Wie die Realität der Flüchtlingskrise den WDR mal wieder einholt

Keine vier Monate ist es her, dass Georg Restle im Studio M „Die Lüge vom neuen Flüchtlingsstrom“ anprangerte, nun berichten selbst die Öffentlich-Rechtlichen von Kommunen am Limit. Der Flüchtlingsgipfel brachte wenig bis gar keine Lösungen, viel Bürokratensprech und politische Steckenpferde auf EU-Ebene.

Getty Images | Screenprint: Twitter - Collage: TE

Adenauer-Zitate erfreuen sich in den Redaktionsstuben der öffentlich-rechtlichen Sender dieser Tage offensichtlich großer Beliebtheit. Das Mantra des ersten Bundeskanzlers der BRD, „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“, scheint mittlerweile zum inoffiziellen Motto bei ARD, WDR & Co. geworden zu sein. Dabei wird meist geflissentlich der zweite Teil der Aussprache ausgeblendet: „Es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden“, denn dazu müsste man aus den eigenen Fehlern lernen und es beim nächsten Mal besser machen. Stattdessen wartet man ein paar Wochen und beginnt von Neuem. Murmeltiertag beim ÖRR.

Ein Spezialist hierfür ist WDR Monitor Redaktionsleiter Georg Restle. Während ihn sein Lob des „Realpolitikers“ Wladimir Putin im Vergleich zum „aggressiven Nationalpatrioten“ Donald Trump aus 2017 erst mit fünf Jahren Verspätung endgültig einholte, liegt seine Folge des Studio M mit dem Titel „Die Lüge vom neuen Flüchtlingsstrom“ keine vier Monate zurück. Doch die „Lüge von der Lüge“ konnte nun auch vom WDR selbst nicht mehr aufrechterhalten werden, der erst vor wenigen Tagen berichten musste, dass die Kommunen bei der Flüchtlingsaufnahme „am Limit“ wären.

— Argo Nerd (@argonerd) February 17, 2023

Wirklich überraschend kam das nicht, haben sich die Flüchtlingszahlen doch bereits seit dem Sommer abgezeichnet. Die offiziellen „Schlüsselzahlen Asyl“ des BAMF weisen für 2022 zwar „nur“ 244.132 Asylanträge aus, was weit hinter den 476.649 aus 2015 und den gar 745.545 Anträgen aus 2016 zurückbleibt, ist aber dennoch der dritthöchste Jahreswert seit den frühen 90ern, als Flüchtlinge aus Ost- und Südeuropa nach Deutschland strömten, was damals mitunter zu einer Änderung des Asylrechts führte.

Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst…

Auffallend ist bei dieser Statistik aber, dass die Spitzenreiter unter den Herkunftsländern nach wie vor Syrien, Afghanistan und die Türkei sind. Ukrainer sucht man in der Statistik vergeblich, denn ukrainische Flüchtlinge tauchen in dieser Statistik dank Sonderregelung erst gar nicht auf.

Von diesen kamen nämlich, laut einem Bericht des ZDF Heute Magazins vom 16. Februar, im Jahr 2022 sage und schreibe 1,1 Millionen nach Deutschland, abzüglich der Abwanderung einiger Ukrainer blieb eine Netto-Zuwanderung aus der Ukraine von 962.000 Menschen zu Buche stehen. Rechnet man diese knappe Million Ukrainer zu den sonstigen Asylwerbern hinzu, erweist sich, dass 2022 mehr Flüchtlinge nach Deutschland kamen als bei der großen Fluchtbewegung 2015/16 und auch mehr als in den frühen 90ern.

Es kann daher nur als Unverfrorenheit bezeichnet werden, wenn ein Georg Restle in seiner Gesprächsrunde im Oktober dem Vertreter der CDU vorwarf, Flüchtlinge nach guten oder schlechten Kriterien zu unterscheiden, wenn es gerade diese Unterscheidung ist, die es ermöglicht hat, Ukrainer rechtlich aus der Asylstatistik zu holen, was wiederum Restle erlaubt, den Vergleich zu 2015 als gefährlich zu bezeichnen. Eine Form der Diskriminierung wird somit zum Grundstein einer hypermoralischen Diffamierung existierender Modelle zur Unterscheidung zwischen den Migrantengruppen. Dass dabei ausgerechnet Teile der CDU, die federführend am Dammbruch 2015 unter Merkel verantwortlich war, nun die Rolle der vernünftigen Oppositionspartei für sich beanspruchen, eine Rolle in der sie selbstverständlich vom ÖRR als populistisch diskreditiert werden, fügt sich nahtlos in das mediale Schmierentheater, das sich politischer Diskurs schimpft, ein.

Auch das Schlagwort der „Integration“ wird gerne genötigt. Dort, wo diese fehlschlägt, ist es eigentlich immer die Schuld derer, die nicht offen genug sind bzw. deren Rhetorik die ursprüngliche Offenheit vermisst. Im Gegenteil müsste man konstatieren, dass Gemeinden, die nach 2015 ihre Lektion durch Überforderung, Überfremdung und Kriminalitätsimport noch nicht gelernt hatten, nun hoffentlich nach ähnlichen bedauerlichen Erfahrungen 2022 beim zweiten Anlauf die Systematik des Problems endlich erkennen.

Dörfer, die selbstlos Hilfsbereitschaft demonstrierten, wurden wieder einmal damit belohnt, dass ihnen Busladungen voller Flüchtlinge sprichwörtlich bei Nacht und Nebel vor die Tür gesetzt wurden und Bund und Länder danach außer leeren Versprechungen kaum noch etwas zu bieten hatten. Viele Gemeinden hofften daher auf Zusagen beim Flüchtlingsgipfel dieser Tage, wurden aber wieder einmal bitter enttäuscht.

Ein Flüchtlingsgipfel wie eine Dienstberatung

Von „besserer Organisation“ und „mehr Arbeitskreisen“ war beim Gipfel die Rede, Bürokratensprech, mit dem den überlasteten Kommunen nur wenig geholfen ist. Die alles entscheidende Geldfrage wurde wiederum verschoben, zu Ostern will man sich des Themas erneut widmen. Regierungsvertreter wie Nancy Faeser ritten stattdessen auf ihren politischen Steckenpferden. Wieder einmal wird dabei die EU-weite Verteilung der Flüchtlinge gefordert, ein zentralistischer Versuch zur Umsiedlung von Menschen, der weder die Wünsche von Migranten in Betracht zieht (die sich oftmals bewusst Länder mit spendablen Sozialsystemen als Ziel ihrer Flucht aussuchen), noch die der EU-Mitgliedsstaaten, die einer Öffnung der Grenzen in einigen wenigen Ländern nie zugestimmt haben, nun aber diese eigenmächtige Entscheidung mittragen sollen.

Auch die von Faeser kritisierte Unterteilung von Ukrainern und anderen Flüchtlingen in „Flüchtlinge 1. und 2. Klasse“ ist ein Versuch, durch die Hintertür alle verbliebenen Schwellen des Asylrechts endgültig abzuschaffen. Der erst kürzlich verliehene Ausnahmestatus an Ukrainer soll somit nicht Ausnahme bleiben, sondern zum Präzedenzfall, um auch anderen Asylbewerbern diesen Status zu verleihen. Auch in der Politik hat man den ersten Teil des Adenauer-Zitats gründlichst verinnerlicht.

Screenprint: Tagesschau.de vom 11. Januar 2023

Die Kommunen blieben hingegen händeringend zurück. Eigenmächtige Entscheidungen des Bundes auf Kosten der Kommunen verursachten Kosten von über zwei Milliarden Euro, auf denen Letztere bisher alleine sitzen bleiben. Empörung herrschte beim Flüchtlingsgipfel auch über die Abwesenheit des Bundeskanzlers. In bester Merkel-Tradition dürfen auch bei der Ampel vor allem die Adjutanten sich der Empörung aus der Basis stellen.

Beim WDR und bei Georg Restle allerdings kein Grund, den Murmeltiertag für beendet zu erklären. Es gibt ja noch so viele andere Themenfelder, die man haltungsjournalistisch beackern kann, bis in einigen Wochen auch das Feld der Flüchtlingskrise wieder mit Moralin überschüttet werden kann. Darauf kann man sich verlassen, wie auf das Amen im Gebet.

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