„Im Rechtsstaat kann es keinen absolutistischen Vorrang für Klimaschutz geben“

Die neuesten Angriffe der „Letzten Generation“ gehen nun auch Mitgliedern der Grünen zu weit. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete und Ingenieurin Valerie Wilms kritisiert die Extremisten bereits länger öffentlich und plädiert für Kompromissbereitschaft im politischen Diskurs.

IMAGO / aal.photo

Nach dem Angriff der „Letzten Generation“ auf das Denkmal für das Grundgesetz regte sich auch in jenen Parteien und Medien, die den Extremisten ansonsten wohlwollend gegenüberstehen, erstmals merklicher Widerstand gegen deren Vorgehen. Selbst führende Politiker der Grünen bezogen nun Stellung, doch eine ehemalige Bundestagsabgeordnete kritisiert das Vorgehen der „Letzten Generation“ bereits länger: Valerie Wilms.

Harsche Kritik selbst von Grünen und vom WWF
Der bevorstehende Machtkampf der Klima-Extremisten gegen linke Realpolitiker
Die im schleswig-holsteinischen Wedel – der Wirkungsstätte des berühmten Dichters des „Friedliebenden Deutschlands“, Johann Rist – ansässige Wilms ist studierte Ingenieurin und war u.a. Lehrbeauftragte an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. Von 2009 bis 2017 vertrat sie die Grünen im Bundestag. Weiters war Wilms Mitglied und Obfrau im Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung und Obfrau im Verkehrsausschuss des Bundestags. Bis heute engagiert sich die ehemalige Nachhaltigkeitsbeauftragte für die sogenannte „postfossile Mobilität“ und besuchte erst kürzlich die TH OWL und deren Innovation Campus Lemgo, an dem u.a. die Forschung im Bereich des grünen Wasserstoffs vorangetrieben werden soll.

Wilms scheut den Widerspruch nicht, mit ihren Aussagen abseits des Parteiendiktums erregte sie in letzter Zeit häufiger Aufmerksamkeit. So forderte sie nicht nur Gefängnisstrafen für die klebenden Extremisten der „Letzten Generation“, sie kritisierte anlässlich der Vorwürfe, ein grüner Landrat sei rechts, da er nicht an das Gelingen der Integration im Zuge der Migrationskrise glaube, auch die eigene Partei für die Verweigerung des innerparteilichen Diskurses zu diesen Fragen.

Im Gespräch mit Tichys Einblick äußert sich Wilms zum Umgang mit den Extremisten der „Letzten Generation“, deren zunehmenden Einfluss auf sowohl den öffentlichen, als auch den parteiinternen Diskurs, sowie die Tendenz innerhalb der Grünen eben diesen Diskurs abseits von Vorgaben der Parteiführung nicht zu führen.

Tichys Einblick: Die „Letzte Generation“ rechtfertigt ihre Aktionen mit der kompromisslosen Auslegung der Klimadebatte. Inwiefern ist das angemessen, oder gibt es realpolitische Alternativen?

Valerie Wilms: Eine Demokratie funktioniert nur mit Kompromissen. Ansonsten sind wir in einer Autokratie oder sogar Diktatur gelandet. So etwas wäre mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland überhaupt nicht vereinbar. Darum kann es in unserem Rechtsstaat keinen absolutistischen Vorrang für den Klimaschutz geben. Vielmehr muss der Klimaschutz immer abgewogen werden mit anderen Interessen wie z.B. Wohnen oder Arbeit.

Die Aktionen der „Letzten Generation“ stehen zwar vielfach in der Kritik, erhalten jedoch auch reichlich Rückendeckung aus weiten Teilen der Medien und Politik. Sollte man nicht eher den öffentlichen Diskurs in die Pflicht nehmen, um solch radikalen Bewegungen den Nährboden zu entziehen?

In Deutschland gilt die Pressefreiheit. Darum sind Vorgaben, von wem auch immer, über die Form und Richtung des öffentlichen Diskurses nicht angezeigt. Ein fairer Journalismus zeichnet sich dadurch aus, dass alle Seiten der Debatte beleuchtet werden. Insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk halte ich es für erforderlich, dass sich dieses Prinzip wieder durchsetzt.

Nach den letzten Aktionen der „Letzten Generation“ meldeten sich vermehrt auch kritische Stimmen aus der SPD und den Grünen. Verorten Sie hier einen internen Richtungsstreit in diesen Parteien und wenn ja, wie erwarten Sie, dass dieser ausgehen wird?

Wer das Grundgesetz nicht achtet
Klima-Extremisten der Letzten Generation beschmieren Grundrecht-Denkmal in Berlin mit Öl
Politische Parteien, die in Regierungsverantwortung in einer Koalition stehen, müssen immer Kompromisse finden. Dies trifft auch die SPD und die Grünen. Wer nur seine eigene Position als die allein geltende den anderen Partnern gegenüber durchsetzen will, wird scheitern. Entscheidend ist aber, dass auch innerparteilich die demokratischen Spielregeln gelten. Wer den innerparteilichen Diskurs verhindert, indem er eine andere als die von der Führung vorgegebene Position von vornherein desavouiert, darf sich nicht wundern, wenn die Partei dann vom Wähler in der Zukunft als undemokratisch abgestraft wird.

Thomas Haldenwang erteilte der „Letzten Generation“ im Herbst einen Persilschein, als er meinte, diese wäre nicht als extremistisch einzustufen, da sie sich ja auf dem Boden des Grundgesetzes bewegte. Nun wurde ein Denkmal gerade dieses Grundgesetzes verschandelt. Wo verorten Sie die „Letzte Generation“: Handelt es sich noch um legitimen Protest im Rahmen des demokratischen Diskurses, oder sind die Aktivisten bereits als extremistisch oder gar revolutionär einzustufen?

Zunehmende Radikalisierung
Klima-Extremist: „Dass jemand stirbt (....), das müssen wir ein Stück weit riskieren“
Wer die demokratischen Grundprinzipien nicht beachtet wie die „Letzte Generation“, indem sie sich anmaßt, die allein richtige Antwort zu haben, ist auf dem Weg in den Extremismus. Das hatten wir in der alten Bundesrepublik alles schon einmal. Es wäre zu wünschen, wenn das von den Behörden rechtzeitig erkannt und gegengesteuert wird.

Besteht die Gefahr, dass durch die zunehmende Präsenz der Aktionen der „Letzten Generation“ diese die Politik schon bald in Geiselhaft nehmen könnte, wenn es um die Bestimmung eines internen parteipolitischen Kurses geht?

Das könnte durchaus passieren, wenn die politischen Parteien sich auf Diskussionen mit der „Letzten Generation“ einlassen, obwohl diese ihre undemokratische Gesinnung durch fehlende Kompromissbereitschaft in der Lösungsfindung schon deutlich gezeigt hat. Der Rechtsstaat hat ein ausreichendes Instrumentarium, um sich gegen die Erpressung von Verfassungsorganen zu wehren. Der Rechtsstaat und seine Vertreter müssen im Interesse der Demokratie bereit sein, diese Instrumente auch einzusetzen. Die jetzt durchgeführten Schnellverfahren nach den Nötigungs-Aktionen in Heilbronn zeigen, was heute möglich und nötig ist.

Anzeige

Unterstützung
oder

Kommentare ( 47 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

47 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Dietmar Kuehne
1 Jahr her

Sehr geehrter Herr Boos, was ist eine studierte Ingenieurin? Wollen Sie schreibende Zunft auch bei TE wohl in der Lage sein, in einem oder zwei sinnvollen Sätzen die Ausbildung und den Werdegang der Frau Wilms zu beschreiben- oder Sie lassen es grundsätzlich und schreiben nicht so einen Unsinn wie studierte Ingenieurin… oder gibt es diesen Titel auch ohne Hochschulstudium? Die Frau hat in den 1970er Jahren an der Universität in Hannover Maschinenbau (!) studiert und ist somit Diplom- Ingenieurin, Maschinenbau. Danach hat Sie an der Bundeswehrhochschule promoviert und ist seitdem Dr.Ing. und hat u.a. auch freiberuflich als Konstrukteurin gearbeitet. Es… Mehr

elly
1 Jahr her

„Post von der „Letzten Generation“: Städte sprechen von Nötigung““Mit einem Brief haben sich die Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“ an Rathaus-Chefs in Deutschland gewandt. Sie fordern Zeichen der Solidarität und kündigen andernfalls massive Proteste an.“
BR24 / Oberfranken
Nachdem Erpressung in Hannover, Marburg und Tübingen erfolgreich war, hören die nicht mehr auf. Bis sie ihren“ Gesellschaftsrat“ haben. Ums Klima geht es nicht wirklich, die Abschaffung der Demokratie ist das Ziel.

Rosalinde
1 Jahr her

In China, Indien und vielen anderen Staaten ist der CO2 Ausstoß pro Einwohner zehnmal so hoch wie bei uns. Wer noch von uns Mathematik lernen durfte, der kann diesen Ausstoß auf die Bevölkerung hochrechnen. Da sich unsere Klimakleber aber nicht in China festkleben, sondern ausgerechnet bei uns, zeigt das nur die Verlogenheit dieses Tuns.

Metric
1 Jahr her
Antworten an  Rosalinde

Nein, das ist Quatsch. Die pro-Kopf- Emissionen sind in Indien und auch China viel geringer, aber die Gesamtemissionen sind natürlich höher. Deutlich höhere pro-Kopf-Werte aber, und gesamt erst recht, haben die USA.

Joe X
1 Jahr her

Dass erst jetzt nach der Aktion im Bundestag Widerspruch aus den Parteien kommt, ist doch bezeichnend: So lange Autofahrer oder auch Krankenwagen im Stau stehen, so lange (kulturell und monetär) wertvolle Gemälde beschädigt werden, ist das völlig egal. Aber wehe die Aktivisten wagen es in die „heilige“ Politikblase einzudringen und dort groben Unfug aber keinen echten Schaden anzurichten; dann steht natürlich gleich der Bestand des ganzen Landes auf dem Spiel.

Proffi
1 Jahr her

Ich vermisse in den Kommentaren Hinweise auf die geldverschlingende Hochburg der Klimaidiotie in Potsdam, der es gelungen ist mit ihren Dogmen sogar den Pabst zu indoktrinieren.

Ohanse
1 Jahr her

Die Grünen sitzen in der selbstgestellten Falle. Sie haben jahrelang unermüdlich daran gearbeitet, die Begriffe „Grüne“ und „Klima“ zu einem synonymischen Begriffspaar zusammenzubasteln, und nun schleift sich ins Bewusstsein der Öffentlichkeit ein, dass für das „Klima“ – und damit für die „Grünen“ – über Leichen gegangen werden und Straftaten hingenommen werden sollen. Da wird gerade das Geschäftsmodell der Grünen ruiniert. Und bisher haben die Gretaner noch gar nicht richtig aufgedreht. Mir gefällt’s – den Grünen eher nicht so.

Diogenes
1 Jahr her
Antworten an  Ohanse

Greta ist für die grünen längst „persona non grata“, weil sie sich für AKWs ausgesprochen hat. Die hat bei den Grünen ausgespielt. „Das kann weg“!
Dabei wäre doch das schlimme CO2 das den Weltuntergang bewirken wird, damit als Problem erledigt. Aber die Grünen hatten ja nie vor, die Menschen zu schützen, sondern lediglich den Untergang der BRD abzuschließen. Der globale Klimatod ist doch nur das nötige Angstgespenst für Idioten.

Rosalinde
1 Jahr her

Am besten wäre dem Klimaschutz vielleicht gedient, wenn die Klimaktivisten ihre Ausatmung einstellen würden. Ein kollektiver Selbstmord würde das CO2 durch den Wegfall der Ausatmung günstig beeinflussen.

Peter Pascht
1 Jahr her

„Im Rechtsstaat kann es keinen absolutistischen Vorrang für Klimaschutz geben“ Wir leben aber nicht in einem Rechtstaat. Wir leben in einem „kapitalistischen verlogenen Realsozilismus“ Im Realsozialismus hat sich eine Parteiekartell den Staat und seine Machtinstitutionen zu eigen zu eigen gemacht, ganz offen und ehrlich zugegeben. Die angebliche „Macht des Proletariats“ Politiker und Beamte konnten rechtlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden Bei uns hat sich das Parteinkartell genauso kriminell den Staat und seine Machtinstitutionen zu eigen gemacht, aber verlogen mit der Vortäuschung eines Rechtstaates. Der Untergang des Sozialismus lag nicht am Sozialismus, denn den gab es genauso wenig, wie bei uns… Mehr

Alexis de Tocqueville
1 Jahr her
Antworten an  Peter Pascht

„Der Untergang des Sozialismus lag nicht am Sozialismus … sondern am Ausbeuten des Staates durch die kriminelle Machtoligarchie.“

Genau das ist doch Sozialismus. Jeder will auf Kosten der anderen leben. Schaffen tun es natürlich immer nur wenige, nämlich die Parteibonzen.

Klaus Kabel
1 Jahr her

Die Klimaterroristen haben juristisch nichts zu befürchten im neuen (Un)Rechtsstaat er Grünen. Und nun?

Nein, nicht länger
Kann ichs lassen:
Will ihn fassen!
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!

Die Geister die man rief…

Tabascoman
1 Jahr her

Wenn irgend einer behauptet 2 + 2 = 6 und ein anderer eine andere Meinung (oder gar ein anderes Wissen) hat, z.B. er behauptet 4, dann soll es in einer Demokratie wie sie sich Wilms vorstellt einen Kompromiss geben. Also 2 + 2 = 5 ? Wäre es nicht besser sich auf Fakten, Tatsachen und Wissen zu einigen und wo dieses fehlt, es zu erlangen? Was will uns Wilms da erzählen? Mal ein Beispiel Corona: Warum weigerte man sich von Anfang an, in der Statistik AN und MIT dieser Grippe-Mutation zu unterscheiden? Weil sowas von vorn herein alle Narrative zerstört… Mehr

Proffi
1 Jahr her
Antworten an  Tabascoman

Vielen Dank für den Brief und die vielen Links, die selbst wiederum viele Links enthalten.Sehr zu empfehlen. Es hilft, daß die ohnmächtige Wut erschöpfend mit Fakten untermauert wird. Diese sollten im Schulunterricht diskutiert werden.
Was ist die Meinung des Autors zu physikalischen Unmöglichkeit des Treibhausefffektes ?