Das Unsagbare rückt näher

Bei den Kommunalwahlen in Ostdeutschland geht es jetzt in zwei wichtigen Städten jeweils um Alle gegen Einen. Auf der dem Bürger am nächsten liegenden Ebene der Demokratie muss sich das Parteiensystem als solches verteidigen. Von Konrad Adam

IMAGO / BildFunkMV

Im Osten viel Neues. In Schwerin, der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern, wird ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Dabei ist Leif-Erik Holm im ersten Durchgang zweiter geworden, am kommenden Sonntag geht er in die Stichwahl gegen den SPD-Bewerber Rico Badenschier. Weiter im Süden, bei der Landratswahl im Thüringer Kreis Sonneberg, ist Robert Sesselmann sogar erster geworden. Beide sind weder rot noch schwarz noch grün, sondern blau, Mitglieder der AfD. Die Medien haben sich alle Mühe gegeben, die Ereignisse kleinzureden – „AfD-Kandidat scheitert knapp“ – aber auch sie sehen zum ersten Mal der Gefahr ins Auge, dass mit dem bewährten Tauschhandel – üppige Gehälter samt Rentengarantie gegen Lobhudelei und verlogene Kommentare – Schluss sein könnte. Jetzt wird es wirklich ernst für sie und ihre Gönner.

Die politische Klasse reagiert panisch. Der CDU-Vorsitzende im Lande Thüringen bittet die Wähler, es mit der einmaligen Protestwahl genug sein zu lassen und wieder brav den Wahlempfehlungen von CDUSPDGrünenFDPLinke zu folgen. Offenbar hat er vergessen, dass die Thüringer Wähler schon einmal protestiert hatten, ziemlich deutlich sogar, indem sie einen Landtag wählten, der dann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte. Frau Merkel passte das nicht. Sie setzte sich selbst an die Stelle der Wähler fuhr dem Volk über den Mund und verlangt eine zweite Wahl: ein klarer Verfassungsbruch, der aber ohne Folgen blieb, zumindest für Frau Merkel und die sie stützenden Parteien. Soll man es den Wählern verdenken, dass sie noch einmal protestieren wollen, um endlich zu erfahren, ob in Deutschland das Grundgesetz gilt oder die Laune von irgendwelchen Parteigefolgsleuten?

Sie werden auch zum dritten und zum vierten Male und noch viel öfter protestieren, wenn die Parteien fortfahren, sich selbst an die Stelle der Wähler zu setzen. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow, links und fromm, hat das noch immer nicht verstanden. Er kultiviert das Weltbild der SED: nicht er hat versagt, sondern die Bürger. Nicht er ist anzuklagen, sondern die Wähler, weil sie falsch gewählt haben, und die Nichtwähler, weil sie der Wahl ferngeblieben sind. Der Gedanke, dass er und seine Allparteienbrüder mit ihrer törichten Aus- und Abgrenzungspolitik den Erfolg des AfD-Kandidaten geradezu provoziert haben könnten, kommt ihm nicht im Traum. Genauso wenig wie der CDU, die immer noch nicht verstanden hat, dass man sich das Hochziehen von Brandmauern gut überlegen sollte. Und sich ihre Lage, wenn man sie denn bauen will, nicht vom politischen Gegner vorschreiben lassen darf.

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