Armenien: Christliches Land im Zangengriff

Die älteste christliche Nation der Erde sieht sich geopolitisch isoliert. Die EU will einen Frieden mit Aserbaidschan durchsetzen – zum Leidwesen der auf aserbaidschanischem Gebiet lebenden Christen in Bergkarabach. Hintergrund: die Abhängigkeit von Gas aus Baku.

IMAGO / ITAR-TASS
Armenische Demonstranten protestieren gegen eine mögliche Annexion Bergkarabachs durch Aserbaidschan

Armenien will seine Beziehungen zur Türkei normalisieren. Bereits im Februar, während des Erdbebens in der türkisch-syrischen Grenzregion, leistete Armenien materielle Hilfe an das Nachbarland. Trotz des vorbelasteten Verhältnisses betonte der armenische Botschafter in Berlin, Viktor Yengibaryan, dass man von der türkischen Seite keine Bedingungen für Gespräche gefordert hatte – etwa die Anerkennung des Genozids an den Armeniern im Zuge des Ersten Weltkriegs.

Dass diese Annäherungen scheitern, geht daher vornehmlich von Ankara aus. Auch die vorsichtige Annäherung während des Erdbebens sei wieder vorbei. In der Krise sei die Brücke über den Grenzfluss Arax für LKWs wieder geöffnet worden. Bei dem Ereignis habe es sich um eine „Eintagsfliege“ gehandelt. „Wir haben in der Vergangenheit mehrfach versucht, diplomatische Beziehungen aufzunehmen und eine Grenzöffnung herbeizuführen – leider vergeblich“, so Yengibaryan.

Die Suche nach Verständigung erfolgt wohl aus Druck. Der einzige Anwalt des Landes heißt Russland, und das sieht alle seine Kräfte derzeit in der Ukraine gebunden. Die Türkei hat im letzten Grenzkrieg den aserbaidschanischen Gegner unterstützt und könnte dies jederzeit wieder tun. Die EU hängt am Gashahn Aserbaidschans und lässt dessen autoritären Präsidenten Ilham Alijew gewähren.

In Armenien selbst befürchtet man, dass die EU Armenien zu einem Friedensvertrag drängen könnte, der zum Nachteil der ältesten christlichen Nation der Erde führen könnte. Bergkarabach, international nicht anerkannt, aber Refugium für armenische Christen auf nominell aserbaidschanisch-islamischem Territorium, hat bereits Gebiete abgeben müssen. Fast zwei Jahre nach dem Grenzkrieg wird offenbar: Eine Auflösung Bergkarabachs würde auch die faktische Zerstörung des christlichen Lebens in der Region bedeuten.

Joel Veldkamp, ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Christian Solidarity International (CSI) berichtet über die Zustände vor Ort. Auf die Frage, wie die Situation der Armenier in den von Aserbaidschan eroberten Gebieten sei, erklärt dieser: „Sie alle wurden aus ihren Häusern vertrieben – in diesen Gebieten gibt es keine christlichen Armenier mehr.“

Beispiele für diese Säuberungen gibt es viele. „Seit dem Krieg von 2020 hat Aserbaidschan das Kreuz und die Kuppel der Heilig-Erlöser-Kathedrale in Schuschi abgebaut, die St.-Johannes-Kirche in Schuschi weitgehend zerstört und die St.-Sargis-Kirche in Hadrut vollständig zerstört“, zählt Veldkampf auf. „Alle diese Kirchen stammen aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Nach Angaben der Überwachungsgruppe Caucasus Heritage Watch, die Satellitendaten zur Verfolgung der Zerstörung nutzt, sind derzeit vier weitere historische Kirchen durch aserbaidschanische Abrissprojekte bedroht.“

Die Aserbaidschaner blockierten zudem die Zugangsstraße im armenisch gebliebenen Bergkarabach und schnitten die Region von Gas und Elektrizität ab. Die Lage der Christen verschlechtere sich Tag für Tag. „Menschen, die in Armenien gestorben sind, können nicht mit ihren Familien in Bergkarabach begraben werden“, erklärt der CSI-Mitarbeiter. „Über 1.200 Menschen konnten notwendige Operationen nicht durchführen, weil nicht genügend medizinische Versorgung vorhanden war. Da die einzige Stromquelle jetzt aus einem Wasserkraftsystem aus einem Stausee stammt, kommt es in der gesamten Region zu sechsstündigen Stromausfällen.“ Über 10.000 Menschen hätten ihre Arbeit wegen des Blockadezustands verloren.

Die Ziele Aserbaidschans seien dabei klar. „Ziel Aserbaidschans ist es, der einheimischen christlichen Bevölkerung Bergkarabachs das Leben in ihrem Heimatland zu verunmöglichen und sie zur Flucht zu zwingen“, so Veldkamp. Die Konsequenz? „Die christliche Bevölkerung Berg-Karabachs würde vollständig vernichtet. Dies war in jedem anderen von Aserbaidschan seit 1988 erworbenen Gebiet der Fall.“ Aserbaidschan verbiete seit dem 29. April dem Roten Kreuz, Patienten nach Armenien zu bringen. Die Angst vor einem neuen Krieg in Bergkarabach ist groß. Die Bevölkerung ist zermürbt. Manche fürchten einen neuen Genozid.

Den Westen sieht man deswegen nach wie vor kritisch. „Die EU und Washington scheinen entschlossen, Armenien unter Druck zu setzen, einen Friedensvertrag mit Aserbaidschan zu unterzeichnen, der keinerlei Schutzmaßnahmen oder Rechte für die in Berg-Karabach lebenden Armenier vorsieht“, konstatiert Veldkamp. „Es liegt in ihrem Interesse, den Konflikt so schnell wie möglich beizulegen, damit Gas und Öl ungehindert von Aserbaidschan nach Europa fließen können. Es liegt nicht in ihrem Interesse, die ethnisch-religiöse Säuberung Berg-Karabachs zu verhindern.“

Wenn das Schicksal Bergkarabachs besiegelt ist, so ist zu verstehen, dann ist auch das Schicksal der dort lebenden Armenier besiegelt. Das Regime in Baku gebe sich bei seinen Eroberungen säkular, nutze aber die radikalislamische Ideologie zu ihren Gunsten. „Während seiner Invasion in Bergkarabach im Jahr 2020 brachte Aserbaidschan Tausende von Dschihadisten aus Syrien mit, um gegen die armenischen ‚Ungläubigen‘ zu kämpfen. Heute werden aserbaidschanische Truppen in der Nähe christlicher Dörfer in Karabach nachts über Lautsprecher den islamischen Gebetsruf in diese Dörfer ertönen lassen, um die Bevölkerung zu terrorisieren.“

Präsident Alijew betreibe dabei auch eine Propaganda der Entmenschlichung, indem er die Armenier als „Hunde“ oder „Ratten“ verunglimpfe. „Er hielt eine Parade für einen aserbaidschanischen Militäroffizier ab, der in Budapest einen Armenier mit einer Axt ermordet hatte. Er baute in Baku ein Museum zum Krieg 2020, das Wachsstatuen von Armeniern mit riesigen Nasen und unmenschlichen Gesichtszügen sowie Helme von im Krieg getöteten Armeniern zeigte“, berichtet der CSI-Mitarbeiter.

„Während des Krieges 2020 wurden armenischen Zivilisten, die hinter den aserbaidschanischen Linien gefangen waren, die Köpfe abgesägt. Als Aserbaidschan im September 2022 in Armenien einmarschierte, massakrierten sie sieben armenische Gefangene und vergewaltigten, ermordeten und entweihten den Körper einer armenischen Soldatin. Wir wissen das, weil die Soldaten, die diese Dinge getan haben, sie auf Video aufgenommen und online gestellt haben, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen“, fährt Veldkamp fort.

Es sind Ereignisse, die so gut wie keinen Einzug in westliche Medien finden. Und es sind Umstände, warum so viele Armenier sich vor einem neuerlichen Völkermord fürchten. Wie lange Bergkarabach noch Bestand hat, ist insbesondere wegen der Nato-Mitgliedschaft der Türkei, die ressourcentechnische Anbindung an Aserbaidschan und auch die Kaviar-Connection mancher Entscheidungsträger fraglich. Für Armenien gibt es außer Russland so gut wie keine Option. Das Schweigen Brüssels erkauft sich Baku mit Öl und Gas, sollte es wieder zur Eskalation kommen.

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Kommentare ( 20 )

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Ralf Poehling
1 Jahr her

Ich wiederhole nochmal, was ich hier vor geraumer Zeit schon geschrieben habe: Armenien muss verteidigt werden. Und das selbe gilt auch für Serbien.
Aber das wird im Westen leider nicht so gesehen. Wo die wirkliche Frontlinie verläuft, darüber ist man in der westlichen Verteidigung leider nicht ganz einig.
Was daran liegt, dass wir unterwandert sind.
Der Feind nimmt überall Einfluss.
Mal offen, mal hinterhältig durch die Hintertür.

bl2
1 Jahr her

Ich bin sehr vorsichtig geworden was menschenverachtende Schauergeschichten über „die Muslime“ betrifft. Im nahen Osten habe ich in langjähriger eigener Anschauung ein sehr friedliches Zusammenleben von Sunniten, Schiiten, Christen, und z.B. Tscherkessen beobachten können (im Libanon und in Syrien vor dem Bürgerkrieg). In der Türkei wird teilweise rabiat gegen die Kurden vorgegangen, obwohl diese auch oft Muslime sind, teilweise aber auch mit einer ganz eigenen Auslegung des Islam. Und die dabei manchmal ihrerseits auch nicht gerade freundlich mit ihren Nachbarn umgehen. Und wenn man z.B. das Hisbollah-Museum in Baalbek besucht und dabei den Blick der Hisbollah Blick auf die Geschichte… Mehr

Autour
1 Jahr her
Antworten an  bl2

Man muss im mittleren Osten schon mit Scheuklappen rumlaufen wenn man nicht mitbekommen will, wie dort Christen unterdrückt werden!
Zeigen sie mir doch bitte EIN muslimisches Land in dem Christen oder andersgläubige friedlich und unbehelligt leben können! Das gibt es nicht! Die christen in Bali werden auch nur geduldet, da sie überlebenswichtige Devisen generieren!
Zu ihrem Rat an Armenien kann man nur sagen: Nein Armenien kann tun und machen was es will es wird NIEMALS irgendwelche positiven Signale von der Türkei bekommen!

Rainer Schweitzer
1 Jahr her
Antworten an  Autour

Auf Bali leben keine Moslems sondern Hindus.

WeltbegaffenderRumReisender
1 Jahr her
Antworten an  bl2

„Gerade im osmanischen Reich, immerhin einer verbündeten Macht des deutschen Reiches, spielte die christliche Minderheit eine wichtige Rolle.“ Die unrühmliche, irrlichternde Rolle des Deutschen Kaiserreichs als Verbündeter der muslimischen Osmanen jetzt außen vor, aber wenn die christliche Minderheit im osmanischen Reich eine so wichtige Rolle spielte, warum fand dann Ihrer Meinung nach überhaupt der erste Balkankrieg (1912) statt? Im 1. Balkankrieg wurden mehr als 500.000 Muslime aus Süd-Ost-Europa vertrieben, will sagen, wenn das Zusammenleben von Christen mit Muslimen in diesem Teil Europas so ergiebig für alle war, dann hätte es wohl keinen Krieg und Vertreibungen von Muslimen gegeben, oder?

Last edited 1 Jahr her by WeltbegaffenderRumReisender
Schwabenwilli
1 Jahr her
Antworten an  bl2

Für Moslems wird alles reduziert auf Ungläubige und Gläubige, auf guter Moslem oder schlechter Moslem. Der Rest ist zweitrangig.

bl2
1 Jahr her
Antworten an  bl2

ich empfehl allen, die „den Islam“ als Feindbild sehen, einen längeren Aufenthalt (6 Wochen und mehr, am besten nicht in einer verwestlichten Touristen-Hochburg) in einem muslimisch dominierten Land. Meine eigenen Erfahrungen konzentrieren sich auf die Levante. Auch meine Sicht auf den Islam war lange sehr negativ, geprägt von Erfahrungen mit türkischen Zuwanderern (mit denen ich vielleicht doch hätte sehr gut zurecht kommen können, hätte die grün gefärbte Grundschullehrerin nicht schon früh rassistisch-gutmeinend interveniert: Ausländer schlägt man nicht“). Es sei auch gar nicht in Frage gestellt, was an typischen Problemen in der arabischen Welt gang und gäbe ist: Korruption, Unzuverlässigkeit, Macho-Gehabe.… Mehr

Autour
1 Jahr her

Erst mal vielen Dank, dass sie dieses Thema hier auf TE bringen, denn die Christen sind den Europäern insbesondere den scheinheiligen Politikern Sch..ss egal! Aber wehe es wird mal ein Muslim auf der Welt nicht hofiert, dann setzt sich diese Sch..ss EU ein und stellt Forderungen! Ich schrieb es schon, als über den kurzen Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan berichtet wurde. Armenien ist verloren, da es nur EINE Schutzmacht gibt, die vom „tollen werte Westen“ gerade bis aufs Blut bekämpft wird. Nein dieses Schauspiel zeigt nur in was für einer kranken Welt wir leben in der Werte und Kultur nichts… Mehr

Aegnor
1 Jahr her

Verständlich, dass die Armenier alles versuchen um ihren Untergang abzuwenden. Aber es wird nichts nützen den Türken in den Allerwertesten zu kriechen. Erdogan hat bereits Türken und Aseris als „ein Volk“ bezeichnet – auch wenn das allein schon durch die schiitische Religion der Aseris, die Erdogan verhasst ist, Unsinn ist. Und Alijew wird den Teufel tun, sich von Erdogan seinen Privatstaat wegnehmen zu lassen. Trotzdem haben beide ein Interesse, dass Armenien und nicht nur Karabach verschwindet. Alijew hat bereits angekündigt, dass er mindestens Sangesur als Brücke zu Nachitschewan, eigentlich aber ganz Armenien erobern will (nur zur Erinnerung für diejenigen, die… Mehr

Mike
1 Jahr her

Genau so hat sich der Islam von Anbeginn immer ausgebreitet. Durch Besetzung und Vertreibung. Das sollte allen Deutschen zu denken geben, die unbegrenzt Muslime ins Land holen. Denn auch sie werden am Ende möglicherweise aus ihren Häusern vertrieben werden, wenn ihre Zahl zu klein geworden ist oder das Eigentumsrecht nicht mehr wirksam geschützt werden kann, weil keiner sich mehr traut, Polizist zu sein oder alle Polizisten Muslime sind.
Die Schriften des Islams sind da leider eindeutig in ihren Anweisungen und Prognosen. Und sie sind für jeden Muslim bindend. Nicht irgendein Grundgesetz.

Rainer Schweitzer
1 Jahr her

Ethnisch-religiöse Säuberungen und mörderische Angriffe verbunden mit der systematischen Zerstörung von Kulturgütern sind doch geradezu das Markenzeichen islamischer Staaten b.z.w. Gesellschaften im Orient. Schauen Sie sich die Türkei an, mit ihren ehemaligen christlichen Minderheiten, den Armeniern, Lasen, syrischen Christen im Südosten oder mit denen in Kappadokien! Schauen Sie sich die armenischen und georgischen Kirchen im Osten des Landes an! Oder die Christen in Syrien, die Kopten in Ägypten. Oder nehmen Sie die jüdischen Gemeinschaften vom Jemen bis Marokko, die alle vollständig verschwunden/vertrieben sind. Im Islam gibt es keine „Vielfalt“, er ist geradezu die Antithese dazu.

EinBuerger
1 Jahr her

Aus türkischer Sicht wäre eine Vereinigung mit Aserbaidschan ein Traum. Die Menschen sprechen eine sehr ähnliche Sprache, haben die gleiche Religion, haben sehr viel Erdöl. Besser ginge es nicht. Nur leider liegt zwischen beiden Ländern Armenien. Ein Land mit anderer Sprache und anderer Religion.

Rainer Schweitzer
1 Jahr her
Antworten an  EinBuerger

Und Georgien. Und eine Unmenge Menge Kultur. Die älteste Handschrift in der Armenischen Nationalbibliothek in Jerewan stammt aus dem 5. Jh. (erste Hälfte, wenn ich mich recht entsinne??). Also lange vor Mohammed, der Erfindung de Korans, vor der iro-schottischen Missionierung Westeuropas, aus einer Zeit, als die Turkvölker noch in der zentralasiatischen Steppe herumirrten.

EinBuerger
1 Jahr her

Geopolitik is a b..ch. Könnte sein, dass das christliche Armenien auf die Hilfe des schiitischen Irans angewiesen ist, um nicht unterzugehen. Denn der Iran will ganz sicher ein Zusammenwachsen der Türkei mit dem turkstämmigen Aserbaidschan verhindern.
Der Allerchristlichste König von Frankreich war mit dem Sultan der Türkei verbündet, um die ihm verhassten Habsburger zu bekämpfen. Gleiches mit den protestantischen Schweden im Dreißigjährigen Krieg, obwohl die Protestanten im eigenen Land bekämpft wurden.

RMPetersen
1 Jahr her

Der einzige Anwalt des Landes heißt Russland …“
Ja, es ist ein Skandal, daß selbst bei uns selbst die CDU als angeblich Chritliche Partei den Glauebnsblüdern weniger hilft als jedem beliebigen moslimischen oder anderen Land.
Man könnte glauben, daß unsere Christen den Verfolgten Glaubensbrüdern in anderen Ländern den Weg zum Märtyrertum und damit eines Lohns im Jenseits nahelegt.

Chris Groll
1 Jahr her

Tja, das sind die Werte der EU.
Natürlich geht der Vormarsch des Islamismus weiter. Unterstützt vom Wertewesten.