Seit „Ampel“-Amtsantritt fast 80 Treffen von Regierungsmitgliedern und Verfassungsrichtern

Gemeinsame Abendessen zwischen Verfassungsrichtern und Mitgliedern der Bundesregierung sind mittlerweile berüchtigt. Doch bei der Ampel geht die bereits fragwürdige Zusammenarbeit von Exekutive und Judikative noch weiter als bisher gedacht.

IMAGO / Rainer Unkel

Niemand erwartet, dass sich die Vertreter der drei „Gewalten“ Legislative, Exekutive und Judikative in Quarantäne begeben, um ja keinen Vertreter der jeweils anderen „Gewalten“ zu sehen oder gar mit ihm zu sprechen. Reinrassig gibt es die Gewaltenteilung schon deshalb (leider) nicht, weil auf Bundesebene 54 Mitglieder der Exekutive, also 54 „Regierende“ zugleich Abgeordnete, also Vertreter der Legislative, somit eins sind. „54“ – im Moment eigentlich 53: Das sind Bundeskanzler, 15 von 16 Bundesministern (Pistorius ist kein MdB) und 37 Parlamentarische Staatssekretäre. Da lässt sich bestens klüngeln, mauscheln und die Pläne der Exekutive rechtzeitig in die Regierungsfraktionen lancieren. Folge: Die Fraktionen der Regierungskoalition (also der Legislative) werden zu reinen Akklamations- und Apportiergremien der „exekutiv“ Regierenden.

Diese personelle Vermischung von Legislative und Exekutive ist ein Konstruktionsfehler der „Verfassung“ der Bundesrepublik, wie es ihn in vielen anderen Rechtsstaaten nicht gibt. Sehr problematisch wird es aber, wenn auch noch die Judikative mit der Exekutive über Bande spielt. Das scheint nach Merkel-Vorbild (siehe unten) in der „Ampel“ mehr und mehr um sich zu greifen.

Regelmäßige Treffen und Unterredungen Regierung – Verfassungsgericht

Wir lassen hier außen vor, wie die Richter des Bundesverfassungsgerichts in ihr Amt kommen beziehungsweise je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat nach Parteienproporz „gewählt“ werden. Wir lassen auch außen vor, inwieweit es hier „Dankbarkeiten“ geben könnte, konzentrieren uns vielmehr auf den gleichermaßen hochtrabend und verschleiernd sogenannten „Austausch der Verfassungsorgane“, der nachweislich seit 1986 stattfindet. Was das noch mit dem Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) zu tun hat? Dort steht unter § 1 (1): „Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes.“

Aktuelle Beispiele: Am 8. November 2023 empfing das Bundesverfassungsgericht Mitglieder der Bundesregierung. Es ging um „Krise als Motor der Staatsmodernisierung“. Impulsredner waren Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Verfassungsrichterin Wallrabenstein. Weiteres Thema war „Generationengerechtigkeit – Politisches Leitbild und Verfassungsprinzip“. Hierzu sprachen Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) sowie Verfassungsrichter Martin Eifert.

Die WELT hat in ihrer Ausgabe vom 6. Januar auf Seite 5 unter der Überschrift „Richter und Politiker treffen sich regelmäßig“ von einer besorgniserregenden Häufung von Absprachen und Kontakten zwischen „Ampel“-Regierenden und Karlsruher oder anderen höchsten Richtern berichtet. Beispiele: Bundeskanzler Scholz telefonierte am 27. Februar und am 31. Mai 2023 mit dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth, um das genannte Abendessen für den 8. November 2023 in Karlsruhe vorzubereiten. Harbarth sprach zudem zweimal mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) über Pläne der Bundesregierung, eine elektronische Verfassungsbeschwerde einzuführen. Telefonate gab es zwischen dem damals noch amtierenden Verfassungsrichter Peter Huber mit der beamteten Justiz-Staatssekretärin Angelika Schlunck und mit dem „parlamentarischen“ Finanz-Staatssekretär Florian Toncar (beide Staatssekretäre bei den FDP-Ministern Lindner und Buschmann). Angelika Schlunck scheint überhaupt sehr kommunikativ zu sein: Sie sprach mit BHG-Richter Thomas Offenloch, der später Verfassungsrichter wurde. Sie traf sich auch mit dem Richteraspiranten Heinrich Amadeus Wolff. Die WELT bringt weitere Beispiele und schreibt nicht ganz zu Unrecht von einem „netzwerkartigen Beziehungsgeflecht“.

Dammbruch zwischen Bundesregierung und „Karlsruhe“ durch Merkel

Am 30. Juni 2021 war „Karlsruhe“ zum Abendessen in Merkels Kanzleramt eingeladen. Unter anderem hielten die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Verfassungsrichterin Susanne Baer je einen Vortrag über die von April bis Juni 2021 geltende „Corona-Notbremse“. Gegen diese „Bremse“ gab es einige Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht und nach dem genannten Abendessen am 22. September einen Befangenheitsantrag gegen das Bundesverfassungsgericht. Der Befangenheitsantrag wurde per Beschluss vom 12. Oktober abgelehnt, die Eilanträge gegen die Coronapolitik der Bundesregierung wurden vom Bundesverfassungsgericht per Beschluss vom 30. November 2021 abgelehnt. Will sagen: Es kann in Karlsruhe auch sehr rasch gehen.

Nicht ganz so flott ging „Karlsruhe“ in einer anderen „Causa“ zu Werke: Am 5. Februar 2020 hatte der Thüringer Landtag im dritten Wahldurchgang mit den Stimmen von CDU, AfD und FDP den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten gewählt. Kanzlerin Merkel (CDU) verkündete aus dem fernen Pretoria/Südafrika, wo sie gerade weilte, am 6. Februar: Diese Wahl sei „unverzeihlich“, und sie müsse „rückgängig gemacht“ werden.

Wörtlich sagte sie (mit den zwei „äh“ später wörtlich von „Karlsruhe“ so wiedergegeben): „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung gebrochen hat, für die CDU und auch für mich, nämlich, äh, dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen. Da dies absehbar war in der Konstellation, wie im dritten Wahlgang gewählt wurde, muss man sagen, dass dieser Vorgang unverzeihlich ist und, äh, deshalb auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss. Zumindest gilt für die CDU, dass die CDU sich nicht an einer Regierung unter dem gewählten Ministerpräsidenten beteiligen darf. Es war ein schlechter Tag für die Demokratie.“

Kemmerich ist denn auch 25 Stunden nach seiner Wahl zurückgetreten, Bodo Ramelow (Linke) wurde am 4. März 2021 ebenfalls erst in einem dritten Wahlgang erneut zum Ministerpräsidenten (einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung) gewählt. Er kündigte baldige Neuwahlen an, die dann – welch Pech! – Corona zum Opfer fielen und nun als reguläre Landtagswahl am 1. September 2024 stattfinden.

Die AfD beschwerte sich jedenfalls bereits im Februar 2020 umgehend beim Bundesverfassungsgericht wegen Merkels „Amtsmissbrauch mit Verletzung der Chancengleichheit“. Dann ruhte die „Causa“. Erst am 21. Juli 2021 gab es dazu eine mündliche Verhandlung in Karlsruhe. Dann ließ man sich wieder viel Zeit. Am 15. Juni 2022 urteilte das Bundesverfassungsgericht: Merkel habe sich „einseitig parteiergreifend“ geäußert. Zur zweifachen Erinnerung: Merkel war zu diesem Zeitpunkt bereits ein halbes Jahr schon nicht mehr im Amt. Und Merkel ließ das Volk wissen: Sie respektiere das Urteil.

Zum Abschluss noch ein Treppenwitz: Im Jahr 2000 wurde diskutiert, ob das Bundesverfassungsgericht nicht von Karlsruhe nach Potsdam umziehen solle. Die Richter wollten nicht. Ihre Begründung: Das wäre zu viele Nähe zu Bundesregierung und Bundestag. Ein Scheinargument, denn es geht nicht um räumliche Nähe, wenn es ansonsten gesinnungsethisch um Nähe geht, wie diverse Karlsruher Urteile zu Corona, Klima und Finanzierung der politischen Stiftungen gezeigt haben.

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Kommentare ( 92 )

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Sterling Heights
10 Monate her

Deshalb kann ein generelles Verbot der AFD gelingen. Der Verfassungsschutz arbeitet daran, Material zu liefern und alles intransparent. Bevor ich dann die “ demokratischen“ Parteien wähle, kämen fuer mich Wagenknecht, Maassen in Frage.

The Mothman
10 Monate her
Antworten an  Sterling Heights

Das ist doch kein Grund, wenn man seitens Regierung und Verfassungsgericht auf das Recht und die Rechtsmäßigkeit bzw. Grundgesetzkonformität pfeift.

palimpalim2020
10 Monate her

Ein guter und wichtiger Text von Herrn Kraus. Leider wollen manche Kommentatoren die westliche oder bundesrepublikanische Demokratie grundsätzlich mies machen, wohl weil sie einem östlichen Diktator nachschmachten. Wir haben ein Problem, TE.

maru
10 Monate her

Das widerspricht aber nicht der These vom Konstruktionsfehler.

Boris G
10 Monate her

Das Tête-à-Tête zwischen Regierung und Verfassungsgericht könnte in diesem Jahr noch ein überraschend schnelles Urteil nach einem ganz besonderen Eilantrag im September einfädeln: Verbot der AfD knapp vor den Landtagswahlen im Osten. Puh, gerettet!

friedrich - wilhelm
10 Monate her
Antworten an  Boris G

…..nee, nicht gerettet, denn nach eugh – urteil ist deutschland kein rechtsstaat! das heißt doch: artikel 22, 4 gg tritt in kraft und die massen bewegen sich! gegen ihre hampel!

Last edited 10 Monate her by friedrich - wilhelm
Unglaeubiger
10 Monate her

Kretins allerorten, egal wo man hinschaut. Aber Menschlein hat nicht begriffen, dass man außer alle 4 Jahre ein Kreuzerl zu machen, die Verpflichtung hat, seinem Personal mit eigenem Denken und informieren auf die Finger zu hauen! Nein, Menschlein war einfach zu faul, zu träge, zu desinteressiert und dachte, es wird schon laufen. Verantwortung abgeben oder überhaupt nicht daran zu denken, geht halt fast immer in die Hose und die stinkt schon sehr gewaltig. Ob Menschlein begreift, dass hier nur ein radikaler Wechsel der Windelfirma hilft und die alte in den Konkurs schickt? Ist Menschlein wieder zu bequem um die zu… Mehr

jansobieski
10 Monate her

Sehr geehrter Herr Kraus, Sie leiten schön her, dass wir von einer korrekten Gewaltenteilung weit entfernt sind und zeigen damit schlüssig, dass wir in einer (schlechten) Demokratiesimulation leben. Danke dafür.

Giovanni
10 Monate her

In einer Diktatur gibt es eben keine Dreiteilung der Gewalten!!!

friedrich - wilhelm
10 Monate her

…na eben: brd ist gleich identisch bananen republik deutschland! wenn nicht gerade dhimmistan zutreffender ist! mir schrieb früher ein theologieprofessor, daß er regelmäßig an treffen mit bundesrichtern teilnehme! ist es wirklich so, daß ein umbruch bevorsteht, wenn das volk wütend ist, und wenn das volk hungert? dann trifft wohl die erste voraussetzung zu! doch wie lange muß auf die erfüllung der zweiten voraussetzung gewartet werden?
all the best from washington!

Last edited 10 Monate her by friedrich - wilhelm
Haedenkamp
10 Monate her

Das hervorstechendste Merkmal eines Staastreichs ist die Aufhebung der Gewaltenteilung, ist die Gleichschaltung. Nichts daran ist neu.

Montesquieu
10 Monate her

Gewaltentrennung wurde mir in der Schule als conditio sine qua non eines freiheitlich demokratischen Rechtsstaates vermittelt. Dass es die in Reinform natürlich gar nicht geben kann, habe ich schon zu meiner Schulzeit befürchtet. Das ganze Ausmaß der Täuschung ist mir allerdings nach und nach erst später klar geworden. Die Berufung auf höhere Richterstellen durch die etablierten politischen Parteien sowie die parteipolitische Abhängigkeit der Staatsanwaltschaft schaffen ganz einzigartige Durchgriffspotentiale. Da ist es schon konsequent, wenn der Chef vom Verfassungsschutz gleich nach gusto vom Innenminister geheuert und gefeuert werden kann. Bei Bedarf lässt man dann jeden als „verfassungsfeindlich“ stigmatisieren, der die eigenen… Mehr

friedrich - wilhelm
10 Monate her
Antworten an  Montesquieu

…ich habe damals auch begeistert carlo schmidt zugehört, als er das grundgesetz im bundestag einführte……das war aber eine andere zeit! meine tochter – us high court judge – hat mit mir eine vorläufige verfassung für deutschland erarbeitet, die schluß macht mit vorzugsbehandlungen und ministervorbehalten und deutschland auf eine solide finanzielle grundlage stellt!

Last edited 10 Monate her by friedrich - wilhelm