Deutsch gilt als kompliziert, hart und teilweise sogar hässlich – zu Unrecht, findet Roland Kaehlbrandt und zeigt, warum wir gerade im Deutschen die ausdrucksstärksten Wörter haben, warum unsere Sprache so gut zu lesen ist und welch einzigartige Nuancen sie uns bietet.
Kann man dem Deutschen eine Liebeserklärung widmen? Dichter tun das durchaus: Der Argentinier Jorge Luis Borges (1899-1986), einer der Großen der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts, schrieb 1972 eine Ode „An die deutsche Sprache“ (Al idioma alemán). Dass Sprachwissenschaftler, hier: der Romanist Roland Kaehlbrandt, eine solche Liebeserklärung verfassen, ist die Ausnahme, hat aber einen argumentativen Vorteil: Kaehlbrandt muss „Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“ (Untertitel) nicht nur nennen, sondern auch begründen.
Das ersten drei Vorzüge beziehen sich auf das sprachliche Zeichensystem: Die deutsche Sprache sei (1) „einfühlsam und ausdrucksstark“, (2) „geschmeidig in der Wortbildung“ und (3) „gelenkig im Satzbau“. Die „Einfühlsamkeit“ des Deutschen werden viele bezweifeln: War der Satz Wir schaffen das, der 2015 die Gesellschaft gespalten hat, etwa „einfühlsam“? Natürlich nicht, aber die Kanzlerin hätte – rein sprachlich – auch sagen können: Wir schaffen das schon oder Wir schaffen das doch. Die Wörtchen schon und doch machen die harte Aussage zu einer nuancierten, welche die Hörer einbezieht. Das Deutsche verfügt über eine Reihe solcher – schwierig übersetzbaren – Wörtchen (in der Sprachwissenschaft „Abtönungspartikel“ genannt), mit denen wir ein Gegenüber freundlich und verständnisbereit behandeln: Wo wollen Sie denn hin?, Sagen Sie mal …, Das ist halt /eben so.
Wortbildung und Satzbau sind im Deutschen ungemein flexibel: Man kann – wie im Altgriechischen – ganz einfach neue Wörter bilden, indem man bekannte verkettet:
Not + Fall = Notfall + Ruf = Notfallruf + Nummer = Notfallrufnummer
Borges lobt in seiner Ode auf die deutsche Sprache „die verschlungene Liebe seiner Wortzusammensetzungen “. Zum Satzbau sagt er nichts, aber dessen Variationsmöglichkeiten fielen ihm sicher auf: So steht im Aussagesatz das Verb auf Platz 2: Er fährt morgen von München nach Frankfurt, und die übrigen Satzglieder können grammatisch frei herumgruppiert werden: Morgen fährt er von München nach Frankfurt, Von München fährt er morgen nach Frankfurt usw., wobei Platz 1 inhaltlich hervorgehoben ist.
Die weiteren Vorzüge betreffen Deutsch als Kommunikationsinstrument von derzeit 105 Millionen Muttersprachlern und weltweit 15 Millionen Deutschlernern. Die deutsche Sprache ist (6) „normiert als Standardsprache“ mit festen Regeln und (7) „verfeinert als Literatur- und Bildungssprache“. Die – für die kommunikative Effizienz notwendige – Standardisierung schließt allerdings eine gewisse Variation nicht aus: Deutsch kennt nationale Varianten (in Deutschland, Österreich, Südtirol, Schweiz, Liechtenstein, Luxemburg, Ostbelgien) und zahlreiche regional-dialektale Ausprägungen (die allerdings zurückgehen), kurz: es ist – Vorzug (8) – „vielfältig und weitverbreitet“.
Diese Vielfältigkeit zeigt sich auch im Wortschatz, der viele Lehnwörter aus anderen Sprachen aufgenommen hat: Welcher Deutschsprecher merkt, dass Fenster aus dem Lateinischen kommt, Dame aus dem Französischen und Film aus dem Englischen? Die deutsche Sprache ist also gegenüber fremden Einflüssen durchaus (9) „aufnahmewillig und integrationsfähig“.
Wem haben wir diese Vorzüge der deutschen Sprache zu verdanken? Nicht dem Staat und der über Jahrhunderte hin herrschenden Klasse des Adels. Deutsch als Standard- und Bildungssprache kommt, geschichtlich gesehen, nicht „von oben“, sondern wurde – zehnter Vorzug – „aus der Mitte der Gesellschaft geschaffen“, modern gesprochen: Es ist ein Werk der Zivilgesellschaft.
Kaehlbrandts „Liebeserklärung“ bietet ein informationsreiches, den neuesten linguistischen Forschungsstand einbeziehendes Lob der deutschen Sprache, das den Leser nie langweilt, mehr noch: ein Lesevergnügen bereitet. Fazit: Eine ideale Lektüre (und Geschenk) für Freunde der deutschen Sprache, der „dulce lengua de Alemania“ (Borges), der lieben Sprache Deutschlands.
Roland Kaehlbrandt, DEUTSCH. Eine Liebeserklärung. Die zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache. Piper Verlag, 256 Seiten, 12,00 €.
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Schlimm finde ich, dass deutsche „Gebildet sein wollende“ aufgrund „Wokeness“ und Gender-Gaga noch nicht einmal zugeben, dass der Begriff „Studierende“ anstelle des generischen Maskulinums „Studenten“ grammatikalisch grottenfalsch ist. Schließlich beschreibt diese Form im Deutschen Personen oder Wesen, die gerade das Betreffende tun und nicht einen Beruf o.Ä. Bisher ist m.E. noch niemand auf die Idee gekommen, Schüler als „Schülernde“ zu bezeichnen. Vermutlich kommt das auch noch. Eine Studentin der Sprachwissenschaften wollte mich tatsächlich davon überzeugen, dass die Regeln der deutschen Grammatik „von oben“ geändert werden können und müssen, wenn das dem „gesellschaftlichen Fortschritt“ dienen würde.
Besonders schön ist unsere Sprache nicht, dafür besonders präzise. Die deutsche Sprache wurde von Goethe in die jetzige gramatikalische Form gebracht und erlebt besonders seit dem Ende des letzten Weltkrieges einen ständigen Wandel. Wir haben etwa 50 % mehr Wörter wie die Engländer und doppelt soviele wie die Franzosen. Soviele, auch durch die unklare Phonetik verursachten Irrtümer wie bei der englischen Sprache gibt es in unserer bemerkenswert präzisen Sprache jedenfalls nicht.
Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters- in diesem Falle in seinen Ohren. Zugegebener Maßen klingen italienisch und französisch melodischer, wovon man sich leicht beim Besuch einer in der jeweiligen Originalsprache gesungenen Oper überzeugen kann. Wer sein „Ohrenmerk“ auf eine genau differenzierende Sprache legt, der findet die deutsche Sprache schöner.
„Spanisch spreche ich mit Gott, Italienisch mit Frauen, Französisch mit Männern und Deutsch mit meinem Pferd.“
Dem Zitat Karl V. ist nichts hinzuzufügen. Wer Deutsch schön findet, ist vermutlich nicht viel rumgekommen. Ich persönlich finde unsere Sprache hart und hässlich. Besonders die Umlaute und das „ch“ nach a, o, u… als wolle man gleich spucken! Gäbe es ein EU-weites Referendum für nur noch eine Amtssprache, würde ich auf jeden Fall für Französisch stimmen ??♂️
Vielen Dank für diese Leseempfehlung. Buch gerade bestellt.
Die Aussage
– „Deutsch als Standard- und Bildungssprache kommt, geschichtlich gesehen, nicht ,von oben‘, sondern wurde – zehnter Vorzug – ,aus der Mitte der Gesellschaft geschaffen‘, modern gesprochen: Es ist ein Werk der Zivilgesellschaft.“
in Verbindung mit der Aussage
– „(…) die Rechtschreibung (…) ist – Vorzug (5) – ,leserfreundlich‘“
stimmt nur für die bewährte Schreibung, nicht aber für die re-re-re-reformierte Schreibung. Letztere ist ein Eingriff von oben und soll dem Schreiber das Leben leichter machen. Zusammen mit Vorgaben für die Wortwahl und der anschwellende Flut an Bezeichnungen, Wendungen und Schreibweisen aus dem Englischen trägt sie zum Verfall der Sprache bei.
Die Gender-Sprache ist sicher nervig, aber im Alltag kaum zu finden. Viel schlimmer sind die Anglizismen und deutsch-englischen Mischwörter und das an die Stelle von „super“ getretene „mega“, auf das wahrscheinlich bald „ultra“ oder „megaultra“ folgt. Ich begreife einfach nicht, wie jemand „geframed“ verwenden kann, ohne dabei Schmerzen zu empfinden. Selbst Übersetzer halten es manchmal nicht mehr für nötig, ein oft treffenderes deutsches Wort für einen englischen Begriff zu verwenden. Früher sprach man an Fürstenhöfen französisch, wohl auch, um sich nicht mit den Bauern gemein zu machen. Heute schwätzt man wieder ausländisch, aber immer nur das verflachte Zeug aus Werbung,… Mehr
Auch „super“ war schon ein Irrweg. Auf Deutsch heißt es klasse, herausragend, hervorragend, dufte, knorke, großartig…. Ich lese gern in einem Buch „Götter- und Heldensagen“ von Gustav Schalk. Es ist in einem wunderschönen Deutsch geschrieben. Kostprobe: Da ward Skirnir, Freyrs Diener, gerufen, und Odin sprach zu ihm: „Skirnir, sattle mein Roß und reite in das Land der schwarzen Zwerge. Und also sollst du sagen zu den kleinen Meistern: ‚Dafern ihr die Gunst der hohen Asen nicht einbüßen wollt, so schmiedet ihnen ein Band, das sich durch keine Kraft zerreißen lässt.'“ Alsogleich zäumte Skirnir Odins Hengst Sleipnir, schwang sich auf seinen… Mehr
Die deutsche Sprache ist deshalb hervorragend geeignet zum Philosophieren.
Goethe wusste: Was einem in der Jugend fehlt, hat man im Alter stets(,) die Fülle.
Deutsch ist eine schöne Sprache! In der deutschen Sprache kann man alles auf den Punkt bringen. Jeden Gemütszustand, jede Sache kann man durch einfaches Zusammensetzen von Wörtern umschreiben. Ich finde sie weder hart noch hässlich. Aber ein „schon“ oder „doch“ hätte Merkels „Wir schaffen das“ nicht besser gemacht! Es hört sich vielleicht freundlicher an, aber geschafft hätten wir es auch damit nicht, weil es nicht zu schaffen war, weil es nicht zu schaffen ist und weil es nie zu schaffen sein wird. Da nützen auch die Weichzeichner schon und doch nichts! Schönreden ersetzt nicht die Realität! Politiker und Medien versuchen… Mehr
Das Schönste an der deutschen Sprache sind für mich ihr Bilderreichtum: Vor einer Woche habe ich mir Uwe Tellkamps „Der Turm“ besorgt und bin stellenweise sprachlos ob seiner Bildhaftigkeit: Die Beschreibung der Lehrerin Hedwig Kolb: „Sie betrat das Klassenzimmer wie eine vergessliche Elfe, blieb, die Klinke noch in der Hand, versonnen stehen, unbekümmert über den Lärm, den die auf ihre Plätze eilenden Schüler machten, schaute zart und befremdet, das Klassenbuch und die Unterrichtsmaterialien hoch unter dem Arm geklemmt, auf einen Helligkeitsfleck auf dem Fußboden, ein besonntes Traumtellerchen, auf dem sie vielleicht ein paar Kobolde sah, die ihr die Zunge herausstreckten.“… Mehr