Das Selbstbestimmungsgesetz ist kein Sieg für die Freiheit

Ein Blick nach Großbritannien zeigt, wie zensorisch und schädlich die Transgender-Ideologie sein kann. Von Sabine Beppler-Spahl

IMAGO / photothek

„Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre geschlechtliche Identität achtet“, sagte Bundesjustizminister Marco Buschmann nach den Beratungen zum neuen Selbstbestimmungsgesetz. Das klingt fortschrittlich und tatsächlich hat der Ruf nach mehr Freiheit die Debatte über Geschlecht und Gender von Anfang an begleitet. Aber es gibt auch Gegenstimmen, die mit Argumenten und konkreten Beispielen zu einem ganz anderen Schluss kommen

Dazu lohnt sich zunächst ein Blick nach Großbritannien, wo die Debatte schon länger geführt wird. In London wurde im Frühjahr die Schließung der bekannten Tavistock-Klinik beschlossen. Vorgeworfen wird ihr ein zum Teil fahrlässiger Umgang mit Kindern und Jugendlichen, denen – manchmal schon im Alter von 10 oder 12 Jahren – Pubertätsblocker verschrieben wurden. Ein sehr gut recherchiertes Buch der BBC-Journalistin Hannah Barnes beschreibt die Missstände in der Klinik. Gegründet wurde sie, um jungen Patienten mit Genderdysphorie zu helfen. Doch immer stärker wurde in der Institution unkritisch eine Transgenderideologie gepflegt. Seit 2011, so Barnes, sei die Verschreibung von Pubertätsblockern, mit zum Teil irreversiblen Nebenwirkungen, faktisch ein Selbstzweck der Klinik geworden. Einige frühere Klinik-Mitarbeiter haben die Praxis sogar mit dem DDR-Doping verglichen.

Das in Deutschland diskutierte Selbstbestimmungsgesetz, das gerade vom Kabinett beschlossen wurde, fordert keine operativen Geschlechtsumwandlungen. Es räumt Menschen die Möglichkeit ein, ihr Geschlecht nicht nur selbst zu bestimmen, sondern es auch staatlich – also offiziell – anerkennen zu lassen. Aber, es basiert auf der gleichen Ideologie, die in der Tavistock-Klinik gepflegt wurde. Diese besagt, dass Menschen im „falschen Körper“ stecken können und dass das Geschlecht nicht bei Geburt festgelegt ist, sondern wandelbar oder fluide ist. Ein Mensch mit Penis und Hoden kann dann von sich behaupten, eine Frau zu sein und auf sein Recht pochen, dass alle anderen ihn auch so sehen. Sollte der Gesetzesentwurf den Bundestag passieren, könnten sich Menschen jedes Jahr eine neue Geschlechtsidentität zulegen. Da sehr viele Menschen, wahrscheinlich die große Mehrheit der Bevölkerung, diese Ideologie nicht teilt, muss sie von oben herab, mit Zwang durchgesetzt werden. So soll künftig, wenn das Gesetz durchkommt, jeder mit einem Bußgeld rechnen müssen, der eine Transperson wiederholt nicht mit ihrem neuen Namen anspricht.

„Manche im Bundestag haben bereits kritisiert, dass der Gesetzesentwurf Minderjährige zu wenig schützt, und damit haben sie recht.“

Auch dafür, wie zensorisch die Transgenderideologie ist, lässt sich in Großbritannien beobachten. Dort hat eine staatliche Klinik die Worte „Frau“ und „Frauen“ aus einer Informationsbroschüre über die Wechseljahre gestrichen und durch „menstruierende Menschen“ ersetzt – aus Angst, die Translobby zu verletzen. Manche Kritiker der Transgenderideologie wurden sogar aus ihren Jobs vertrieben. (Eines der prominentesten Opfer dieser zensorischen Politik ist die Feministin und Universitätsprofessorin Kathleen Stock, dazu zählen aber auch die Tänzerin und Choreografin Rosie Kay und viele andere). Die Lobbyisten, die so gerne von ihrer eigenen Freiheit sprechen, sind zu einer Bedrohung für die freie Meinungsäußerung anderer geworden.

Manche im Bundestag haben bereits kritisiert, dass der Gesetzesentwurf Minderjährige zu wenig schützt, und damit haben sie recht. Der Entwurf will Jugendlichen ab einem Alter von 14 Jahren erlauben, eine Änderungserklärung für ihren Geschlechtereintrag abzugeben. Als Liberale sehen wir Erwachsene als mündige Bürger an, die über ihren Körper und ihr Leben selbst bestimmen können und sollen (ein Verbot geschlechtsangleichender Operation wäre daher illiberal und falsch). Für Kinder und Jugendliche aber gilt etwas anderes, denn ihnen fehlt die Reife und die Erfahrung. Deswegen ist es ihnen nicht erlaubt, Bordelle aufzusuchen, als Schöffe einer Gerichtsverhandlung beizuwohnen, Pornofilme auszuleihen, Schnaps zu erwerben und vieles andere (selbst das Verbot für Zigarettenwerbung wird mit dem Argument begründet, sie könne Kinder oder Jugendliche verführen). Geht es aber um Transgender, gilt dieses wichtige Prinzip der Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen nicht mehr viel.

„Nur in unfreien Staaten wird Eltern mit dem Verlust ihres Entscheidungsrechts gedroht, wenn sie nicht der richtigen Ideologie huldigen.“

Das Recht eines Minderjährigen, eine Änderungserklärung durchzusetzen wertet ein möglicherweise nur kurzfristiges Gefühl auf. Diese Gefahr aber ficht die Befürworter des Gesetzes offenbar ebenso wenig an, wie die nun so heftig kritisierten Mitarbeiter der britischen Klinik. Zahlreiche junge Erwachsene haben zwischenzeitlich die Tavistock-Klinik verklagt, weil ihnen als Minderjährige zu voreilig, wie sie heute finden, suggeriert wurde, sie steckten im falschen Körper. – und bei ihnen eine entsprechende medizinische Behandlung eingeleitet wurde. Einige der Jugendlichen, die Probleme mit ihrer sexuellen Identität hatten, dürften ganz einfach schwul oder lesbisch gewesen sein. Doch so eifrig und fest glaubten die Mitarbeiter an ihre Ideologie, dass Vorsicht und Zurückhaltung – und auch die Möglichkeit des Irrtums – weitgehend ausgeschlossen wurden.

Auch in Deutschland nimmt die Zahl der Jugendlichen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterziehen, rapide zu. Laut einem Artikel in der F.A.Z. lag die Zahl bei 15- bis 25-Jährigen im Jahr 2007 noch bei 54, doch 2021 war sie bereits auf 917 angestiegen. Zwar müssen die Minderjährigen, die eine Änderungserklärung abgeben, laut dem neuen Gesetzesentwurf die Zustimmung der Sorgeberechtigten einholen. Vorgesehen ist jedoch, dass deren Zustimmung durch ein Familiengericht ersetzt werden kann, wenn es zu Konflikten kommt. Eltern, die sich Sorgen um ihre Kinder machen, müssen dies als Bedrohung empfinden. Auch wenn die meisten Familiengerichte gute Arbeit leisten, widerspricht diese Vorgabe den Grundsätzen eines freiheitlichen Staats, der das Elternrecht respektiert. Nur in unfreien Staaten wird Eltern mit dem Verlust ihres Entscheidungsrechts (und faktisch mit ihrem Erziehungsrecht) gedroht, wenn sie nicht der richtigen Ideologie huldigen.

Wenn unsere Abgeordneten demnächst über den Gesetzentwurf abstimmen, werden sie hoffentlich all diese Aspekte berücksichtigen.


Dieser Beitrag ist zuerst bei Novo erschienen.

Mehr von Sabine Beppler-Spahl lesen Sie in dem Buch „Raus aus der Mitte! Wie der Parteienkonsens die Demokratie untergräbt“. Beppler-Spahl ist Autorin von “Experimente statt Experten – Plädoyer für eine Wiederbelebung der Demokratie“.

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Kommentare ( 27 )

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Aljoschu
1 Jahr her

Wir dürfen frei unser Geschlecht bestimmen, aber noch lange nicht, wie wir unsere Wohnung heizen wollen.
Freiheit in Deutschland

Aljoschu
1 Jahr her

Regime der ideologischen Zumutungen Es ist eine Zumutung zu verlangen, dass wir jemanden, der als männlich geboren wurde, von einem Tag auf den anderen als „Frau“ anreden sollen. Jemand der als Mann geboren wurde, wird niemals eine Frau sein können, weil er eine männliche Genetik hat und niemals ein Kind gebären kann. Es ist eine ungeheuerliche Zumutung, einen Mann mit Penis und Hodensack als Frau behandeln zu müssen, weil das ungeheuerliche Gefahren für Mädchen und Frauen mit sich bringen würde, insbesondere für Schutzräume für Mädchen und Frauen, Frauengefängnisse, Toiletten und Saunen. Ein Staat, der seine Bürger dazu nötigt, zu lügen,… Mehr

Ananda
1 Jahr her

Es gibt inzwischen eine Industrie die den Jugendlichen oder einfach nur Verwirrten gegen cash hilf ins Unglück zu rennen. Wieviele durch schulische Frühsexualisierung, samt sämtlicher Spielarten, destabilisierten Jugendlichen sind bis ins hohe Alter glücklich mit ihrem neuen umoperierten Körper. Wieviele gehen „freiwillig“ in den Selbstmord weil sie ihr Leben komplett verhunzt haben? Es gibt jede Menge Beispiele das Kinder die als gegenteiliges Geschlecht aufgezogen wurden große Konflikte durchleiden. Die Politik handelt gemeingefährlich und undurchdacht. Aber vielleicht ist die Absicht dahinter auch das zertrümmern von Eltern Kind Beziehungen. Die Entmachtung der Eltern bzw. der Familie. Das der übermächtige rot grün besserwisserische… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Ananda
Jasper K.
1 Jahr her

Wer von dem Selbstbestimmungsgesetz Gebrauch macht, sollte auch wissen, dass nicht nur das Standesamt, sondern eine ganze Liste von Behörden über den Eintrag informiert wird. So simpel ist es zum Glück dann doch nicht.
https://netzpolitik.org/2023/selbstbestimmungsgesetz-datenweitergabe-an-den-gesamten-sicherheitsapparat/

Jasper K.
1 Jahr her

Wir dürfen auch die Minderheit der Furries nicht vergessen, also Menschen, die sich mit einem Tier identifizieren und entsprechende Kostüme anziehen. Auch die brauchen ein Gesetz, um eine artgerechte Haltung sicherzustellen. Wer sich zu einem Esel erklärt, hat folglich auch das Recht darauf, wie einer behandelt zu werden.

Bonzo der Grosse
1 Jahr her

Bei einem anderen Thema der Selbstbestimmung, wäre man weitaus weniger freizügig gewesen, wie bei der freien Geschlechtswahl. Ich erinnere daran, dass man nahe daran war, eine allgemeine Impfpflicht mit einer experimentellen Gentherapie zu verabschieden, was der Recht auf körperliche Selbstbestimmung praktisch ausgeschaltet hätte. Berufsbezogen hat man dieses Verbrechen sogar durchgezogen und als Soldat ist man offensichtlich Eigentum des Staates, gilt hier noch weiterhin die Duldungspflicht.

Ananda
1 Jahr her

In einem Land in dem einem fast jede Freiheit genommen wird (Zwangsimpfung, Äußerungen, dass man eine Primitiveinwanderung in Millionenhöhe nicht gut findet, Heizungswahl, Politikerkritik etc, wird einem eine abstruse Minderheitengeschichte als große Freiheit verkauft.
Marketing und „Nudging“ (Manipulation)

ketzerlehrling
1 Jahr her

Welche Freiheit? Das ist hierzulande ohnehin nicht gern genommen, das hieße etwas mehr Verantwortung, wenn man Freiheit und die Konsequenzen durchsetzen würde. Freiheit ist nichts für mental Schwache, denn Freiheit heisst nicht, sich nur die Rosinen rauszupicken, wie üblich. Ausserdem ist Freiheit in diesem Land längst abgeschafft und wird auch nicht wieder hergestellt.

HRR
1 Jahr her

Sollte der Gesetzesentwurf den Bundestag passieren, könnten sich Menschen jedes Jahr eine neue Geschlechtsidentität zulegen.
Allein die vorgesehene Möglichkeit des jährlichen Wechsels der Geschlechtsidentität beweist den hanebüchenen Unsinn des Gesetzesvorhaben und würde dem Fangspiel für Vorschulkinder ähneln:
„Bäumchen wechsel dich“.
Im Nachgang des einmal beschlossenen Gesetzes könnte sich zudem die Erkenntnis von Wilhelm Busch durchsetzen:
„Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt, kriegt augenblicklich Junge.“

WokinesIn
1 Jahr her

Ich bin auf den ersten gespannt, der eine Petra als Peter anspricht, Strafe zahlen muss und sich dann aufmacht zum BVerfG, um sein Recht auf Meinungsfreiheit einzuklagen. Denn wenn ich dem Peter sagen würde, dass „…ich glaube, dass manche ihn nicht nur Peter nennen würden, sondern ihn auch als Holzkopf bezeichnen würden…“, wäre dass ja auch durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Das Recht des Einzelnen hört da auf, wo die Rechte eines anderen beginnen. Warum sollte ein Trans mehr Rechte haben als ein normaler Bürger? Warum sollte die Meinungsfreiheit eingeschränkt werden dürfen, nur weil jemand überempfindlich ist?

Last edited 1 Jahr her by WokinesIn