In den letzten Tagen fragte mich mein Bruder: Warum regen sich die Menschen nicht massiv auf über den jüngst aufgepoppten Skandal beim Bundesnachrichtendienst? Über unsere Politiker, die sich hinstellen und jede weitere Debatte darüber für beendet erklären (so geht das also, das muss ich auch mal versuchen). Wo bleibt der große Aufschrei in den Medien? Wo stellen sich die Aufschrei-Krampfhennen hin und regen sich mal über ein echtes Problem auf? Warum wird es schnarchend hingenommen, dass Deutschland nur bedingt unabhängig von den USA ist?
Vielen Lesern dieser Seite dürfte die Organisation Gehlen ein Begriff sein. Sehr vielen aber sagt das heute leider nicht mehr das geringste.
„Die Organisation Gehlen war ein im Juni 1946 von US-amerikanischen Besatzungsbehörden in der Amerikanische Besatzungszone aus deutschem Personal, bestehend aus Resten der 12. Abteilung des Generalstabs des Heeres, der Abteilung Fremde Heere Ost, gebildeter Nachrichtendienst. Sie war die Vorläuferorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND).“
Nach dem zweiten Weltkrieg verschaffte Gehlen der US-Regierung wäschekörbeweise Informationen, welche sich an dem weiteren Wissen der Aufklärungsleute aus dem „Dritten Reich“ höchst interessiert zeigten. Die Operation Gehlen wurde damals mit jährlich 1,5 Mio DM von den USA unterstützt und finanziert. Es war die Geburtsstunde.
Warum also sollte sich also irgendjemand wirklich und ernsthaft darüber aufregen, dass der BND dem CIA und den Amerikanern alle Türen sperrangelweit offen stehen lässt, wo der BND doch bis heute eine Art Außendienststelle ist. Besonders lustig wird es, wenn sich Personen wie Gregor Gysi oder weitere Parteimitglieder der Linken hinstellen, sich über den Spionage-/Abhörskandal echauffieren und sich zum großen Aufklärer hochstilisieren wollen – war da nicht was mit den Russen auf der anderen Seite? Und noch lustiger sind Talkshows, die die Bühne bieten für diese Show. Übrigens: Diese schönen runden Abhör-Kuppeln in Bad Aibling gehörten auch den Amerikanern. Sie haben diese dem BND überlassen, dafür dürfen sie etwas mithören. Alles hat seinen Preis. Wir kennen ihn. Manche haben ihn beschrieben.
Spionage war immer Bestandteil der Kulturen – und wird es immer bleiben
„The Americans“ spielt zur Zeit des Kalten Kriegs Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Die Protagonisten, das Ehepaar Elizabeth und Philip Jennings, leben mit ihren Kindern bei Washington D.C.. Ende der 60er Jahre sind beide als Spione des KGB in die USA gezogen. Zur Tarnung leben sie ein nach aussen hin völlig unspektakuläres Leben als perfektes Ehepaar und Eltern zweier Kinder – die von der wahren Identität ihrer Eltern ebenso wenig ahnen wie Nachbarn, Freunde und Kollegen.
In Rückblenden erfährt der Zuschauer, dass die Ehe der beiden vom KGB arrangiert worden ist; dass jeder Schritt, auch die Geburt beider Kinder, ein Schritt auf dem Weg zur perfekten Tarnung in der neuen Umgebung bedeutet.
Kompromisslos erfüllen sie jeden noch so harten Auftrag, liefern die Inhalte brisanter und streng geheimer Dokumente wie über den geplanten Raketenabwehrschild akkurat nach Hause – oder töten Widersacher, Überläufer oder langjährige Weggefährten, die für sie zu einem Sicherheitsrisiko geworden sind.
Auf der anderen Seite erhält man über den Nachbarn der beiden, Stan Beeman, Einblicke in die Abläufe des amerikanischen Geheimdienstes FBI, wo er als Agent russische potentielle Doppelagenten identifiziert, rekrutiert und betreut.
Jede Partei zieht dabei sämtliche Register des MICE.
- Money: Viele Spione wollen mit zusätzlichem Einkommen ihren Lebensstil finanzieren, ein historisches Beispiel ist Aldrich Ames.
- Ideology: Wer sich bestimmtem Gedankengut verpflichtet fühlt, wird eher bereit sein, jenen zu helfen, die dieses Gedankengut vertreten, beispielsweise waren während des Kalten Krieges Kim Philby und George Blake Spione aus ideologischer Überzeugung.
- Coercion (Zwang): Fallweise werden potenzielle Agenten eingeschüchtert, bedroht oder erpresst, um sie zur Kooperation zu bewegen. So wurde z. B. Alfred Redl mit Enthüllung seiner Homosexualität und Edgar Feuchtinger mit der Enthüllung seiner Desertion erpresst.
- Ego: Ein Spion ist in seiner Selbstwahrnehmung eine wichtige und einflussreiche Person, was ihn von der Masse der Menschen unterscheidet, auch wenn diesen seine Rolle natürlich nicht bekannt ist; er kann in dieser Rolle auch anderen (z. B. Vorgesetzten) etwas „heimzahlen“. Nach diesem Motiv handelte etwa Robert Hanssen.“ (Wikipedia)
Wahre Begebenheiten
Die Idee dieser überaus spannenden und exzellenten Serie beruht zum Teil auf einer wahren Geschichte. Im Jahr 2010 sind mehrere russische Agenten aufgeflogen, die mitunter seit Jahrzehnten verdeckt in den USA gelebt haben. Mehrere von ihnen hatten Kinder, Kollegen, Freunde, Nachbarn, die allesamt nicht das geringste davon geahnt haben, neben wem sie da gelebt, gearbeitet, gelacht und gestritten hatten. Neben waschechten Spionen. Mitten unter ihnen. Diese Schläfer wurden schliesslich nach Russland zurückgeführt, im Austausch gegen einige dort festgesetzte amerikanische Agenten. Der größte Austausch von Agenten seit 24 Jahren.
Unter den aufgeflogenen russischen Spionen befand sich auch die schöne Anna Wassiljewna Chapman, bekannt geworden als „Agentin 90-60-90“. Eine echte Mata Hari mit roten Haaren, roten Lippen und Kurven, für die Sie ins Schwärmen geraten.
Erst Anfang diesen Jahres wurde in den USA wieder ein russischer Spionagering „ausgehoben„. So geht das eben immer weiter.
Sie leben unter uns. Vielleicht neben uns. Vielleicht auch nicht. Wenn Sie nicht gerade angesagter Raketenwissenschaftler sind, einen Konzern wie EADS leiten oder das nächste heisse Ding im Silicon Valley planen, sollte Sie das potentielle Doppelleben Ihrer Nachbarn nicht weiter tangieren.
Millionen winzig kleiner digitaler Fingerabdrücke
Nur soviel: Geheimdienste haben schon immer alle verfügbaren Möglichkeiten genutzt, um an so viele verwertbare Informationen zu gelangen wie nur irgend möglich. Das digitale Zeitalter hat ihnen dabei Türen, Fenster und Schleichwege geschaffen, die sie nutzen, in vollem Umfang. Und natürlich nutzen sie die. Sich vorzumachen oder zu fordern, die Geheimdienste mögen dies doch netterweise unterlassen, weil man das unter Freunden nicht so macht, ist so illusorisch, wie es naiv ist. Dass unsere Regierung sich dem vehement widersetzen würde, als alter Wegbegleiter, als willfähriger Gehilfe, als Vasall, ist ebenso verträumt und weltfremd. Und warum sollten sie das tun? Sie haben gesehen, dass es keinen Protest gibt. Und schon fiel der nächste Widerstand – beinahe ebenso geräuschlos: die Vorratsdatenspeicherung. Es wird immer genau das gemacht, was möglich ist. Das heißt, wenn sich die Speicherkapazitäten vervielfachen, werden Sie vielleicht mal eines Ihrer Gespräche anhören können, das Sie an einem lauen Sommerabend vor 34 Jahren unter Alkoholkonsum geführt haben.
Sie, geschätzter Leser, tippen jeden Tag Nachrichten in ihr Smartphone. In Ihr Tablet. In Ihren PC. Sie surfen durch das Internet. Sie führen Telefonate – oder Gespräche daheim, die bereits heute schon ohne Wanze, dafür aber mit spezieller Apparatur über die übertragenen Stimmvibrationen in Ihre Fensterscheibe abzuhören sind. Und sie hinterlassen jeden Tag Millionen kleiner Spuren. Sie sind verbunden mit ihm, mit dem großen Ganzen. Und das große ganze ist verbunden mit Ihnen. Früher nannten die Menschen sowas eine Idee von Gott.
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