Kachowka-Dammbruch nicht durch Beschuss, sondern „kriminelle Fahrlässigkeit der russischen Streitkräfte“?

Die russische Ermittlungsorgansiation "Conflict Intelligence Team" (CIT) hält den Bruch des Kachowka-Staudamms in Cherson für einen Unfall. Wahrscheinlich sei der Damm nicht durch Beschuss, sondern durch "kriminelle Fahrlässigkeit der russischen Streitkräfte" zerstört worden. Die Verantwortung bleibe bei Russland.

IMAGO/Zuma Wire

Wie bereits im TE-Wecker am Mittwoch berichtet, gibt es mehrere Darstellungen, dass der Damm von selbst zusammengebrochen sei. Laut dem britischen Telegraph vermuten einige Experten, dass die Katastrophe durch russisches Missmanagement des Staudamms verursacht worden sein könnte. Sie verweisen darauf, dass die Schleusentore nicht ausreichend geöffnet wurden und der Wasserstand im Stausee so hoch wie nie zuvor war.

Was tatsächlich zum Bruch im Staudamm geführt hat, dürfte noch länger viele beschäftigen. Dass es im Krieg oft weder mit Verstand noch Kalkül zugeht, verschwindet gern hinter dem Eifer beider Seiten, jeweils die andere als schuldig hinzustellen, auch wenn noch gar nichts klar ist.

Unabhängige Ermittler halten Kachowka-Dammbruch für Unfall

Die angeblich unabhängige Ermittlungsorgansiation „Conflict Intelligence Team“ (CIT) aus Russland hält den Bruch des Kachowka-Staudamms in Cherson am Dienstag für einen Unfall. Wahrscheinlich sei der Damm nicht durch Beschuss, sondern durch „kriminelle Fahrlässigkeit der russischen Streitkräfte“ zerstört worden, heißt es in einem am Mittwochabend veröffentlichten Bericht. Die Organisation behauptet, sie habe den Vorfall mithilfe öffentlich zugänglicher Quellen untersucht: durch den Vergleich von Sentinel-, Planet- und Maxar-Satellitenbildern seit Herbst 2022. Diese zeigten Ende letzten Jahres zwei Portalkräne, die mehrfach umgestellt und schließlich seit dem 15. November 2022 nicht mehr bewegt worden seien.

Daraus schließt die Organisation, dass die russischen Streitkräfte den Wasserstand im Stausee seit diesem Tag nicht mehr reguliert hätten. Auf einem Bild vom 28. Mai seien die Kräne in denselben Positionen zu sehen und der Wasserabfluss laufe wie schon im November. Auf diesen Bildern sei auch die zerstörte Zugangsstraße zu sehen, bis zum 4. Juni habe sich das daraufhin entstandene Erdloch ausgeweitet.
So komme man zu dem Schluss, dass sich die Schäden am Damm über einen langen Zeitraum angesammelt hätten und nicht an einem einzigen Tag durch Sabotage entstanden seien. Infolge der kumulierten Schäden sei der Damm in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni zusammengebrochen, heißt es weiter. Dies sei in mehreren Etappen geschehen: Zunächst habe das Wasser den Damm im Bereich der geöffneten Überlauftore durchbrochen, daraufhin sei ein Teil der Hauptgeneratorhalle unter dem Druck des Wasserstroms eingebrochen.

Zu Beginn des Jahres kam es laut der Organisation zu einem starken Rückgang der Wasserhöhe im Stausee auf ein ungewöhnlich niedriges Niveau: gefolgt von einem ebenso starken Anstieg auf ein Rekordhoch im Juni 2023, was auf Frühjahrshochwasser und Regenfälle zurückzuführen sei. Bemerkenswert sei auch, dass die letzte Woche vor dem Dammbruch regnerisch gewesen sei. Auf diese Situation hätten bereits mehrere Veröffentlichungen aufmerksam gemacht.

Im Februar 2023 habe sogar das US National Public Radio (NPR) unter Berufung auf Satellitenbilder erklärt, dass Russland den Kachowka-Stausee trockenlegt, was eine Gefahr für die Sicherheit des Kernkraftwerks „Saporischschja“ sowie für die Wasserversorgung mehrerer Siedlungen und landwirtschaftlicher Betriebe darstelle. Der Wasserstand hätte den niedrigsten Stand der letzten drei Jahrzehnte erreicht, so CIT. Die russischen Behörden, die diese Städte kontrollieren, hätten das Problem ignoriert. Im April habe Roman Tkachuk, Leiter der Abteilung für kommunale Sicherheit der Kiewer Stadtverwaltung, erklärt, dass das Wasserkraftwerk Kachowka „nicht mit voller technischer Kapazität arbeitet“, was die Aufrechterhaltung des Wasserstands im Fluss Dnipro erschwere und in Verbindung mit der Schneeschmelze und starken Regenfällen zu Überschwemmungen in Kiew geführt habe. Faßt man diese Berichte zusammen, so  kam es zu keinem vorausschauenden Management von Zu- und Abfluss mit verheerenden Erfolgen.

Man sei der Meinung, dass die Schuld dennoch eindeutig bei Russland liege, selbst wenn es nicht durch vorsätzliche Sabotage zum Dammbruch gekommen sei, so das russische CIT. Das Land sei für den Schutz der Infrastruktur des besetzten Gebiets verantwortlich. So sei der Unfall entweder durch kriminelle Untätigkeit allein (was nach russischem Strafrecht als vorsätzliche Handlung gelte) oder in Verbindung mit der Zerstörung der Straße, die durch den Damm führte, verursacht worden. Deren Schaden sei im November entstanden, als sich die russischen Streitkräfte vom rechten Ufer des Dnipro zurückzogen.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 21 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

21 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Peter Zinga
1 Jahr her

Aj,aj, mann vergist auf einjährige Beschus durch Streitkräfte der Ukraine: Wer wird ein Damm kontrolieren, wenn immer ein Gefahr bestand, durch ukrainische Granate getőtet zu werden?!

Eberhard
1 Jahr her

Egal wer und warum er die Zerstörung des Staudamm direkt verursacht hat, liegt die Wurzel für die zusätzlich erzeugte Katastophe eindeutig bei Putin. Ursächlich für alles Leid und jeden durch Krieg verursachten Schaden auf dem Territorium der Ukraine, ist doch der völkerechtswidrige Angriff und Die Besetzung ukrainischen Gebietes durch russische Truppen. Aber die Erzeugung möglich großem menschlichen Leid beim Gegner ist selbst in der heutigen modernen Kriegsführung ein probates Mittel zum Zweck geblieben. Auch Deutsche mussten eine solche schlimme Erfahrung vor 80 Jahren u.a. auch mit der Zerstörung der Edertalsperre machen. Mit den modernen Mitteln der Kriegsführung wird jeder Krieg… Mehr

November Man
1 Jahr her

Weil hier einige auf ein Video im Netz hinweisen, welches die Sprengung des Damms zeigen soll. Auch Lanz hat am 06.06.2023 versucht mit einem falschen Video einer Explosion auf dem Damm aus der Videoüberwachung mit den Worten – „der Moment in dem es offensichtlich passiert ist“ – die Sprengung des Damms zu beweisen. Er musste sich von dem Militärexperte Christian Mölling sofort korrigieren lassen, dass es sich um das von Lanz gezeigte Beweis-Video der angeblichen Damm-Spregung um alte Video-Aufnahmen aus den November 2022 handelt als die Zugstrecke weg geschossen wurde.
Typisch ZDF.   

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Eines klingt für mich plausibel: welche russische Truppe auch immer den Staudamm besetzt hat, es dürfte unwahrscheinlich sein, dass unter den Soldaten jemand ist, der weiß, was bei einem über 200 Kilometer langen Stausee aus Gründen der Sicherheit regelmäßig zu tun ist…

Michael Palusch
1 Jahr her
Antworten an  Wilhelm Roepke

Wie kommen Sie darauf, dass die Bedienmannschaft des Staudamms aus russischen Soldaten bestünde?
Nach dieser Logik müssten auch die Reaktoren im KKW Saporischschja vom russischen Militär bedient werden was aber nachweislich nicht der Fall ist.
Aber selbst wenn es so wäre wie Sie behaupten, unterstellen Sie Russland damit, dass es dort an geeignetem Personal fehlt das in der Lage wäre, einen Staudamm sicher zubetreiben.

Last edited 1 Jahr her by Michael Palusch
Freigeistiger
1 Jahr her

Mit dieser Story will man wohl darauf reagieren, daß eine absichtliche Täterschaft Russlands eigentlich keinen Sinn macht, weil es der Hauptgeschädigte des Dammbruchs ist (vor allem die tiefer liegende linke bzw. russisch kontrollierte Seite wurde überschwemmt). Auch etliche Militärposten sind nun unbrauchbar und die Wasserversorgung der Krim könnte eingeschränkt werden. Aber bisher gilt: nichts Genaues weiß man nicht.

Last edited 1 Jahr her by Freigeistiger
Montesquieu
1 Jahr her

Die Ukraine hat eigenen Angaben zufolge in der Vorgeschichte den Damm mehrfach u.a. mit HIMARS beschossen, was kaum ohne Strukturschäden geblieben sein dürfte. Darüber hinaus hat die Ukraine – die mehrere Dämme stromaufwärts des beschädigten Damms kontrolliert – seit ein, zwei Monaten durch ungewöhnlich starke Öffnung dieser Dämme eine maximale Füllung des Kachowka Reservoirs hervorgerufen (mit entsprechender Maximierung des Wasserdrucks auf die durch den vorherigenaktenbeschuß beschädigte Dammauer). Das Narrativ, dass (sollte es so gewesen sein, was im Moment die wahrscheinlichste Hypothese ist) „kriminelle Fahrlässigkeit russischer Streitkräfte“ hauptursächlich für den Dammbruch sei, erscheint mir doch sehr gewagt. CIT ist übrigens fester… Mehr

Marie M
1 Jahr her

Wer lesen kann, ist im Vorteil. Zum Beispiel in der Washington Post. dort erklärt am 29.12.2022 der ukrainische Generalmajor Andrej Kowaltschuk freimütig, dass er eine Überflutung des Dnepr erwogen hätte und mittels HIMARS-Beschuß der Schleusenklappen einen Test durchgeführt habe. Natürlich hat die WP gestern ihren Artikel im Online-Archiv genau um diese Passage gekürzt.
Sicher, nachdem die Russen ihre eigene Gaspipeline gesprengt, ihr eigenes Atomkraftwerk beschossen haben, überfluteten sie jetzt noch ihre eigenen Siedlungen und gefährden die Wasserversorgung der Krim. Entschuldigung, aber da kann ich gleich die BILD lesen.

Michael Palusch
1 Jahr her

Ich halte fest: Die Russen sabotieren einen Staudamm und damit zugleich ein Kernkraftwerk, beides Anlagen die sich in den von ihnen besetzten Gebieten befinden. Das jedenfalls vermuten „einige Experten“ und das sagt eine „angeblich unabhängige Ermittlungsorgansiation“. Diese „angeblich unabhängige“ 6-Personen Organisation CIT (wikipedia.en) arbeitet eng mit Bellingcat, dem Spiegel und der BBC zusammen. Wer diese „unabhängige Organisation“ finanziert bleibt indes völlig im dunklen. Es ist zumindest grob verschleiernd, hier von der „russische Ermittlungsorgansiation „Conflict Intelligence Team“ (CIT)“ zu sprechen. Es wird zwar behauptet, dass die sechs Mitglieder alle Russen seien, jedoch haben diese Russland am 05.03.2022 verlassen. Vielleicht hilft ein… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Michael Palusch
Walter Eiden
1 Jahr her
Antworten an  Michael Palusch

Sehr gute Recherche mit hohem Aufklärungswert. Logisch zu Ende gedacht ist dies ein Schuldspruch für die Ukraine. Aber bevor das zugegeben und veröffentlicht wird muss wohl eher wieder das Klima als Täter herhalten.

Audix
1 Jahr her

Ob Nord-Stream, Staudamm oder diverse „Gräueltaten“, die Medienkampagne des Westens läuft immer gleich. Sofortige Schuldzuweisung, sobald Zweifel aufkommen oder gar der wahre Schuldige bekannt ist: jede Menge Nebelkerzen zur Verschleierung.

Andreas aus E.
1 Jahr her

Kurze Befragung von Wikiblödie ergab: Dieses „Conflict Intelligence Team“ hängt mit Bellingcat zusammen, die bekanntlicherweise eng verbunden mit US-Diensten.
Davon ab: Warum sollte Russentruppe unter englischem Namen auftreten?
Und noch von ab: Wie schwachsinnig sollte russischer Militärführer sein, eigenes Gelände zu überfluten, sich damit ja bei Freund und Feind vermutlich unbeliebt gemacht zu haben?

Ich habe keine Ahnung, was dort tatsächlich abläuft (jetzt im wahrsten Sinne des Wortes), einfach nur zum Erbrechen, ich hätte gern mal neutrale Berichterstattung zu dem ganzen Schlamassel.