Der große Streiktag bei Hart aber Fair: Chaos in höchsten Tönen

Wild prallen die Argumente aufeinander, als sich fünf Frauen von der Unternehmerin bis zur Linken-Chefin über den „großen Streiktag“ echauffieren. Das Publikum tobt nicht weniger. Moderator Klamroth ist mal wieder überfordert. Von Michael Plog

Screenprint: ARD / Hart aber Fair

Wer hätte gedacht, dass ein Thema wie „Der große Streiktag – Gerecht oder Gefahr für die Wirtschaft?“ vor dem Bildschirm für Ohrenschmerzen sorgen könnte? Und doch: Dieser Abend ist extrem. Extrem laut, extrem durcheinander, extrem anstrengend. Immerhin: Beim Zuschauer schlägt das Herz höher. Allein schon, um die Durchblutung der gestressten Ohren sicherzustellen.

Das Publikum ist mindestens so extrem wie die Protagonistinnen auf der Hühnerleiter. Hin- und hergerissen von den aufeinanderprallenden Argumenten. Und die prallen, was das Zeug hält. Unternehmerin Marie-Christine Ostermann erzählt, dass ihr Unternehmen im Bereich der Nahrungsversorgung arbeitet und damit zur kritischen Infrastruktur gehört. Ihre Leute konnten und mussten trotz des bundesweiten Generalstreiks weiterarbeiten. Dennoch hat sie überhaupt kein Verständnis dafür, dass ein Land für einen ganzen Tag lahmgelegt werden sollte. Sie nennt das eine „Mega-Keule“ und „unverantwortlich“. Die Pandemie-Lockdowns seien schon schlimm genug gewesen. Ihre Parole hat Bundeskanzlerinnen-Niveau: „Wir brauchen endlich Bewegung, wir wollen in die Zukunft, wir wollen wieder Geld verdienen!“, ruft sie. Das Publikum tobt vor Begeisterung.

Der Zynismus des Frank Werneke
Es geht nicht um Löhne – wie Ver.di Leute und Wirtschaft kaputt streiken will
Keine drei Minuten später, und das Publikum tobt bei der exakten Gegenposition. Janine Wissler hat gesprochen, Chefin der Partei „Die Linke“, von der niemand genau weiß, warum sie immer noch so oft in Talkshows sitzen darf. Korrigiere: Jeder weiß es. Es zeigt, diplomatisch ausgedrückt, das Bemühen der ARD um Minderheiten. Die Öffentlich-Rechtlichen wollen ganz offensichtlich die Partei, die gerade den Fünf-Prozent-Kampf zu verlieren droht, vor der Bedeutungslosigkeit bewahren. Also, Frau Wissler darf sprechen. Sie spricht von realer Lohnkürzung in den vergangenen drei Jahren wegen der galoppierenden Inflation. Und davon, dass sich der Vorstand der Deutschen Bahn gerade selbst 14 Prozent mehr Gehalt gegönnt hat. Da seien zwölf Prozent für die Beschäftigten „vollkommen gerechtfertigt“. Das Publikum, wie gesagt, es tobt.

Jede der fünf Frauen auf diesem Diskutantinnen-Ball bekommt für ihre Aussagen extremen Beifall. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass sie sich immer mehr bestärkt fühlen und immer weniger zurückstecken wollen. Diskussionskultur, das gegenseitige Aussprechenlassen, ist jedenfalls Mangelware an diesem Abend. Das Klatschvolk scheint es zu genießen. Brot und Spiele. Ein sich gegenseitig verstärkendes System.

„Es reicht nicht mehr aus, auf dem Balkon zu stehen und zu klatschen“, sagt Julia Riemer aus München. Sie ist zwar keine Krankenschwester, sondern Trambahn-Pilotin, aber egal, der Applaus ist ihrer. „Achteinhalb Stunden auf dem Bock“, Stoßdienste mit Minipausen, Überstunden und viel zu wenig Geld, um Quadratmeter-Mieten von mehr als 20 Euro in München zu stemmen. Ihre Argumente für den Streik sind stichhaltig. Doch Unternehmerin Ostermann reagiert fassungslos. Sie schreit es geradezu heraus, ihre Stimme überschlägt sich: „Meine Leute auch! Die fordern jetzt 13 Prozent Lohnplus!“. Das sei nicht zu stemmen. Man erwartet, dass sie jeden Moment einen Spendenaufruf für ihr Unternehmen startet.

ARD-Börsen-Expertin Anja Kohl mahnt: „Der Streik war legal. Die Inflation liegt bei 8,7 Prozent.“ Deshalb hätten die Arbeitnehmer drei Jahre lang Einkommen verloren. Und wenn jetzt die EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) und Verdi erstmals gemeinsam streikten, dann sei dies „das Signal: Hallo, wir Beschäftigten haben eine neue Macht“.

Glosse
Bundesweiter Streik – Ver.di macht Werbung fürs Auto
Gitta Connemann warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale. Für die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion MIT, geht es „nicht um das Ob des Streiks, sondern um das Wie“. Er richte sich „nicht gegen die Arbeitgeber, sondern gegen unbeteiligte Dritte, andere Arbeitnehmer, Patienten, Familien, die auch eine Entlastung brauchen“. Sie fordert Notdienste bei kritischer Infrastruktur und das „Vorschalten eines verbindlichen verpflichtenden Schlichtungsverfahrens“. Das ganze Land sei in Geiselhaft genommen worden, und vor allem: „Wissen Sie, was Ihnen von Ihrer Lohnerhöhung bleibt?“, fragt sie die Trambahn-Fahrerin. „Am Ende ist der größte Inflationsgewinner der Staat.“ Deshalb sei auch der Staat besonders in der Pflicht: „Steuern runter, Abgaben runter und aufhören mit diesem Belastungsirrsinn.“

Parolen-Schleuder Wissler hakt ein und zitiert ein Plakat, das sie auf irgendeiner Demo gesehen hat. „Nicht der Streik, der Normalzustand gefährdet die Patienten.“ Die Linke beklagt zu viel Bürokratie und Spekulationsgewinne, fordert Enteignung und Mietpreisdeckel. Das Übliche. Applaus, Applaus.

Börsen-Kohl muss zweimal ansetzen, weil Klamroth sie dauernd unterbricht. Das ist doppelt doof. Erstens: Es zeigt, wie wenig Gespür Klamroth für Diskussionen hat. Zweitens: Kohl erzählt nun alles gleich zweimal. Sie zählt auf, was diesen Streik rechtfertigt: negative Reallöhne, grüne Energiewende, überzogene Corona-Maßnahmen, Sanktionen, die Deutschland treffen und nicht Russland. Und dann hätten auch noch die Notenbanken versagt. Kohl: „Was haben wir jetzt? Ein Bankenbeben.“

Kohl selbst ist keinen Deut besser, wenn andere sprechen. Mit stoischer Penetranz fährt sie dazwischen, wenn Gegenargumente aufpoppen, redet und redet und wird zu einer Unstoppable Talking Machine. Diese Unart verfängt schnell auch bei den übrigen Damen am Tisch. Eine Qual für den Zuschauer, der doch eigentlich nur einen bunten Argumente-Cocktail möchte und keinen Smoothie, bei dem man nichts mehr erkennt. Klamroth – wie üblich – gibt irgendwann einfach auf. Er hat die Sendung nicht im Griff, kann nicht verhindern, dass die Talkrunde zu einer Art Walpurgisnachttreffen auf dem Brocken verkommt. Der blasse Plasberg-Paria fasst sein Versagen in Worte: „Und ich dachte, mit fünf Frauen in der Runde wird es einfacher …“

Dem Zuschauer klingen mittlerweile nicht nur die Ohren. Er hat Visionen. Vor seinem geistigen Auge taucht Frank Plasberg auf, der Klamroth verschmitzt antwortet: „Das hätte ich Dir früher sagen können …“

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 65 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

65 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Deutscher
1 Jahr her

„Gitta Connemann warnt vor einer Lohn-Preis-Spirale.“

Ich sehe da eher eine Preis-Lohn-Spirale: Womit hat´s angefangen, Frau Connemann?

Es geht nur darum, den Nachteil, der den Arbeitern entstanden ist, wieder auszugleichen. Mehr nicht.

eisenherz
1 Jahr her
Antworten an  Deutscher

## Die EU in Brüssel hat sich +14 % mehr Bezahlung gegönnt.
oder:
## Die Gehälter beim Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk
Nun fordert Augenstein 750.000 Euro „Ruhegeld“ bis zum Rentenbeginn mit 67. PLUS 455.000 Euro Schadenersatz. PLUS 25.000 Euro Schmerzensgeld – vom Sender und Intendantin Katrin Vernau (49) persönlich. Macht 1,23 Millionen – von unseren Zwangsgebühren.
„Das Ruhegeld steht dem Kläger zu“, stellte Richter Boyer fest. Weil Augenstein für seinen 5-Jahres-Vertrag beim RBB eine unbefristete Stelle beim WDR aufgegeben hatte. Auch seine Pension sei nicht angreifbar.
So, und nun lasst uns über Streiks und hohe Lohnforderungen reden.

Deutscher
1 Jahr her

Naja. Manchmal haben sogar Linke Recht.

eisenherz
1 Jahr her

Bitte, bitte, mehr davon.
Nur noch die „starken“ Frauen zu solchen Diskussionen einladen. Besser lässt sich Hollywood, dort das Märchen, in jeder Serien, in den Filmen und in den Konzernen, das von den Frauen, die alles besser als Männer können, nicht widerlegen.

h.milde
1 Jahr her

Hat der Moderator wohl seine Tränen trocknen können, nach dem unerfreulichen „Berlin wird Klimanetral“-Debakel, an der Seite seiner dauerstudierenden Luisa, GRÜNE & Reemtsma-Millionen€rbin auf dem Rücke zehntausnder Krebstoter und von Sklaven „miterwirtschaftet“?

Last edited 1 Jahr her by h.milde
willy
1 Jahr her

Danke an TE, dass man sich diese Talkshows am nächsten Tag im Schnelldurchlauf anschauen kann- und wie immer: Vertreter der Schwefel-Partei bleiben draußen, der SED wird Bühne gewährt.

mediainfo
1 Jahr her

Politische Diskussionen vor Studiopublikum sind kontraproduktiv. Sie begünstigen Diskussionsteilnehmer, die von Showeffekten und Empörungsaufforderungen an das Publikum leben, und behindern eine von Argumenten getragene Debatte. Ohne Zuschauer sind die Teilnehmer in der Runde auf die Kraft ihres Arguments zurückgeworfen, was ich für wünschenswert halte.

Außerdem dienen manche lautstarken Beifallsbekundungen in diversen Sendungen, meinem Eindruck nach als Botschaft an den TV-Zuschauer, welchem Standpunkt er sich anschließen soll, um auf Seiten der angeblichen Mehrheit zu sein. Die Illusion, dass im Studiopublikum eine zufällige Auswahl von politisch interessierten Menschen sitzt, habe ich nicht.

Last edited 1 Jahr her by mediainfo
Habakuk06
1 Jahr her
Antworten an  mediainfo

Ich schaue mir diese Quatschrunden nicht an, aber ich bin schon lange der Meinung, dass Zuschauer dort nichts zu suchen haben. Sie sagen es richtig „ohne Zuschauer sind die Teilnehmer auf die Kraft ihrer Argumente zurückgeworfen. Das bringt es auf den Punkt.

Fitting
1 Jahr her

Die gackernden Hühner auf der Stange…. und der halbe Hahn hat nichts zu melden.

Peter Gramm
1 Jahr her
Antworten an  Fitting

im ö.r. ist halt immer noch Karneval. Das Gegacker von Frau Kohl war schon sehr beeindruckend. Diese Rechthaberei oijoijoijoi….

Peter Gramm
1 Jahr her

de rö.r. Funk istlediglich eine Versorgungsstation für Günstlinge die sich dort ein Pöstchen gekrallt haben. Der Sumpf und Mud um Frau Schleßinger un die finanziellen Ansprüche die dort geäußert werden sind schlicht skandalös. Solche Fantasieversorgungen passen doch gar nicht mehr in die Landschaft und zeigen aber nur das völlige Versagen der Buhrows Gniffkes und anderer Günstlinge. Da kann das Gegurke voon Herrn Klammroth und seinen Diskutanten niemanden mehr überraschen. Für Geld macht man halt alles. Auch wenn’s der größte Schmarrn ist. Solch üble Versorgungsanstalten sind nur noch mit brutalster Gewalt hinsichichtlich Beitragseintreibung bis hin zu Gefängnisstrafen aufrecht zu erhalten. Der… Mehr

kdm
1 Jahr her

„…bekommt für ihre Aussagen extremen Beifall.“

Das ist offenbar so wie bei „Wer weiß denn sowas?“, die einfältige Quiz-Sendung im Ersten, da wird auch ständig geklatscht, offensichtlich von einem Claqueur der Sendeleitung animiert; und zwar bei jedem(!) lauen Witzchen.

H.M.Enzensberger 1988: „Fernsehen ist Quatsch mit Soße“. Eben.

Maxim Schneider
1 Jahr her
Antworten an  kdm

Wenn die beim Fernsehen Humor hätten, dann würden sie Witze über sich selbst senden. Leider meinen die ihre Agenda todernst und mit leichenbitterer Miene: „Siehe es kommt der Weltuntergang! Tuet buße und bekehret euch zu klimatisierten Wandelapologeten. Tod allen Ketzern! Ein Autodafe muss her für die Feinde des Klimauntergangs!“

elly
1 Jahr her

 „Und ich dachte, mit fünf Frauen in der Runde wird es einfacher …“
tja, hätte er sich mal andere Talkshows mit Frauenbeteiligung angesehen. Ein „Markenzeichen“ der vielen jungen Klimavorzeigefrauen wie Luisa Neubauer, Carla Reemtsma, Carla Hinrichs, Aimee van Baal und einst von Annalena Baerbock, als sie sich noch auf dem Weg zur Ministerin befand, ist nicht ausreden lassen, ins Wort fallen und dann reden, reden und „zu einer Unstoppable Talking Machine“ werden, niemand anderen mehr zu Wort kommen lassen. Das war auch bei Plasberg oft so.

mediainfo
1 Jahr her
Antworten an  elly

„zu einer Unstoppable Talking Machine“ werden, ……

Was bleibt den Genannten denn auch alternativ? Kluge Gedanken äußern, die andere zum Nachdenken anregen? Das sind Parolenwiederholungsautomaten, sobald es in die argumentative Auseinandersetzung geht, zeigt sich ihre Begrenzheit.

mediainfo
1 Jahr her
Antworten an  elly

Der Korridor wird enger, jetzt „darf“ man auch an dieser Stelle nicht mal mehr sagen, wen man für eher doof hält und wen nicht.

Ich versuche es anders: Jemand, der weiß, dass er im argumentativen „Infight“ in einer Diskussion, auf hoffnungslosem Posten steht, wird natürlich versuchen, diesen Mangel durch pausenloses Reden, Wiederholung von Parolen und „Überreden“ des Gegenübers, verborgen zu halten. Ähnlichkeiten mit genannten Personen sind rein zufällig, versprochen!

Maxim Schneider
1 Jahr her
Antworten an  elly

Es hat auch den Anschein, dass da so gewollt ist, denn eine richtige bzw faire Moderation würde allen Meinungen gleiches Gewicht bzw Sendezeit einräumen.