäre eine EU-Wende total.
Wahlkampfzeiten sind Zeiten des Selbstbetrugs. Der Bürger hat die Wahl zwischen betrogenen Betrügern. Den Parteien misstraut er noch weniger als ihren Spitzenkandidaten. Das ist ein natürlicher Reflex. Im Zweifel für Menschen. Aber genau damit beginnt das große Täuschen.
I.
Die erste Wahl des Jahres findet an diesem Sonntag statt. Blöderweise ist sie gar keine echte Wahl. Die Vorsitzende der größten Partei war nicht einmal in der Lage, einen eigenen Kandidaten zu präsentieren. Das Ergebnis steht schon vorher fest. Na und, ist ja bloß der Bundespräsident. Falsch! Denn der Bundespräsident ist der einzige Politiker, der unabhängig ist vom Willen der Parteien. Und ausgerechnet der wird von ein paar Parteivorsitzenden ausgekungelt; die Bundesversammlung, eine Art Kongress der Berufspolitiker, kuscht. Ein paar Promiwahlmänner_innen als Wahlmarionett_innen machen dieses Ritual nicht besser. Allein die Bürger sollten entscheiden, wer ins Schloss Bellevue zieht. Damit jeder Präsident so frei sein kann, den Parteien den Spiegel vorzuhalten. Österreichs Direktwahl des Präsidenten gilt den ehemaligen Volksparteien als abschreckendes Beispiel. Deren Kandidaten schieden schon im ersten Wahlgang aus. Die Direktwahl aber sorgte in Österreichs Gesellschaft für eine heilsame Generaldebatte über den Kurs des Landes. Bei uns aber ist die sogenannte Wahl des Bundespräsidenten eine Farce.
II.
Horst Seehofer bekommt zwar nicht die Obergrenze, ohne die es mit ihm keine Koalition in Berlin hätte geben können sollen. Statt dessen gilt jetzt: „Wir haben eine vorzügliche Kanzlerin.“ Die neue Erkenntnis ist entweder falsch, oder sie kommt zu spät. Würde die Union mit einem anderen, frischen Kanzlerkandidaten ins Rennen gehen, würde Martin Schulz nicht die gesamte Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Es könnte sich rächen, dass die Union Personenkult betreibt statt Politik. Martin Schulz gefällt ja nicht wegen seiner Haltung, sondern ausschließlich damit, dass ihn die Leute noch nicht satt haben. Es gibt kein einzige Aussage, mit der er sich von Merkels Haltung erkennbar unterscheidet. Dennoch erscheint er als Alternative für Deutschland. Die SPD sollte sich umbenennen in AfM – Alternative für Merkel.
III.
CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder rät Angela Merkel, authentisch zu bleiben. Der Witz ist gut. Wenn Merkel immer mehr Wählern suspekt wird, dann doch deshalb, weil sie bis zur Halsstarrigkeit authentisch ist. Ihre dogmatische Leisetreterei, ihr haltloses Geschwurbel: alles hoch authentisch. Wie wär es mit dem Rat gewesen, die CDU solle authentisch bleiben. Dazu ist es jetzt zu spät. Die Partei wird erst aufwachen, wenn sie von Merkels Authentizität an die Wand gefahren worden ist.
IV.
Kaum jemandem ist das aufgefallen: Angela Merkel hat schon wieder einen sensationellen Kurswechsel vollzogen. Mit unangekündigten Kurswechseln kennt sie sich aus. Dazu benötigt sie nicht einmal eine Executive Order; es genügt ihr gesprochenes Wort. Sie favorisiert neuerdings ein Europa unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Es wäre eine vollkommene Abkehr von ihrer bisherigen Linie: Die EU hört auf mein Kommando. Der Kurswechsel enthält also das Eingeständnis eines zentralen Fehlers. Mit dem Tempo der Währungsunion wie mit dem Zentralismus der EU sind manche Länder überfordert. Jetzt heisst es: Wer nicht mitziehen will, soll zurück bleiben. Merkel will nicht warten, bis Polen, Ungarn und Tschechen wieder mit ihr im Gleichschritt gehen. Auch der Satz: „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ wäre widerlegt. Er hatte die selbe Nonsensqualität wie „Wir schaffen das“. Der wird auch nicht mehr wiederholt.
V.
Dreht sich die Welt wirklich um große Männer/Frauen? Selbst Autokraten wie Putin und Erdogan sind Produkte ihrer Zeit. Sie fänden vermutlich auch bei freien Wahlen eine deutliche Mehrheit ihrer Bürger. Auch in China regiert kein Kaiser, sondern ein Vorsitzender, der im Auftrag einer Elite/Partei handelt. Und Trump ist erst recht ein Symptom, von einer Stimmung ins Amt gespült, solange, bis sich die Stimmung wieder ändert. Die Masse der Wähler und Nichtwähler hält das Geschäft der Macht für eine Netflixserie. Und die Medien bestärken sie darin. Auch sie betreiben Personenkult. So erscheint die Welt einfacher als sie ist. Die Reduktion von Komplexität wird zu Volksverdummung. Wer glaubt, Angela Merkel könne nun im Alleingang den Westen retten, sollte zum Arzt. Auch die Dämonisierung ist eine Art Personenkult. Wer glaubt, Trump allein könne die Welt in den Abgrund schicken, sollte Beruhigungspillen nehmen. Amerikas Demokratie ist angeschlagen – aber gewiss nicht wegen Trump. Ob es sich bei Trumps Größenwahn um eine narzisstische Persönlichkeitsstörung handelt, oder um ganz normalen Wahnsinn, ist ganz und gar unerheblich. Er ist ohnehin nicht zu beeindrucken, außer von sich selbst. „Obama mag mich. Ich kann es fühlen.“ Das hat er wirklich gesagt. Ich fühle mit ihm. So oder so.
VI.
Der Bauer hat es nicht leicht, was man schon daran sieht, dass er sich mit Hilfe von RTL eine Frau suchen muss. Im Morgengrauen mistet er mit dieser Frau, so er sie denn findet, den Stall aus, danach betreibt er am Computer Herdenmanagement, manövriert seinen Betrieb durch den Paragraphenwald des EU-Binnenmarkts und verdient damit weniger als ein Arbeiter im Chemiewerk, dessen Produkte er großzügig einsetzt. Die alten Bauernregeln stehen bloß noch auf dem Sofakissen. „Steht das Schwein auf einem Bein, ist der Schweinestall zu klein.“ Das ist zwar Mist, und schon gar keine Bauernregel. Was aber hat die Bundesumweltministerin geritten, für solchen Schwachsinn Steuergelder – auch das der Landwirte – auszugeben und die Reklametafeln der Republik damit zu tapezieren? Inzwischen hat sie sich entschuldigt. Der dumme Bauer als offizielles Feindbild der Regierung Merkel? Deshalb also sind Verbraucherministerium und Landwirtschaftsministerium streng geschieden. Für jede Lobby ein eigener Minister. Doppelter Schwachsinn. Wenn etwas zusammengehört, dann diese beiden Ministerien. Vielleicht lesen wir bald auch Verbraucherregeln aus der Werkstatt des Landwirtschaftsministeriums. Sein Feindbild: der dumme Verbraucher. Schwer kann das nicht sein. Etwa so: „Muss das Schwein sehr billig sei, ist das Essen gar nicht fein.“ Aber bitte nicht auf unsere Kosten.
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