Die Hirten an der Krippe Ausgestoßene? Die Heilige Familie Flüchtlinge? Die Weisen aus dem Morgenland Ausländer? Blickt man auf die eigentliche Weihnachtsgeschichte und die historischen Befunde, dann eignet sich die Bibel recht wenig für den politischen Sozialkitsch.
Alle Jahre wieder: In Predigten zur Christmette findet eine merkwürdige Verklärung der Weihnachtsgeschichte statt, die möglichst aktuell wirken sollte, jedoch wenig mit der bei Matthäus und Lukas überlieferten Geschichte zu tun hat. Die Krippengemeinschaft habe vornehmlich aus Verfolgten, Ausländern, Ausgegrenzten bestanden. Papst Franziskus ging in einer Wihnachtspredigt einst sogar so weit, den bürokratischen Akt einer Volkszählung mit einer Vertreibung aus der Heimat gleichzusetzen. An dieser Stelle dazu einige Punkte.
Primo: Maria und Josef waren „Fremde“ und wurden „genötigt“, aus ihrer Heimat in die Fremde zu ziehen.
Das Dekret des Augustus war kein tyrannischer Akt, sondern eine für damalige Verhältnisse völlig gängige Praxis zur Steuererfassung im Orient. So ungern wir bis heute Steuererklärungen anfertigen und mit dem Finanzministerium zu tun haben, so tyrannisch uns auch immer wieder die Behandlung auf öffentlichen Ämtern vorkommt, so wenig handelt es sich bei diesem bürokratischen Manöver um ein irgendwie zugefügtes Unrecht. Es handelte sich auch nicht um eine andauernde Maßnahme; nach der Steuerfassung konnte jeder wieder in seine Heimat zurückkehren.
Grund für den Umzug war, dass jeder in seinen Herkunftsort (!) zurückkehren solle. Das macht die ganze Argumentation, es handele sich um Fremde fern ihrer Heimat umso unglaubwürdiger, denn zumindest Josef stammt aus Bethlehem und ist damit geborener Judäer, nicht Galiläer. Es handelt sich hier um eine historische, sprachliche und ethnische Gemeinschaft. Mit circa 160 Kilometern liegt Nazareth von Bethlehem auch nicht in allzu großer Entfernung. Hier wird ein gängiger Vorgang zur Regelung bürokratischer Formalitäten zu einer Geschichte von Flucht und Vertreibung stilisiert.
Dass darüber hinaus Jesus in Bethlehem, der Stadt Davids, geboren werden muss; dass von Matthäus die Geschichte von Prophezeiungen an Josef eingeklammert wird; dass sowohl der Kindermord als auch die Flucht nach Ägypten allesamt einen theologisch-prophetischen Kontext mit Bezug auf das Alte Testament haben, also „gottgewollt“ sind, bleibt völlig auf der Strecke. Maria und Josef geschieht nicht, weil die Menschen es so gemacht haben, sondern ihnen geschieht alles nach dem Willen des Herrn – den Josef und Maria völlig hinnehmen. Was ihnen geschieht, muss geschehen, damit sich das Kommen des Messias erfüllt. Das ist die eigentliche Quintessenz, besonders bei Matthäus.
Zweitens: Maria und Josef werden in Bethlehem schlecht aufgenommen, an der Herberge abgewiesen und müssen in einem Stall leben.
Das augusteische Dekret galt logischerweise nicht nur für die Heilige Familie. Es dürfte in diesen Wochen und Monaten zu einer großen Mobilität der Einwohner der Provinz Syrien und Judäa gekommen sein – und Josef war mit Sicherheit nicht der einzige Bethlehemiter, der in seine Heimat (!) zurückkehrte. Auf heutige Verhältnisse bezogen handelte es sich um die Erledigung einer bürokratischen Formalität im benachbarten Bundesland. Bethlehem war aber damals eine eher kleine Stadt – dies wird schon dadurch deutlich, dass Matthäus hervorheben muss, dass Bethlehem eben aufgrund der Geburt des Messias nicht die geringste Stadt im Heiligen Land ist.
Die Übernachtungsmöglichkeiten waren also a priori begrenzt. Das allgemeine Chaos der völlig überforderten Kleinstadt dürfte sich jeder vorstellen können. Menschliche Missgunst hat damit weniger eine Rolle gespielt als die Notsituation als solche. Maria und Josef werden nicht aus Abneigung vom Herbergenbesitzer abgewiesen, sondern schlicht, weil diese voll ist – so steht es im Evangelium. Die im Grunde milde Geste, dass das Paar im Stall schlafen darf, wird heute völlig umgedeutet, als handele es sich um eine Herabsetzung. In Kinderbibeln war die Deutung noch eine ganz andere: der Herbergenbesitzer hat eben kein hartes Herz, sondern Mitleid und kommt auf die Idee, dass man den Stall benutzen könne. Zudem ist anzunehmen, dass es sich dabei um eine einmalige Übernachtung handelte, denn schon am nächsten Tag dürfte aufgrund der Abreise anderer Gäste die Herberge neuerlichen Platz geboten haben.
Drittens: In der Krippe finden sich vor allem Ausgestoßene der Gesellschaft.
Sehen wir uns dazu die verschiedenen Beteiligten genauer an:
– Die Heilige Familie. Josef ist Zimmermann und damit als Handwerker Angehöriger der Mittelschicht. Die Vorstellung, es handele sich um „Arme“ ist insbesondere hinsichtlich der historischen Bedingungen falsch. Dass die Familie im Stall schläft, hängt nicht mit dem mangelndem Wohlstand zusammen, wie schon zuvor gezeigt. Der Beruf des Zimmermanns ist dabei nicht nur ein einträglicher, sondern auch ein angesehener Stand. Das, was man in heutiger Zeit der Krippenszene abstreiten will, wird hier paradoxerweise erfüllt: Maria und Josef sind das, was in späterer Zeit als „bürgerlich“ gilt.
– Die Hirten. Der Beruf bringt es mit sich, dass diese außerhalb der Stadt leben. Allerdings ist gerade in Israel der Hirtenstand weder ein schlecht angesehener noch ärmlicher Stand (sehen wir von den Schweinehirten ab). Mit König David ist gar ein Schafhirte König geworden, die Anspielung dürfte den Judenchristen also offenbar gewesen war. Ebenso ist es logisch, dass in der Nähe eines Stalles (!) Hirten grasen, es dürfte nicht zuletzt eine Verbindung geben. Natürlich gehören die Hirten einer unteren Schicht an, vergleicht man sie mit der Zimmermannsfamilie, aber dazu zählten in der Antike die Mehrzahl der Bevölkerung. Als „Ausgegrenzte“ oder „Mittellose“ kann man sie jedenfalls nicht aufzählen.
– Die Weisen aus dem Morgenland. Gerne als „Ausländer“ gehandelt, sind die Sterndeuter jedoch keine Migranten, sondern die ersten Pilger der christlichen Geschichte. Sie wollen dem Kind huldigen und haben Geschenke dabei. Astrologen gelten in der Antike als angesehene Männer, die sich ihre Dienste von den Reichen und Mächtigen in Gold aufwiegen lassen. Oftmals stehen sie im Dienste von Königen. Ihre wertvollen Geschenke machen ihren hohen Rang deutlich. Hier deutet sich das an, was prophezeit wird: die Völker der Welt knien vor dem Herrn nieder.
Die kurze Zusammenfassung zeigt: die zeitgenössische Rezeption widerspricht dem historischen Befund. Nicht die Unterschicht, sondern eine vielfältige Gesellschaft mit Vertretern aus allen Schichten ist hier zugegen. Es ergibt sich schon das, was schon im wunderschönen „Stelle splendens“ im Llibre vermell zum Ausdruck kommt: alle – ob klein oder groß, ob reich oder arm, ob von Nah oder Fern – kommen herbei, um anzubeten. Das trifft nicht nur den Inhalt der beiden Evangelien besser, sondern dürfte auch der Botschaft, dass dieser Gott ein Gott aller Menschen ist, dessen Herrschaft kein Ende kennt, viel näher kommen.
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Um das, was in den Evangelien zum Weihnachtsgeschehen überliefert ist, sinnvoll bewerten und deuten zu können, müsste man in der Lage sein, die Texte zunächst einmal zu lesen und zu verstehen – für woke ‚Welterklär-Bären‘ schwierig bis unmöglich! Den sprichwörtlichen ‚Vogel abgeschossen‘ hat dieser Tage ein ‚interreligiöser WDR-Mikrofonständer‘, dessen „frohe Botschaft“ lautete, dass es auch im Koran ’so eine Art Weihnachtsgeschichte‘ gäbe: Ich habe dann das Knöpfchen gedrückt und zu mir selbst gesagt: ‚…und sie hatten keinen Sprengstoff in der Herberge: Na Masel tov und ein gesegnetes ‚Weihnukka’… Ihnen und dem gesamten Team von TE sowie den unverdrossenen Mitforistinnen und… Mehr
Das haben mir Freunde aus Bonn geschickt – mit dem Hinweis, dass auf einem Erklärblatt Beethoven als „Musiker“ bezeichnet würde und am Eingang immer noch blau-gelb geflaggt wäre: https://www.kath-bonn.de/detail/Bonner-Stadtkrippe-in-der-Muensterbasilika/
Ich kommentiere das Ganze jetzt mal lieber nicht.
Na dann freuen wir uns schon einmal auf die Zeit, wenn die christliche Zuwendungen für „die Ausgestoßenen“ der Gesellschaft im hier und jetzt erschöpft sind und wir uns dann auf ihre Zuwendungen erwartungsvoll freuen dürfen, die sich an ihrem Glauben und ihrer Herkunft orientieren.
Hoffnung ist nicht die Überzeugung das etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit das etwas passiert, egal wie es ausgeht. Wir heißen euch hoffen. Weiterhin frohe und besinnliche Tage.
Dschizya ist wie Tribut nur einseitig gedacht und an neue Herrschaften zu zahlen. Tribut (lateinischtributum „Abgabe“, „Steuer“; wörtlich „Zugeteiltes“, zu tribuere „zuteilen“) bezeichnet historisch eine Abgabe oder Steuer. Der Tribut wurde zum Zeichen der Unterwerfung oder der Vasallentreue geleistet. In der Regel handelte es sich um regelmäßige Geld- oder Sachleistungen, die nicht nur ökonomisch bedeutsam waren, sondern auch die Machtverhältnisse zum Ausdruck brachten. Dschizya (arabisch جزية, DMG ǧizya ‚Kopfsteuer, Tribut‘, osmanischجزيهcizye) ist die Bezeichnung für die den nichtmuslimischen Schutzbefohlenen (Dhimmi) unter islamischer Herrschaft auferlegte Steuer. – beides wiki . Die Welle, die durch dies alles lange losgetreten ist, ist allerdings… Mehr
Danke für den Bericht. Für mich ist faszinierend, neben dem das Jesus Christus in Niedrigkeit in diese Welt gekommen ist, das einfache Hirten als Erste die Frohe Botschaft erfahren durften: „Fürchtet euch nicht! Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren soll. Denn euch ist heute in der Stadt Davids der Retter geboren, welcher ist Christus, der Herr..“ Weder die religiösen Führer noch Fürsten oder Obrigkeiten im Land erfuhren das Wunder in Betlehem, sondern die einfachen Leute hörten, glaubten und beteten an. So ist es zumeist bis heute geblieben. Die „Elite“ fühlt sich zu aufgeklärt und intelligent zu… Mehr
„Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche.“
Und welchen Gott hat er gemeint, der Herr Chesterton?
Es gibt nur einen Gott, und genau den hat er gemeint!
„Die kurze Zusammenfassung zeigt: die zeitgenössische Rezeption widerspricht dem historischen Befund.“ – Der Autor versucht anhand von historischen Gegebenheiten die Zeit der Schwangerschaft Marias und der Geburt Jesu im Neuen Testament „richtig“ zu stellen. Ist man völlig nüchtern, fragt man sich, wer war direkter Zeitzeuge der Eltern von Jesu, dass allerhand spätere Apostel historisch genau den Alltag der Eltern um die Geburt Jesus wiedergaben? Der korrekten Quellenlage wegen, müssten die Eltern Jesu viel vielen erzählt haben, um nicht ihr direktes Wissen verloren gehen zu lassen. Ist man auf diesem Pfad, ist all die Deutung des Neuen Testament lediglich eine ausgeschmückte… Mehr
Sicherlich nicht falsch. Aber nüchtern betrachtet geht es doch, wenn ich das richtig verstanden habe, darum: In einem alten Buch steht etwas, das kann man nachlesen. Andere behaupten aber etwas anderes sich berufend auf eben jenes Buch, obwohl man es nachlesen kann.
Geschätzter Cernunnos, Ihnen dürfte ja bekannt sein, dass unsere keltischen und germanischen Ahnen keine schriftliche Überlieferung pflegten. Im Gegensatz zu vielen Historikern bin ich der Ansicht, dass dies nicht mangels Fähigkeit, sondern absichtlich unterlassen worden ist: Das geschriebene gegenüber dem gesprochenen Wort dürfte den Weisen jener Zeit, nicht zu Unrecht m.E., als tot gegolten haben, das Niederschreiben als eine Art Tötung des Gesprochenen. Ähnliches wird über die amerikanischen Indianer berichtet. Wohin das geschriebene Wort führt, sehen wir seit Jahrhunderten: Wieviele Religionskriege, wieviele sinnlose Diskussionen um bedeutungslose Details in irgendwelchen Büchern führen die Menschen seither, anstatt ihre ursprüngliche, natürliche und lebendige… Mehr
Sehr schoen beschrieben, so wurde mir die Geschichte in meiner Kindheit im Unterricht nahe gebracht.
Sehr gut, theologisch sehr stimmig.
Nicht zu vergessen, dass Josef „aus dem Hause und Geschlechte Davids war“. Er war mithin königlicher Abkunft und keinesfalls ein Lumpenproletarier. Obwohl die kulturmarxistische Kaperung der Weihnachtsgeschichte längst widerlegt ist, wird sie „alle Jahre wieder“ aufgewärmt – leider auch von den Kanzeln der Kirchen im besten Deutschland aller Zeiten.
Die, die die Bibel so auslegen, könnten die sein, die weiland die Rechtschreibreform verbrochen haben: von keinerlei Sachkenntnis getrübt!