2024 stehen drei Landtagswahlen an. Da entdeckt die Großstadt-Partei der Grünen das Leben auf dem Land und möchte wieder mehr für die ländliche Bevölkerung tun. Herausgekommen ist ein Interview, dessen Antworten bemerkenswert realitätsferne Ansichten zutage fördert.
Katrin Göring-Eckardt ist nicht zu beneiden und dennoch in einem Punkt aufrichtig zu bewundern. Ihr Landesverband, der in Thüringen in einer Koalition mit den Linken und der SPD regiert, kratzt laut Umfragen an der 5 % Hürde. Es ist also durchaus möglich, dass im nächsten Thüringer Landtag keine Grünen, zumindest keine Parteigrünen mehr sitzen werden.
Ob ihr persönlicher Einsatz in Thüringen eher Hilfe oder eher Ballast für ihren Landesverband darstellt, darüber lässt sich trefflich streiten. Ehrlich zu bewundern ist das Ausmaß von Göring-Eckardts Wirklichkeitsverweigerung. Im Interview mit dem Stern sagt die Langzeitfunktionärin: „Wir kämpfen dafür, dass wir besser abschneiden, als viele uns im Moment zutrauen. Und ich spüre derzeit Rückenwind.“ Ohne Wahlhelfer in den Wahllokalen dürfte das kaum etwas werden, denn Rückenwind kann man derzeit nur bemerken, wenn man eine 180-Grad-Wendung vollführen würde. In Thüringen stehen im September Landtagswahlen an. Insofern lohnt es sich, der grünen Musterstrategin ein wenig zu lauschen. Es gibt wirklich nur wenige Politiker, die aus Ostdeutschland stammen, denen Ostdeutschland so fremd wie Katrin Göring-Eckardt ist, Angela Merkel, Marco Wanderwitz oder Michael Kellner.
Wenn die Grünen-Politikerin aus Thüringen mit Blick auf die Regierungs-Aufmärsche der letzten Zeit behauptet: „Zusammengenommen waren wohl seit der Friedlichen Revolution nicht mehr so viele Menschen für die Demokratie auf der Straße“, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie das Jahr 1989 hinter dem Mond zugebracht hat. Ist sie wirklich der Meinung, dass Horst Schumann oder Hans Modrow oder Erich Honecker die Demonstrationen in Leipzig, Dresden und Berlin 1989 angeführt haben? Von der Regierung also, wie sie jetzt von Scholz und Baerbock, von der Regierung also, angeführt werden?
Bleiben wir einen Moment in der Geschichte. Horst Schumann, der Leipziger SED-Chef, hatte schon 1961 in der Zeit des Mauerbaus zur Unterdrückung von Protesten der Bürger in einem Befehl formuliert: „Mit Provokateuren wird nicht diskutiert. Sie werden erst verdroschen und dann staatlichen Organen übergeben. […] Jeder, der auch nur im geringsten abfällige Äußerungen über die Sowjetarmee, über den besten Freund des deutschen Volkes, den Genossen N. S. Chruschtschow, oder über den Vorsitzenden des Staatsrates Genossen Walter Ulbricht von sich gibt, muss in jedem Falle auf der Stelle den entsprechenden Denkzettel erhalten.“
1989 Demos gegen den SED-Staat
Was allerdings an Göring-Eckardts Statement stimmt, ist, dass auch 1989 gegen eine Partei demonstriert wurde, und zwar gegen die SED. Nur war die SED im Gegensatz zur AfD an der Regierung. Wenn Göring-Eckardt fachkundig Vergleiche mit dem Jahr 1989 anstellen möchte, dann müsste sie zu dem Schluss kommen, dass sich die Demonstrationen heute gegen die Ampel richten müssten. In einer Demokratie kann man gegen die Politik einer Regierung demonstrieren, aber nicht für sie. Auch das unterscheidet Demokratien von Diktaturen. Niemand muss gegen die AfD demonstrieren, weil niemand gezwungen ist, sie zu wählen. Man nennt es Demokratie.
Aber wenn die Bundestagsvizepräsidentin unbedingt vergleichen will, böten sich die Fackelzüge der FDJ zum jeweiligen Geburtstag der Republik an. Schließlich wurde da für die Regierung und für die Demokratie in der Deutschen Demokratischen Republik auf die Straße gegangen, die von der SED zur einzig wahren, zur demokratischen Demokratie der Demokraten erhoben wurde, die natürlich wehrhaft gegen die Feinde der Demokratie, in Wahrheit also gegen die Opposition zu sein hat.
Bemerkenswert die folgende Frage nebst knapper Antwort der Parteivorderen: „(Frage:) In den Umfragen schlägt sich das nicht nieder. Diesen zufolge müssen die Grünen sowohl bei der Europawahl als auch bei den drei ostdeutschen Landtagswahlen im Herbst mit herben Verlusten rechnen. Wie bereiten Sie sich darauf vor?
(Antwort:) Auf herbe Verluste bereiten wir uns gar nicht vor.“
Denn Göring-Eckardt verspüre „Rückenwind“. Als selbst der sonst grün-CDU-zugetanen Interviewerin Göring-Eckardts Tag- und Abendträumen erkennbar etwas zu viel wurden und sie daraufhin nachfragt: „Rückenwind?“, verrutschte Göring-Eckardt kurz die Maske der netten Thüringerin von Nebenan: „Dieser Zustand ist ja nicht ganz neu. Das liegt auch daran, dass potenzielle Grünen-Wähler eher weggegangen sind aus Ostdeutschland. Und dass die, die geblieben sind, nicht noch mehr Veränderung wollen“, ließ sie die Interviewer wissen. Der dumme Rest halt. Die Klugen, denn Leute, die grün wählen, können aus ihrer Sicht nur klug sein, sind in den Westen oder nach Berlin gezogen wie Frau Göring-Eckardt, die anderen, mit denen man sich nun herumplagen muss, sind geblieben. Zumal die Fachkräfte nach Ansicht der Politikerin einen großen Bogen um Thüringen schlagen würden, weil dort die Dummen wohnen, die Veränderungsmüden, die Minderbemittelten, die ständig zu Belehrenden, die Handwerksmeister und Facharbeiter, die Leute mit Berufs- oder Hochschulabschluss, die nicht von Steuern leben wie Frau Göring-Eckardt, sondern Steuern zahlen, die sich von der abgebrochenen Theologiestudentin irgendwie nicht davon abbringen lassen wollen, u.a. AfD oder CDU zu wählen.
In Thüringen regiert eine Koalition aus Linken, SPD und Grünen. Und wenn die Fachkräfte eine Bogen um Thüringen machen, dann doch eher wegen der Regierung, nämlich wegen Linken, SPD und Grünen. Wenn Göring-Eckardts Fachkräfte wirklich „wirtschaftlich ein riesiges Problem“ bekommen, weil sie „eine andere Hautfarbe“ haben „oder eine andere Muttersprache“ sprechen, dann liegt das doch eher an der Landesregierung, die es nicht schafft, dass Land für wirkliche Fachkräfte attraktiv zu machen, mit ausreichendem Wohnraum, mit Kita-Plätzen, mit vernünftigen Energiepreisen beispielsweise.
Weniger für Ostdeutsche
Und da in Thüringen nur die veränderungsunwilligen Ostdeutschen leben, die vielleicht nur zu dumm waren, in den Westen zu gehen, findet Göring-Eckardt, dass „nicht überall ein Facharzt vor Ort sein“ muss, sondern ein „Gesundheitskiosk“ ausreicht, irgendwie „medizinisches Fachpersonal“: „Also, etwa in einem Gebäude zusammen mit dem Tante-Emma-Laden und der Energieberatung, die zu Solarpanelen berät. Oder im Bahnhofsgebäude oder in einem leerstehenden Gemeindezentrum.“ Und wenn der Erkrankte nicht mit einer Diagnose des Facharztes den Gesundheitskiosk verlässt, weil keiner da ist, so kann er ja stattdessen ein paar Solarzellen mitnehmen? Weitaus wichtiger ist „der thüringische(n) Deutsche(n) und deutsche(n) Europäerin. Und Protestantin“, „die Rechte von Trans*-Personen zu gewährleisten.“ Darin dürfte sie ihre Hauptaufgabe in Thüringen sehen, zumal die Thüringer veränderungsmüde sind, sie wollen eben nicht jedes Jahr ihr Geschlecht wechseln müssen.
Es mag sein, dass Göring-Eckardt darin auch eine politische Strategie gegen die AfD sieht, denn: „Es sind übrigens wirklich vor allem Wähler, also Männer, die AfD wählen.“ Dank der Kurzeittheologiestudentin erfahren wie endlich: Schuld an allem schlechten in dem Land ist wie immer der „alte weiße Mann“. Doch Katrin Göring-Eckardt wäre nicht Katrin Göring-Eckardt, wüsste sie nicht Rat: „Aber es gibt einen wirksamen Hebel: Wir müssen Begegnungen mit den Menschen schaffen, vor Ort sein. Ich glaube, das kann viel verändern.“ Warum sollte man sich als gestandener Handwerker, als Akademiker, als Ingenieur mit Leuten treffen, die weder über Erfahrungen in einem Beruf außerhalb des Funktionärswesens, noch über eine abgeschlossen Berufsausbildung oder eine abgeschlossenes Studium verfügen? Gerade im Osten hat man Phrasen und Losungen, tiefsinnige Erörterungen der Rolle der Bedeutung, sowie der Bedeutung der Rolle darüber, dass die Basis die Grundlage für das Fundament der Erfolge der Energiewende bildet, genug gehört. Man gewinnt den Eindruck, dass Katrin Göring-Eckardts Strategie im „Überholen, ohne einzuholen“ besteht. Das soll ja schon einmal sehr erfolgreich gewesen sein.
Mit Blick auf Biberach verkündet Göring-Eckardt: „Demokratischer Diskurs, auch wenn er hart geführt wird, das ist doch, was uns ausmacht. Und nicht das Verhindern von Gesprächen, das Beschimpfen oder das Überschreiten von Grenzen. Ich wünsche mir wieder mehr Besonnenheit: Lasst die Scharfmacherei sein! Wir müssen den echten, ehrlichen politischen Diskurs wieder miteinander kultivieren.“ Man könnte ihr da Recht geben, würde sie nicht zu den „Scharfmachern“ gehören, würde ihre Forderung stattdessen für alle gelten. Keinen Protest, keine Verurteilung vernahm man von Trittin, von Göring-Eckardt dagegen, dass die Fußtruppen der guten Gesinnung in Münster das Rathaus blockierten, damit die Gäste zum Neujahrsempfang der AfD nicht ins Rathaus gelangen konnten. Wie hatte doch Schumann seinerzeit befohlen: „Mit Provokateuren wird nicht diskutiert. Sie werden erst verdroschen und dann staatlichen Organen übergeben.“
Doppelte Moral, Doppelstandards, Orwell in einfacher Sprache, dass auch Grüne ihn als Handlungsanleitung verstehen können. Solange sich die Grünen über Biberach erregen, nicht aber auch über Münster, fehlt ihnen jede moralische Legitimation, sich zu empören. Wenn Göring-Eckardt wirklich den demokratischen Diskurs möchte, der, will er demokratisch sein, alle politischen Kräfte einschließt, würde sie auch die Anschläge auf AfD-Mitglieder und die Aufmärsche gegen Versammlungen der AfD und der Werteunion getreu des Satzes: Ich bin zwar nicht ihrer Meinung, aber ich werde alles tun, damit Sie Ihre Meinung frei äußern dürfen, verurteilen, dann würde sie in der Tradition der Aufklärung und nicht in der der SED, nicht in der Tradition Horst Schumanns stehen. Sie kann es heute, sie kann es morgen unter Beweis stellen, sie kann alle Eindrücke, dass sie eine Täter-Opfer-Umkehr betreibt, entkräften. Der Ball liegt bei ihr.
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Was ich nach 1990 erlebt habe, und was sicher dazu beigetragen hat, den Unterschied Ost-West zu zementieren, ist, dass Ostdeutsche, die Westdeutschland oder die westdeutsche Art oder Lebensart gutfanden, in der Regel ihre Sachen packten und in die westlichen Bundesländer gingen, wenn Berlin nicht reichte. Dazu zähle ich weniger die Fern- und Wochenendpendler, die ja ihre Heimat nicht verließen. Nach meiner Beobachtung waren das sehr viel mehr Frauen als Männer, vor allem junge Frauen. Arbeiter, 1990 im Osten immer noch dominante Arbeitnehmertyp und da vor allem bei den Männern, waren im Westen 1990 ff. nicht mehr gefragt, zumal dieser Sektor… Mehr
„Es gibt wirklich nur wenige Politiker, die aus Ostdeutschland stammen, denen Ostdeutschland so fremd wie Katrin Göring-Eckardt ist“ Das war aber zu DDR-Zeiten auch nicht anders. Damals ging auch jeder der (in der Partei) was werden wollte (also Bonze) nach Berlin, bzw. in den Berliner Speckgürtel (Potsdam, Strausberg usw). Auf die heimatliche Provinz (inklusive historisch bedeutender Großstädte wie Dresden oder Leipzig) schaute man dann mit Verachtung und tat alles die eigene Abstammung zu verleugnen. Daran hat sich bis heute bei den selbsternannten „Progressiven“ wenig geändert. Der Hass auf die Provinz/Peripherie etc ist bei vielen Bewohnern der links-grün dominierten Großstädte mittlerweile… Mehr
Es war schon immer eine erfolgversprechende Strategie, die Wähler zu herabzuwürdigen. Besonders, wenn man/frau die eigene immense Dürftigkeit auf diese Wähler projiziert. Sie muss sich allerdings überhaupt keine Sorgen machen, weil es gemäß ihren Vorbildern Stalin und Ulbricht nicht darauf ankommt, wie gewählt, sondern wie ausgezählt wird und es letzten Endes nur wie Demokratie aussehen soll.
Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken. (Karl Kraus)
Damit ist eigentlich alles zur ehemaligen FDJ- AgitProp Küchenhilfe gesagt, mMn.
„Und wenn der Erkrankte nicht mit einer Diagnose des Facharztes den Gesundheitskiosk verlässt, weil keiner da ist, so kann er ja stattdessen ein paar Solarzellen mitnehmen?“
Ist ein Solarzellenmonteur anwesend, kann dieser ja kurzfristig eine By-Pass-OP durchführen.
Deutschland hat sich verändert, GE freut sich wie Schnitzel, Wahlergebnisse sind nun egal.
Herr Mai, lohnt es sich, über diese Person soviel Worte zu verlieren?
Von Fanatikerin irgendeine Einsicht zu erwarten, die sie nicht eh schon seit Jahren besitzt und pflegt, ist ausgesprochen optimistisch. Das Weltbild der KGE dürfte schon lange, sehr sehr abgeschlossen sein und darin sind sie und Ihresgleichen die totalen Hegemone, die mit der exklusiven Deutungsmacht und alle anderen irgendwas zwischen doof oder Nazi. Selbst wenn es die Grünen in Thüringen unter 5% zerbröselt, würde das KGE keine Sekunde den Schlaf rauben, ihr Job in Berlin ist ja sicher. Noch! Und selbst wenn ihr Wiedereinzug in den BT scheitern sollte, kann es ihr egal sein – sie war lange drin und hat… Mehr
Ein sehr gehaltvolles Seitenstück von Waldorf zu einem starken, tiefgreifenden Artikel von Mai. Bravo für beide.
„Wohlfeiles Geschwafel, was man auch rotgrünlinkes Bullshitbingo nennen könnte, reicht im angeblich so cleveren Westen 100x aus, politische Karriere zu machen“
Ein Satz den man sich merken sollte – you made my day!
Der gleiche Skill gilt übrigens auch für die grossen AGs in Deutschland.
Haben Sie bemerkt, dass diese Frau stets ungeheuer provokant wirkt? Darin ist sie Merkel nicht unähnlich, und es gibt einen Grund dafür, dass sie so wirkt: Sie verbreitet ohne Unterlass grüne Narrative, reiht sie aneinander. Darin liegt keine Dummheit in strengen Sinne. Sie ist politisch nur unbegabt. Dummheit würde man verzeihen. Menschen, die stur sind, weil sie unterbelichtet sind, lösen bei uns nämlich eher Mitleid oder Gleichgültigkeit aus. Bei den genannten Politikern liegt darin aber Berechnung. Sie sind verbohrt und können die Welt nur ertragen, wenn sie sie ihren Bedürfnissen hemmungslos anpassen. Das macht ihre Aggressivität uns gegenüber aus. Daher… Mehr
Nunja, ich gehe davon aus das Fr. Göring Eckhardt bei den FDJ Fackelzügen eifrig mitmaschiert ist.
Fr. Göring Eckhardt war laut Wikipedia genau wie Fr. Merkel FDJ Jugendsekräterin für Propaganda und Agitation.
Das Wort Demokratie bekommt aus ihrem Mund einen ganz besonderen Beigeschmack.