Wenn sich die Wohlmeinenden nach unten erleichtern

Ein leitender MDR-Mitarbeiter rief zum Boykott von Sonneberg auf – und beklagt jetzt den „Shitstorm“. Das Muster wiederholt sich: Erst beleidigen, sich dann bedauern lassen. Und fragen: woher kommt bloß der ganze Hass?

Seit Anfang dieser Woche kennen mehr Menschen Michael Voß, als es dem Chef vom Dienst und Autor beim Mitteldeutschen Rundfunk möglicherweise recht ist. Wobei: Voß sollte nicht nur als Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Anstalt Öffentlichkeit gewohnt sein. Er betreibt zusätzlich noch in Gestalt eines Twitteraccounts, der bisher seine Dienstfunktionen und ein Bild der MDR-Zentrale zeigt, seine eigene, eng an seinen Arbeitgeber angelehnte Sendeplattform. Dort rief er dazu auf, den Landkreis Sonneberg, in dem gerade ein AfD-Politiker zu Landrat gewählt wurde, „auf allen Ebenen“ zu boykottieren. Also: Bürger, kauft nichts bei Sonnebergern. Und fahrt auch nicht zur Erholung in den kleine Südthüringer Sprengel.

Die vorerst nur ökonomische Züchtigung, die sich Voß für den Kreis wünscht, soll also alle gut 56 000 Einwohner dort treffen, unabhängig von ihrem Wahlverhalten. So etwas nennt man Kollektivstrafe. Auf seinen Aufruf reagierten nicht nur Südthüringer mit wenig freundlichen Gegenworten. Viele erinnerten ihn daran, dass er sein Gehalt auch den zwangsweise abgeführten Beiträgen jener Bürger verdankt, die er gern ökonomisch strangulieren würde (offenbar in der Erwartung, sie würden dann im letzten Moment versprechen, nie wieder falsch zu wählen). Auf die ziemlich erwartbare Reaktion, die seinem Tweet folgte, reagierte er wiederum mit Klagen über „Hass“ und „Shitstorm“.

Das Muster wiederholt sich. So ähnlich funktionierte das Reiz-Reaktionsschema auch, als die ZDF-Mitarbeiterin Sarah Bosetti Demonstranten gegen die staatlichen Coronamaßnahmen als „Blinddarm der Gesellschaft“ bezeichnete. Oder als der damalige Kommunikationschef des Erzbistums Köln Ansgar Mayer – übrigens ebenfalls nach einem ostdeutschen Wahlverhalten, das ihm missfiel – im Jahr 2017 auf Twitter anbot: „Tschechien, wie wär’s: Wir nehmen Euren Atommüll, Ihr nehmt Sachsen?“. Oder Mitarbeiter des WDR nach der mittlerweile weithin bekannten „Umweltsau“-Oma.

Auch in diesen wie in vielen anderen Fällen antworteten viele, und nicht wenige davon in ähnlicher Tonlage. Prompt beschwerten sich die Urheber der Aussagen über die Welle von „Hass und Hetze“, die sie jetzt treffen würde. Ihre eigenen Botschaften hielten sie wahlweise für Kommentare besorgter Demokraten und/oder elegante Satire.

In der englischsprachigen Welt gibt es für diese Praxis längst Begriffe: ‚Reverse trolling‘, oder ‚Hate fishing‘. Jemand sendet etwas bewusst Bösartiges und Beleidigendes aus, was selbst beim besten Willen zu keiner normalen Kommunikation mehr beiträgt, und verbucht das, was dann folgt, durchaus als Distinktionsgewinn. Denn damit fällt es leicht, sich im eigenen Milieu als Hassopfer bedauern zu lassen, dort die Bekanntheit zu steigern, und ganz allgemein das Gefühl der eigenen Wichtigkeit.

Auf gesellschaftlicher Ebene funktioniert das Hassfischer-Spiel im Prinzip gleich, nur eben überindividuell: Studienautoren stellen eine Zunahme von „Hass und Hetze“ im Netz fest, Journalisten verbreiten die von ihnen klammheimlich für gut gehaltene Kunde, Politiker versprechen und liefern mehr Geld gegen das Übel. Nach den Ursachen fragen sie gar nicht erst. Wozu auch? Die üblichen Verdächtigen sind bekannt, zumindest bei ihnen: Die Rechten, die Populisten, die Abgehängten.

Vor allem, wenn Leute mit großer Öffentlichkeitswirkung sich an Ostdeutschen abarbeiten, verachten sie nicht nur schlechthin andere. Sie verachten gleichzeitig nach unten. Das durchschnittliche jährliche Prokopf-Einkommen im Kreis Sonneberg liegt bei 21 812 Euro. Man sieht: allzu viele leitende ARD-Mitarbeiter, ZDF-Prominente und Kommunikationsdirektoren leben dort nicht. Umgekehrt finanzieren aber selbst die meisten Geringverdiener die Gehälter ihrer Verächter mit, über die Rundfunkgebühr („Demokratieabgabe“) oder die Staatskirchenleistungen, gut eine halbe Milliarde, die jedes Jahr aus der Steuerkasse an die beiden großen Kirchen fließen. Zu den Mitteln für die Hassbekämpfung durch linksgebürstete NGOs tragen sie selbstverständlich auch noch bei.

Wenn sich ein Wohlmeinender über das Geländer seines Sonnendecks nach unten in Richtung Bürger erleichtert, und anschießend die eigene Ladung zurück ins Gesicht bekommt, dann nennt man das: Feedback. Bei den meisten Stürmen, über die sich die Guten beklagen, handelt es sich um ihre eigenen Produkte, die nur die Richtung wechseln.

Wenn schon staatliche Hassbekämpfung, dann könnte sie vielleicht mit einer Broschüre zum Thema Wechselwirkung beginnen, die erst einmal in Führungsetagen von öffentlich-rechtlichen Sendern und sonstigen Hochburgen des Guten verteilt werden sollte.

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