Eine Wagenknecht-Partei? Die Idee stößt auf viel Zustimmung

Laut Umfrage würden es über 40 Prozent begrüßen, wenn die prominente Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht eine eigene politische Kraft gründet. Und auch sonst kommt im Herbst des Zorns Bewegung in die Parteienlandschaft.

In der Linkspartei gibt es nicht wenige Funktionäre, die ihre mit Abstand populärste Frontfrau gern los würden – vor allem nach Sahra Wagenknechts Attacke gegen die Grünen, denen sie vorgeworfen hatte, die „gefährlichste Partei im Bundestag“ zu sein, „gemessen an dem Schaden, den sie anrichtet“. Auch aus den Reihen der Grünen kamen ultimative Aufforderungen an die Linke, Wagenknecht hinauszuwerfen, sollte sie nicht freiwillig gehen. Möglicherweise tut sie ihren Gegnern bald diesen Gefallen.

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Durch das herbstliche Berlin wabern die Gerüchte, die frühere Fraktionschefin der Linken könnte eine eigene politische Kraft organisieren. Nach einer aktuellen Umfrage würden über 40 Prozent der Deutschen eine derartige Belebung der Parteienlandschaft begrüßen. Die Prozentzahl sagt natürlich nichts über die Bereitschaft aus, eine Wagenknecht-Partei auch tatsächlich zu wählen. Aber sie spiegelt eine offenbar tiefsitzende Unzufriedenheit mit dem aktuellen Angebot wider. Mit ihrer weitgehenden Hinwendung zur woken Identitätspolitik räumen Linkspartei und SPD freiwillig das Feld der klassischen linken Interessenvertretung – ausgerechnet in Zeiten der tiefen wirtschaftlichen Krise.

Im bürgerlichen Lager fühlen sich viele Stimmbürger heimatlos, seitdem die CDU sich der Frauenquote verschreibt und den Begriff Gleichberechtigung durch „Gleichstellung“ ersetzte. Die Repräsentationslücke macht sich deutlich bemerkbar: Bei der Landtagswahl in Niedersachsen im Oktober blieben gut 40, bei der Entscheidung über den neuen Landtag in Nordrhein-Westfalen sogar 45 Prozent der Wahlberechtigten fern. 

Was fehlt, sind eloquente Mitstreiter
Weshalb eine Wagenknecht-Partei reelle Chancen hat
Nach einer Umfrage von Civey vom 31. Oktober bis 3. November fänden es gut 42 Prozent positiv, wenn Sahra Wagenknecht ihre eigene Partei gründen würde. Damit überwiegt die Zustimmung die Ablehnung deutlich. Als „sehr positiv“ bewerteten es 28,9 Prozent, wenn sich eine politische Kraft mit der prominenten Linken an der Spitze formieren würde, als „eher positiv“ 13,2 Prozent. Unentschieden blieben bei der Frage 23,5 Prozent. Eher negativ fänden 10,9 Prozent eine Wagenknecht-Partei, sehr negativ 23,5 Prozent. 

Die Bundestagsabgeordnete bietet eine politische Mischung wie sonst kein prominenter Mandatsträger: Klassische linke Sozialthemen von Mindestlohn bis zur Rente, heftige Attacken auf die Grünen und generell die „Lifestyle-Linken“, wie sie es nennt, außerdem russlandfreundliche Positionen. Dazu beherrscht sie –  in Deutschland immer noch eine Seltenheit – die Klaviatur der sozialen Medien. Auf Twitter folgen ihr 638.000 Menschen, ihr Youtube-Kanal verzeichnet fast 600.000 Abonnenten. Das Video, in dem sie dort kürzlich verbal auf die Grünen einprügelte („die heuchlerischste, verlogenste, inkompetenteste Partei im Bundestag“) wurde bisher mehr als 1,3 Millionen Mal abgerufen. Und ihre Facebook-Seite verzeichnet mittlerweile mehr Interaktionen als das digitale Angebot der Tagesschau. Alles in allem gehört die 53-Jährige zu den wenigen Berufspolitikern in Deutschland, die es schaffen, ein großes Publikum anzuziehen. 

Neugründung 3
Paradox: Eine Partei von Sahra Wagenknecht hilft der Ampel
Einen Versuch, aus dem alten Parteienraster auszubrechen, hatte Wagenknecht schon 2018 zusammen mit mehreren Intellektuellen durch die Gründung der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ gestartet. Damals registrierten sich nur 160.000 Menschen auf der Plattform. Zu dem, was sie erreichen wollte, nämlich eine „Änderung des politischen Klimas“, kam es nicht. „Aufstehen“ ging schnell wieder unter. Allerdings herrschte 2018 noch eine zwar auslaufende, aber immer noch intakte Hochkonjunktur. Die Massenmigration flaute im Vergleich zu 2015 wieder ab.

Heute schliddert die Bundesrepublik in eine tiefe wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise – und die Migrationszahlen nähern sich wieder dem Niveau von 2015. Das Klima für politische Neugründungen war noch nie so günstig wie heute – angesichts der Unzufriedenheit von Bürgern und dem ausgelaugten Zustand der bisherigen Kräfte. 

Wenn Wagenknecht den Herbst des Zorns für sich nutzen würde, dann wäre sie nicht die einzige. Ende November soll sich in Berlin auch eine neue bürgerliche Kraft formieren. 

Demnächst steht das Urteil des Berliner Verfassungsgerichts über eine Wiederholung der verpfuschten Landtagswahl in der Hauptstadt an. Sie käme, da die Berliner Verwaltung zur Vorbereitung eines außerplanmäßigen Urnengangs mehrere Monate bräuchte, frühestens im späten Frühjahr oder Sommer 2023 zustande. 

Beeilen sich die neuen Kräfte, könnten sie sehr schnell die Gelegenheit bekommen, ihre Attraktivität in der Praxis zu testen. 


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Kommentare ( 52 )

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Karsten Maltinger
2 Jahre her

Völlig außer Acht wurde bisher gelassen, woher bitteschön sich das notwenige Personaltableau für eine derartige Partei rekrutieren sollte. Ich sehe diese Quellen nicht!

Maunzz
2 Jahre her

Wagenknecht bricht nichts übers Knie. Die „Aufstehen“-Sammlung 2018 war ein Testballon, auch um sich zu vernetzen. Ihre Partei wird kommen. Da bereits mit den gewendeten Grünen Populisten sehr erfolgreich sind, ist neben rechtspopulistischer AfD auch eine starke linkspopulistische Partei logisch und sinnvoll. In vielen Staaten sind sogenannte Mitte-Parteien nur noch auf dem Papier Mitte und haben sich populistischer aufgestellt, politisch neu orientiert und erfolgreich. Der Westen wird sich von Mitte verabschieden. Die Entwicklung geht weiter.

Niklas
2 Jahre her

Spätestens seit ihrem so brillianten wie zutreffenden Kommentar, dass die Grünen die gefährlichste Partei im Bundestag ist, ist Wagenknecht fertig mit der Linken. Deren Ziel ist es schließlich, mit den Grünen zu koalieren.

Wagenknecht ist eine Salonlinke und hat himmelschreiende schlechte Lösungsansätze für die Probleme, die sie so eloquent und pointiert benennt. Aber sie ist ein veritables Schreckgespenst für die Etablierten, der man den Mühlstein „räächts“ nicht so einfach um den Hals hängen kann. Ich würde sie wählen.

Homer J. Simpson
2 Jahre her

Wagenknecht – ja, sie benennt offen Ross und Reiter. Das macht die AfD aber auch. Nur kommt Frau Wagenknecht aus dem linken Lager. Und da ist sie ja nicht aus Zufall sondern Überzeugung. Und da wird es gefährlich. Eine „Wagenknecht-Partei“ wäre also eine weitere linke Partei im großen Teich der Einheits-Block-Partei. Nicht wirklich beruhigend oder hoffnungsvoll. Wagenknecht ist alleine in der Opposition gut. Beweisen könnte sie sich als „linker Flügel“ der AfD, die ja das Programm vertritt, was die Union in der Prä-Merkel-Ära verfolgte und Deutschland erst in die Höhen brachte, aus denen wir gerade abstürzen… Eine weitere grün-linke Partei… Mehr

gorbi
2 Jahre her

Das ist weltfremd. Der grün-Linke ICE donnert bereits unstoppbar voran. Man kann sich ebenso die Frage stellen, hätte eine bürgerliche
Parteigründung 1936 noch etwas bewirkt ??

Muppetworld
2 Jahre her

Mit einer Wagenknecht an der Spitze ihrer eigenen Partei wäre Die Linke und Teile der SPD Geschichte. Ebenso gäbe eine es eine ( kleine) Wählerwanderung von der AfD zur Wagenknecht Partei.
Die, die sich aus guten Gründen geschworen haben, keine der anderen Blockparteien zu wählen, könnten sich ebenfalls dort und in der AfD wiederfinden. Die FDP hat ebenfalls gute Chancen, nur noch als Randnotiz herzuhalten. Wenn es gelänge, die Vereinigte CDU CSU SPD unter 50 % zu bringen…das wäre schon mal ein kräftiges Zeichen.

Niklas
2 Jahre her
Antworten an  Muppetworld

Die Mehrheit der AfD-Wähler wählt diese Partei nur noch mit zugehaltener Nase und liegt inhaltlich Wagenknecht erheblich näher als Höcke.

hassoxyz
2 Jahre her

Ich würde eine Wagenknecht-Partei nur wählen, wenn sie sich eindeutig in die politische Mitte orientiert und nicht links davon. Diese Partei müßte sich außerdem zur sozialen Marktwirtschaft (Mensch + Markt) bekennen und nicht zu einer sozialistischen Kommandowirtschaft wie in der DDR, die ins Verderben führt. Das ist bei Frau Wagenknecht eher zu bezweifeln. Ich würde sie nicht unbedingt als eine Kommunistin bezeichnen, sie ist weniger radikal als eine Baerbock oder Faeser, aber eine überzeugte Linke ist sie definitiv. Sie ist einerseits eine scharfe Kritikerin der offenen Grenzen, der fatalen Energiepolitik und der Grünen, andererseits hat sie 2020 (laut eines TE… Mehr

Matthias
2 Jahre her

Mein Eindruck ist: Frau Wagenknecht ist sehr intelligent und kennt die Realität, im Gegensatz zu viele grün-roten Politikschauspielern. Aber ist sie auch teamfähig und hat ein Netzwerk hinter sich? Wenn das so wäre, hätte sie schon lange eine Partei gründen können. Die Bewegung „Aufstehn“ ist ja gefloppt. Weiterhin interessiert mich, warum der Frage einer Parteigründung in diesem Medium soviel Platz eingeräumt wird. Eine liberal-konservative Partei hat Frau Wagenknecht sicher nicht als Ziel.

Final Man
2 Jahre her

Ich sage immer „Frau Wagenknecht sieht vieles richtig, aber, sie will alles immer mit sozialistischen Mitteln lösen.“ Als Oppositionelle kann man ihr gut zuhören. Sie legt ab und an gerne mal den Finger in die Wunde. Doch als echte Alternative sehe ich sie nicht. Deutschland braucht zum Überleben eine anständige Mitte/Rechts-Ausrichtung. Deutsche Politik vorrangig für Deutschland. Wohlstand, Sozialstaat, Wirtschaft, Frieden gehören gerettet. Das geht mit sozialistischen Mitteln nicht.

Hegauhenne
2 Jahre her

Also aus Protest würde ich sie wählen. Bin inzwischen Nichtwähler, denn bei einem Kreuz bei unseren verkommenen Systemparteien würde mir glatt die Hand abfallen, und die grauen Panther oder bibelfesten Christen und dergleichen Schwachsinn will ich auch nicht unterstützen.
Ich verstehe auch nicht, warum die Linken sie loswerden wollen. Kann mir ansonsten jemand eine einzige sympathische Figur in dieser Spät-SED nennen? Mir fällt niemand ein.