Christian Lindner: Deutschland steuert auf „Eisbergfeld“ zu

Finanzminister Christian Lindner hat den Haushalt in den Bundestag eingebracht. Er warnt, das Land steuere auf ein "Eisbergfeld" zu. Um dem auszuweichen will der Liberale an die Migration und den Sozialstaat ran.

IMAGO / photothek

Christian Lindner (FDP) hat ein Kernproblem: Was der Finanzminister tut, stellt das komplette Gegenteil dar von dem, was der Finanzminister sagt. So ist eines immer vernünftig, das andere aber enttäuschend. Die Rede, die Lindner zur Einbringung des Haushalts in den Bundestag hält, ist eine gute. Er spricht die richtigen Punkte an.

Die Politik der vergangenen Jahre habe eine „wachsende Erwartungshaltung gegenüber dem Staat“ erzeugt. Die Menschen hätten sich an Leistungen und Zuwendungen gewöhnt. Jetzt müsse wieder eine „vernünftige Balance“ zwischen Staat und privat gefunden werden. Die Menschen müssten einsehen, dass sich nicht alle Probleme mit „massiven staatlichen Interventionen“ lösen ließen. Alles richtig. Doch genau für diese Politik steht der Finanzminister Christian Lindner mit „Sondervermögen“, „Transformationsfonds“ oder „Doppelwumms“.

Sozialetat des Bundeshaushalts
Die Rente frisst den Haushalt auf
520 Milliarden Euro an Schuldenermächtigungen habe sich Lindner in den vergangenen beiden Jahren gewähren lassen, wirft ihm Peter Boehringer (AfD) vor. Auch täusche der Finanzminister noch jetzt in seinem Haushalt. Dort stünden knapp 17 Milliarden Euro neuer Schulden. Gerade so viel, wie die Verfassung ihm erlaubt. Die tatsächliche Schuldenaufnahme liege in diesem Jahr aber bei 102 Milliarden Euro. Das Sechsfache von dem, was Lindner zugibt.

Dass es mit der Schuldenpolitik so nicht weitergeht, sagt Lindner selbst. Es sind die steigenden Zinsen, die diese Politik beenden. 37 Milliarden Euro muss der Bund im nächsten Jahr laut dem Finanzminister für Schulden ausgeben. Das ist zehn mal so viel wie noch vor zwei Jahren – das ist doppelt so viel, wie das Ministerium für Forschung und Bildung ausgibt.

Obendrein ist das nur der Anfang. Der Zinsdienst für die Ausgabenpakete der vergangenen zwei Jahren beginnt erst. Der Haushaltsplan Lindners reicht nur bis 2027. Schon in diesem Plan fehlen 5 Milliarden Euro jedes Jahr, von denen Lindner nicht weiß, wie er sie finanzieren soll. 2028 beginnt die Tilgung der Kreditaufnahmen für die Staatskredite während der Pandemie. Das sind zusätzliche 12 Milliarden Euro pro Jahr, die den Haushalt belasten werden.

Das „Sondervermögen“ für die Bundeswehr ist 2028 ebenfalls ausgegeben. Seinen Nato-Partnern hat Deutschland versprochen, zwei Prozent seines Bruttoinlandproduktes für die Armee auszugeben. Sind die Schulden aus dem „Sondervermögen“ aufgebraucht, muss der Bund das Geld über den normalen Haushalt aufbringen. Wie viel das sein wird, mag Lindner noch nicht benennen. Ebenso wenig wie die zusätzlichen Belastungen, die auf den Bund zukommen, wenn 2031 der Stabilisierungsfonds ausgelaufen ist. „Hinter der Horizontlinie, für uns noch nicht sichtbar, da kommt ein Eisberg. Besser gesagt ein Eisbergfeld“, sagt Lindner.

Wie will Lindner diesem „Eisbergfeld“ nun ausweichen? Der Finanzminister will an den Sozialstaat ran: „Unser Sozialstaat kann nicht weiter wachsen.“ Er wolle an die Sozialversicherung ran, so möchte er mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) eine kapitalgedeckte Rente entwickeln. Auch wolle er prüfen, ob sich Lohnabstand und Erwerbsanreize positiv entwickelt haben.

Vor der Ampelklausur in Meseberg
Hubertus Heil führt Christian Lindner vor
Da ist er wieder. Lindners Wiederspruch zwischen Tat und Wort. Vergangene Woche hat die Ampel das „Bürgergeld“ von 502 auf 563 Euro erhöht. Zwölf Prozent auf einen Schlag. 25 Prozent innerhalb eines Jahres. Nun will Lindner einen Prüfprozess starten, der eine Diskussion auslöst, die Lösungen aufzeigen soll, wie gegebenenfalls … Zack Erhöhung. Danach umständlich und folgenlos über Alternativen reden. Frei nach Jesus wünscht sich Christian Lindner: „An den Worten sollt ihr mich erkennen.“ Denn die Taten sind oft nichts.

Auch will Lindner an die Migration ran. Derzeit mache es Deutschland Leistungsfähigen und Leistungswilligen es zu schwer, ins Land zu kommen. Und es denen zu leicht, zu bleiben, die nur in die Sozialsysteme wollten. Richtig gesprochen. Nur: Warum dann 25 Prozent mehr Geld innerhalb eines Jahres für die, die nicht arbeiten? Das zusätzliche Geld werde diese, so Lindner, in qualifizierte Jobs führen. Ok.

„Ihre Migrationspolitik ist maximal chaotisch“, hält Mathias Middelberg ihm vor. Der CDU-Finanzexperte legt den Finger in die richtige Wunde. Während Lindner sagt, der Staat könne nicht alle Aufgaben lösen und der Bund müsse zurück zu einer soliden Finanzpolitik, klatschen nur die Abgeordneten der FDP. Die Koalitionspartner von SPD und Grünen bleiben stumm. Es ist ein wichtiger Grund, warum die Aussagen und Taten Lindners so weit auseinandergehen: Selbst wenn die FDP das Richtige will, kann sie es in dieser Koalition nicht durchsetzen.

Angesichts der großen Aufgaben sei „Christian allein zuhause“, wie Middelberg sagt. Er erkenne zwar das Richtige, aber ihm fehle die Unterstützung es durchzusetzen. Der Finanzminister müsse einsehen: „Die Party ist vorbei.“ Durchaus richtig in der Analyse. Allerdings gehen viele Gründe dafür, warum die Party vorbei ist, auf die Politik zurück, die 16 Jahre lang von der CDU verantwortet wurde – aber das ist ein anderes Thema.

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Kommentare ( 85 )

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Timur Andre
1 Jahr her

Deutschland abgeschnitten von preiswerter Energie, obwohl westliche Länder in Russland weiterhin einkaufen.
Deindustralisierung im vollen Gang, Scholz führt weiter, was Merkel angefangen hat.
Wer sind die Strippenzieher im Hintergrund: WEF und…USA/GB
Empfehle den Beitrag vom LaRouche Institut, Geopolitik
https://www.youtube.com/watch?v=irysCWwRx9I&t=306s

AnSi
1 Jahr her

Dazu dann heute die passende Meldung in „welt-online“: Deindustrialisierung der Speise-Öl-Industrie nimmt Fahrt auf! Noch ein Eisberg. Aber macht ja nix, der Kahn sinkt sowieso.

Sonny
1 Jahr her

Wenn man es nüchtern betrachtet ist jeder, der hier bleibt und sich ein klein bißchen Wohlstand im Laufe der Jahre erarbeitet hat, extrem von Enteignung gefährdet.
Wenn Deutschland seine Zinsleistungen und Schulden-Tilgungsraten nicht mehr bedienen kann, werden die Menschen alles verlieren. Denn das sind nicht irgendwelche imaginären Schulden, sondern DIE SCHULDEN DER DEUTSCHEN MENSCHEN.

CIVIS
1 Jahr her

Schon richtig Herr Thurnes wenn Sie schreiben: „Selbst wenn die FDP das Richtige will, kann sie es in dieser Koalition nicht durchsetzen.“

Aber liebe FDP, wie wäre es denn mit „widersetzen“ statt der Ausrede, sich „nicht durchsetzen“ zu können.
Aber dazu ist dem großen Vorsitzenden und Steuermann Lindner der Machterhalt wohl zu wichtig; die Meldung „Eisberg voraus“ wird dabei eben einfach ignoriert.

Und kurz vor allen Wahlen kommen dann wieder die von der AfD 1 zu 1 übernommenen Forderungen und Parolen, …um sie nach den Wahlen dann sofort wieder zu vergessen.
Meine Meinung dazu: Euch, die FDP, kann man vergessen.

Last edited 1 Jahr her by CIVIS
Guzzi_Cali_2
1 Jahr her

Tja, es ist mal wieder Wahlkampf und daher müssen die Hampelmännchen kurzfristig richtige Dinge sagen, daß der deprimierte Wähler meint „JETZT haben sie es endlich begriffen.“ Daß nach der Bekanntgabe der mehr oder minder getürkten Wahlergebnisse genau so weitergemacht wird wie bisher, wird der genannte Wähler NIEMALS begreifen. Anstatt daß er sich EINMAL ein Herz faßt und was anderes wählt. Aber nein – daß Parteien, die – jeder mit jeder – seit mehreren Jahrzehnten immer wieder aufs Neue versprechen „AB JETZT wird alles gut.“ nie die Lösung sein können, sondern IMMER essentieller Teil des Problems – das käme dem geneigten… Mehr

Jasper K.
1 Jahr her

2017 wollte Lindner lieber nicht regieren, als falsch zu regieren. Jetzt haben wir 2023, falscher könnte die Regierungsarbeit nicht sein. Dann zieh den Stecker, und laß diese Koalition platzen, Mann.

Silverager
1 Jahr her
Antworten an  Jasper K.

Darauf können Sie bei Herrn Lindner lange warten.
So ein gut gepolsterter Ministersessel ist einfach zu bequem.

Phil
1 Jahr her

„Die erste Lektion der Ökonomie ist Knappheit: Es gibt nie genug von etwas, um alle zu befriedigen, die es haben wollen. Die erste Lektion der Politik ist, die erste Lektion der Ökonomie zu missachten.“ (Thomas Sowell) Es gibt die „vernünftige Balance“ zwischen Staat und Privat, von welcher Lindner da fabuliert, in einem Sozialstaat und Energiewendestaat nicht. Die fragile Balance, welche bis vor einigen Jahrzehnten mit dem ständigen staatlichen Zwang zu Wachstum und Inflation teuer erkauft wurde, hat mittlerweile die Gegenwart inklusive Zukunft dieser Nation verspeist und deren Aufrechterhaltung kostet stündlich mehr an Substanz. Mit Substanz meine ich die letzten Reste… Mehr

fischer
1 Jahr her

„Eisbergfeld“ voraus ? Deutschland steckt längst im ideologischen Packeis fest.

Timur Andre
1 Jahr her

Diese Ausgaben von Merkel (Young Global Leader des WEF) massgeblich verursacht, und von Harbeck, Baerbock (beide Young Global Leader) weitergetrieben, wird von Lindner (Young Global Leader) nun übernommen ohne wirkliche Gegenwehr. Spahn (WEF) hat die Corona-Mrd zu verantworten.
Fällt irgendwas auf…

Last edited 1 Jahr her by Timur Andre
Timur Andre
1 Jahr her

Wir sollten mal eine umfassende Ist-Aufnahme machen: Kassensturz!
Wo sind die 500Mrd für die Bundeswehr, die 284Mrd. für Straßen, die 200Mrd. für Brücken, ÖNV, Bahn, Bildung ….1000Mrd. Dann unser Rentensystem, das strukturell falsch aufgestellt ist, die Pensionlasten wo keine Rücklagen gebildet wurden (rechtskonform?), die Migration mal umfassend berechnen, bei Vollkosten, das ist die Summe, und wie viel davon ist für anerkannte Asylanten, geduldete/Zeitflüchtlinge und Abgelehnte?
Steuereinnahmen werden drastisch zurückgehen, da helfen auch keine Erhöhungen, unsere Wirtschaft wandert ab und schließt. Wir werden hart landen.
Hilft nicht, nur dann kommt eine Änderung, danach 10 Jahre Tal der Tränen.