Extra-Angebot für Ukrainer: Mit dem Taxi zur Tafel

Immer mehr Menschen in Deutschland beziehen Spenden von der Tafel. In Lübeck hat die „Junge Tafel“ daher eine neue Ausgabestelle eröffnet – nur für Ukrainer. Die Nachfrage steigt, aber der Tafel ist das Thema peinlich.

IMAGO / Michael Gstettenbauer

Gekleidet in Markenklamotten von Nike, Puma oder Adidas, tümmeln sich viele Menschen vor der Alten Wäscherei in Lübeck, einer Ausgabestelle der „Lübecker Tafel“: Da stehen Senioren, Kinder, Frauen mit Kinderwagen, Jugendliche, Paare und Alleinstehende sowie Familien, alles ist dabei. Jedoch spricht kaum einer Deutsch. Nicht einmal Englisch – wenn, dann nur sehr brüchig. Stattdessen wird man auf Ukrainisch angesprochen.

Der Grund: Die allermeisten Bezieher an diesem Tag sind Geflüchtete aus der Ukraine. Manche von ihnen warten in ihren Autos von Marken wie Volkswagen, Citroën und Hyundai mit Kennzeichen aus Deutschland, aus Polen oder aus der Ukraine. Andere kommen auf Fahrrädern oder steigen aus Bussen und stellen sich dann vor dem Eingang der Alten Wäscherei, mit einer Kette abgesperrt, in eine Reihe. Viele kennen sich: Sie begrüßen sich herzlich, unterhalten sich, die Kinder spielen gemeinsam mit Spielautos und Puppen oder nutzen das Geländer des Gebäudes als Reckstange. Sie alle warten mit ihren bunten Einkaufstrolleys im kalten Nieselregen – oder in ihren Autos –, bis sich gegen 15 Uhr die Türen der Alten Wäscherei öffnen: Die Ausgabezeit der „Jungen Tafel Lübeck“ beginnt.

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Die „Junge Tafel Lübeck“ ist ein Teil der „Tafeljugend Deutschland“, die sich gegründet hat, um den Nachwuchs der ehrenamtlichen Helfer unter 35 Jahren zu vernetzen. Ihr Ziel ist aber dasselbe wie das aller 960 Tafeln in Deutschland: „Lebensmittel retten und armutsbetroffenen Menschen helfen“. Im Gespräch mit Alex, dem Leiter der Ausgabestelle der „Jungen Tafel Lübeck“, wird jedoch ein weiterer Grund für ihr Handeln deutlich: „Die Zahl der Bezieher hat sich in den letzten Jahren verdoppelt“ – insbesondere durch die Geflüchteten aus der Ukraine. Deswegen hat die „Junge Tafel Lübeck“ im April eine neue Ausgabe gegründet, die die Ausgaben der „Lübecker Tafel“ ergänzt und entlastet: Zuvor hat die eigentliche Tafel nur dienstags bis freitags Essen an Bedürftige ausgegeben, die „Junge Tafel“ bietet laut Alex nun montags eine weitere Ausgabe nur für in Lübeck wohnende Ukrainer an.

Die „Lübecker Tafel“ wollte auf Anfrage von TE keine konkreten Zahlen zu der steigenden Nachfrage herausgeben. Folgt man jedoch den Erzählungen von Alex und Linda von der „Jungen Tafel Lübeck“, dann steigen die Zahlen der ukrainischen Bezieher momentan nicht mehr an: Sie vermuten, dass immer mehr Ukrainer Jobs in Lübeck finden und deswegen nicht mehr auf die Tafel angewiesen sind. Dafür steigen die Zahlen einer anderen Gruppe: Linda meint, es würden immer mehr Deutsche zur Tafel kommen und Spenden beziehen. Dabei seien von Mitte Zwanzig bis ins Rentneralter alle Altersgruppen vertreten.

Ähnlich wie die ukrainischen Bezieher an Montagen: Nacheinander gehen immer mehr Ukrainer mit leeren Tüten und Trolleys in die Alte Wäscherei und kommen mit vollen Tüten und Trolleys wieder heraus, gefüllt mit Äpfeln, Süßkartoffeln, Toast, Brot, Milch, Keksen, Senf und vielem mehr. Auffällig: Manche kommen mit kleinen Tüten aus dem Gebäude, andere mit mehreren, ersichtlich schweren Tüten. Sie müssen teilweise unter die Tüte greifen. Ein Paar mit zwei solcher schweren Tüten nimmt sich noch mehr Essen: Vor dem Gebäude hat das Team der „Jungen Tafel“ drei Kisten mit „überschüssigen“ Bananen und Salaten hingestellt, bei denen sich die Bezieher zusätzlich bedienen dürfen.

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Diese Produkte können nicht mehr für die Ausgabetage danach aufgehoben werden, erzählt Linda aus dem Team der Tafel gegenüber TE. Und wegschmeißen möchte die Tafel nichts. Das Paar mit den beiden schweren Tüten voller Essen nimmt sich aus diesen Kisten rund zwanzig Bananen – zusätzlich zu denen, die sie bereits in ihren Tüten haben. Einige Bezieher, die nach dem Paar aus der Alten Wäscherei kommen, begutachten die Bananen, nehmen sich aber keine, weil die zu viele braune Stellen haben.

Die „guten“ Bananen aus der Kiste sind schnell weg: Unfair, könnte man denken. Aber nein: Eine Ukrainerin mit Deutschkenntnissen erklärt, dass die Bezieher in unterschiedliche Gruppen eingeteilt sind. Sie beispielweise sei in Gruppe „weiß“. Somit bekomme sie an diesem Tag als letztes ihre Essensspende, die Woche darauf dürfe sie als Teil dieser Gruppe wiederum als Erste ihre Spende abholen und sich entsprechend auch als Erste bei den Kisten vor dem Gebäude bedienen.

Allerdings interessieren sich nicht alle Bezieher für die Kisten vor dem Eingang: Viele gehen einfach daran vorbei. Vor allem die, die ohnehin nur mit kleinen Tüten mit wenig Essen aus dem Gebäude kommen. Eigentlich bekommen laut Linda aber alle Bezieher die gleiche Menge an Essen. Die ehrenamtlichen Helfer der Tafel sortieren sämtliche Spenden, die sie von Unternehmen oder Einzelpersonen bekommen und packen daraus dann rund 150 Kisten mit ähnlichen Produkten. Eine solche Kiste reicht laut Linda für Haushalte von ein oder zwei Menschen für ungefähr eine Woche. Leben mehr als fünf Menschen in einem Haushalt, dann können diese zwei Kisten „kaufen“: Für jede Kiste zahlen die Bezieher einen symbolischen Wert von einem Euro.

So eine Kiste ist dann mit frischem Obst wie Äpfeln und Bananen gefüllt, mit frischem Gemüse wie Kohlrabi und Salat, Milch und Joghurt sowie Brot und Toast, teilweise sogar noch mit Kräutern, Marmelade und Keksen. Allerdings kommt es jede Woche darauf an, was die Tafel für Spenden erhalten hat. Die Kisten sind entsprechend jede Woche ein bisschen anders. Manchmal gibt es eben keine Milch oder keine Marmelade. In manchen Wochen seien die Kisten wiederum so voll, dass die Bezieher einiges zurücklassen, weil sie gar nicht so viel verbrauchen können, erzählt Linda. Das bewirke dann, dass die Bezieher mit unterschiedlich vollen Taschen nach Hause gehen. Oder halt nicht gehen: Ein mittelalter Ukrainer steigt in ein Taxi, nachdem er seine Wochenkiste bei der Tafel abgeholt hat.

Um Spenden von der „Lübecker Tafel“ zu erhalten, müsse man mit einem amtlichen Dokument beweisen, dass man Mittel vom Staat beziehe, erzählen Alex und Linda. In Lübeck verteilt die Tafel vor allem an Empfänger von Arbeitslosengeld II, Grundversorgungsleistungen oder Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz ihre Essensspenden. Ukrainische Flüchtlinge können laut Bundesregierung Asyl, Sozialhilfe oder Bürgergeld beantragen. Darum erfüllen so viele Ukrainer die „Voraussetzungen“ dafür, sich bei der Tafel anzumelden, um Spenden zu beziehen.

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Diese Anmeldungen führen die ehrenamtlichen Helfer der „Jungen Tafel Lübeck“ direkt vor Ort aus. Aber das ist nur eine Aufgabe von vielen: Jeden Montag von 11 bis 16 Uhr sortieren, packen und verteilen sie die Spenden, räumen auf und lagern die verbleibenden Lebensmittel im Kühlraum ein, damit sie an den anderen Wochentagen ausgegeben werden können. Die Lebensmittel, die nicht mehr gegessen werden können – beispielsweise Tomaten mit braunen Stellen – kommen in die „Bauernkiste“. Die fährt die Tafel zu Bauernhöfen, auf denen die Tiere damit gefüttert werden. Nur wenn die Lebensmittel „wirklich zu laufen beginnen“, kommen sie laut Linda in die „grüne Tonne“ und werden entsorgt. Die helfenden Hände der Tafel sortieren die Spenden also nicht nur nach Art, sondern auch nach Qualität.

Die Ehrenamtlichen wirken froh darüber, von ihrem Schaffen und ihrer Entwicklung zu erzählen. Sie scheinen stolz auf ihre Arbeit zu sein. Anders ist das mit den offiziellen Stellen der Tafel: Entweder sie „stellen keine internen Zahlen zur Verfügung“ wie die „Lübecker Tafel“ oder sie ignorieren die Anfrage von TE komplett, so wie der Bundesverband der Tafel. Während in Lübeck laut Alex und Linda mehr als ausreichend Spenden vorhanden sind, sodass auch die steigende Nachfrage kein großes Problem darstellt, könnte es in anderen Städten und Bundesländern anders aussehen, in solchen, in denen die Bürger weniger Einkommen haben und womöglich weniger spenden, gleichzeitig aber mehr Migranten leben.

So beispielsweise in einer der einkommensschwächsten Städte Deutschlands: Duisburg, wo die Ausländer laut dem Integrationsmonitoring Nordrhein-Westfalen im Jahr 2021 rund 22 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Das sind knapp zehn Prozent mehr als der Anteil von Ausländern in Lübeck. Laut der Internetseite der „Duisburger Tafel“ leben mehr als 30.000 Duisburger in Armut. Bei dieser Tafel besteht seit dem 1. Oktober ein „Neuaufnahmestopp“, steht auf der Internetseite. Erst ab Januar könnten sich Bedürftige neu anmelden und somit Tafel-Spenden beziehen. Aber auch diese Tafel ignoriert eine Anfrage von TE.

Es wirkt fast so, als schämten sich die offiziellen Stellen der Tafel dafür, dass es kaum noch Kapazitäten für mehr Bezieher gibt. Immerhin beobachten Linda und Alex, dass sich immer mehr Deutsche bei der Tafel anmelden – jedenfalls in Lübeck. Das bedeutet, dass immer mehr deutsche Bürger in Lübeck Sozialleistungen vom Staat beziehen oder aber, dass selbst diese Sozialleistungen nicht mehr ausreichen, um ihren Wocheneinkauf zu stemmen. Als Folge sind sie dann auf die Spenden der Tafel sowie auf die Hilfe von Ehrenamtlichen angewiesen.

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Kommentare ( 91 )

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Konservativer Aktivist
1 Jahr her

Immer nur abgreifen (schmarotzen?) und sich dann aus dem Staub machen. Das haben wir gern! Wie wäre es denn, mal als Gegenleistung bei den Tafeln mit anzupacken, quasi als kleine Geste des Dankes? Oder ist das etwa unzumutbar?

Frau U.
1 Jahr her

Dieser ganze Tafelmist gehört eingedampft. Supermärkte sind logistisch in der Lage kaum noch Lebensmittel zu verschwenden.
Armut soll ruhig öffentlich sichtbar sein, in dem besten Deutschland von Merkel/Baerbock und Steinmeier/Scholz.

Stefan Rapp
1 Jahr her

Ukrainische Bekannte von mir, eine Familie mit zwei Kinder können von ihrem Bürgergeld jeden Monat circa 500€ sparen und brauchen auch nicht auf die Tafel zu gehen.

Fawlty
1 Jahr her

In einer intakten Gesellschaft, auch in einer kapitalistischen, aber sozial-martwirtschaftlichen, braucht niemand eine Almosen-Tafel. Und in einer intakten Gesellschaft braucht es auch keine Supermärkte, die bis abends spät frisch bedampftes Gemüse und Obst anbieten und ob dieses absichtlichen Überangebots all diesen Ausschuss generieren. Hm…. warte mal… war das früher nicht so? Doch! Supermärkte schlossen um halb 7, Tafeln gab es nicht, trotzdem ging es den Leuten gut, jedenfalls nicht schlechter als heute. Und die Wirtschaftswunderjahre waren da schon lange vorbei. Merke: Almosen dienen nicht zuletzt denen, die über die Almosen bestimmen. Und merke auch: Wenn Almosen angeboten werden, werden sie… Mehr

AnSi
1 Jahr her

Ja, braune Bananen sind den feinen Herrschaften nicht gut genug und die Tüten können nicht schwer genug sein. SO hat der Michel es gern! Nebenan geht dann die deutsche Oma Pfandflaschen sammeln, weil sie sich schämt oder nicht fähig ist, die Anträge auf eine Beihilfe zu stellen. Wut ist noch das harmloseste, was ich dabei empfinde!

Kati
1 Jahr her

Man spart sich nicht das Geld für das Essen, das ist sicher ein Märchen, zumindest in meiner Region ist einmal pro Woche Ausgabetag, es entlasted sicher aber reicht bei weitem nicht um alleine davon zu Leben, zumal es sich oft schwer einteilen lässt weil bei etlichen Lebensmitteln Eile geboten ist die zu konsumieren.

Kati
1 Jahr her

Ich war ca ein Jahr bei der Tafel hier, einmal pro Woche. Aber durch das wartende Publikum war es vor Ukraine und vor Covid schon so unangenehm das ich es vorzog lieber darauf zu verzichten und weniger esse. Es geht auch gut ohne Tafel, und dafür viel weniger Stress.

Perlentaucher10
1 Jahr her

Wie können Tafeln überlastet sein? Es wird ausgegeben, was da ist, und gut ist.

Freiheit fuer Argumente
1 Jahr her

Nur „Bezieher staatlicher Leistungen“ dürfen zur Tafel. Diejenigen, die zu stolz oder zu überfordert sind, um staatliche Hilfe zu bentragen, gehen leer aus.

Anders als diejenigen, denen sogenannte „Integrationshelfer“ beibringen, wie man die Leistungsausbeute aus unserem Sozialsystem optimiert.

Rob Roy
1 Jahr her

Nur mal eine Zahl, weil diese fast nirgendwo veröffentlich wird: Seit Kriegsbeginn hat Deutschland eine knappe Million Ukrainer aufgenommen. Mal eben so, zusätzlich zu den anderen Asylanten. Damit sind wir sind wieder mal Spitzenreiter, was Flüchtlinge betrifft. Nicht mal Polen hat so viele aufgenommen.