Die schlechtesten Journalisten der Welt

Ein guter Teil der Medienschaffenden übertrifft alle anderen Kräfte der Gesellschaft in Illiberalität, Heuchelei und Zerstörungswut. An den Sendungsbewussten des neuen Typs scheitert auch jede Parodie. Auf das Milieu wirkt nur eins: Gegenwehr. Und die beginnt schon.

IMAGO / blickwinkel

Vor einigen Wochen lief auf Youtube zum ersten Mal ein kurzes Video, das eine BBC-Journalistin im Interview mit dem Hamas-Kommandeur Yahya Sinwar zeigt, zugeschaltet aus dem Gazastreifen. Sie reicht ihm Stichworte herüber, er gibt die erwarteten Antworten. Zwischendurch singt er kurz „all we are saying/is give peace a chance“. Und beklagt sich darüber, dass Israel seinen Leuten keine Feuerpause zugestehen würde. Das sei ungerecht, „schließlich haben wir ja früher mit dem Krieg angefangen als sie“.

Ein paar Minuten später beklagt sich die BBC-Journalistin Rachel über das Kindergeschrei im Hintergrund. Ob er das bitte abstellen könnte? Der Lärm störe ihr gemeinsames Gespräch nämlich sehr. Der Hamas-Kommandeur bittet um Verständnis mit der Bemerkung, das sei nicht sein Baby: „Seine Mutter ist in Israel.“ Es nerve ständig, besonders nachts. Worauf Rachel vom BBC sofort nachbohrt: „Sie sagen also, dieses israelische Baby foltert Sie durch Schlafentzug?“ Worauf Sinwar für einen Moment verdattert in die Kamera schaut, denn diese Pirouette übersteigt selbst seine Fähigkeiten. Dann fängt er sich, um Rachel zu bestätigen: Ja, das habe sie völlig korrekt erkannt.

Es handelt sich um eine nicht besonders feinsinnige, ja sogar etwas grobschlächtige Satire. Ein Karikaturist bemüht sich üblicherweise nicht darum, besonders subtil zu wirken. Aber auch in diesem Fach gibt es wie überall Qualitätsvarianten. Der echte Yahya Sinwar sieht übrigens so aus:

Am 23. November befragte Kay Burley, früher eine BBC-Journalistin, heute bekanntes Gesicht des Senders Sky News, den israelischen Regierungssprecher Eylon Levy zum geplanten Austausch von palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen gegen verschleppte Geiseln der Hamas. Sie habe gerade mit jemandem gesprochen, der an den Verhandlungen beteiligt war, behauptete Burley, und wenn man auf das Zahlenverhältnis sehe – Israel entlasse 150 Häftlinge für nur 50 Geiseln – dann müssten einem doch Zweifel kommen, ob Israel das Leben von Palästinensern wirklich so hoch schätze wie das der eigenen Bürger. So, als hätte sich Israels Regierung die Drei-zu-eins-Regelung ausgedacht oder als hätte sie auch nur Einfluss darauf. Für einen Moment ging es dem Regierungssprecher so wie der Sinwar-Figur in der Parodie. Ihm blieb, was ihm sonst nie passiert, ganz kurz der Mund offen stehen.

Am Ende der Sendung, in der die britische Journalistin aus dem Austauschverhältnis folgert, Israel würde das Leben der eigenen Bürger dreimal höher veranschlagen als das der Palästinenser, folgt allerdings nicht die Auflösung, das sei natürlich Satire. So plump und unverstellt würde doch niemand seine Bösartigkeit gegen Israel vortragen, nicht wahr? Einmal ganz abgesehen davon, dass die Hamas nicht nur Israelis als Geiseln gefangen hielt und hält, sondern auch Thailänder, Argentinier, Briten, Franzosen, Russen und Angehörige mehrerer Dutzend anderer Nationen. Die allerdings völlig ernst gemeinte Sky-Szene, die der BBC-Parodie schon sehr, sehr nahe kommt, gehört zur Kategorie der völlig todernst gemeinten Journalismuserzeugnisse neuen Typs, mit denen sich dieser Text zum Zweck der Klassifizierung befasst.

(Übrigens gibt es bei X eine Szene, die zeigt, wie Kay Burley schon bei der bloßen Erwähnung des Begriffs ‚hostages‘, also Geiseln durch eine Kollegin entnervt stöhnt, und offenbar meint, das Thema müsse nun wirklich nicht derart strapaziert werden.)

Die kleine und unvollständige Übersicht beginnt mit dieser Britin, die das Gewerbe ausübt, um dann via Frankreich nach Deutschland zu kommen. Die Journalisten, um die es hier gehen soll, bilden eine länderübergreifende Kaste. Sie gleichen einander, als kämen sie aus der gleichen Reproduktionsanlage nach dem Vorbild von Aldous Huxleys „Brave New World“.

Unter ihnen existieren viele kleine Ähnlichkeiten, aber eine einzige große und herausragende: Sie tun alles, um jede nur denkbare Parodie zu übertreffen. Sie verkörpern eine Parawirklichkeit, vor der jede Fantasie kapituliert. Ihr Journalismus tritt endgültig in das Stadium seiner Mutation ein. Diese Errungenschaft macht sie zu stolzen Vertretern ihrer Branche.

Wechseln wir, wie angekündigt, nach Frankreich. Ende November kam es zu einem blutigen Angriff durch mehrere Jugendliche auf ein Fest in Crépol, einem kleinen südfranzösischen Dorf. Eine Gruppe von Tätern aus dem gut 17 Kilometer entfernten Romans-sur-Isère versuchte dort in den Festsaal einzudringen und zwar, wie neun Zeugen aussagen, mit dem Schlachtruf „on va planter du blanc“ – wir wollen Weiße abstechen. Das taten sie auch; sie töteten den 16-jährigen Thomas P. und verletzten ein dutzend Jugendliche. Den Ermittlungen zufolge handelt es sich bei den Verdächtigen überwiegend um Jugendliche mit arabischem Hintergrund, sie kamen als Gruppe, mehrere von ihnen brachten Messer mit einer Klingenlänge von 20 bis 25 Zentimetern mit. Und sie trafen weit nach Mitternacht in dem kleinen Dorf ein, als das Fest schon zu Ende ging – was nicht dafür spricht, dass sie einfach nur mitfeiern wollten.

Der französische Sender TF1 kreierte für diesen Überfall die Schlagzeile „Schlägerei im Département Drôme“. Patrick Cohen, Moderator bei Franceinfo, meinte, die Jugendlichen mit den Messern hätten sich nur „amüsieren und Mädchen anmachen wollen“ („Ils ne sont pas du village, ils sont venus pour s’amuser, pour draguer des filles“). Den mehrfach bezeugten Ruf, man wolle „Weiße abstechen“, erwähnte er genauso wenig wie die mitgeführten Waffen. Bei ihm klang die Geschichte so, als hätten die Dorfjugendlichen die Besucher irgendwie beim Amüsement gestört. Als nach der Tat eine Empörungswelle durch Frankreich lief, zumal es in den vergangenen Jahren hunderte ähnliche Fälle von Mord, Totschlag und Vergewaltigungen gegen blancs gab, fanden die Medienvertreter, die Crépol erst einmal als Dorfschlägerei unter faits divers verbuchen wollten, ihr eigentliches Thema: die Instrumentalisierung durch Rechte beziehungsweise Rechtsextreme.

Diese Übung lief auch schon routiniert ab, nachdem der 18-jährige Oumar N. aus Senegal eine 29-jährige Frau im August in Cherbourg in ihrer Wohnung überfiel und unter anderem mit einem 75 Zentimeter langen Holzstock auf eine derart barbarische Weise vergewaltigte, dass das medizinische Personal, das die Überlebende versorgte, psychologische Betreuung brauchte.

In den Refrain „Rechtsextreme“ fielen deutsche Medien nach Crépol reihenweise ein, nachdem sie die erste Meldung erst einmal ignorierten. Bei der Tagesschau gibt es zwar in der Überschrift nicht den kleinsten Hinweis auf die Verantwortlichen für den Angriff. Dafür aber den Hashtag „#Rechtsextremismus“, um der vornehmsten journalistischen Aufgabe zu genügen, der Einordnung.

Bei der Zeit hieß es: „In Frankreich wird ein 16-Jähriger erstochen, daraufhin marschieren Rechtsextreme auf, um ihn zu rächen. Radikale werden aggressiver, die
Politik wirkt hilflos.“ Im Text stellt der Autor die Frage: „Wie viele radikale Worte verträgt eine Gesellschaft, wie viel Gewalt?“, so, als ginge es darum, in einem Experiment den Grenzwert herauszufinden.

Abgesehen davon, dass niemand den Tod von Thomas P. rächte – die Tatsache, dass es in Crépol und anderswo friedliche Kundgebungen gegen die Gewalttat gab, kam weder bei dem Wohlgesinntenblatt aus Hamburg noch bei der Hauptnachrichtensendung der ARD vor. Wer nach einer Steigerung sucht, schaut instinktiv bei der Süddeutschen nach, die auch dieses Mal nicht enttäuscht. Das Blatt stellt den Überfall auf das Dorffest mit einem Toten und 12 Verletzten einem Fall gegenüber, in dem ein Rentner einen Franzosen mit algerischen Wurzeln im Streit mit einem Messer am Hals verletzt hatte. Das liest sich dann schon in der Dachzeile so: „Eine tödliche Messerstecherei auf einem Dorffest und eine rassistische Tat: In Frankreich instrumentalisieren die politischen Extreme zwei tragische Fälle aus der Provinz, je nach eigenem Kalkül.“

Screenprint: Süddeutsche Zeitung vom 23. November 2023

Und weiter: „Das kleine Crépol, ein Dorf im Département Drôme mit etwa fünfhundert Einwohnern, steht plötzlich mitten in Frankreich. Wegen einer Messerstecherei, einer Tragödie auf seinem Dorffest. Wegen des Todes von Thomas, einem 16-jährigen Jungen. Und wegen der nationalen Politik, die nicht einmal das Taktgefühl hat, die Erkenntnisse der Ermittler abzuwarten. Crépol hat jetzt seinen eigenen Hashtag in den sozialen Medien. Unter #Crépol wird gerade sehr viel verhandelt, was mit Crépol vielleicht gar nichts zu tun hat.“

Hier also eine „Messerstecherei“ ohne jede Konnotation, dort ganz eindeutig eine „rassistische Tat“, denn bei dem Täter handelte es sich schließlich um einen weißen Franzosen. Das Wort „Messerstecherei“, das gleich zweimal im Text erscheint, was jedes Versehen ausschließt, suggeriert, in Crépol hätten beide Seiten mit Messern hantiert. Niemand, weder Ermittler noch sonst jemand behauptet, die Jugendlichen im Dorf hätten Stichwaffen dabeigehabt. Den Toten und die Verletzten gab es ausschließlich auf ihrer Seite. Die Umschreibung eines bandenmäßigen Angriffs mit rassistischem Hintergrund auf Unbewaffnete als „Messerstecherei“ stellt eine so plumpe, böswillige Lüge dar, wie sie sonst nur in autoritären Systemen vorkommt. Oder in Gesellschaften, die aus Mangel an eigenen Bindekräften zerfallen, weshalb sie zur Zerstörung zentraler Kategorien keinen Diktator und kein Zentralkomitee brauchen.

Eine ganz ähnliche Umdichtung der Wirklichkeit nahmen Tagesschau, Bayerischer Rundfunk und Deutschlandfunk vor, als sie den Austausch von Häftlingen aus israelischen Gefängnissen – darunter Messerstecher – gegen die Geiseln der Hamas beharrlich „Geiselaustausch“ nannten, so als würde es sich bei verurteilten Straftätern ebenfalls um Geiseln handeln. Hier geht es wie bei dem Terminus „Messerstecherei“ nicht um eine zwar waghalsige, aber immer noch mögliche Interpretation von Ereignissen, sondern um den Versuch, mit Sprachmanipulation eine parallele Wirklichkeit zu errichten. In dieser Medienwelt existieren grundsätzlich keine Grenzen. Das unterscheidet sie von der Realität.

Die Autorin Emilia Roig, so häufig in ARD und Deutschlandfunk als Kronzeugin gegen weiße Unterdrückung zu Gast, dass man sie ruhig als Mitarbeiterin bezeichnen kann, ließ kürzlich auf ihrem Instagram-Profil eine andere Aktivistin die Erzählung verbreiten, Israel habe nur deshalb für einige Tage einen Waffenstillstand mit der Hamas vereinbart, um den eigenen Händlern beim Black Friday bessere Geschäfte zu verschaffen.

Bisher schadete das Roig bei den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht, die vermutlich wegen akuter Erschöpfung nach ihrer Recherche in Hubert Aiwangers alter Schultasche nicht mehr die Kraft besitzen, um sich mit Antisemitismus der Klassikversion in ihrer unmittelbaren Nähe zu befassen. Auch hier käme keine Parodie mehr hinterher, egal, ob feinsinnig, grob oder brillant.

Neben ihrer Tätigkeit als Konstrukteure einer ganz bestimmten Wirklichkeit, in der Juden und Israel sämtliche denkbaren und eigentlich auch alle unvorstellbaren Bösartigkeiten zugetraut werden, Weiße grundsätzlich als Unterdrücker und Täter auftreten, Nichtweiße immer als Opfer, alles Linke auf der Seite des Lichts und alles rechts davon auf der dunklen Seite der Macht steht, neben dieser Arbeit also, bei der sie selbst die bizarrsten Verrenkungen nicht scheuen, betätigen sich Journalisten im Mutationsstadium auch als Ratgeber der Politik und Aufseher über abweichende Journalistenkollegen und generell über verdächtige Bürger.

Vor kurzem fand vor dem US-Kongress eine Anhörung statt, in der es um Hochschulpolitik ging, genauer, um die antiwestlichen Hassgesänge an den Eliteuniversitäten, wo aufklärungsfeindliche Glaubenssysteme wie „Postkolonialismus“ und „Kritische Rassentheorie“ den Status wissenschaftlicher Fächer genießen. Unter anderem kam es auch zur Befragung der Präsidentinnen von Harvard, der Pennsylvania University und des Massachusetts Institute of Technology durch die republikanische Kongressabgeordnete Elise Stefanik.

Sie wollte von den drei Präsidentinnen jeweils wissen, ob der Aufruf zum Genozid an Juden auf ihrem Campus als Belästigung („harassment“) und Verstoß gegen die universitätseigenen Verhaltensregeln (Code of Conduct) gewertet würde. Trotz mehrfacher Nachfrage antwortete keine der Präsidentinnen mit Ja. Sondern: Es könne harassment sein (müsse es aber nicht), es sei „kontextabhängig“ und eine eventuelle Bestrafung deswegen eine „individuelle Entscheidung“. In welchem Kontext sie den Aufruf zum Genozid noch akzeptabel finden und wo die Belästigung anderer Studenten in diesem Fall genau beginne, ließen sie offen, verdeutlichten aber, hier gebe es einen nicht unerheblichen Spielraum.

In den USA löste das Verhalten der Präsidentinnen eine heftige öffentliche Diskussion über den geistigen Zustand an den Universitäten aus, zumal nahezu jeder weiß, wegen welcher lächerlichen Vorwürfe Universitätsleitungen Studenten und Professoren in der jüngeren Vergangenheit maßregelten oder gleich hinauswarfen. Schon eine Mikroaggression wie die Ansprache mit einem falschen Pronomen reichte dafür aus. Oder die Präsentation einer persischen Miniatur mit einem Abbild Mohameds in einem Kunstgeschichtsseminar. Obwohl die Professorin Erika López Prater im Januar 2023 an der Hamline University in St. Paul, Minnesota die Studenten vorher ausdrücklich darauf aufmerksam machte und empfahl, falls muslimische Studenten daran Anstoß nehmen sollten, der Vorlesung fernzubleiben und obwohl vorher niemand von ihnen Bedenken anmeldete, verlor López Prater ihren Posten wegen „Islamophobie“. Die Berufung auf akademische und allgemeine Redefreiheit nützte ihr nicht das Geringste. Universitätspräsidentin Fayneese Miller erklärte damals, hier hätte religiöse Empfindlichkeit von Studenten „die akademische Freiheit verdrängen müssen“ („should have superseded academic freedom“).

Dass drei Mitverantwortliche an diesem akademischen Klima gleichzeitig zu verstehen gaben, der Aufruf zum Judenmord an ihren Einrichtungen könnte unter bestimmten Umständen schon ganz in Ordnung sein, führte nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Deutschland zu Kritik. Und darin, in dieser Kritik entdeckten die Redakteure der Zeit Mark Schieritz und der FAZ Patrick Bahners das moralische Problem, ja, sogar einen Skandal. Wer in den Antworten der Professorinnen etwas Anstößiges sehe, meinte Schieritz, der sei „in die Falle der ultrarechten Kongressabgeordneten Stefanik getappt“.

Die Frage kam also von rechts, folglich gibt es an den Antworten der drei nichts auszusetzen. Überhaupt gehört das Indiefalletappen der anderen zum festen Begriffsarsenal des mutierten Journalismus. In die Falle tappt Israel, wenn es nach einem Angriff auf seine Zivilisten zurückschlägt. In die Falle tappen Bürger, wenn sie nach einem Überfall wie den in Crépol oder ähnlichen Gewalttaten auf die Straße gehen. In eine Falle der Populisten treten sie selbstredend auch, wenn sie etwas gegen den immer weiteren Import von Leuten nach Europa einwenden, die den Westen verachten und gleichzeitig von ihm eine umfassende Alimentierung verlangen. Journalisten der hier besprochenen Art beglückwünschen sich ständig für ihre Gewitztheit, diese Fallen zu umlaufen. Ihr gesamter Beruf besteht mehr oder weniger in dieser Kunst.

Bahners von der FAZ, ein Fallenvermeider von hohen Graden, versuchte sich an einem langen und gewundenen Beweis, warum die Universitätsvertreterinnen schon aus rein formalen Gründen nicht anders hätten antworten dürfen, können oder sollen.

Nach der Anhörung und der flammenden Verteidigung der Universitätsleiterinnen begab sich allerdings Folgendes: Harvard-Präsidentin Claudine Gay veröffentlichte eine Stellungnahme, in der sie das nachholte, was sie vor dem Kongress verweigerte, nämlich eine klare Erklärung, dass der Aufruf zu Genozid nicht akzeptabel sei. Immerhin. Von Liz Magill, der Präsidentin der University of Pennsylvania, gab es sogar ein längeres Videostatement, in dem sie selbstkritisch meinte, sie hätte sich bei der Anhörung zu sehr auf formale Fragen konzentriert, das sei falsch gewesen. Ein Aufruf zu Genozid an Juden sei selbstverständlich ein Verstoß gegen die inneruniversitären Verhaltensmaßregeln.

Bei ihrem Vortrag sah sie etwas angegriffen aus. Dafür kommen mehrere Gründe in Frage. Zum einen möglicherweise eine Gewissenbefragung. Zum anderen eine materielle Angelegenheit, nämlich der Verlust von Spendengeldern für die Universität in dreistelliger Millionenhöhe. Die sehr oft linksliberalen Mäzene lasen sich ansonsten viel gefallen und tolerierten bisher auch fast jeden Rassenlehrezirkus.
Aber bei der ambivalenten Reaktion auf die Frage ‚Genozid an Juden – warum nicht?‘ sahen sie möglicherweise eine harte Grenze erreicht und überschritten.

Jedenfalls befanden sich die Vertreter von Zeit und FAZ plötzlich in der Lage, dass selbst diejenigen, die sie im Brustton der Überzeugung verteidigten, ihrerseits eine beträchtliche Schwäche in der Sache zeigten. Beide Redakteure ruderten anders als ihre Schützlinge nicht einen Millimeter zurück. Denn auch das gehört zur Praxis des mutierten Journalismus: Er gibt niemals, niemals eine Position auf. Im Gegenteil, Bahners spürte noch einen anderen Zeit-Redakteur auf, an dem er Anhaftungen von Israelfreundlichkeit entdeckte und maßregelte ihn öffentlich.

Wie die Zeitung mit Redakteuren wie Bahners umgeht, ist ihre Sache. Es dürfte allerdings den einen oder anderen Leser geben, dem es ähnlich geht wie manchen Universitätsgroßspendern in den USA. Irgendwann kann und will der Kopf dahinter, dem das Blatt früher einmal unvorsichtigerweise Klugheit bescheinigte, beim besten Willen nicht mehr länger dabeibleiben.

Bei Bahners handelt es sich um keinen FAZ-Einzelfall. Bekanntlich versucht die EU gerade, eine anlass- und grenzenlose Kommunikationskontrolle durchzusetzen. Die Begründung lautet, das sei unumgänglich, um Kinderpornografie zu bekämpfen. (Parallel strebt die demokratisch nicht legitimierte Kommission per Vermögensregister eine Besitzkontrolle für Bürger an; hier lautet die Begründung: Bekämpfung von Korruption und Schwarzgeld. Vermutlich kümmert sich die immerhin aus der U-Haft entlassene Eva Kaili demnächst federführend unter Aufsicht von Ursula von der Leyen um das Projekt). Gegen den Plan der Chatkontrolle erhebt sich ein Widerstand bis hin ins gemäßigt linke Lager. Eine solche Maßnahme, wie sie ansatzweise in China existiert – mit ein paar Schlupflöchern, wie Landeskenner versichern – eine solche Maßnahme geht in Europa einer relativ großen Koalition bisher jedenfalls etwas zu weit.

Nicht aber für Daniel Deckers von der FAZ. Er befürwortet die Kommunikationsüberwachung nicht nur rundum und wiederholt dafür exakt das gleiche Argument, das auch die EU für die Freiheitsbeschneidung nutzt. Er bezeichnet im gleichen Atemzug auch alle, die von Bürgerrechts- und Datenschutz reden, pauschal als Lobbyisten von Kinderschändern.

So weit geht noch nicht einmal die EU selbst. Auch daran lässt sich ein mutierter Journalist zweifelsfrei erkennen: Er eilt immer den entscheidenden Schritt voraus. Er oder sie denkt sich Beschuldigungen gegen Israel aus, auf die der Normalantisemit nie kommen würde. Er bemäntelt und verharmlost den antiwestlichen Hass in Frankreich oder anderswo mit größerem Eifer als jeder linke Politiker. Er übertrifft kaltschnäuzige Universitätspräsidentinnen in ihrer Bigotterie. Er bleibt selbst dann standhaft, wenn diese unter Druck schon zurückrudern. Er wirft sich für jeden illiberalen Plan in die Bresche und er zögert kein bisschen, selbst sachdienliche Hinweise zu liefern. Beispielsweise, wie die Privatvermögen der Bürger für die große Transformation geplündert werden könnten.

Ein zwischen Bild, Spiegel und RTL wandelnder Medienschaffender, der vor nicht allzu langer Zeit eine staatliche Impfpflicht forderte („was denn sonst“), gibt in der aktuellen Debatte um die fehlenden Milliarden der Regierungskoalition den Tipp, doch mal auf den Konten von Rentnern nachzusehen, die noch oberhalb der Armutsschwelle leben.

Sollte demnächst ein Sozialkreditsystem nach chinesischem Vorbild in der EU Einzug halten, wäre er, untergehakt mit gleichgesinnten Kollegen aus Deutschland und anderen westlichen Staaten einer der ersten, die in vorderster Front für die gesellschaftsverbessernde Sache stürmen würde. Möge die ganze Republik mit dem Finger auf Leute zeigen, die sich vor der Punktebewertung drücken. Das Spezifikum dieser Personen ist nicht das klassisch Linke, sondern das Illiberale (wobei es natürlich große Schnittmengen gibt).

Zu den typischen Eigenschaften gehört bei den Journalisten des neuen Typs außerdem eine bis ins Pathologische reichende verzerrte Selbstwahrnehmung. Die Dunkelmänner- und Frauen der mutierten Medien glauben ernsthaft, sie würden durch ihre Produkte die Demokratie retten. Zumindest erzählen sie das unentwegt, belobigen sich wechselseitig dafür und hängen einander in der Manier nordkoreanischer Generäle die entsprechenden Preise um. Sie – nicht die nordkoreanischen Generäle, sondern die Medien- und Parallelweltschaffenden – sind die schlechtesten Journalisten der Welt. Als Phalanx gegen die Bürgergesellschaft besitzen sie allerdings einen unschätzbaren Wert. Politiker und NGOs genießen das Privileg, in ihrer Deckung als zweite Reihe vorzustoßen.

Screenprint via Twitter

Kurzum, gäbe es so etwas wie eine Partei der mutierten Journalisten, ihr Verbot wäre nach den vorliegenden Indizien folgerichtig. Es handelt sich gesichert um Extremisten. Sie fühlen sich Greta Thunberg nah, den Straßenblockierern der „Letzten Generation“, den Herrenmännchen in den französischen und deutschen Randsiedlungen, denjenigen also, die aus ihrer Verachtung gegen die offene Gesellschaft gar kein Geheimnis machen. Sie verstehen die Antisemiten der Welt, sie stehen auch solidarisch zu den Freiheitsverächtern in Brüssel und in anderen Glaspalästen. Ihre Arbeit sehen sie und ihre Alliierten als Kampfeinsatz für den Abriss der bisherigen Gesellschaft. Ganz nebenbei und nur hypothetisch, sollte es einen Pendelschwung nach autoritär rechts geben, wären die meisten von ihnen auch wieder verlässlich an der tete. Ein Bedarf an diesem Personal besteht immer, von souveränen Bürgergesellschaften einmal abgesehen.

Deshalb kann die Reaktion der Mäzene in den USA gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hundert Millionen Dollar Abzug für die Weigerung, sich klar und deutlich gegen Antisemitismus auf dem Campus zu stellen – das bleibt nicht ohne Wirkung. Damit lässt sich oft auch im Kleinen mehr erreichen als mit dem langen und umständlichen Weg, andere politische Mehrheiten zu erzeugen. Wobei auch das zu den Mitteln der Wahl gehört. Ganz allmählich, das sagen jedenfalls die Auflagenzahlen, achten immer mehr Bürger darauf, den Konglomeraten, in denen ein Blome, ein Deckers und andere Medienschaffende, keinen Cent mehr zukommen zu lassen und in dieser Hinsicht auch Mitbürgern einen freundschaftlichen Rat zu geben, die das aus irgendwelchen Gründen noch tun. Das verwandelt einen mutierten natürlich nicht in einen herkömmlichen Journalisten zurück. Aber es entzieht ihnen den Boden, Stück für Stück. Die mutierten Journalisten machen Satiriker arbeitslos. Wenn sie, die Journalisten, ihnen dahin folgen, wäre das genau die ausgleichende Gerechtigkeit, die früher oder später meist doch unerwartet um die Ecke kommt.

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Kommentare ( 86 )

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Theophil
11 Monate her

Es gibt auch im Bundestag Volksvertreter, die Satiriker arbeitslos machen. Meine Favoritin in dieser Hinsicht ist der Ganserer (die Gans?). Sich zwei Wochen, nachdem der SED-Pumuckel über die „Würde des hohen Hauses“ schwadroniert hat, in Unterwäsche in den Bundestag zu setzen, ist Delegitimierung des Staates vom Feinsten, und nicht angreifbar, weil sonst „transfeindlich“. Er ist halt Landsmann von Karl Valentin und Landsfrau von Liesl Karlstadt in Personalunion. Unvergessen, dass er/sei/es als einziges vom Grünzeug gegen den Impfzwang gestimmt hat. Also: meine Erststimme hätte er (die Zweitstimme geht wo anders hin).

andreashofer
11 Monate her

Vielen Dank Herr Wendt!
Einzig
„Hundert Millionen Dollar Abzug für die Weigerung, sich klar und deutlich gegen Antisemitismus auf dem Campus zu stellen – das bleibt nicht ohne Wirkung. Damit lässt sich oft auch im Kleinen mehr erreichen als mit dem langen und umständlichen Weg, andere politische Mehrheiten zu erzeugen.“
hat mich etwas schmunzeln lassen wg. „auch im Kleinen“.
Aber so ist das in einer Zeit, wo eine EU Kommision freimütig zugibt, sie wüsste eigentlich nicht so richtig, was mit 700 Milliarden an Corona-Hilfen geschehen ist.

waltwide
11 Monate her

Ja, es ist halt einfacher die Leute zu betrügen, als sie zu überzeugen daß sie betrogen worden sind. Mit einer langläufigen Reduktion an Gemeinbildung in der generellen Bevölkerung muß man noch nicht mal mehr ein befähigter Schreiberling sein um dies erfolgreich zu bewerkstelligen da ein anerkanntes Studium an entsprechender Hochschule vollends genügen um Texte und Meldungen ohne tiefere Recherche und weitere Beweislast verfassen zu können welche vom Leser der Masse so gut wie nicht angezweifelt werden. Schließlich ist es ja veröffentlicht worden, also geht man davon aus daß es der Wahrheit entspricht. – Das ist wahrscheinlich sehr einfach auf den… Mehr

Ertel
11 Monate her

Finde den Artikel auch äußerst gut. Hat nur wenig Sinn, immer zu nörgeln, denn die Presse wird immer in dieser Form weiter subversiv arbeiten. Eine geschlossene Aktion aller Leser gegen den deutschen Presserat, wäre hier viel sinnvoller. Wer Spiegel, Stern und Focus kauft muß sich vergegenwärtigen, welche Medien er hier weiter unterstüzt. Nicht“ kampf den Palästen, kampf den Redaktionen“ ist angesagt.

Kassandra
11 Monate her
Antworten an  Ertel

„Der Deutsche Presserat ist die Freiwillige Selbstkontrolle der Print- und Onlinemedien in Deutschland. Er tritt für die Einhaltung ethischer Standards und Verantwortung im Journalismus ein sowie für die Wahrung des Ansehens der Presse. Als Selbstkontrolle verteidigt der Presserat die Pressefreiheit gegen Eingriffe von außen.“ Der „Deutsche Presserat“ wie die „Deutsche Presse“ missachten den Pressekodex, den sie sich selbst gaben, beständig. Ziffer 1 dort lautet: „Die Achtung vor der Wahrheit, die Wahrung der Menschenwürde und die wahrhaftige Unterrichtung der Öffentlichkeit sind oberste Gebote der Presse. Jede in der Presse tätige Person wahrt auf dieser Grundlage das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der… Mehr

Warte nicht auf bessre zeiten
11 Monate her

Auf WO scheint gerade ein neuer Beitrag dieser Kategorie erschienen zu sein. Es geht um die Vorgänge in Chemnitz („Hetzjagden“) und den Prozeß jetzt. In dem Artikel (epd) wird suggeriert, die Vorgänge, die Gegenstand des Prozesses sind, waren Auslöser für die Ablösung Maaßens (der nicht mit Namen genannt wird). Meiner Erinnerung nach waren es jedoch Vorgänge ein paar Tage früher („Hasi, Du bleibst hier!“) auf die sich Maaßen damals mit seiner Einschätzung berief, es habe keine Hetzjagden gegeben. Der Bericht ist leider nicht sehr informativ. Mir scheint, er dient einzig dazu, die Entlassung des Verfassungsschutzchefs nachträglich zu rechtfertigen. Hier der… Mehr

Willm
11 Monate her

Vielen Dank für den Bericht.
Genauso sehe ich das auch.
Frohe Weihnachten
????

Der kleine Muck
11 Monate her

Bei Emilia Roig lässt sich gut erkennen, wie sich der innere Hass auf Alles und Jeden im Äußeren zeigt. Hässlich kommt von Hassen

Last edited 11 Monate her by Der kleine Muck
MichaelR
11 Monate her

Es nützt nichts, wenn man sich einzelne Journalisten herauspickt, denn im Grunde haben sich doch z. B. hier in Deutschland eine Menge Zeitungen/Zeitschriften von Haus aus der Manipulation der Wahrheit angeschlossen. Reißerische Artikelüberschriften verlocken potenzielle Leserschaft, eine solche Zeitung zu erwerben bzw. sich das Onlineangebot – oftmals kostenpflichtig – anzuschaffen. Selbiges gilt für diverse Fernsehsender und deren Nachrichtensendungen. Dieses Phänomen ist allerdings nicht auf Deutschland beschränkt, sondern zeigt sich wohl weltweit. Wenn hier und dort ein Journalist durch dreiste Falschaussagen öffentlich macht, interessiert es am Ende doch niemanden. Wie sonst wäre es wohl möglich gewesen, dass so manches Schundblatt der Boulevardpresse… Mehr

fatherted
11 Monate her

Am Samstag mal die „WELT-Nachrichten“ angeschaltet….die Moderatorin sprach: „Die wirklich hervorragende Rede von Lars Klingbeil auf dem SPD Parteitag. Nach dieser „hervorragenden“ Rede….bla bla….ich dacht erst ich sei beim MOMA….aber nein….auch WELT findet die Reden bei der SPD nun ganz offen „hervorragend“…was die oben genannten Gewalttaten angeht….dieser Trend wird ja nun seit 2015 ganz offen zelebriert…..wenn die Medien von „Tätern, Männern, Jugendlichen oder Gruppen“ sprechen ist ja schon alles klar. Das Geflügelte Wort von der „Familie EinMann“ die wohl viele Angehörige derzeit in Deutschland beherbergt ist ja schon in aller Munde. Was ich allerdings auch immer öfter bemerke ist die… Mehr

Danton
11 Monate her

Man muß sich ja heute mit sehr viel Vorsicht an die Texte der Journalisten heran wagen. Herrn Wendt jedoch ist von so einer intellektuellen Verstandesklarheit und unbestechlichem Realitässinn getragen, das man spührt das er sich mit nichts gemein macht. Auch nicht mit dem Leser. Diese Distanz ist von größtem Wert, und garantiert dem der die Aufmerksamkeit mit bringt, allerhöchste Erkenntnissgewinn. Man kann ihn gut und gerne den Aufklärer unserer Zeit nennen der auf die allzumenschlichen Befindlichkeiten der primitiveren Welt keine Rücksicht nimmt, nur um dem „Wahren, Guten und Schönen“ seine Referenz zu erweisen.

Last edited 11 Monate her by Danton