Diese Wahl wird von der Außenpolitik geprägt – und Erdogan wird an der Macht bleiben

Recep Tayyip Erdogan hat der Türkei eine enorme Inflation gebracht, aber die darunter am meisten leiden, nehmen das hin. Am Ende wird Erdogan an der Macht bleiben, weil die Türken einen im globalen Machtkampf starken Mann wollen. Die kemalistische Westorientierung ist ohnehin vorbei. Von Ates Köprü

IMAGO / ZUMA Wire
Erdogan-Anhänger in Istanbul, 15.05.2023

Ich bin nie ein Erdogan-Anhänger gewesen und fand ihn mit seinen konservativen Ansichten nie gut. Im Gegenteil.

Jetzt kommt das Aber: Ich kenne viele liberale Türken und Erdogan-Gegner, die trotzdem alle in Anbetracht der globalen politischen Verhältnisse niemandem an der Spitze mehr zutrauen als ihm. Diese Wahl ist keine innenpolitische, sondern eine, in der es um globale Fragen geht. Und Erdogan ist ein Global Leader.

Seine Innen- und Wirtschaftspolitik ist offensichtlich schlecht. Die Inflation ist ihr Ergebnis. Aber alle Menschen in der Türkei, die Geld haben, machen ihre Geschäfte ohnehin nicht in türkischer Lira. Deren Entwertung trifft nur die Armen, aber die wählen ihn sowieso – trotz Inflation. Sie zahlen so Erdogans Wahlgeschenke mit Zins und Zinseszins wieder ab. Erdogan ist für sie wie eine Erhöhung des Dispo-Kredits. Und mehr ist in einer neoliberalen Weltordnung für die Armen nirgendwo drin.

Bei dieser Wahl geht es mehr als je zuvor um Außenpolitik. Und da ist Erdogan der einzige, der dem ganzen Druck des Westens auf die Art und Weise standhalten kann, wie es sich das Volk wünscht. Außerdem ist nahezu der ganze globale Osten daran interessiert, dass Erdogan an der Macht bleibt, und das wird er auch. Es ist naiv zu glauben, dass etwa die Russen nicht mitmischen. Im Prinzip sind Erdogan und Putin Brüder im Geiste.

Die Türkei ist geopolitisch in einer so wichtigen und starken Position, dass selbst ich als Erdogan-Gegner mir absolut nicht vorstellen kann, wie Kilicdaroglu mit dieser Verantwortung umgehen soll. Die Türkei kann die Grenzen zum Westen öffnen oder schließen. Nicht nur symbolisch, sondern auch realpolitisch – man schaue sich nur die Bosporus-Brücke an.

Keiner in der Türkei will am Untergang des Westens teilnehmen. Man hat Atatürks Pfade längst verlassen. Und schaut man sich den Westen an, dann ist mehr als nachvollziehbar, warum. Die kommende Stichwahl könnte zu einer Farce werden, zu einer Art Event oder Demokratietheater. Die Türken lieben Drama und Aufregung – und am Ende immer ihre alte Ordnung.

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Kommentare ( 7 )

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EinBuerger
1 Jahr her

Im Prinzip sind Erdogan und Putin Brüder im Geiste.“:
Weiß ich nicht. Ich denke aber, genauso wie in Europa immer wieder gesagt wird „Russland darf den Krieg nicht gewinnen“, gilt in anderen Teilen der Welt „Die USA dürfen den Krieg nicht gewinnen“. Die wollen die alte US-Außenpolitik a la Rumsfeld ganz sicher nicht zurück. Und ein Sieg der USA könnte sie darin bestärken genau das zu machen.
D.h. verschiedene Staaten weltweit, die miteinander nichts zu tun haben, könnten sich gegenseitig unterstützen, nur um eine Machtverschiebung in Richtung USA zu verhindern.

TschuessDeutschland
1 Jahr her

Vielen Dank für diesen Beitrag. In den deutschen Medien (sowohl „Qualität“ als auch „alternativ“) findet man außer Geschwätz über eine „West-Orientierung“ der Türkei oder eine „EU-Perspektive“ nichts, wobei die Basis dafür zumeist „Gespräche mit Deutsch-Türken in Kreuzberg“ sind. Da hebt sich dieser realistische Beitrag wohltuend ab. Kompliment an Tichys Einblick. Die Türkei ist ein islamisches land. Das kann man mögen oder nicht, aber das ist so, wobei der Islam auch noch konservativ-traditionell ist. Das führt alles Geschwätz (s.o.) in den deutschen Medien ad absurdum. Außerdem sehen sich die Türken immer noch als „Global Player“, was aufgrund ihrer Geschichte (osmanisches Reich)… Mehr

Last edited 1 Jahr her by TschuessDeutschland
IJ
1 Jahr her

Früher war ich mal ein Erdogan-Fan. Ich dachte mir, dass jemand der bei Sonntags-Reden konservativ-muslimisch daher redet, um die Landbevölkerung einzufangen, aber wirtschaftlich auf liberale Wachstumspolitik setzt, verstanden hat, was fortschrittliche Realpolitik ist. Dann zeigte sich allerdings mehr und mehr der autoritäre und auf persönliche Macht und Bereicherung ausgerichtete Geist Erdogans. Er schreckt nicht einmal davor zurück, seine treuesten Anhänger zu betrügen, wenn er um den Umtausch der Erspanisse der Deutschtürken von Euro in Türkische Lira wirbt, aber gleich gleichzeitig trotz Hochinflation die Zinsen senken lässt und so den Aussenwert der Lira in den freien Fall überführt. Um die Anhänger… Mehr

Ceterum censeo Berolinem esse delendam
1 Jahr her

„Die Türkei kann die Grenzen zum Westen öffnen oder schließen. Nicht nur symbolisch, sondern auch realpolitisch“ Aber gerne doch. Und solange „der Westen“ sich von derlei primitiven Drohgebärden erpressen lässt, wird der radikale Muslimbruder an der Macht bleiben. Da stimme ich Ihnen voll zu. Dabei wäre die Lösung des Problems Erdogan für „den Westen“ so einfach. Klare Kante zeigen, sich (auch militärisch) fest an die Seite Griechenlands stellen, kompromisslos die Grenzen zur Türkei sichern und konsequent den Geldhahn zudrehen. Es würde nicht einmal ein Jahr dauern, bis die Türkei kollabieren würde. Mal sehen, ob die Türken dann immer noch so… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Ceterum censeo Berolinem esse delendam
giesemann
1 Jahr her

Wir schenken Putin Byzanz oder gleich den ganzen Laden, wenn er dafür die UA in Ruhe lässt. Die kommt in die Nato, Belarus folgt. Die Türkei? Uninteressant.

Transformation
1 Jahr her

Gut zusammengefasst. Das sehe ich ähnlich wie Sie. Und man muss auch klar sagen, dass es kein Vorteil ist der westlichen Richtung zu folgen, die auch noch von den USA vorgegeben wird. Ich wundere mich immer, wieso hier Deutsche sich über gendern, LGBT, Kriege und Verarmung aufregen, sowie einen übergriffigen Staat und EU Brüssel, die beide nur noch Verbote aussprechen und alle immer weiter verarmen usw., und das alles ablehnen aber dann gegen Erdogan hetzen, der das auch nicht will. Mal ganz abgesehen von Machtmissbrauch (den haben wir in Europa/USA und angeblich demokratischen Ländern seitens Regierungen ja auch), wollen Türken… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Transformation
Kleinstaater
1 Jahr her

Ja, der Kommentar entspricht auch meiner Einschätzung. Mir wurde es als türkischer Wähler vermutlich nicht anders gehen. Dabei war ich schon Erdogan-Gegner, bevor es cool war (= die linken Parteien ihr ok dazu gegeben haben). Schon damals, als Erdogan noch von den Türken geliebt wurde, weil seine Politik ihnen wirtschaftlichen Aufschwung brachte und der EU-Beitritt noch ein politisch diskutiertes Thema und Druckmittel war. Noch vor der AfD, als nur Republikaner und NPD es wagten, die in Deutschland gehaltenen Wahlkampfreden Erdogans ins Deutsche zu übersetzen und zu kritisieren. Als Schäuble uns noch weiß machen wollte, dass er mittels einer Islamkonferenz den… Mehr