EU-Lieferkettenrichtlinie scheitert – doch Deutschland geht den Sonderweg

Italien stimmte gegen die EU-Lieferkettenrichtlinie: für Kommissionspräsidentin von der Leyen eine empfindliche Niederlage, für die deutsche Wirtschaft kein Grund zum Aufatmen. Hierzulande gilt das deutsche Lieferkettengesetz, das Unternehmen weiter belastet. Von Samuel Faber

IMAGO / Jens Schicke

Für Mitarbeiter und Abgeordnete der Europäischen Union kann die Zeit in Brüssel bzw. in Straßburg mitunter frustrierend sein. Es kann nämlich sein, dass Mandatsträger über Jahre hinweg an einer Vorschrift arbeiten, die dann in letzter Minute gekippt wird, weil ein Land dagegen stimmt.

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So geschah es mit der Lieferkettenrichtlinie. Drei Jahre lang verhandelten die Abgeordneten und Diplomaten, oft bis spät in die Nacht. Doch es half nichts. Bei der Abstimmung unter den 27 Staaten der EU fand sich keine Mehrheit. Während sich Deutschland enthielt, votierte Italien gegen das Gesetz. Die Vorschrift galt als eines der wichtigsten Vorhaben von Kommissionschefin Ursula von der Leyen.

Seit dem Wahlsieg Italiens fährt Ministerpräsidentin Meloni einen wirtschaftsfreundlichen Kurs. Das Liefergesetz, so die konservative Politikerin, schade aufgrund der Bürokratie vor allem den Unternehmen, die weniger produktiv arbeiten können. Darunter leidet die Qualität der Produkte, während die Firma geringere Löhne zahlen kann, was sich auf das Steueraufkommen und den Konsum auswirkt. Kurz: Die Gesellschaft nimmt an diesem Gesetz Schaden.

„Der Krimi hat endlich ein Ende“

In Deutschland steht vor allem die Opposition, also AfD, CDU und FDP, kritisch gegenüber der Richtlinie. „EU-Lieferkettengesetz ist nicht praxistauglich“, sagte die liberale EU-Abgeordnete Svenja Hahn gegenüber Welt. Sie kritisierte, der Entwurf, der zuletzt vorgelegen habe, helfe nicht wirklich beim Schutz der Umwelt und der Achtung von Menschenrechten, sondern schaffe bloß neue Bürokratie.

Andere sehen das genauso. „Der deutsche Mittelstand ertrinkt auch ohne zusätzliche Belastungen aus Brüssel in Berichtspflichten und einer Flut von Fragebögen“, sagte der Präsident des Bundesverbandes für Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen, Dirk Jandura. Vertreter der Wirtschaft wie Wolf und Jandura hatten immer wieder vor einer Überforderung der Unternehmen gewarnt. Nach dem EU-Lieferkettengesetz hätte etwa ein deutscher Maschinenbauer prüfen müssen, ob die Schrauben, die er verwendet, vielleicht Kupfer aus einem afrikanischen Bergwerk enthalten, dessen Betreiber Umweltregeln missachtet.

Unverhältnismäßige Verschärfung der Bürokratie

Der Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, gibt sich indes erleichtert. „Der Krimi hat endlich ein Ende“, sagte Stefan Wolf, Chef des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. „Nach mehrwöchigem Hin und Her hat der verkorkste Kompromisstext zur EU-Lieferkettenrichtlinie erwartbar und richtigerweise keine Mehrheit bei den Mitgliedstaaten gefunden.“

Damit ist der Entwurf zwar vom Tisch, es ändert aber nichts an der Tatsache, dass Deutschland als einziges EU-Land bereits ein Lieferkettengesetz hat. Dies beinhaltet unter anderem die Sorgfaltspflicht der Unternehmer, die die gesamte Lieferkette, vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt, dokumentieren müssen. In der Praxis gestaltet sich das schwierig.

Denn es gibt Produkte aus tausenden Einzelteilen, bei denen hunderte Firmen mitgewirkt haben, die wiederum mit hunderten Unternehmen zusammengearbeitet haben. Die Dokumentation aller Schritte wäre eine unverhältnismäßige Verschärfung der Bürokratie, die am Ende des Tages dem Unternehmen schadet.

„Mit der BAFA überprüft eine etablierte Behörde die Einhaltung der Gesetze“

Wer wissen will, wie viel Bürokratie das Gesetz den Betrieben auferlegt, der muss nur in den Gesetzestext blicken: „Das Unternehmen hat jährlich einen Bericht über die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten im vergangenen Geschäftsjahr zu erstellen und spätestens vier Monate nach dem Schluss des Geschäftsjahrs auf der Internetseite des Unternehmens für einen Zeitraum von sieben Jahren kostenfrei öffentlich zugänglich zu machen. In dem Bericht ist nachvollziehbar mindestens darzulegen, …“ Es ist davon auszugehen, dass ab einer gewissen Größe des Betriebes eigene Mitarbeiter eingestellt werden, um dem Lieferkettengesetz gerecht zu werden.

Die Arbeit dieser Mitarbeiter überwacht das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). „Mit der BAFA überprüft eine etablierte Behörde die Einhaltung der Gesetze“, heißt es auf der Webseite des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. So kontrolliert das Amt die Unternehmensberichte und geht eingereichten Beschwerden nach. Stellen die Beamten Versäumnisse oder Verstöße fest, ist ein empfindliches Bußgeld fällig. Dies können bis zu 8 Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes sein.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, wie es eigentlich heißt, wurde für Unternehmen im Juni 2021 verabschiedet und ist zum 1. Januar 2023 in Deutschland in Kraft getreten. Die EU-Richtlinie wäre deutlich weitergegangen. So heißt es im Entwurf, dass das EU-Gesetz bereits für Unternehmen ab 250 Mitarbeitern gilt und nicht, wie die deutsche Lösung, erst ab 1.000. Auch in der Frage, wie gegen Verstöße geklagt werden kann und wie die Definition für Schäden am Allgemeinwohl aussieht, geht das Europaparlament über den deutschen Gesetzesentwurf hinaus.

Dennoch bleibt das deutsche Lieferkettengesetz eine große Belastung der Wirtschaft, die ohnehin am Rande einer Rezession steht.

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Kommentare ( 7 )

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Alf
9 Monate her

Das Lieferkettengesetz ist ein Rohrkrepierer, geschaffen von Traumtänzern, die keine Ahnung von Handel und Wirtschaft haben.
Es gibt Leute, die glauben, daß Bioprodukte von einem Biobauer kommen, der seine Tiere mit biologisch korrektem Futter versorgt – weil dies auf dem Sack steht, den der Bauer zukaufen muß, weil er selbst das Futter für seine Tiere nicht anbaut. Und natürlich sind auch eigens angebaute Futtermittel korrekt gedüngt und ungespritzt….
Wer dies alles glaubt, sitzt mit dem Regenschirm im Bett, auch wenn es nicht regnet.

AlexR
9 Monate her

„Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!“. Typisch. Mehr gibt es dazu nichts zu sagen.

Peter Schewe
9 Monate her

Schon das deutsche Lieferkettengesetz ist ein Unding und Bürokratiemonster ungeahnten Ausmaßes, auch wenn es nur Betriebe mit mehr als 1.000 Beschäftigte gilt. Denn diese Unternehmen geben den Ball weiter an Ihre Zulieferer, die oft weniger als 1.000 Beschäftigte haben und diese fordern wiederum die Unbedenklichkeitserklärungen von ihren Zuliefern usw. Letztlich kann es passieren, das kleine Unternehmer mit nur wenigen Mitarbeitern nachweisen müssen, dass ihre Produkte bzw. die dafür notwendigen Rohstoffe frei von Ausbeutung und Umweltschäden hergestellt bzw. beschafft werden. Während die großen sich dafür noch eigenen Abteilungen leisten können, wird es für die Kleinen zu einer unberwindbaren Hürde. Es gibt… Mehr

fasolt
9 Monate her

Was meinen Sie mit „In Deutschland steht vor allem die Opposition, also AfD, CDU und FDP…“ Soll das ein schlechter Scherz sein?

Klaus D
9 Monate her

Dennoch bleibt das deutsche Lieferkettengesetz eine große Belastung der Wirtschaft, die ohnehin am Rande einer Rezession steht…..was soll man noch zu der deutschen wirtschaft sagen…..selber schuld….dumm gelaufen….gier macht dumm….usw? Gerade die wirtschaft hat uns ja immer gesagt wie toll diese EU sei und wie toll grüne politik ist. Und jetzt jammert man rum obwohl es genügend leute gab die genau davor gewarnt haben (ich auch). Dann kommt man jetzt mit guten ratschlägen die sehr einseitig sind und das grundübel auch nicht angehen zb massiver abbau von subventionen. Ich meine die deutsche wirtschaft sich selber und oder massiv zu dem beigetragen… Mehr

EinBuerger
9 Monate her

Die Europäer wollen mit dieser Richtlinie Einfluss auf die Welt außerhalb Europas nehmen. Damit die sich an die von der EU gewünschten Regeln halten.
Mein Merksatz aber lautet: Europa hat keinen Einfluss auf die Welt außerhalb Europas.
Deshalb glaube ich auch, dass diese Richtlinie nur Europa schadet, dem Rest der Welt aber egal ist. Dann verkauft der seine Dinge halt an jemand anders.

Boudicca
9 Monate her

Die deutsche Politik hat sich im Zuge der Transformation für wirtschaftliches Degrowth entschieden. Sie werden in dieser Disziplin Weltmeister werden.