Brauchen wir die Bundesprüfstelle für gefährliche Worte?

Willkommen im Königreich der Mimosen: Die Sprache muss umgewandelt werden, damit sich niemand mehr benachteiligt, herausgepickt oder veralbert vorkommt. Da ist die Frage nach "Flüchtling" oder "Migrant" längst Schnee von gestern. Heute wird selbst die Hai-Attacke zur "Hai-Begegnung" deklariert.

IMAGO

Heutzutage scheint es immer öfter geboten, Schriften oder Filme daraufhin überprüfen zu lassen, ob junge, sensible Menschen dadurch in ihrer Entwicklung oder Psyche geschädigt werden könnten. Dazu gibt es die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz und ihre Altersfreigaben. Aus guten Gründen und mit voller Berechtigung.

Dank George Orwell ist weithin bekannt, dass nicht etwa die historische Überlieferung, sondern sprachliche Wendigkeit zum Beispiel das Kriegsministerium tatsächlich zum Verteidigungsministerium werden ließ, die wunderbare Verwandlung zum „Liebesministerium“ (aus „1984“) aber noch aussteht. Entlassungen heißen schon eine ganze Weile „Freistellungen“, und die zivilen Opfer von Bombardements wurden zu „Kollateralschäden“.

Fromme Verrenkung der Tatsachen und zielgerichtetete Indoktrination werden neuerdings zu „Narrativen“ und Sprachselbstzensur wird zwar aus „politischer Solidarität mit all jenen, die eine neue, emanzipative Geschlechterordnung leben“ noch nicht zur Pflicht, aber schon mal „wegen der Geschlechtergerechtigkeit empfohlen“. Alle sollen sich „mitgemeint“ fühlen. Durchgeführt werden diese und andere Neusprech-Offensiven nicht vom „Rechtschreibrat“ sondern von wohlmeinenden Journalisten und Autoren, Moderatoren und Politikern, die die neuen Begriffe unters Volk bringen und so eine schleichende Sprachreform anstossen sollen. Ungebildet ist man heute nicht mehr, sondern „bildungsfern“, was wiederum in „sozial benachteiligten“ Vierteln zu „Herausforderungen“ führen könnte. Soweit, so bekannt, so unheimlich.

Widerstand ist zwecklos, sie werden assimiliert

Es ist eine andere Sache, das Sprechen so abzuwandeln (nudgen = schubsen) zu wollen, dass niemand sich mehr benachteiligt, herausgepickt oder veralbert mehr vorkommen muss, selbst wenn es der, von dem es kommt, eventuell gar nicht böse gemeint hat. Versuchen Sie nicht, sich bei sprachlichen Entgleisungen zu entschuldigen, sie würden es nur schlimmer machen. Eine andere Form, dem Druck vermeintlich „guter Absichten“ und immer neuer Rücksichtnahmeforderungen zu entwischen wäre, entweder seine Äusserungen gleich auf ein Minimum zu reduzieren oder aber zu vorauseilendem Gehorsam überzugehen; also Wörter zu vermeiden und Begriffe zu umschiffen, weil sie auszusprechen oder zu hören, erwachsenen, reifen Personen einen Moment seelischer Pein bereiten könnte. Sagen Sie einfach nicht mehr „Mutter“ oder „Vater“ – wenn sie es nur lange und bemüht genug üben, dann sitzt das und alle freuen sich, die lieber „Erzeuger 1 und Erzeuger 2“ oder gleich garnix hören würden.

Knigge raus, Woke-ismus rein?

Dabei handelt es sich aber nicht um das klassische Zusammenzucken, wenn jemand das, was einmal „Fäkalsprache“ genannt wurde, benutzt. Wenn die resolute Marktfrau dem Fischhändler lautstark zuruft, wohin er sich seine nicht mehr ganz frische Ware zu stecken habe und die Bürgersfrau darauf ihrer Tochter schnell die Ohren zuhält. Diese Empfindlichkeit haben wir in den modernen Zeiten schon längst abgelegt. Früher wäre es ein Ding der Unmöglichkeit gewesen, die Zuhörer in einer Radiosendung in toto zu Duzen, im besten Vorabendprogramm nicht jugendfreie Vokabeln (siehe „f…u…Goethe“) zu benutzen, oder Medienleute und Nachrichtensprecher anschauliche Schilderungen von Missbrauch und Kapitalverbrechen in den Äther schicken zu lassen. Heute ist das passé, und auch die Masse des Publikums hat, scheint’s, daran nichts auszusetzen.

Schlachter, Leute mit Jagdschein, PS-Junkies und Bauerntrampel haben es besonders schwer

Heutzutage sind nicht nur Worte problematisch, geächtet oder verpönt, die vermuten lassen, dass der, der sie ausspricht, zum Beispiel gerne auf der Autobahn mal Vollgas gibt, Tiere jagen und verzehren würde, oder durchblicken lässt, wenig Rücksicht auf den Umweltschutz, seinen CO2-Fussabdruck oder die Bedürfnisse weit entfernt lebender Völkerschaften nehmen zu wollen.

„Boah, da bin ich erst mit meinem 6er BMW mit 200 Sachen zum Steakhouse geheizt, dann haben wir ein ganzes Spanferkel vom Grill verputzt und die Bar geplündert, die ganze Nacht gepokert und sind am nächsten Morgen voll wie die Haubitzen in den Flieger nach Malle gestiegen …“

Für solche lasziven Darstellungen eines abzulehnenden, nicht nachhaltigen Lebenswandels gibt es allem Anschein nach in vielen Redaktionen und Verlagen schon Aussenstellen einer inoffiziellen „Bundeszentrale für bürgergefährdende Inhalte“, die da hilfreich korrigierend eingreifen und so etwas höchstens im Rahmen der Satire oder Veralberung der primitiven Bevölkerungsschichten zulassen würde.

Film- und Fernsehrollen mit ähnlichen Verhaltensauffälligkeiten könnte seit dem Tode Götz Georges heute sowieso nur noch Til Schweiger einigermaßen glaubwürdig besetzen. Viel einfacher ist es da, Drehbücher für edle Klimademonstranten (hier von Noemi Johler für TE aufgespiesst) zu schreiben oder gleich in Übersee reihenweise wokegespülte Serien zu kaufen (siehe ZDF-Mediathek).

Bürgergefährdend könnte es schon sein, wenn der Minister anlässlich seines Besuchs im Nachbarland genauso wild stoppelbärtig oder mit schlecht sitzendem Hemd abgebildet wird, wie er sich seinen Parteikollegen gerne zeigt. Das könnte das Vertrauen in ihn zum Wanken bringen. Drehen sich die Windräder, die wie zufällig im Sonntagabendfilm vorüberziehen, auch eifrig – oder ist etwa grade Flaute? Darf man schlaffe Windkraftwerke in diesen Zeiten des harten Ringens mit den Reaktionären der Kernkraft um die Klimatransformation noch zeigen? Es wird emsig und trotz aller Beteuerungen des Gegenteils weiter kontrolliert, welche Fotos zum Beispiel im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Flucht- und Migration zu verwenden sind. Wann man „Migrant“ und wann „Flüchtling“, gerne auch „Kriegsflüchtling“ oder „Klimaflüchtling“ zu schreiben hat. In einem wohl unwillkürlichen Reflex sichtet man dabei die Inhalte und sortiert Bilder aus, oder ordnet sie wieder ein, die, im vermeintlich „falschen Zusammenhang“ gezeigt, dem Betrachter drastische Schlüsse nahelegen könnten. Ist das die berüchtigte „Schere im Kopf“, von der Jan Hofer bei seinem Wechsel von der ARD zu einem Privatsender 2021 orakelte ?

So wandelt sich eine einst duldsame, langmütige Welt in ein Königreich der Mimosen, in dem nicht nur jedes Bild, sondern auch jedes Wort erstmal auf ein diffuses Irritationspotential abgeklopft werden muss. Diese akribische Suche übernehmen offiziell vermehrt sogenannte „Sensibiltätslektoren“ (Marco Gallina berichtete für TE hierzu am Beispiel der Zensur der Werke von Roald Dahl).

Wenn der Hai nicht zubeisst sondern mal zufällig vorbeischaut

„Abschießen“ ist seit kurzem zu einem Wort geworden, das viele Journalisten vermeiden, sei es im Zusammenhang mit der Jagd, oder der waidmännischen Kontrolle von Tierbeständen. Die Gründe bleiben unklar. Offenbar knallt dieser Begriff mitten in die friedliche Ruhe gemäßigt-gesetzter Berichterstattung über doch eigentlich ganz erfreuliche Vorgänge wie zum Beispiel die Wiederansiedlung des Wolfes in Deutschland. Wer ein Tier „abschießt“, dem könnte man unterstellen, an diesem Akt des Tötens mittels Schusswaffe irgendwie Gefallen zu haben. Viel harmloser klingt doch stattdessen das Verb „entnehmen“. Ein Gewehr ist hier garnicht mehr sichtbar, das Tier entschwebt, fast wie in den Armen der Göttin der Jagd, hinfort und wird fürderhin nicht mehr mitgezählt.

Gerade berichtet die FAZ über das bedauernswerte Schicksal zweier Wanderer und ihres Hundes, die im Banff-Nationalpark einem Grizzlybärenangriff zum Opfer fielen. Dieser wird in verschiedenen Nordamerikanischen Berichten als „aggressiv dem Menschen gegenüber“ beschrieben, wonach die eintreffenden Rettungskräfte ihn „destroyed“ (erlegt) hätten. Die FAZ nun nimmt dies zum Anlass, von „einschläfern“ zu schreiben, wobei deren deutsche Leserschaft dabei sicher an einen gnädigen Pieks aus dem Betäubungsgewehr oder vielleicht ein Schlafmittel im Futter denken mag, die dem Tier diesen friedlichen Übergang in die ewigen Jagdgründe beschert haben.

Daran dürfte angesichts eines wütenden, aufgerichtet etwa drei Meter großen Grizzlybären wenig bis nichts Wahres sein. Vielmehr sind die zurückhaltenden Begriffe wohl eine schöne Umschreibung dafür, dass die Helfer die Bedrohung sofort und unmittelbar durch einen oder mehrere tödliche Schüsse auf das Tier ausgeräumt haben.

Auch die Berichterstattung über die Gefahren des Meeres wird im lauen Salzwasser weich und dehnbar: Die Formulierung „Hai-Begegnung“ anstelle des eindeutigen „Hai-Angriffs“ wird zum Beispiel in Australien von vielen übernommen.


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Kommentare ( 28 )

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28 Comments
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Jens Frisch
1 Jahr her

„Nehmen wir jetzt die Minderheiten unseres Kulturlebens. Je größer die Bevölkerung, umso mehr Minderheiten.Sieh dich vor, dass du den Hundefreunden nicht zu nahe trittst oder den Katzenfreunden, den Ärzten, den Juristen, Geschäftsführern, den Mormonen, Baptisten, Quäkern, den hier geborenen Chinesen, Schweden, Italiener, Deutsche, Iren, den Bürgern von Texas oder Brooklyn, von Oregon oder Mexiko. Die Gestalten in diesem Buch, diesem Stück, dieser Fernsehserie sind frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit lebenden Malern, Kartographen, Mechanikern ist reiner Zufall. Je größer der Markt, Montag, umso weniger darf man sich auf umstrittene Fragen einlassen, merk dir das! Auch die mindeste Minderheit muss geschont werden.“… Mehr

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Meine persönliche Nogo-Liste: Brandmauer (ausserhalb der Bauwirtschaft), antidemokratisch, populistisch, Schwurbler, Triggerwarnung, N-Wort, Mohr*napotheke, kulturelle Aneignung, Gendersprache. To be continued…

H. Priess
1 Jahr her

Im Internet findet man Videos von Candace Owens die für den Feminismus gegen Transgender und Rassismus gegen Weiße spricht. Bei einem Vortrag in dem es um Transgender ging, fragte eine Person: Ob sich Frau Owens bewußt ist, daß allein ihre Anwesenheit ein unbehagliches Gefühl bei einigen Personen einstellen würde. Ihre Antwort kurz und knapp: Ja, das Leben ist hart, kaufen sie sich einen Helm! Beifall im Saal!! Alle Mimosen und Mimöschen müssen ganz ganz sanft durchs Leben geführt werden, vor jedem noch so unverfänglichen Wort eine Triggerwahrnung. Nur keine unangenehmen Gefühle, sei es eingebildete oder echte. Dann kommt zur physischen… Mehr

Britsch
1 Jahr her

Spontaner Gedanke
So ein Schwachsinn
wieder eine Stelle wo man „Ideologische Kumpels“ finanziell gut versorgt.
Gut bezahlt ihre Ideologischen Ideem verwirklichen können
auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung.
Als ob nicht schon genug Geld der Anderen / Steuerzahler verschwendet wird
findet man immer Neues um das Volk auszunehmen zum eigenen Vorteil, eigenen Bereicherung

Andreas aus E.
1 Jahr her
Antworten an  Britsch

Ginge es nach mir, würden die gesamten „Beauftragt:Innendenxen“ schon morgen beim Amt anstehen – ich würde die allesamt entlassen.
Die Stellen gehören samt und sonders ersatzlos gestrichen, alle.

Atheist46
1 Jahr her

Die „Woken“ sind in Wirklichkeit nicht woke, sondern weak: zu schwach, um aus eigener Kraft mit den Unbilden des Lebens fertig zu werden, haben sie weak zu woke gedreht, um klar zu machen, dass sie als Erste gemerkt haben, dass an ihrer Schwäche die Anderen schuld sind.

Juergen P. Schneider
1 Jahr her

Je brutaler die Wirklichkeit ist, desto weicher muss die Sprache werden. Es wird aber an den Realitäten unseres besten Deutschland aller Zeiten wenig ändern, wenn wir die Sprache weichspülen, damit unsere Schneeflöckchen keine Albträume bekommen. Die links-grüne Klapsmühle Deutschland arbeitet sich an der Sprache ab und vergisst, die wirklichen Probleme zu lösen. Den Niedergang kann man sich noch so schön reden, aufhalten wird man ihn damit sicher nicht.

Orlando M.
1 Jahr her

Etwas ähnliches gibt es doch schon, mit dem Unwort des Jahres. Und wer entscheidet darüber? Staatskasper!
Natürlich ist das noch ausbaufähig, eine zehntausend Teamleiterchen samt Teamchen sind da sicher noch drin, die Steuerzahler gehen dafür doch nur allzu gern arbeiten.

flo
1 Jahr her

Brauchen wir die Bundesprüfstelle für gefährliche Worte? Ja, und auch, in positiver Richtung, für die Verbreitung von woken und Gender-Begriffen. Wenn schon die Welt und der bundesrepublikanische Alltag gefühlt im Moment immer gefährlicher und unangenehmer wird, soll wenigstens die Sprache, zum mental-psychologischen Ausgleich, tolerant-soft und sonnig sein nach dem Motto: „Wir lieben alle Menschen (und ggf. auch Tiere)“. Und irgendwie sind wir doch alle Opfer. Was die Menschen angeht: Das überall gefeierte und inzwischen vielerorts herangezogene Syndrom der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ – bitte doch keine[n] Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Transfeindlichkeit, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Behinderten, Islam- und Muslimfeindlichkeit, Sexismus, Ablehnung von Etabliertenvorrechten,… Mehr

Roland Mueller
1 Jahr her

Diese Bundesprüfstelle erinnert an das, was der George Orwell Wahrheitsministerium genannt hat.

Kassandra
1 Jahr her
Antworten an  Roland Mueller

Wir hatten so was schon mal. Victor Klemperer schrieb über LTI, die Sprache in Reich III.
Wobei wir hier heute sprachlich auf „Neutralität“ gedrillt werden, während andere kurzen Prozess mit uns machen. Steht endlich auf!

Freedomofspeech
1 Jahr her

Ja, unbedingt. Das kommt schon noch. Neubau in Berlin-Mitte mit etwa 1000 Planstellen, davon 900 im höheren Dienst für bewährte grüne Parteigänger, vegane Kantine, Dienstwagen mit Fahrer und das ganze Equipment wären ja wohl das Mindeste für diese wichtige, unentbehrliche Aufgabe. Orwell lässt grüßen.

Andreas aus E.
1 Jahr her
Antworten an  Freedomofspeech

Die vegane Kantine aber dann bitte hinter verschlossenem Vorhang. Ein veganes Rindersteak aus Südamerika oder ein vegetarischer Lachsfisch mundet nicht so lecker, wenn unverschämtes Journalistenmal zuschaut.