Angela Merkel müsste am Donnerstag in der Türkei Tacheles reden mit Recep Tayyip Erdogan angesichts dessen rücksichtsloser Verfolgung jeder Opposition. Doch damit rechnet niemand.
Am Donnerstag dieser Woche wird Bundeskanzler Angela Merkel wieder einmal beim türkischen Sultan vorstellig. Gesprächsstoff gäbe es zu Hauf – doch steht zu erwarten, dass sie einmal mehr mit weniger als nur leeren Händen zurückkommt. Denn während sie nicht müde wird, den neuen US-Präsidenten wegen dessen angeblicher Menschenrechtsverletzungen zu geißeln, wird in Sachen Türkei faktisch durch Unterlassen Beihilfe zum Staatsterrorismus geleistet.
Erdogan Befindlichkeiten
Dem türkischen Möchtegern-Diktator Recep Tayyip Erdogan, der sein gleichgeschaltetes Parlament gerade dazu bewogen hat, sich selbst für überflüssig zu erklären, liegt derzeit einiges recht quer im Magen – und er wird die zu erwartende Unterwerfungsgeste Merkels nutzen, um einiges davon loszuwerden.
Die Terroranschläge vorgeblich radikalislamischen oder kurdischen Ursprungs laufen aus dem Ruder. Halfen sie in den vergangenen Jahren, als sie sich vorrangig gegen türkische Kurden richteten, noch, die staatliche Repression gegen angebliche Terrorhelfer zu begründen, hat spätestens der vom IS inspirierte Anschlag auf das Nachtlokal in Konstantinopel nun auch den radikalislamischen Terror in die Türkei gebracht. Vorbei die Zeiten, in denen die AKP-Regierung – wie der deshalb mittlerweile als Spion verurteilte und gebannte Journalist Can Dündar mit seinem Cumhuriyet-Team offenbart hatte – über ihren Geheimdienst die entsprechenden Milizen in Syrien munitionierte.
Konnte man den Krieg gegen die eigenen Kurden mit mittlerweile geschätzten 500.000 Binnenflüchtlingen bislang noch auf den fernen Osten der Türkei begrenzen, unbeachtet von der Weltöffentlichkeit und fern der Touristenzentren, so traf der IS-Anschlag die ohnehin schon schwächelnde Tourismusbranche ins Mark. Die Buchungszahlen brachen erneut ein – All-inklusive einschließlich Terrorangst und Staatsdiktat schrecken mittlerweile selbst jene ab, denen alles politische ansonsten abhold ist.
Wer als türkischer Bürger derart um seinen Verdienst mit den Touristen gebracht wird, mag eine Weile lang noch den offiziellen Schuldzuschreibungen an eine böse, gegen die Türkei gerichtete Finanz- und Christenwelt glauben. Aber irgendwann lutscht sich auch solches ab – und Erdogan wird liefern müssen und nicht können.
Gold gab ich für Eisen …
Spannend dürfte wird es für Erdogan auch werden, wenn jene Türken, die massenhaft seinem vaterländischen Aufruf gefolgt sind und ihre Euro- und Dollar-Bestände gegen die türkische Lira eingetauscht haben, eines Tages auf die Idee kommen sollten, für ihre Lira wieder Devisen zu bekommen. Der Wert der türkischen Lira stürzte seit Oktober um deutlich mehr als 25 % ab – und ein Ende der Geldentwertung ist nicht absehbar. Da werden dann selbst dem ärgsten Patrioten, der seine Euro gegen Lira tauschte, irgendwann die Tränen in die Augen steigen – und der alte Spruch „Gold gab ich für Eisen“ wird einmal mehr seine Bedeutung entfalten.
Noch allerdings kann Erdogan sich und seine Fans trösten. Denn Schuld an dem rasanten wirtschaftlichen Niedergang trägt selbstverständlich nicht der Präsident und dessen Korruptions- und Vetternwirtschaft, sondern eine „internationale Verschwörung“, die die überaus prosperierende und technologisch führende Türkei in die Knie zwingen soll.
Wer hinter dieser Verschwörung steckt? Nun ja – da hüllt sich der Sultan noch in nebulöses Schweigen. Für den einfachen Mann von der Straße allerdings ist der Fall längst klar: Die New Yorker Wall Street und selbstverständlich das grundsätzlich für alles Böse verantwortliche „Finanzjudentum“ ziehen heimlich die anti-türkischen Fäden. Den Beweis erbrachten nun auch prompt die – für Erdogan und C0. – ebenfalls von dort gelenkten Rating-Agenturen: Am 27. Januar stellte Fitch die Bonitätsnote auf stabil BB+. Was für den Laien noch ganz positiv klingt, bedeutet in der internationalen Finanzwelt: Ramsch – Finger weg. Standard&Poor‘s – ein weiteres Instrument der verschwörerischen Weltfinanz – stellte sogar von „stabil“ auf „negativ“. Will sagen: Wer türkische Anleihen kauft, kann sein Geld auch in kleinen Scheinen vom Trump-Tower werfen. Das ist unterhaltsamer und kaum spekulativer.
Griechenland: Die Türkei – ein Unrechtsstaat
Rast nun die türkische Wirtschaft derzeit mit Volldampf auf den Abgrund zu, hören auch einige der bislang überaus duldsamen europäischen „Partner“ auf, alle Augen zuzudrücken. So befand jüngst das höchste griechische Gericht:
Die türkischen Hubschrauberbesatzungen, die während des vorgeblichen Putschversuchs nach Griechenland flogen, dürfen nicht an die Türkei ausgeliefert werden. Begründung: Dort drohe Folter und ungerechtfertigte Haft – mit fairen Verfahren sei nicht zu rechnen. Was wiederum bedeutet: NATO-Mitglied Griechenland geht davon aus, dass NATO-Partner Türkei die gemeinsamen Grundlagen von Menschenrecht und unabhängiger Justiz mit Vehemenz verlassen hat. Eine Situationsbeschreibung, die zwar in der Sache uneingeschränkt zutrifft, die aber in den EU-Ländern bislang um jeden Preis vermieden wurde.
Auf der Flucht: Türkische NATO-Offiziere
Schwer im Magen liegt der Türkei auch die Tatsache, dass nunmehr – wie zu erwarten – zahlreiche türkische NATO-Offiziere die Heimkehr verweigern und in den NATO-Partnerländern politisches Asyl beantragen. Allein in der Bundesrepublik liegen derzeit 40 entsprechende Anträge auf dem Tisch. Da wird Merkel sich in Ankara Einiges anhören dürfen – denn Erdogan möchte diese vorgeblichen Staatsverräter gern dauerhaft in osmanische Kerkerhaft bringen. Jedoch – nachdem Griechenland klare und unmissverständliche Worte in Sachen türkischer Rechtsstaat gesprochen hat, wird Deutschland, will es seinen Asylansprüchen gerecht werden, den Offizieren ihren Aufenthalt gewähren – und damit Erdogans Wutausbrüche ein weiteres Mal über sich ergehen lassen müssen.
EU-Geheimbericht: Ein herbeigeputschter Staatsstreich
Erdogan, der derzeit alles abräumt, was ihm irgendwie verdächtig, gefährlich oder angesichts seines Lehrverbots der Darwinschen Evolutionslehre zu gebildet erscheint, dürfte allerdings noch schwerer im Magen liegen, dass die Europäische Union in einem „Geheimbericht“ zum Putsch den Hauptbeschuldigten, Prediger und Sektengründer Fethullah Gülen, quasi freispricht. Tatsächlich, so das Papier, das auf geheimdienstlichen Erkenntnissen beruht und die hier bei Tichys Einblick von Anbeginn an vertretende Sicht unterstreicht, sei der Putsch vom türkischen Geheimdienst MIT ausgegangen. Der habe für den Sommer des vergangenen Jahres eine großangelegte Verhaftungswelle angeblicher Kemalisten und Gülenisten in den Streitkräften geplant – und die Planungen durchsickern lassen. Daraufhin hätten sich gefährdete Offiziere weitgehend unkoordiniert zum Putsch als Präventivschlag entschlossen – unter den Augen und auf Inspiration des Geheimdienstes.
Mit anderen Worten: Erdogan und sein MIT schufen gezielt den Anlass zum Putsch, um dessen Scheitern zum Anlass für die großangelegten Säuberungsaktionen zu nehmen. Das Ziel der Alleinherrschaft Erdogans, bis dahin durch ungünstige Mehrheitsverhältnisse im Parlament gefährdet, konnte so in einem letzten Kraftakt durchgesetzt werden. Doch dass nun EU-intern das gigantische Konstrukt der Staatsstreichlüge wie ein Kartenhaus in sich zusammenbricht – das kann dem Fake-News-Verbreiter Erdogan überhaupt nicht gefallen.
FP1 antwortet noch immer nicht
Mittlerweile sitzen nun nicht nur zahllose, vorgebliche Gülen-Anhänger unschuldig in den Gefängnissen oder sind ohne soziale Absicherung aus ihren Jobs vertrieben worden – auch das Militär ist enthauptet und faktisch funktionsunfähig. NATO-Kreise bestätigen den TE-Bericht aus dem vergangenen Spätsommer: Partner Türkei meldet sich nicht. Niemand weiß, wer in der zweitgrößten Armee des Bündnisses derzeit Ansprechpartner ist – von einer Einsatzfähigkeit im Ernstfall ganz zu schweigen. Derweil liebäugelt der Sultan weiter mit seiner islamisch-sunnitischen Militärallianz und lässt bei passender Gelegenheit Rückeroberungsgelüste früher eroberter Territorien durchblicken.
Opposition mit mehrmals lebenslanger Kerkerhaft bedroht
Die politische Opposition wurde anlässlich des herbeigeputschten Staatsstreichs ebenfalls abgeräumt. Der charismatische Führer der linksliberalen, pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtash, wartet unter einer unhaltbaren Anklage auf seine Aburteilung. 142 Jahre Haft fordert die von Erdogan abhängige Staatsanwaltschaft wegen „Terror-Propaganda“ und angeblichen Kontakten zur kurdischen Befreiungsarmee der PKK – damit soll der Politiker auf alle Ewigkeit im osmanischen Kerker verschwinden. Und seine Stellvertreterin bei der HDP gleich mit ihm: Finden Yüksekdag drohen „nur“ 83 Jahre Haft. Die gleichgeschalteten Gerichte werden diesen Anträgen gern folgen – so der Sultan es will.
Kriegsspiele in Syrien
Während in der Türkei wirtschaftlich und innenpolitisch die Luft brennt, spielt Erdogan in Syrien gemeinsam mit seinem ehemaligen Widersacher Wladimir Putin Krieg und Friedensstifter. Denn seine NATO-Verbündeten ließen ihn recht unverhohlen wissen, dass sie ihn wegen seiner von den NATO-Zielen abweichenden Vorstellungen nicht an ihrer Seite wünschen.
So recht voran allerdings will es mit den gemeinsam mit Russland und dem Iran inszenierten „Friedensgesprächen“ im kasachischen Astana nicht gehen. Nicht nur, dass die demokratischen Syrer sich dort nicht angemessen repräsentiert fühlen – man kann sich nicht einmal einigen, wer eigentlich wie an den Gesprächen teilnimmt. Für Erdogan steht jedenfalls fest: Die pro-westlichen Kurden im an die Türkei grenzenden Rojava dürfen niemals eigenständig sein und mit eigener Stimme agieren. Seinen Krieg gegen die Kurden in der Ost-Türkei, seit je auch ein Krieg gegen die PKK im Nordirak, wird auch gegen die Kurden in Syrien ausgedehnt. Der kurdische Selbstbestimmungsanspruch, 1920 in Sevres festgeschrieben, darf aus nationaltürkischer Sicht niemals Realität werden.
Deswegen führt Erdogan nicht nur einen realen Krieg gegen die Kurden – er flankiert diesen auch propagandistisch. So wurden über die türkische Religionsbehörde in Deutschland tätige Imame aufgefordert, Muslime zu Spitzeldiensten aufzufordern. Ziel sind alle türkisch-stämmigen Menschen, die sich dem Alleinherrschaftsanspruch des Sultans nicht unterwerfen wollen. Wer als Erdogan-Gegner geoutet wird, dem droht bestenfalls Einreiseverbot – oder Inhaftierung, nachdem er den Boden der Türkei betreten hat.
Ducken oder Tacheles?
Gesprächsstoff gäbe es am Donnerstag also genug – für beide Seiten.
Erdogan wird von Merkel die Auslieferung der „Verräter“ aus NATO-Kreisen einfordern – und die noch intensivere Bespitzelung der Kurden und pro-kurdischen Deutschen durch die Deutschen Dienste erwarten. Auch die Auslieferung von Can Dündar, von Denunzianten als Gülenisten erkannten Landsleuten sowie vorgeblichen PKK-Terroristen dürfte auf seiner Agenda stehen.
Merkel hingegen müsste Tacheles reden und das mittlerweile kaum noch aufzuzählende Strafregister Erdogans anprangern, das längst schon für eine Anklage vor dem Gerichtshof für Menschenrechte ausreichen sollte.
Merkel müsste dem Möchtegern-Sultan unmissverständlich klarmachen, dass diese Türkei, die Erdogan derzeit als faschistischen Staat formt, weder von der EU noch von der NATO – und auch nicht von Deutschland – als Partner gesehen werden kann. Und dass sich die Bundesrepublik jedwede Einmischung in die deutschen Angelegenheit durch Ankara-gesteuerte DITIB-Imame strengstens verbietet. Die Rückreiseverfügung für diese rund 900 Herren wäre bei dieser Gelegenheit gleich an den zuständigen Empfänger zu überreichen.
Zu befürchten ist allerdings, dass der deutsche Bundeskanzler – in Sachen Trump-Kritik derzeit vollmundig vorneweg – in Ankara einmal mehr klein beigibt. Um dann umgehend weiter nach Malta zu reisen und dort den EU-Ministern darüber zu berichten, wie es gelungen ist, das auf der Kippe stehende, angebliche Flüchtlingsabkommen mit der Türkei zu retten und die EU vor einem neuen Invasionssturm über die Ägäis zu bewahren.
Dass damit Menschenrecht und Anspruch eines freien, demokratischen Europas abschließend am Halbmond des türkischen Minaretts hängen bleibt, ist angesichts der Merkelschen Gesichtswahrung dann regierungsamtlich zu verschmerzen.
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