Falschmeldungen oder Meinungen sind kein Alleinstellungsmerkmal der Internetkommunikation. Der Vorwurf der "Lügenpresse" wurde so durchsetzungsfähig, weil er sich auf so viele Beispiele für eklatante Desinformation in "professionellen" Medien stützen kann.
Die Verlierer der US-Wahl diesseits und jenseits des Atlantiks sind sich in einem einig. Das böse Internet trägt eine erhebliche Mitschuld daran, dass die Wähler nicht der Weisheit ihrer Vormünder folgten. Ebenso einig ist man sich in dieser Partnerschaft im Jammer, dass damit so schnell wie möglich Schluss sein muss, denn jetzt geht´s ums große Ganze: „Facebook´s damage to democracy“ beklagt die New York Times und berichtet wohlwollend über Initiativen, die die „Verbreitung von Falschinformationen“ im Netz beenden wollen. Wie der scheidende Präsident Obama mag es das Blatt gar nicht, dass in den sozialen Medien die Kritik an der herrschenden Klimawandel-Religion genau so ernst genommen wird wie die selbstverständlich unbezweifelbaren Ergebnisse der Klima-Wissenschaft. Seit neuestem gelten „social bots“, von Menschen programmierte Meinungs-Roboter, die mit ihren Massenaussendungen im US-Wahlkampf Themen im Netz durchzusetzen versuchten und Wahlempfehlungen gaben, als weitere Bedrohung des demokratischen Systems.
In Europa hat der Trump-Schock ebenfalls einschlägige Aktivitäten ausgelöst: „Aus Furcht vor weiteren Wahlerfolgen populistischer Bewegungen werden in Europa strengere Auflagen für soziale Netzwerke gefordert“, liest man über Brüsseler Pläne. Volker Kauder gibt den beißlustigen Kettenhund seiner Herrin und bellt in der WELT: „Wenn das Netz weiter lügt, ist mit der Freiheit Schluss“. Nach diesem rüden Auftritt folgte die Kanzlerin im Bundestag und kündigte in gewohnter Merkel-Moderation an: „Wir müssen mit diesem Phänomen umgehen und – wo notwendig – regulieren,“ weil „das unseren Grundsätzen widerspricht.“
Gerade hat dieselbe Frau versprochen, in einer 4. Kanzlerschaft die Digitalisierung des Landes voranzutreiben, und das erste, was ihr dazu konkret einfällt, ist staatliche Regulierung.
Offenbar reichen die Kontrollen, Einschüchterungen und Denunziationen durch die popstalinistischen Hosenschlitzriecher der „Amadeu-Stiftung“ und die Mobilisierung der Schulkinder zu Volksfahndern gegen „Hetze im Netz“ im Rahmen des Google-Projekts „NichtEgal“ immer noch nicht aus.
Niemand wird bestreiten, dass es in der Netzkommunikation viele unerfreuliche Erscheinungen und Entwicklungen gibt. Da Regulierungen auf diesem Feld aber immer Eingriffe in die Meinungs- und Informationsfreiheit der Bürger bedeuten, ist eine sehr kritische Sichtung nötig, um den Handlungsbedarf realistisch einschätzen zu können.
Niemand ändert seine Meinung nur wg. Internet
Stattdessen wird gern mit Schreckensvisionen gearbeitet. Wenn Millionen von Meinungsrobotern dazu eingesetzt werden, um auf Twitter, Facebook und in anderen sozialen Medien Themen zu lancieren, mit Falschmeldungen Stimmung zu machen und den Nutzern zu suggerieren, bestimmte Meinungen seien weit verbreitet, dann macht das Angst. Dass Putin und Trump solche Techniken einsetzen, scheint die Dringlichkeit staatlicher Regulierung zu belegen. Allerdings muss man zwischen dem Manipulationspotenzial, das durch die neue Technik gegeben zu sein scheint, und der tatsächlichen Wirkung unterscheiden. So stellt der Politik- und Computerwissenschaftler Simon Hegelich in seiner für die Konrad-Adenauer-Stiftung verfassten Untersuchung „Invasion der Meinungsroboter“ fest: „Alle Studien sprechen dagegen, dass jemand seine politische Meinung ändert, nur weil er eine Nachricht in den sozialen Netzwerken sieht.“
Ebenso unangebracht ist die repressionslustige Empörung über die „Verrohung“ der Internetkommunikation. Denn es gibt doch schon lange wirksame Gegenmaßnahmen gegen vulgäre Rüpelei : Moderatoren blocken die Publikation einschlägiger Äußerungen auf den Kommentarseiten von Zeitungen; Politiker können sich gegen Beleidigungen mit Rechtsmitteln zur Wehr setzen; ordinärer Schimpf kann am besten ignoriert werden. Schließlich kommt auch keiner auf die Idee, eine gesetzliche Regulierung jener Prosa zu fordern, die immer noch auf Toilettenwänden zu finden ist.
Sebnitz und andere Fehlleistungen von Old Media
Auch die Behauptung, es brauche neue Gesetze, um die virale Ausbreitung desinformierender Nachrichten zu verhindern, verdient einen zweiten, kritischen Blick. Im Empörungsrausch über die „postfaktische“ Internetwelt wird zu rasch vergessen , dass das blitzartige Verbreitung grotesker Falschmeldungen oder Meinungen kein Alleinstellungsmerkmal der Internetkommunikation ist. Man erinnere sich, dass der Vorwurf der „Lügenpresse“ auch deshalb so durchsetzungsfähig wurde, weil er sich auf so viele und so beeindruckende Beispiele für eklatante Desinformation bei den „professionellen“ Medien stützen konnte. Die lange Liste solcher Beispiele kann hier gar nicht erneut aufgerufen werden. Es genügt, an so skandalöse Fälle wie die Sebnitz-Berichterstattung zu erinnern, als eine ganze Medienrepublik sich tagelang mit der Horrorgeschichte über eine rechtsradikale Gewalttat beschäftigte, die nie stattgefunden hat.
Auch präsentieren uns seit dem letzten Jahr die angeblich so akribisch arbeitenden Druck- und Funkmedien immer wieder Schreckensmeldungen über Brandstiftungen in Migrantenheimen, von denen sich viele im Nachhinein als etwas rustikale Protestformen der dort untergebrachten „Flüchtlinge“ erweisen. Und anders als abstruse Internetmeldungen, die eher in kleinen Milieus zirkulieren, haben diese Fehlinformationen in der Regel das ganze Land als Bühne, mobilisieren Politiker, Gewerkschafter, Kirchenvertreter zum großen „Aufschrei“. Die Chronik solcher Fehlleistungen ist so lang, dass sie mittlerweile Bücher füllt, (zuletzt hier) und sie ist nicht auf Deutschland beschränkt.
Wer sich traut, kann sich auf der Gott-sei-bei-uns-Seite „breitbart.com“ eine Revue der Fake-Stories in den renommiertesten US-Zeitungen ansehen. So weit her ist es also mit der professionellen Recherche-Akuratesse und der Wahrheitsliebe der traditionellen Medien nicht. Tom Kummer galt bis zu seiner Enttarnung schließlich ebenso als solider Journalist wie der New York Times-Star-Schreiber Jason Blair, der seine vielgelobten Recherchen im Büro erfand.
Die Kampagne gegen „Falschmeldungen“ und „Desinformation“ hat also einen blinden Fleck, über den ebenso geschwiegen wird wie darüber, wer denn eigentlich die „Wahrheit“ von Informationen so eindeutig festlegen kann, dass Verstöße dagegen justiziabel sind. Die Vorstellung, dass künftig beim Minister-Troll Maas eine „Hauptverwaltung ewiger Wahrheiten“ fürs Internet installiert werden könnte, macht angesichts seines bisherigen Wirkens erheblich mehr Angst, als Meinungsroboter das je könnten.
Politik und Medien fürchten ihren Kontrollverlust
Nein, die aggressiven Tiraden über die „Kloake“ Internet, die die Demokratie bedroht, sollte man nicht als Ausdruck ernst zu nehmender Besorgnis verstehen. Dazu sind sie zu einseitig, wurden sie doch erst dann lautstark, als sich im Netz Meinungen artikulierten, die in den traditionellen Medien zuvor erfolgreich ausgesperrt waren. Es handelt sich um die Kampfprosa von Politikern, denen die Kontrolle über die Köpfe ihrer Untertanen entgleitet und mit denen sich jene Journalisten nur zu gern verbinden, denen alle Vierteljahre beim Betrachten der neuesten Auflagenzahlen die Sorge um den Arbeitsplatz drängender wird. Zwei Taumelnde halten sich aneinander fest und sind offenbar fest entschlossen, mit der Kreation des Internet als Gesamtschuldner für disruptive Entwicklungen im politisch-medialen System ein Ablenkungsmanöver zu fahren. Denn hinter dem Aufstand der Bürger im Netz steckt doch die wohlbegründete Unzufriedenheit der Menschen mit dem, was sie in den Zeitungen lesen, im Rundfunk hören und sehen – und mit dem Handeln der Regierenden.
Damit darüber nicht geredet wird, erzeugt man um so größeren Lärm über neue Formen der Kommunikation. Die flapsige Nonchalance, mit der dabei der Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit das Wort geredet wird, ist erschreckend, zumal die technischen Möglichkeiten der Kontrolle bereits vorhanden sind. So ließ sich gerade die New York Times von Facebook-Mitarbeitern, die anonym bleiben wollten, über eine neue Software unterrichten. Damit kann man verhindern, dass bestimmte Einträge in der Nachrichtenleiste von Nutzern in ausgewählten geographischen Regionen auftauchen. Zensur-Fan Maas wird sich für dieses Instrument, das Facebook als Morgengabe für eine Rückkehr auf den chinesischen Markt entwickelt haben soll, gewiss brennend interessieren.
Neben den offenen Kriegserklärungen im neuen „Infowar“ gegen die wuselig-unüberschaubare Internetkommunikation, die ohne Hemmung im Stile wilhelminischer Unteroffiziere vorgetragen wird, suchen im Halbschatten der öffentlichen Aufmerksamkeit aber auch noch andere ihren Kollateralgewinn aus der Lage einzustreichen. Ihre Strategie ist nicht so offen auf Netzzensur aus wie die der Kauder & Co., läuft am Ende aber auf ähnliche Resultate hinaus.
Expansion der Staatsmedien als Wunderwaffe
Zwei einschlägig ausgewiesene Haudegen der publizistischen Landnahme möchten aus dem US-„Wahlkampf gegen die Medien“ rasch „Konsequenzen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ ziehen. Wolfgang Hagen, ehemals Redakteur im bekannt pluralistischen Radio Bremen und jetzt Medienwissenschaftler in Lüneburg , hat sich mit dem Literaturwissenschaftler und Projektleiter des ARD-Online-Kanals Hermann Rotermund zusammengetan, um abermals die Expansion der präferierten Sender zu fordern.
Ihr Verständnis des Mediensystems ist dabei erhellend für Denkweisen, wie sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk endemisch sind. Denn für Hagen und Rotermund ist das US-Mediensystem strukturell „unfair“, erlaubt es doch mit Talkradios und Fox News Sendern den Zutritt zur Öffentlichkeit, die nicht auf deutsche Schwurformeln von „Ausgewogenheit“ verpflichtet zu sein.
Die Zulassung eines Pluralismus, der über das hinausgeht, was in ARD und ZDF als denkbar gilt, erscheint den beiden Autoren als riskant, weil er mit Verlust der Diskurskontrolle und Aufkündigung dessen verbunden ist, was sie „medienkulturellen Konsens“ nennen. Wer diesen Konsens wie herbeiführt, darüber erfährt man freilich nichts, kann es aber leicht ahnen: Es sind jene „Eliten“, die als Vormünder die allein demokratieförderliche Mediendiät der Bürger zusammenstellen.
Man sieht: hier artikuliert sich das ungebrochene Selbstverständnis eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks deutschen Typs, das sich durch keine Herausforderung in seinen Gewissheiten erschüttern lassen will. Man ist stolz darauf, dass hierzulande die Medienszene noch gesellschaftssanitär sauber ist. Eine Form von Meinungsfreiheit, die Raum lässt für die die ganze Bandbreite der gesellschaftlichen Diskussion, auch da, wo es ungewaschen, flegelhaft, geschmacklos zugeht, macht den beiden Herren Angst. Die Enge der deutschen Verhältnisse nehmen sie nicht wahr, faseln stattdessen davon, dass nur im Internet „die Nutzer nur eine Teilansicht des gegebenen Meinungs- und Verhaltensspektrums“ rezipieren. Offenbar halten sie das, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Verein mit den meinungsbildenden Blättern der Republik dem Publikum bietet ,für die ganze Fülle dessen, was in Deutschland gedacht und gemeint wird. Dabei klagte schon Kurt Tucholsky darüber, dass die meisten Zeitungsleser nur eine Zeitung lesen, und zwar die, die ihre Ansicht bestätigt. Daran dürfte sich kaum etwas geändert haben. Abonnenten der Süddeutschen Zeitung, die zugleich die Junge Freiheit sich liefern lassen, dürften eine winzige Minderheit bilden.
Anders als Kauder, Maas und Merkel geht es Hagen und Rotermund aber nicht um repressive Massnahmen zur Sicherung der bedrohten Diskurskontrolle. Sie setzen darauf, die neuen Medien mit einer erheblichen Ausweitung öffentlich-rechtlicher Angebote zu fluten. Sie folgen dem Vorschlage des ÖRF-Moderators Armin Wolf, „der dafür plädierte, die bestehenden Plattformen mit dem Einsatz von sehr viel mehr Personal als bisher massiv journalistisch zu bearbeiten.“
Mit erhabener Dreistigkeit wird hier die „Verstärkung der Präsenz“ im Netz zu einer Aufgabe geadelt, deren Erfüllung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu einem zentralen Bollwerk der Demokratie-Sicherung macht. In unauflöslicher Kumpanei mit der herrschenden politischen Klasse verbunden und hinter den Wällen höchstrichterlicher Urteile wohlverwahrt , sollen sich ARD und ZDF bereit machen zu einer nächsten Expansionsrunde, die durch die schiere Masse der eigenen Angebote den Gegner in die Unauffindbarkeit drückt. Unternehmensstrategische Ziele treffen sich hier aufs schönste mit dem Wunsch, Medien als volkspädagogisch wirkende Nannies beizubehalten.
Während die Presse auf Grund ihrer Abhängigkeit vom immer volatileren Markt unter Druck geraten und möglicherweise der Versuchung erliegen könnte, den „bislang bestehenden medienkulturellen Konsens“ selber aufzukündigen, ist der zwangsfinanzierte ö.-r. Rundfunk dagegen gesichert und entschlossen, diesen Vorteil zu nutzen.
Die Offenherzigkeit, mit der hier Positionen vertreten werden, die in der Sache auf Einschränkungen und Erschwernisse für ein breites Meinungs- und Informationsangebot hinauslaufen, ist kennzeichnend für die Aggressivität, mit der das herrschende juste milieu auf die Provokation durch die neuen Volksbewegungen reagiert. Es wächst dort die Neigung, die schwierige Kommunikation mit den Menschen anderer Meinung abzubrechen oder nur noch sehr kanalisiert zuzulassen. Wer die eigenen Bürger aber zu „Pack“ erklärt oder sie schlicht für zu dumm hält, beschädigt die vielbeschworene „Debattenkultur“ aber sicher mehr als der eine oder andere Internetrüpel.
Heribert Seifert schreibt für die NZZ und andere.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein