Erst war er der Kohlflüsterer, dann gab er den Merkelversteher. Schäuble tat alles dafür, dass sie in viermaliger Kanzlerschaft das Land kaputt regierte. Schäuble war immer ihr Wasserträger, ihre große Stütze, obwohl sie ihn demütigte. Er hat das Elend verlängert – nicht sein Elend, das des Landes.
Mehr als ein halbes Jahrhundert im Parlament, davon fast zwanzig Jahre als Minister: Wolfgang Schäuble ragte aus der Masse der Berufspolitiker gewiss heraus, aber er stand auch paradigmatisch für das Elend der Politik als Beruf.
I.
Wie gesagt, dies ist kein Nachruf. Deshalb spielt all das, was mit 30 Jahren im Rollstuhl zu tun hat, an Schmerz aber auch an Aura, keine Rolle. Es ist ja nicht so, dass Schäuble seinen allseits bewunderten Spezialstatus nicht rigoros genutzt hätte – etwa als er die knappe Entscheidung gegen Bonn als funktionierende Regierungsstadt der Bonner Republik mit pathetischer Leidensmiene in vorgeblich historischer Mission entschied. Da lief der Verantwortungsethiker mühelos ins Lager der Gesinnungsethiker über. Aber nichts davon an dieser Stelle.
II.
Gepriesen wird er für den Amtszeitrekord, als sei der ein Verdienst. Das ist er nicht! Die einmalig lange Karriere als Abgeordneter steht für Anpassungsfähigkeit, nicht für Unverzichtbarkeit. Letztlich blieb Schäuble so lange in dienenden Ämtern, weil von ihm niemals Gefahr ausging für die wirklich Mächtigen. Letztlich ist auch Schäuble verantwortlich dafür, dass Kohl vier Mal Kanzler wurde, sich auch noch an die Macht klammerte, als die Niederlage bereits absehbar war. Schäuble, der designierte Kanzlerkandidat, hätte es verhindern können, wenn er den Mut dazu gehabt hätte. Da mag er noch so viele Verdienste haben – etwa um den Einheitsvertrag mit der DDR, auf den er so stolz war. Den höchsten Preis dafür hat dieses Land bezahlt: Es hat Merkel bekommen.
Erst war er der Kohlflüsterer, dann gab er den Merkelversteher. Schäuble tat alles dafür, dass sie in viermaliger Kanzlerschaft das Land kaputt regierte. Schäuble war immer ihr Wasserträger, ihre große Stütze, obwohl sie ihn demütigte. Er hat das Elend verlängert – nicht sein Elend, das des Landes.
III.
Schäuble kultivierte jenes Duckmäusertum, das die Union ruinierte. Richtiges anmahnen und Falsches mitmachen, ist keine Lösung. Auch in der Politik gibt es kein richtiges Leben im falschen – um Adorno zu paraphrasieren. Ein Held nur im Hinnehmen. Das aber zelebrierte er auf eine Weise, die wie das Gegenteil aussah. Darin war er brillant. Er verstand es, sich als der überaus Überlegte, eigentlich Überlegene zu stilisieren, blieb dabei aber stets der Dienende. Nicht einmal zur Grauen Eminenz, zum heimlichen Regenten, hat er es damit geschafft. Er übertrieb seine Loyalität. Hielt sie für Staatsräson. Es war das Denken eines ewigen Staatsdieners. So viel hat er gemahnt und so wenig verhindert, falsche Entscheidungen, über die er selbst gelegentlich die Nase rümpfte, zugelassen. Er blieb im Grunde der brillante Musterbeamte, der er ganz zu Beginn für kurze Zeit in der Finanzverwaltung gewesen war. Eine Politikerkarriere ohne Berufserfahrung außerhalb der Sphäre des Staats. Er hat die Schaltknöpfe, vor die man ihn setzte, stets gehorsam betätigt.
IV.
Schäuble wurde von Déformation professionelle nicht weniger erfasst als all die anderen in dieser Profession, er hat es nur geschickter versteckt. Man nahm ihm ab, anders zu sein, nicht bloß ein machttaktisch versierter Parteisoldat. Aber genau das ist er gewesen. In seiner Klasse hielt man ihn gar für einen Intellektuellen, weil er so klang, als sei er zu Skepsis fähig. War er das? In seinem Memoirenbuch „Grenzerfahrungen – Wie wir an Krisen wachsen“ behauptete er doch tatsächlich noch 2021, Deutschland sei „über sich hinaus gewachsen“. Und: „Deutschland erlebt ungeahnte Beweglichkeit.“ Hat auch er geträumt? Ja, auch er. Dass Deutschland an seiner Unbeweglichkeit eingeht, verdankt es auch der Kirchentagsprosa dieses Vorzeigepolitikers. Auch er folgte dem Gesetz seiner Profession: sich bloß nicht durch Deutlichkeit angreifbar machen! Es sich bloß mit keinem verderben. Schäuble gab stets den Vernünftler, der über den Dingen stand.
V.
Er hat es vermutlich mit Todesverachtung genossen. Aber es muss ihm, dem überaus Intelligenten, eine Marter gewesen sein. Er hat sie letztlich erduldet, weil er es nicht lassen konnte. Weil er süchtig war nach Politik. In seiner persönlichen Lage erst recht. Er hat das Ende seiner Berufspolitikerexistenz nicht mehr erleben müssen. Was für ein Glück! Für ihn.
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Danke für diesen Beitrag, Herr Herles. Endlich einmal eine angemessene kritische Sicht des „Berufspolitikers“ Schäuble, der sich stets mit seiner Taktik des Ungefähren in der Politik unseres Landes zu halten wusste. Wir, die Steuerzahler, haben ihm den über die Jahre hinweg ungeheuren Aufwand für sein gefährdetes Leben in der Öffentlichkeit garantiert und was haben wir dafür zurückerhalten? Schäuble brauchte seine Ämter für seine berufliche und wohl auch private Existenz. Ohne die Absicherungen der Berufspolitik wäre er im wahrsten Sinne des Wortes „lost“ gewesen. Eine Karriere wie seine war nur in unserem Land und in unserer Demokratie möglich. Warum haben wir… Mehr
Berufspolitiker konterkarieren eine Demokratie!
Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Die hervorragenden Anmerkungen von Herrn Herles zu Wolfgang Schäuble sind ein sehr guter Beleg dafür, dass wir nicht vornehmlich ein “ Michel-Problem “ haben – ein behaupteter Untertanengeist der Bürger, sondern ein “ Eliten-Problem“, weil nur, oder jedenfalls viel zu viele Mitglieder der Elite für ihre jeweilige Position eine unerbittliche Loyalität/Treue zum Alphatier und den Zeitgeist pflegen.
Wäre Schäuble nur etwas intelligenter gewesen, hätte er Laschet nicht protegiert und Deutschland wäre so manches erspart geblieben.
Wie armselig, wenn man trotz Familie kein Zuhause hat, und man sich noch mit über 80 nur für seinen Beruf interessiert. Man kennt das von manchen Arbeitskollegen, die ihr Leben lang nur mit ihrem Job verheiratet waren und glaubten, ohne sie ginge es nicht. In Wahrheit tun diese Menschen weder sich noch ihrer Umgebung einen Gefallen. Dieser tief im Innern verbitterte alte Mann verdient aber weder Mitleid noch den Spruch, man solle über Tote nur Gutes reden. Für Schäuble als öffentliche Person, die zudem noch einen Amtseid geleistet hat, ohne dem Volke wirklich gedient zu haben, gelten deshalb andere Maßstäbe. … Mehr
Ein Zauderer (wie von R. Tichy in seinem Nachruf treffend beschrieben) und Zyniker (möglicherweise aufgrund des Attentats und dessen Folgen). Er hätte Deutschland dienen können, am Ende bleibt das zutreffend formulierte Fazit:
„So viel hat er gemahnt und so wenig verhindert, falsche Entscheidungen, über die er selbst gelegentlich die Nase rümpfte, zugelassen.“
Was er für ‚Staatsräson‘ hielt, war am Ende nichts anderes als ‚Duckmäusertum‘ und Feigheit. Ein Held nur im Hinnehmen mit Verachtung für Land & Leute, deren Interessen er hätte wahrnehmen sollen. Und damit wie Horst Seehofer die perfekte Personifikation des Versagens der Union.
Hochbegabten, zu denen Schäuble zweifellos zählte, mangelt es häufig an Alltagsfähigkeiten wie Menschenkenntnis oder Intuition. Dass Schäuble eine mediokre Person wie Merkel überhaupt in seine Nähe gelassen hat, ist zurückzuführen auf eine solche Begabungslücke. Es könnte natürlich auch sein, dass er nur Mittelmaß in seinem Umkreis duldete, um sein Ego umso höher strahlen zu lassen. In persönlichen Kontakt zu treten mit merkwürdigen Figuren wie Schreiber, spricht nicht für Schäubles Menschenkenntnis.
Von „Nutzen“ werden die von ihnen Angesprochenen dem Herrn wohl aber schon erschienen sein. Nur halt zu wessen, das ist hier die Frage. Und ob und wann sich dann der Spieß drehte.
Sieht man auf den Scheuer Andy könnte auch der Verdacht hochkommen, dass das Nutzen dessen, was einem da in den Haushalt gelegt wird, vorderste Motivation sein könnte.
In der ansonsten sehr gut gelungenen Analyse fehlt ein Absatz über Schäubles Wirken im Spannungsfeld der Geheimdienste; dass er die arbeitslos gewordenen DDR-Spione für Washington angeworben und quasi „eingesammelt“ hat. Auch war wohl sein erster (anscheinend etwas blauäugig verfasster) Entwurf der „Beitrittserklärung“ der DDR zur BRD für den Geschmack der Alliierten (insbesondere mal wieder Washington…) zu sehr in Richtung Wiedererlangung der Deutschen Souveränität geraten, so dass er ihn noch einmal gründlich überarbeiten musste. Und schließlich – ich weiß, dass ich mich nicht an das geforderte „nil, nisi bene!“ halte, aber das ist mir hier gerade ganz egal – hätte er… Mehr
50 Jahre in der Politik verbracht, zu mehr hat es nicht gereicht.
Keinen Cent für den Staat verdient, keinen Kratzer im Bsp hinterlassen.
Mehrwertschröpfer, statt -schöpfer
Wie erbärmlich, bis zum letzten Tag im Bundestag herumzukrauchen – analog Kohl, der den Schuss auch nicht gehört hatte.
Was für ein Scheitern.
Nie etwas Entscheidendes gewagt (Kohl, Flüchtlinge, Griechenland).
Immer im geraunt Intellektuellen, Halbverdächtigen herum getrieben – nie Treiber gewesen.
Und für die, deren Nachrufe jetzt von „Vorbild“ und Ähnlichem schallen, sind aus demselben Holz geschnitzt.
Der treffendste Nachruf für Wolgang Schäuble, den ich las. Für die Geschichtsschreibung aufbewahren.