Die Dorfidylle ächzt – unter Heavy Metal und dem NDR-Tatort

Die ARD tat gut daran, sich mit der Vergabe einer Nebenrolle an Thomas Jensen, den Mitgründer und Mitveranstalter des Festivals, der sich selbst spielen durfte, gleich einen wichtigen Alliierten gesichert zu haben. Denn „gut weg“ kommen seine Schützlinge, die in dem Krimi kaum über den Part einer torkelnden, schwarz uniformierten Tanzbärengruppe hinauskommen, eher nicht...

Bild: NDR/Thorsten Jander

Das hat Wacken nun wirklich nicht verdient: zu den Fans des Hardrock-Festivals gesellten sich 2022 die ideologischen Spassbremsen vom öffentlich-rechtlichen NDR mit ihren Dreharbeiten. Der Sonntagskrimi aus dem Norden beginnt beschaulich, mit Hauptkommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) im Familienurlaub. Wie er scherzend mit seinen drei Enkelkindern am Seeufer fangen spielt…

Halt – so eine Eröffnungsidylle hat das Drehbuch von Agnes Pluch natürlich nicht vorgesehen. Sie hat es stattdessen gereizt „…vor dem Hintergrund des Festivals, auf dem scheinbar mit allen Normen für kurze Zeit gebrochen wird…von den Dorfbewohnern und ihrer Sehnsucht nach einer heilen Welt und dem großen Glück zu erzählen. Wie weit gehen Menschen, um sich den Wunsch nach einer perfekten Familie zu erfüllen?“ Sie habe „vor allem der Begriff der „Mutterschaft“ interessiert, der auch heute oft noch romantisiert gesehen und hochstilisiert werde und gerne der Eindruck vermittelt wird, die Erfüllung unserer Wünsche wäre nicht nur jederzeit möglich, sondern stehe uns auch zu. Doch fast immer geschehe dies auf Kosten anderer und gehe mit der Ausbeutung Dritter einher.“

Tatsächlich kann Borowski erstmal niemanden ausbeuten, da er „wild“ und mutterseelenalleine mit dem Wohnmobil an einem See kampiert, nur den Radiosender NDR1 zur Unterhaltung hat und Hasch-Mich höchstens mit den Mücken spielen kann. Da kommt ihm der Anruf von seinem Chef (Roland Schladitz gespielt von Thomas Kügel) gerade Recht, denn frischen Kaffee gibt es auch nicht, im Womo sind die Flaschen mit den fossilen Brennstoffen leer. Er eilt zurück in den Ermittlungseinsatz in die Nähe von Kiel, wo neben einem Wohnwagenstrich ein toter Säugling gefunden wurde.

Dass die Ermittler über den doch sehr konstruiert erscheinenden Kniff mit einem bei der Leiche gefundenen VIP-Armband auf das Musikfestival und damit in die 2000-Seelen-Gemeinde Wacken geführt werden, entsprang Autorin Pluch zufolge „dem Wunsch der „Tatort“-Redaktion. Offenbar sollte damit der Jubiläums-Folge (20 Jahre Axel Milberg als Klaus Borowski) ein besonders poppiger Rahmen verliehen werden. Aber auch die belehrende Komponente darf wie immer nicht zu kurz kommen. Angefangen von verstohlenen Kameraschwenks auf den nahen Windpark ?

Klimawandel und mehr Fahrradwege

Milberg selbst scheint diesen Drehort zuerst skeptisch gesehen zu haben: „Ich dachte, ich krieg‘ eins auf die Fresse oder werde als Gebührenknecht beschimpft“, so der Schauspieler lachend im Interview zur „Teleschau“. Mit der ARD teilte er dann noch ähnlich ernsthafte Überlegungen. Nach Kiel „seien in den letzten Jahrzehnten viele junge Familien gezogen, politisch wach…man sehe überhaupt mehr Leben auf den Straßen, viele ambitionierte Projekte, vegane Cafés, Velorouten, also eine modellhafte Veränderung der Stadt in ein zukunftsfähiges Miteinander des Zusammenlebens…dagegen schafften es die Behörden oft nicht, den Verkauf und damit die Verteuerung gewachsener Wohnviertel, den Abriss des Alten zu verhindern. Das Meer vor der Haustür ist zu warm geworden, zum Teil toxisch. Geomar und Klimaforscher können dramatische Zahlen nennen. Also, diese tüdelige Unschuld von früher ist passé. Wer am Meer lebt, habe eine direkte Sicht auf die Folgen des Klimawandels.“

Paarberatung bei der ARD: Was heilt die Familie?

Almila Bagriacik (spielt Borowskis Kollegin Mila Sahin) glaubt, dass der „…Tatort eine Plattform ist, um wichtige Diskussionen anzustoßen und Menschen zum Dialog über gesellschaftliche Themen anzuregen.“ Auf die Frage der ARD, ob denn die Familie und der Wunsch nach dem perfekten Glück durch die Geburt eines Kindes in unserer Gesellschaft idealisiert werde, entgegnet die Schauspielerin mit türkischen Wurzeln, es werde „sicherlich oft geglaubt, dass ein Baby die Lösung aller Probleme sei oder ein Baby das ist, was der Beziehung noch fehlt. Das finde ich sehr traurig. die Biografie von Christina (Mutter des Opfers, gespielt von Irina Potapenko) doch von Krieg und Fluchterfahrungen geprägt, was in diametralem Gegensatz zu dem Leben der Dorfbewohner und auch der Wacken Fans steht.“

Damit wäre erklärt, warum in der Eröffnungssequenz die junge ukrainische Mutter mit dem Baby auf dem Arm und gut sichtbarem goldenen Ehering durch die mit Tunnelblick in Richtung Wacken hastenden Fans irrt. Wenig später liegt sie gefesselt und geknebelt in einem Kellerverließ, und das Baby ist tot, gestorben an einem Schlag gegen den Kopf, der aber auch von einem Sturz herrühren könnte – was Borowski auf sehr hemdsärmelige Weise demonstriert, indem er Forensikerin Dr Kroll (Anja Antonowicz) und Sahin seine halbvolle Limoflasche mit den Worten „Halten Sie mal das Kind“ reicht, diese aber auf dem Boden zerschellt, weil beide nicht rechtzeitig zugreifen.

Regisseurin Ayse Polat erklärt die gesellschaftspolitschen Abgründe, in die der Tatort diesmal tauchen soll: „…das Glück des einen kann das Unglück des anderen bedeuten: Für die Befriedung der eigenen Wünsche wird in einem kapitalistischen System die Ausbeutung anderer Menschen einfach in Kauf genommen. Machtverhältnisse spielen dabei eine entscheidende Rolle. Dazu kommt ein vielleicht überhöhter Anspruch an das eigene Leben. Wann hat man genug, um glücklich sein zu können?“

Für die Morgenpost aus Hamburg „berührt der Krimi mit einer Dorfgeschichte und zahlreichen Figuren, die auf unterschiedliche Weise, jede für sich, mit Dingen hadern. Die Gemeinschaft funktioniert nicht…“ auch dieser Tatort folge „dem ausdrücklichen Wunsch Milbergs und seines Teams, in jedem Fall ein Thema aufzugreifen, das in der Gesellschaft anschließend diskutiert werden kann…und „rühre an dunklen gesellschaftlichen Fragen..“.

Und für „GMX“ wirft „Borowski und das unschuldige Kind“ einen kritischen Blick auf die Romantisierung von Kinderwunsch und Mutterliebe“

Vorurteile gibt es vor allem beim NDR und seinen Krimimachern

Die ARD tat gut daran, sich mit der Vergabe einer Nebenrolle an Thomas Jensen, den Mitgründer und Mitveranstalter des Festivals, der sich selbst spielen durfte, gleich einen wichtigen Alliierten gesichert zu haben. Denn „gut weg“ kommen seine Schützlinge, die in dem Krimi kaum über den Part einer torkelnden, schwarz uniformierten Tanzbärengruppe hinauskommen, eher nicht.

Wenig besser geht es der Wackener Dorfbevölkerung, angefangen bei Dorfpolizistin Waltraute Jensen (Regine Hentschel), die in ihrer lässigen Uniformkombination aus zu weiter Einsatzweste und schwarzer Krawatte eher amüsant als respektabel aussieht, über die alte Dame mit Rollator (Erinnerungen an Frau Ziegler in „Mord mit Aussicht werden kurz wach), die alle Heavy-Metal-Fans für Satanisten hält, zum zwielichtigen Betreiber von „Kurt’s Metal-Bar“ (Kurt Stindt, gespielt von Andreas Döhler) und seiner augenscheinlich hochschwangeren Frau Sarah (Anja Schneider) die den Hofladen betreibt.

Das ist alles nur geklaut

Kurz gesagt: Der Hofladen ist kein Hofladen, weil seine Produkte von der Leberwurst bis zu den Eiern alle aus dem Supermarkt kommen. Die Metal-Bar ist die nur zur kurzfristigen Gewinnmaximierung umdekorierte Dorfgaststätte und auch der Babybauch ist nur eine umgeschnallte Gummiwölbung. Und Kurts angeblicher Siegerpokal vom „Kieler Wintermarathon“, um den ihn die umworbene Sarah als Verlobungsgabe gebeten hatte, war auch eine Fälschung. Tatsächlich hatten die Stindts sich von Christina ein in Polen zur Welt gebrachtes Baby gekauft, das sie auch nach Wacken geliefert hat. Die Übergabe ging schief, das bereits mit einem gesundheitlichen Schaden geborene Kind verstarb nach einem Sturz, der durch die Kurzschlussreaktion von Vater Stindt ausgelöst wurde, als er erkennt, dass das Baby krank zur Welt kam. Anschließend nimmt er die Leihmutter gefangen, lässt sie aber gegen Schweigegeld schließlich laufen. Wieder einmal übernimmt Andreas Döhler bravourös die Rolle des völlig überforderten Unsympathen, dem ständig das Schuldbewusstsein aus jeder Pore springt. Als er seiner Frau den völlig fehl gegangenen Kindeshandel gestehen muss, erschlägt sie ihn im Affekt mit einem Hammer.

Ohne auf die pauschalen sonstigen Darstellungen weiter einzugehen – wenn es um Vorurteile geht, sollte der NDR schnell vor der eigenen Haustüre kehren gehen: Denn der Tatort verortet ohne einen Funken des Zweifels sämtliche körperliche Käuflichkeit, sei es auf den Kontaktbörsen auf Lenny Jensens (Nicolas Dinkel) Computer, auf dem Straßenstrich oder in Form der Leihmutterschaft samt und sonders in Ost-Europa. In diesem Bereich geht es heutzutage wesentlich internationaler zu.

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Kommentare ( 4 )

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TinaTobel
11 Monate her

Danke für die gesammelten Zitate, die deutlich aufzeigen, welche Ideologien das Drehbuch bestimmt haben. Einmal mehr hat sich gezeigt: Verfilmte Ideologie ist keine Kunst, sondern – im besten Fall – einfach nur langweilig.

voll wach
11 Monate her

Der Typ am linken Bildrand ist nicht etwa unser Rooooobärt Wir-rocken-das- Land-in-Grund-und-Boden“ in einer Nebenrolle?

Andreas Stueve
11 Monate her

Danke für den Hinweis. Ich habe diesen Tatort aufgenommen und soeben unbetrachtet gelöscht. Wie immer, wenn Windrad-, Öko – und Migrantenpropaganda zu erwarten ist. Den Milberg werde ich mir NIE wieder antun. Türkische KommissarInnen*, moslemische Ermittler und schwarze Bestmenschen tu ich mir nicht an. Und wenn, wie schon geschehen, mehr oder minder verdeckte Antifawerbung erscheint, ist endgültig Fofftein. Gern kann der NDR und seine sozialistischen Mitsendegenossen WDR, BR, MDR u.a. Lastenfahrrad fahren, jeden Tag. Aber mich mit diesem Kram in Ruhe lassen. Die lernen nichts. Die tagtägliche Belästigung mit sozialistischen Hohlworten geht wie in der DDR nach hinten los. Selbst… Mehr

haqus b.
11 Monate her

Dann doch lieber entspannt Kitchen Impossible oder noch besser ein gutes Buch von längst verblichenen Schriftstellern.