Die Stunde der Klimaabstimmungs-Leugner

Trotz massiven Einsatzes des öffentlich-rechtlichen Funks scheiterte der realitätsferne Bürgerentscheid in Berlin. Die Aktivisten reagieren nicht mit Demut – sondern Wut.

IMAGO / serienlicht

Am mangelnden Einsatz des ARD-Senders RBB lag es jedenfalls nicht, dass ein Aktivistenbündnis am Sonntag mit der Abstimmung zu „Berlin klimaneutral 2030“ scheiterte. Zwar hatten alle Fachleute auf die völlige Realitätsferne der Ziele hingewiesen: Die Initiatoren wollten die Regierung der Stadt dazu verpflichten, in weniger als sieben Jahren die CO2-Emissionen um 95 Prozent zu senken. Dazu hätten sämtliche Gebäude der Stadt bis 2030 gedämmt, der private Fahrzeugbestand mindestens halbiert und riesige Windparks nebenan in Brandenburg samt Speichern aus dem Boden gestampft werden müssen. Und das alles in und um eine Metropole, in der sich selbst die Planung eines öffentlichen Toilettenhäuschens schon mal über fünf Jahre hinziehen kann.

Statt auf die Absurdität des Vorhabens hinzuweisen oder wenigstens kritische Fragen zu stellen – beispielsweise nach der Rolle Berlins für das Weltklima – trommelte der RBB so überzeugt für die Abstimmung, dass sich die Beiträge des Gebührensenders teilweise kaum noch von der Werbung des Klimaneutral-Bündnisses unterscheiden ließen. Stimmungsvoll unterlegt mit der Musik eines Gratis-Konzerts der Initiative vor dem Brandenburger Tor am Abstimmungs-Sonntag holte die ARD-Anstalt Luisa Neubauer und die Sängerin Annett Louisan mit knackigen Motivationssprüchen vor die Kamera.

— rbb|24 (@rbb24) March 26, 2023

Und auch andere Konzertbesucher, etwa einen Mann, der versprach, demnächst sein Auto abzuschaffen und seine Gasheizung herauszureißen. Kritische Stimmen, etwa von einem Berufspendler am Stadtrand, oder der sonst bei der ARD übliche Faktencheck? Kamen nicht vor.

Da das wohl immer noch nicht reichte, motivierte zusätzlich ein RBB-Beitrag die Berliner, auf jeden Fall abzustimmen („falls ihr noch unentschlossen seid“). Und zeigte auf einem Laptop groß das Logo der Initiative und ein „Ja“.

In einem Video, das wie von „Berlin klimaneutral 2030“ selbst produziert wirkte, warb eine RBB-Journalistin, der Volksentscheid sei ein „Druckmittel, damit die Politik sich mehr für den Klimaschutz einsetzt“.

Das zielgerichtete Trommeln passte auch gut zur Sendepolitik des ARD-Flaggschiffs Tagesschau. Nach einer Auswertung der NZZ stieg der Anteil der Nachrichtensendungen, in denen der Begriff „Klima“ vorkommt, steil an – von 20 Prozent im Jahr 2015 auf 46 Prozent 2022. Zum Vergleich: Inflation, für die Mehrheit der Bundesbürger ein drängendes Problem, kam bei der Tagesschau 2022 gerade in 26 Prozent der Sendungen vor. Und Renten – trotz des drohenden demografischen Desasters ab 2030 – gerade in 9 Prozent der ARD-Hauptnachrichten.

Screenshot: NZZ

Das „Berlin klimaneutral“-Bündnis verfügte nicht nur über kräftige Unterstützung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sondern auch über reichlich Geld – vieles davon von Großspendern aus den USA. Das reichte nicht nur für das Motivationskonzert vorm Brandenburger Tor, sondern für tausende Plakate in der gesamten Stadt.

Und dann das Ergebnis: Der Volksentscheid verfehlte das Quorum von mindestens 25 Prozent Ja-Stimmen krachend. Dazu kam noch eine große Überraschung – es stimmten auch sehr viele mit Nein, und das, obwohl es weder Nein-Kampagne noch eine kritische öffentlich-rechtliche Berichterstattung über die Ziele der Klimakämpfer gab. Am vergangenen Sonntag landeten weniger Ja-Stimmen in den Urnen, als Grüne und Linkspartei bei der Abgeordnetenhauswahl zusammen erhielten.

Ihr sensationelles Scheitern bewirkte bei den Kampagnenmachern nicht etwa Selbstkritik oder gar Demut. Sondern Wut und Trotz. Luisa Neubauer raunte am Sonntagabend düster: „Es gibt Kräfte in dieser Stadt, die geben alles dafür, noch den letzten Funken Klimazerstörung rauszuholen“.

Screenshot: Berliner Zeitung

Bei diesen geheimnisvollen Kräften handelte es sich um die Berliner Bürger, die entweder nicht zur Abstimmung gingen oder mit Nein votierten. Dieses Verhalten – gegen einen undurchführbaren Plan stimmen – halten die Klimakämpfer in öffentlich-rechtlichen Anstalten und anderswo offenbar für einen Skandal. Der ZDF-Wetteransager Özden Terli etwa erregte sich auf Twitter über so viel Renitenz der Berliner, und machte sie direkt für kommende „Extremwetter“ verantwortlich.

Screenprint via Twitter / Özden Terli

Genauso der Filmemacher Mario Sixtus, der auch schon für das ZDF produzierte: Er beschimpfte die Nein-Votierer als gemeingefährliche Egoisten.

Ebenfalls mit Bürgerbeschimpfung reagierte der auf Twitter sehr aktive Berliner Werber Alf Frommer, der eine Karte mit den Abstimmungsergebnissen bearbeitete und mit seiner Deutung versah: Diejenigen im Osten der Stadt beispielsweise, die nicht die erhoffte Zustimmung lieferten, so Frommer, seien eben „AfD/Klimaleugner“.

Andere suchten nach Begründungen, warum die Abstimmung nicht wie gewünscht ausfiel, etwa der aktivistische Energie-Professor Volker Quaschning, der massiv für ein Ja geworben hatte. Für ihn lag es am falschen Abstimmungstermin.

Die Berliner Grünen-Abgeordnete Silke Gebel wiederum erklärte die gescheiterte Abstimmung einfach für gewonnen: Es hätten schließlich mehr Bürger mit Ja statt Nein gestimmt. „Einzig und allein am Quorum“ sei die Aktion gescheitert – also an dem entscheidenden Kriterium.

Dass es in Stadtteilen, in denen keine gutverdienenden Grünen-Wähler wohnen, dafür aber viele, die auf ihr Auto angewiesen sind, mehr Nein- als Ja-Stimmen gab – etwa in Marzahn-Hellersdorf –, interessierte keinen der wütenden Aktivisten, die entweder ihre Niederlage kleinredeten oder das Ergebnis einfach leugneten.

Eins der wichtigsten Ergebnisse der Abstimmung lautet: Offenbar wirkt selbst der massive Einsatz von Öffentlich-Rechtlichen, Geld und Prominenten nur begrenzt. Sogar in Berlin.

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