Es droht der Bruch mit Ungarn und Polen

Der Asyl-„Kompromiss” der EU wird in Deutschland gefeiert – und entspricht dem deutschen Interesse, die Kosten für falsche Entscheidungen Berlins in der Flüchtlingskrise auf andere Länder abzuwälzen. Aber er kann zu einem fatalen Bruch in der EU führen.

IMAGO

Am 8. Juni einigten sich die EU-Innenminister auf neue Asyl-Regeln. Erwartungsgemäß wurde der „Kompromiss“ in Deutschland als „Verschärfung“ gefeiert, in Polen und Ungarn hingegen als Schlag gegen nationalstaatliche Souveränität verurteilt, und als Sieg für Menschenschmuggler, Linke, Liberale und all jene, die mehr Migration in Europa wollen. Was stimmt?

Die „Einigung“ war keine, da sie auf der Ebene der EU-Innenminister gegen den Widerstand Polens und Ungarns durchgedrückt wurde. Dort reicht eine qualifizierte Mehrheit. Im Rat der Staats- und Regierungschefs wäre das Paket nicht konsensfähig gewesen. In diesem Sinne sprechen Befürworter einer tieferen EU-Integration von einem „Schritt in Richtung einer handlungsfähigeren EU“, was für die Gegner einer solchen tieferen Integration nichts anderes bedeutet als ein Schritt in Richtung einer EU, in der die mächtigeren EU-Länder – insbesondere die historischen Großmächte Deutschland und Frankreich – die Schwächeren unterdrücken können. Eine EU, in der die Westeuropäer den „Osteuropäern“ ihren Willen besser aufzwingen können.

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Die Verlagerung auf die Ebene des Ministerrates war vor allem deswegen nötig, weil der „Kompromiss“ eine Neuauflage der historisch gescheiterten Flüchtlingsquoten aus dem Jahr 2015 enthält. Auch diese Entscheidung wurde damals über den Kunstgriff einer Verlagerung auf die Ministerebene erzwungen – scheiterte aber in der Praxis und ging mit enormen politischen Kosten einher. Damals öffneten sich Abgründe zwischen den mächtigen West- und den schwächeren, daher unterlegenen Zentraleuropäern in der EU.

Das wird auch die Folge der jetzigen Entscheidung sein. Polen plant ein Referendum zum Thema und hat nicht vor, den Beschluss zu implementieren. Ungarns Ministerpräsident hat ebenfalls gesagt, die neuen Regeln auf keinen Fall implementieren zu wollen. Er sei in Gesprächen mit anderen europäischen Ländern, um zu klären, wie man gemeinsam gegen den Beschluss vorgehen könne.

Wie schon die sinnlose Flüchtlingsquote von 2015 wird die neue Regel in der Praxis scheitern. Die meisten Migranten wollen nach Deutschland, und wenn sie erst einmal in der EU aufgenommen sind, wird niemand sie davon abhalten können, auf die eine oder andere Weise nach Deutschland zu gelangen. Auch wenn sie zunächst, um ein Beispiel aus der Luft zu greifen, ins zauberhafte Bulgarien verfrachtet werden. Was dann? Abtransport von „umverteilten“, aber nach Deutschland entwichenen Migranten nach Osteuropa – während man unfähig ist, abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan oder Libyen zurückzuschicken?

30.000 Asylanten sollen jedes Jahr umverteilt werden. Dank einer ebenso alten Idee sollen Mitgliedsländer aber nicht verpflichtet werden, tatsächlich welche aufzunehmen. Sie sollen pro abgelehntem Migranten 22.000 Euro zahlen, oder den Gegenwert in sonstigen Beiträgen zur „Solidarität“, über deren Charakter man sicher noch viel streiten wird. Ungarn beispielsweise sieht seinen Grenzzaun und die enormen Kosten, die damit einhergehen, als hinreichenden Beitrag. Die EU nicht.

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22.000 Euro pro abgelehntem Flüchtling? Das wäre dann akzeptabel, wenn die EU Polen 22.000 Euro zahlen würde für jenen der von Polen aufgenommenen zwei Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine. Bislang kamen dafür aus Brüssel 200 Euro pro Kopf. Solidarität mit Osteuropa ist offenbar deutlich billiger als Solidarität mit Westeuropa. Für Ungarn wären die Kosten potenziell mehr als 800 Millionen Euro binnen vier Jahren, wenn das Land keinen einzigen Flüchtling aus diesem Programm aufnimmt.

Lieber würden die Ungarn mit diesem Geld Kindergärten bauen. Oder den Lehrern bessere Gehälter geben – was derzeit auch deswegen schwierig ist, weil die EU aus relativ intransparenten Gründen sowohl die Ungarn zustehenden Covid-Gelder als auch Gelder aus dem Kohäsionsfonds verweigert.

Apropos: Die neuen Asylregeln sind ein ideales neues, endlos potenzierbares Druckmittel auf Polen und Ungarn. Ganz sicher wird es nicht bei 30.000 Migranten pro Jahr bleiben. Das ist nur die Einstriegsdroge. Über die Jahre wird diese Zahl bestimmt angehoben werden, eine gesetzlich verbindliche, endgültige Obergrenze ist nicht vorgesehen. Damit kann dann potenziell noch mehr Geld von den relativ armen „Osteuropäern“ eingetrieben werden. Da sie sowieso nicht zahlen werden, wird das dann von den ihnen zustehenden Geldern aus dem Kohäsionsfonds abgezogen.
Die Botschaft an Polen und Ungarn ist letztlich: „Nie wieder werdet ihr EU-Gelder erhalten“ – zumindest solange nationalkonservative Regierungen an der Macht sind.

Der Beschluss der EU-Innenminister wird erst rechtskräftig, wenn er auch vom Europaparlament angenommen wird. Dort dürfte er jedoch weiter gelockert werden. In seiner jetzigen Form erhält er immerhin die vernünftige Entscheidung, Migranten in Prüfungszentren an den EU-Außengrenzen zu halten, bis entschieden wird, ob sie schutzbedürftig sind. Sind sie es nicht, gelten sie als „nicht eingereist“ und werden abgeschoben – eine Praxis, die einst Ungarn einführte, und die von der EU damals heftig angegriffen wurde.

Es gibt nur eine denkbare Lösung, einen offenen Bruch mit Polen und Ungarn zu vermeiden: eine Implementation, die im Detail dafür sorgt, dass diese beiden Länder weder Migranten aufnehmen müssen noch dafür zahlen müssen, wenn sie es nicht tun. Das ginge etwa, indem man Ungarns Geldaufwand für den Grenzzaun verrechnet oder die Aufnahme zahlreicher ukrainischer Flüchtlinge anrechnet.

Wenn das nicht geschieht, kann ein endgültiger Bruch entstehen. Die permanente finanzielle Bestrafung zweier Mitgliedsländer nur, weil sie Positionen vertreten, die ihre Bürger wollen, kann für die EU auf Dauer nicht gut enden.

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Kommentare ( 59 )

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Kappes
1 Jahr her

Ich wünsche den Polen und Ungarn, dass sie nicht finanziell abgestraft werden. Und selbst wenn: Ein paar Mio Euro Verlust oder Strafe pro Jahr ist weniger schädlich für die Gesellschaft als unkontrolliert bunter zu werden. Sowohl finanziell als auch sozial.

Mausi
1 Jahr her

„einigten sich die EU-Innenminister“ „Im Rat der Staats- und Regierungschefs wäre das Paket nicht konsensfähig gewesen.“
Und ich mus gestehen, ich weiß noch nicht mal, wie das Gremium heißt, in dem die Innenminister über das Asylrecht bestimmen können. Aber gut, in D hält ja, glaube ich, angeblich auch der Innenminister die Grenzen offen.
Dennoch ist der zweite Satz recht billig. Haben nicht in allen EU-Staaten die Staats- und Regierungschefs die Richtlinienkompetenz?

Last edited 1 Jahr her by Mausi
RauerMan
1 Jahr her

Von Deutschland spricht wohl wieder niemand ?
Unsere Mittel, nicht nur Geld, sind begrenzt. Punkt.
Muß man immer wieder dasselbe sagen ?
Die dt. Mehrheitsgesellschaft, welche bisher, von entsprechenden Stellen gehirngewaschen wurde, sieht allmählich den Widersinn und die Gefahren von ungeregelter Zuwanderung. Und das vor allem in die Sozialsysteme.
Der allgemeine Sprachgebrauch von Flüchtlingen oder Asylanten stimmt bei näherer Betrachtung auch nicht, die Sache soll möglichst alternativlos rüberkommen.
So geht das nicht weiter, die Parteien spüren endlich auch den Gegenwind, welcher ihre Machtpositionen gefährden wird.

Vati5672
1 Jahr her

Asyl abschaffen, Gnadenrecht, niedrige (30-40.000) Obergrenze!

Weder sage ich meinen Nachbarn, noch sie mir welche Tapeten ich
in meiner Wohnung haben muss.

Quoten können nicht funktionieren weil die wirtschaftlichen
Unterschiede zw. den EU Staaten zu hoch ist.
Für die eigenen Leute kein Geld, aber (passlose)Asylanten bekommen
so viel wie Niedriglöhner? 1 A BOOSTER für „rÄÄÄCCHZZ“parteien.

Hoffentlich fällt diese kulturmarxistische EU bald auseinander.
Deswegen A..Sag ich nicht

ps. Wer CDU wählt bekommt Grün.

Innere Unruhe
1 Jahr her

Wieso müssen wir Asylanten aufnehmen, die genauso in den Grenzländern Hilfe finden könnten? Wieso diskutieren wir über diese horrenden Summen für 10% der weltweiten Asyler? Wieso unterscheiden wir, ob jemand in Kongo oder in DE Hilfe sucht? Asylanten sind genau der Grund, warum die UNO gegründet wurde. Wir sollen das Geld an die Uno überweisen und die Asylanten in Heimatnähe halten. Aufnahme von Asylanten ist genau das, was die Kriegsparteien in ihren Heimatländern wollen – Menschen aus ihren Häusern vertreiben, sie von den Europäern versorgen lassen und das Hab und Gut der Vertriebenen unter sich aufzuteilen. Unsere Asylpolitik ermöglicht die… Mehr

Nibelung
1 Jahr her

Die EU wird in ihrer heutigen Besetzung nicht weiter existieren können, denn dort haben sich Glücksritter und sozialistische Idiologen festgesetzt, die dabei sind, das geplante Europa der Vaterländer erodieren zu lassen und die Briten waren das erste Alarmzeichen und weitere werden folgen oder sich zusammenschließen um dem ganzen Irrsinn zu entkommen. Hatte McCarthy die Kommunisten und Sozialisten über dem Teich noch im Griff, so haben diese sich über die Jahre auch verselbstständigt und sich mit dem Kapital angefreundet, was zu einer existentiellen Gefahr wurde, denn die kaufen sich schlicht und einfach bei der Politik und anderen Organisationen ein und bestimmen… Mehr

Ali Mente
1 Jahr her

Mal wieder eine gründeutsche Wunschvorstellung. Man verteilt Flüchtlinge, die nach Deutschland wollen, auf Länder die diese Flüchtlinge nicht haben wollen. Das funktioniert genauso gut, wie eine stabile Energieversorgung aus Wind- und Solar-Flatterstrom, oder wie Umwelt- und Klimaschutz mit E-Mobilität und Wärmepumpen. Das sind zwar Grüne Wunschträume aber die haben erfahrungsgemäß nicht mit der Realität zu tun und funktionieren niemals.

Lizzard04
1 Jahr her

In NRW toben sich seit Tagen Syrer und Libanesen bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen auch am hellichten Tage (8000 und 17000 seit 2015 „Eingereiste“) in Essen und Castrop-Rauxell aus. Ich will keinen einzigen von diesen Leuten hier haben. Neben den EU Bürokraten in Brüssel gibt es außer in Berlin wohl keine Regierung in Europa, die derart konsequent gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung anregiert und sich dabei noch über sinkende Umfragewerte wundert! Meine volle Sympathie für Polen und Ungarn in Sachen Einwanderung, stehen sie doch weiter wie ein Fels in der Brandung!

Audix
1 Jahr her

Nach wie vor der uralte Quatsch der Verteilung der „Flüchtlinge“. Jeder weiß doch, dass die zugeteilten „Flüchtlinge“ sofort wieder zurück nach Deutschland gehen, weil es dort die beste Versorgung gibt. Sollen Polen und Ungarn Gefängnisse oder geschlossene Lager bauen, damit sie bleiben???

Sonny
1 Jahr her

In einem anderen Artikel las ich, dass die AfD ein neues EU-Wirtschaftsbündnis anstrebt, so a lá damaliger EG und zur Zeit auslotet, welche Länder daran ein Interesse haben. Das bedeutet ja eigentlich nichts anderes, als dass sie die EU für durch und durch gekapert und nicht reformierbar halten. Nach gründlichem Nachdenken muss ich sagen: Ich sehe das genauso. Und ich schätze, dass Ungarn und Polen und auch viele andere Länder durchaus Interesse an solch einem Vorhaben zeigen werden. Die EU ist ein Bürokratiemoloch geworden, der nur Eigeninteressen seiner Bürokraten verfolgt, aber wenig bis nichts für europäische Bürger zum Guten wendet.… Mehr

Lizzard04
1 Jahr her
Antworten an  Sonny

Was für ein wundervoller Gedanke, all die gegen die Interessen des eigenen Landes agierenden Brüsseler Polit-Bürokraten von CDU bis Grün ihre höchstdotierten Pöstchen verlieren zu sehen.