Bernd Lucke beschuldigt Konrad Adam, er habe „der Bild-Zeitung mitgeteilt, es gebe handfeste Indizien dafür, dass ich mich entschlossen habe, die AfD zu verlassen.“ Damit erreicht der Richtungsstreit in der AfD einen wohl nicht mehr zu überbietenden Höhepunkt. Gleichzeitig wird aber auch bemerkenswert transparent, worum es in diesem Konflikt geht. Adam, sagt Lucke, kämpfe „mit falschen Freunden an der falschen Front“.
Drei Probleme benennt Lucke: den Verlust bürgerlicher Mitglieder, die Abgrenzung zum Rechtsradikalismus sowie „Karrieristen, Querulanten und Intriganten“. Er widerspricht Gauland, der die AfD zu einer Partei der kleinen Leute machen wolle anstatt einer bürgerlichen. Dann wendet sich Lucke gegen eine Gruppe der AfD, die er als „neutralistisch, deutschnational, antiislamisch, zuwanderungsfeindlich, teilweise auch antikapitalistisch, antiamerikanisch oder antietatistisch“ bezeichnet. Schließlich wirft er „Karrieristen, Querulanten und Intriganten“ vor, „eine klammheimliche Freude daran (zu empfinden), Parteifreunden mit Intrigen Schwierigkeiten zu machen.“
Nachstehend dokumentieren wir Luckes Brief an Mitglieder und Förderer:
„mein Mitsprecher Dr. Konrad Adam hat der Bild-Zeitung mitgeteilt, es gebe handfeste Indizien dafür, dass ich mich entschlossen habe, die AfD zu verlassen. Ich war sehr überrascht, sozusagen die Nachricht meines eigenen Ablebens lesen zu müssen. Dies umso mehr, als Herr Adam mich zu meiner angeblichen Absicht nie befragt hat. (Eine gegenteilige Darstellung im Spiegel ist unwahr.) Herr Adam hat ein Gerücht an die Bild-Zeitung gegeben, ohne sich vorab bei mir nach dessen Wahrheitsgehalt zu erkundigen.
An dem Gerücht ist lediglich wahr, dass ich mir große Sorgen um die AfD mache. Und zu diesen Sorgen zählt, dass ein von mir geschätzter Mann wie Herr Dr. Adam mit falschen Freunden an der falschen Front kämpft.
Meine Damen und Herren, ich mache mir Sorgen um die AfD. Ich werde darauf gleich ausführlich eingehen, aber lassen Sie mich zunächst zu den positiven Nachrichten kommen: Seit heute liegt die Bremer Bürgerschaftswahl hinter uns. Vermutlich sind wir zum fünften Mal in Folge in ein Landesparlament eingezogen. Mein Glückwunsch gilt Christian Schäfer und seinem Team, mein Dank allen Parteifreunden, die sich am Bremer Wahlkampf beteiligt haben und dafür teilweise lange Anreisen aus anderen Bundesländern auf sich genommen haben.
Zum zweiten Mal aber hat die FDP aus der Versenkung hochsteigen können – mit Resultaten, die besser sind als die der AfD. Das ist nicht gut. Liberalen Wählern scheint eine profillose FDP attraktiver als die AfD. Das war im vorigen Jahr noch ganz anders: Die FDP schien sicher für „fast drei Prozent“ zu stehen. Ein Narr, wer nicht unser Erscheinungsbild in den letzten Monaten dafür verantwortlich machte, dass uns eine Wählergruppe den Rücken kehrt, die einst aus gutem Grund zu uns gekommen ist.
Bei der Bundestagswahl in Bremen errang die AfD 3,7% der Stimmen, bei der Europawahl waren es 5,8%. Bremen ist für uns ein schwieriges Terrain. Zudem wurde der Wahlkampf jetzt durch ausgiebige mediale Berichterstattung über parteiinterne Querelen behindert. Wir selbst haben es den Bremer Parteifreunden so schwer gemacht wie nur möglich. Und damit haben wir nur fortgesetzt, was schon den Hamburger Parteifreunden den Wahlkampf vergällt hat.
Meine Damen und Herren, in dieser Form können wir nicht weitermachen. Seit unserer Gründung kommt es immer wieder zu teilweise heftigen innerparteilichen Streitigkeiten. Sie nehmen mit der Zeit eher zu als ab. Sie ramponieren unser Ansehen in der Öffentlichkeit, sie kosten unendlich viel Kraft, sie vergiften das Klima in der Partei und sie führen dazu, dass engagierte Mitglieder entnervt aufgeben.
Die nächsten Landtagswahlen sind erst im März 2016. Das gibt uns eine kleine Atempause, in der wir uns dringend offen mit den Ursachen einer sich immer tiefer in die Partei hineinfressenden Krise befassen müssen. Denn wir dürfen nicht länger das tun, was wir an den Eurorettern kritisieren: Uns mit schönen Worten der Einheit und des Zusammenhalts vorzulügen, dass wir einfach so weiter machen könnten wie bisher. Es gibt Spannungen und Probleme in der Partei, die ein Umsteuern erfordern, sonst scheitert die AfD.
Wie ich aus zahllosen Gesprächen weiß, sind vielen Mitgliedern – vor allem denen, die weniger aktiv sind – diese Gefahren für die Partei nicht bewusst. Das liegt teilweise daran, dass wir immer versucht haben, Geschehnisse, die die Presse zu negativer Berichterstattung nutzen könnte, zu verdecken oder möglichst geräuschlos beiseite zu schieben. Es liegt aber auch daran, dass sich gerade die besorgniserregenden Veränderungen in der Partei zunächst und vor allem „unterirdisch“ abspielen: In einigen der Allgemeinheit nicht zugänglichen Facebookgruppen, in Netzwerken Gleichgesinnter, die Mehrheiten organisieren, um Vorstände zu stürzen, oder in geschlossenen Foren, in denen in teilweise unsäglicher Art völlig abwegige Gerüchte geschürt, politische Rülpser bejubelt oder missliebige Parteifunktionäre geschmäht werden.
Meine Damen und Herren, wir wollten anders sein als die Altparteien – eine wahre Alternative. In diesen verdeckten Strukturen zeigt sich aber ein Anderssein, das unsere Partei nicht auszeichnet sondern besudelt. Und jetzt, wo wir erstmals längere Zeit keinen Wahlkampf vor uns haben, müssen wir mit dem Mut zur Wahrheit über Zersetzungsprozesse im Inneren der Partei und über einige andere Probleme sprechen, durch die die Partei gefährdet ist. In dieser email will ich meine Sicht der Dinge relativ ungeschminkt darlegen – und weil die Gefährdung der Partei groß ist, bitte ich um Verständnis für die Länge der Mail.
Ich sehe im wesentlichen drei Probleme, die den Bestand der Partei gefährden. Ich will sie hier einigermaßen ausführlich beschreiben:
1. Der Verlust „bürgerlicher“ Mitglieder
Das erste Problem ist untrennbar verbunden mit dem Schmuddelimage, das politische und mediale Gegner der AfD in der öffentlichen Wahrnehmung verpasst haben. Hierauf gibt es in der Partei im wesentlichen zwei Reaktionen. Ein Teil der Partei hat sich damit abgefunden und betrachtet es als den notwendigen Preis, den man bezahlen müsse, wenn man gegen den „Mainstream“ agiere. Ein anderer Teil der Partei aber ist zunehmend besorgt, weil die Mitgliedschaft in der AfD immer öfter vom Arbeitgeber missbilligt wird, weil sie zu beruflichen Nachteilen führt, weil Kunden verloren gehen und weil man sich sozial ins Abseits gerückt sieht, wenn man merkt, dass Freunde und Bekannte, ja manchmal sogar Familienmitglieder auf Distanz gehen. Und diese Mitglieder ziehen sich resignierend zurück und verlassen früher oder später die Partei.
Solche Entwicklungen haben in den letzten Monaten in beunruhigendem Maße zugenommen: Mitglieder treten aus oder kündigen mir ihren Austritt an, wenn sich das Ansehen der AfD in der Öffentlichkeit nicht sehr bald wieder bessere. Und es handelt sich nicht um Einzelfälle, sondern um eine inzwischen weitverbreitete Stimmung insbesondere im bürgerlichen Kern unserer Partei. Hier spielt sich ein schleichender, aber sich beschleunigender Erosionsprozess ab, der inzwischen auch verdiente, aktive Funktionsträger erfasst hat – Menschen, die sich seit unserer Gründung unermüdlich für die AfD eingesetzt haben.
Wir müssen diese Entwicklung unbedingt stoppen. Ich widerspreche hier energisch Herrn Gauland, der im Handelsblatt (und mir persönlich) gesagt hat, er wolle nicht auf das Bürgertum setzen, denn wir seien eine Partei der kleinen Leute. Ich kann vor dieser Strategie nur eindringlich warnen. Wer die AfD zu einer Partei der „kleinen Leute“ machen will, zerstört die AfD, in der „bürgerliche“ Mitglieder einen ganz wesentlichen Teil der Mitgliedschaft ausmachen.
Die AfD ist keine Partei der kleinen Leute, sondern eine Volkspartei, die allen Schichten des Volkes eine Heimat bietet. Gute Politik besteht darin, dass man nicht allein den Interessen einer bestimmten Klientel dient, sondern einen vernünftigen Interessenausgleich erwirkt – auch zwischen den Gruppen, die man etwas holzschnittartig als „bürgerlich“ oder als „kleine Leute“ bezeichnen mag.
Um von diesen Klischees schnell wieder wegzukommen: Ein seriöses Image der AfD ist wichtig für viele Mitglieder, die mitten im Beruf stehen, die auf ein berufliches Fortkommen hoffen und in ihrem Freundeskreis nicht mit schiefen Blicken bedacht werden möchten. Wir wollen die AfD-Mitgliedschaft ja nicht verstecken müssen, sondern wir wollen stolz darauf verweisen und für die AfD werben können.
Viele von uns haben einen Ruf zu verlieren und jeder, der in der AfD Verantwortung trägt, ist verpflichtet, den guten Ruf der Mitglieder zu schützen. Deshalb muss er das Ansehen der Partei fördern und alles vermeiden, was dazu führen könnte, dass allein die bloße Parteimitgliedschaft von unseren Mitgliedern als rufschädigend wahrgenommen wird.
Nun sind es natürlich insbesondere die Medien, die das Image der AfD prägen. Aber so gehässig dies zum Teil geschieht, so ist es doch nicht so, dass wir nicht ebenfalls Einfluss darauf haben, wie die AfD wahrgenommen wird. Und hier fehlt es oft an Verantwortung derer, denen ein angeschlagener Ruf der AfD eher egal ist. Wer glaubt, der AfD mit steilen Thesen, scharfer Kante und provokativen Aktionen einen Gefallen zu tun, der übersieht, welchen Schaden er tatsächlich der Partei zufügt, weil er wertvolle Mitglieder vertreibt und so zur Entbürgerlichung der AfD beiträgt. Manche mögen das beabsichtigen. Klügeren sollte klar sein, dass die Partei zerbrechen wird, wenn dieser Prozess weiter vorangetrieben wird.
2. Grundausrichtung und inhaltliche Grenzen der AfD
Das zweite große Problem liegt in der Grundausrichtung der Partei bzw. in den inhaltlichen Grenzen, die sich die AfD setzt. Dabei geht es nicht um eine Abgrenzung zum Rechtsradikalismus. Diese ist für alle Parteimitglieder selbstverständlich. Sondern es geht darum, klar zu sagen, wofür die AfD steht und für welche Positionen sie nicht steht. Der Bürger muss wissen, was die AfD vertritt und auch die AfD-Mitglieder müssen sich darauf verlassen können, dass sie nicht für Vorstellungen in Haftung genommen werden, die ihren eigenen diametral entgegengesetzt sind.
Gewiss: Es gibt viele politische Fragen, bei denen es geradezu zu den Stärken einer Partei gehört, dass sie unterschiedliche Meinungen vereint. Dass in der AfD konservative, liberale, soziale und libertäre Ideen vertreten werden, ist gut, weil dies die Grundlager lebendiger Diskussionen ist. Aber es gibt auch besonders grundlegende Positionen, die Mitglieder als nicht verhandelbar ansehen. Jedes Mitglied hat rote Linien, die nicht überschritten werden können, ohne dass es die Partei verlässt.
Auch hier gibt es, vereinfacht gesprochen, zwei sehr unterschiedliche Gruppen von Mitgliedern. Die eine Gruppe kritisiert wichtige politische Fehlentwicklungen (z. B. Euro, Energiepolitik, Bildungspolitik, Einwanderungsgesetze, Demokratiedefizite), akzeptiert aber die wesentlichen gesellschaftlichen Grundentscheidungen der Bundesrepublik Deutschland. Die andere Gruppe stellt eben diese in Frage, sie äußert sich deshalb in den unterschiedlichsten Akzentsetzungen neutralistisch, deutschnational, antiislamisch, zuwanderungsfeindlich, teilweise auch antikapitalistisch, antiamerikanisch oder antietatistisch. Es fallen in diesem Zusammenhang auch unpräzise (aber bezeichnende) Kampfbegriffe wie Mainstream, Establishment, Systemfrage.
Die programmatische Beschlusslage der AfD ist eindeutig im Sinne der ersten Gruppe – und ich bin der festen Überzeugung, dass diese die große Mehrheit der Parteimitglieder ausmacht. Vielleicht ist aber eben dies der Grund dafür, dass die zweite Gruppe ihre Vorstellungen besonders vehement und laut vorträgt. Dies wiederum provoziert Vertreter der ersten Gruppe und darüber entbrennt ein heftiger Streit, der das Ansehen der AfD in der Öffentlichkeit schädigt.
Wir alle wünschen uns Harmonie in der Partei – und immer wieder werden angesichts des fortgesetzten Streits Rufe zum Zusammenhalt laut. So verständlich dies ist: Ich glaube nicht, dass Appelle zur Geschlossenheit hier weiterhelfen. Die Grundvorstellungen dieser beiden Gruppen sind unvereinbar, auch wenn man in Einzelfragen Kompromisslösungen erreichen kann. Tatsächlich aber ist es ein Streit darüber, ob die Grundausrichtung der Partei hin zu dem radikalen, systemkritischen Ansatz verschoben werden soll. Ich hielte das für fatal, aber wir haben den Streit und er muss entschieden werden. Dies umso mehr als sich damit auch entscheidet, welche Personen die Partei künftig vertreten sollen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns Mut zur Klarheit haben. Es nützt nichts, Konflikte zuzukleistern – man muss sie lösen. Der Konflikt über die Grundausrichtung der Partei muss entschieden werden und auch wenn diese Entscheidung zu Mitgliederverlusten auf der einen oder anderen Seite führen wird, halte ich dies für besser, als dass die Partei sich in einem ständig schwelenden und immer wieder aufflackernden Streit über Monate oder Jahre hin zerreibt. Dies ist weder unseren Mitgliedern, noch unseren Funktionsträgern noch unseren Wählern zuzumuten. Deshalb: Je eher wir diese Entscheidung treffen, desto besser.
Übrigens überlappt dieses zweite Problem (die Grundausrichtung der Partei) natürlich mit dem ersten Problem (die drohende Entbürgerlichung). Und auch die am Anfang von mir bereits erwähnten Stilfragen spielen hier eine große Rolle. Insbesondere in den geschlossenen Facebookgruppen, in den Foren, die nur die Freaks kennen, oder in Netzwerken Gleichgesinnter werden fundamental-oppositionelle Vorstellungen teilweise in einem Ton vorgetragen, der moderate Parteimitglieder erschauern lässt.
3. Karrieristen, Querulanten und Intriganten.
Das dritte große Problem der AfD ist einfach beschrieben: Es gibt Mitglieder, die aus ganz unpolitischen Gründen große Aktivitäten in der Partei entfalten. Manche wittern in der Partei die berufliche Chance eines bislang eher erfolglosen Erwerbslebens, andere sehen die Bedeutung ihrer Person dadurch hervorgehoben, dass sie bei allen passenden Gelegenheiten irgendwelche Schwierigkeiten machen und wieder andere (oder auch die gleichen) empfinden eine klammheimliche Freude daran, Parteifreunde mit Intrigen Schwierigkeiten zu machen.
Dies alles gibt es sicherlich auch in den Altparteien – vielleicht sogar im selben Umfang. Aber die Altparteien haben die zuvor beschriebenen Probleme der AfD nicht. Und genau diese Probleme bieten Karrieristen, Querulanten und Intriganten die trefflichsten Gelegenheiten der Selbstverwirklichung. Wem es mehr um das eigene Fortkommen als um politische Inhalte geht, der paktiert auch mit den Falschen, wenn dies die Gelegenheit schafft, vermeintliche Konkurrenten aus dem Wege zu räumen. Auch Querulanten und Intriganten richten sich naturgemäß gegen die, die in den bestehenden Strukturen arbeiten und nutzen deshalb gerne die Möglichkeit, denen zu dienen, die am liebsten das Bestehende umstürzen würden. So erhalten Kräfte in der Partei Auftrieb weit jenseits ihrer tatsächlichen Bedeutung. Manches Resultat dieser vereinten Anstrengungen haben wir in den vergangenen Wochen auf Mitgliederversammlungen und Parteitagen gesehen – und es war nicht zum Vorteil der AfD.
Meine Damen und Herren,
ich weiß, dass diese Mail viel zu lang ist. Aber ich halte sie für wichtig, denn die AfD ist in einer schweren Krise. Ich bin nicht sicher, dass die AfD in der Form, in der wir sie 2013 gegründet haben, fortbestehen wird. Es gibt Kräfte in der Partei, die eine andere, radikalere AfD wollen.
Ich will dies nicht. Denn die AfD hat nach meiner festen Überzeugung nur eine Zukunft als bürgerliche, sachorientierte und konstruktive politische Kraft aus der Mitte der Gesellschaft. Ich will deshalb alles dafür tun, sie als eine solche zu erhalten. Aber dafür brauche ich Ihre Unterstützung.“
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