Sahra Wagenknecht elektrifiziert derzeit die deutsche Politlandschaft mit der Idee einer neuen Partei. Die hätte tatsächlich auch Potenzial – allerdings nur wenig Chancen. Zumindest bräuchte sie einen langen Atem.
Die Bundesrepublik kennt nach 1950 nur noch zweieinhalb erfolgreiche Parteiengründungen: die Grünen und die AfD. Dazu kommt als halbe Gründung – und als halb erfolgreich – die Fusion aus PDS und WASG, aus der „Die Linke“ entstanden ist. In der Geschichte der Grünen und der AfD kommt es zu vielen Parallelen. Daraus lassen sich Mechanismen ableiten, die auch eine Wagenknecht-Partei beachten müsste.
Die Wurzeln der Grünen ähneln eher denen der Wagenknecht-Bewegung als denen der AfD: Sie sind anfangs eine Sammelbewegung aus Gruppen, die sich im Bundestag der 1970er Jahre nicht mehr vertreten sehen: Umweltschützer, Klimaschützer und Friedensbewegte bilden dabei die drei größten Gruppen. Die ideologische Ausrichtung ist in diesen Tagen noch offen. Eine wichtige Streitschrift aus den frühen Tagen der Grünen heißt: „Nicht links, nicht rechts, sondern vorn“.
AfD und Grüne scheitern bei ihrem ersten Versuch, in den Bundestag einzuziehen, sind beim zweiten erfolgreich und verlieren beim dritten beziehungsweise vierten Versuch an Stimmen. Das heißt: Sie müssen nach einer Aufstiegsphase eine Durststrecke überstehen. Für die Grünen hätte das unter normalen Umständen den Rauswurf aus dem Bundestag bedeutet: Sie scheitern 1990 an der Fünf-Prozent-Hürde. Dank einer Sonderregelung genügt es ihnen, dass ihre ostdeutschen Verbände kurz nach der Wiedervereinigung diese Hürde genommen haben.
Parteigründungen ziehen eine Gruppe an, die sich durch abstruse Ideen auszeichnet und dadurch, dass sie sozial bedingt integrierbar ist. Milde formuliert. Diese Gruppe ist klein, sorgt aber schnell für vernichtende Schlagzeilen. Die Piraten können ein Lied davon singen – eigentlich ist es eher ein Konzert. Im Saarland gibt es knapp zwei Dutzend Menschen, die von den 80ern an in Grünen, PDS, Stattpartei, WASG und Piraten waren. Zum Erfolg der Parteien etwas beitragen konnten sie nicht – nicht selten waren sie für ihren Untergang verantwortlich.
Die Grünen brauchten mindestens ein Jahrzehnt, um sich von unliebsamen Mitgliedern zu trennen. Die völkische Gruppe in ihrer Partei wurden sie früher los, die „Großstadtindianer“ blieben den Grünen bis in die 90er treu. Das sind Erwachsene, die Sex mit Kindern haben wollen und dies entsprechend legalisieren wollen. Mitunter nur knapp konnten die Grünen in den 80er Jahren verhindern, dass die Ideen der Großstadtindianer in ihr Programm einfließen. Deren Aktivitäten fielen der Partei noch im Wahlkampf 2013 auf die Füße.
Die AfD wird erst am 6. Februar zehn Jahre alt. Von den Gründungsvätern sind viele gegangen. Die Flüchtlingswelle hat ab 2015 das Ursprungsthema Euro verdrängt. Mit diesem Thema drängte eine Klientel massenweise in die Partei, die über die üblichen, versprengten Neugründungs-Querulanten hinausgeht. Zwar gab und gibt es in der AfD Versuche, Rechtsextreme rauszuwerfen. Aber es gibt auch Björn Höcke, der Rechtsextremen in der Partei eine Heimat gewährt. Wie diese Flügelkämpfe ausgehen, ist nach weniger als zehn Jahren AfD zwar noch offen, doch Höcke ist – anders als die Großstadtindianer bei den Grünen – in der Lage, in der AfD Mehrheiten zu generieren.
Meist ist es ein großes Thema, das die Neugründung einer Partei ermöglicht. Auch wenn die Grünen eine Sammelbewegung waren, so sind es doch der Umwelt- und der Klimaschutz, die ihren Durchbruch ermöglichen. Der Name sagt es. Bei der AfD war es die Euro-Politik Merkels. Doch neue Parteien brauchen Anschlussthemen, die sie weitertragen. Dann, wenn die erste Euphorie abebbt und die etablierten Parteien ihnen die Luft nehmen, indem sie auf ihre wichtigsten Kernforderungen eingehen. Bei den Grünen war das die Aufrüstung der Kanzler Schmidt und Kohl und ihre Friedenspolitik als Reaktion darauf, bei der AfD war es die Flüchtlingswelle.
Die Grünen der frühen Tage einigt ihr antiamerikanistisches und antikapitalistisches Weltbild, ihre Furcht vor Modernisierungen und ihre allgemeine Protesteinstellung. Diese führten dazu, dass sich die Grünen der 80er Jahre zwar auf Forderungen einigen konnten, diese aber nicht mehrheitsfähig waren: So kämpften die Grünen gegen den Computer im Büro und gegen die Wiedervereinigung. Die Attitüde, eine Digitalpartei zu sein, legten sich die Grünen erst 2012 zu, als die Piraten massiv in ihr Wählerresservoir eindrangen. Bürgerinitiativen gegen Funkmasten lebten von Aktivisten mit grüner Organisationserfahrung.
Die AfD der frühen Tage war eine liberal-bürgerliche Partei. Ihre Sozialpolitik – etwa Ausdünnung von Sozialleistungen – wirkt bis heute nach. Das hat es der AfD schwer gemacht, Sozialthemen zu etablieren, als nach 2017 das Interesse an der Einwanderungspolitik allmählich abflachte. Der einzige gemeinsame Kitt in der AfD ist die Protesthaltung. Das zeigte sich besonders anschaulich in der Pandemie: Vor dem März 2020 war es die AfD, die vor der Gefährlichkeit Coronas warnte und Maßnahmen forderte; die Bundesregierung tat diese Warnungen als überzogen ab und kündigte den Kampf gegen Fake News an, falls wer behaupte, es könnte einen Lockdown geben. Ab März 2020 tauschten Regierung und Fundamental-Opposition dann einfach die Rollen.
Das beste Beispiel dafür ist Joseph Fischer, genannt Joschka. Die Grünen träumten davon, eine Basisbewegung zu sein, in der alle mit gleichen Chancen zusammenkommen, sich einen Wettstreit der Argumente liefern und dann den besten nach vorne schicken. Fischer und seine Genossen wussten aus den K-Gruppen der 70er Jahre, wie man Macht organisiert. Den Schwärmern ließen sie Aufgaben wie Gesprächskreise betreuen, in denen politische Ideen entwickelt werden. Sie selbst sicherten sich Mandate. Geld ist Macht, Wissen ist Macht, Zugang ist Macht. Auch in Basisbewegungen.
Wo steht nun angesichts dieser Erfahrungen die Wagenknecht-Partei? Eins ist klar. Wagenknecht alleine ist keine Partei. Sie braucht einen übers ganze Land verteilten Apparat. Das bedeutet 16 Landesverbände mit 400 Kreisverbänden – am besten mit so wenigen weißen Flecken wie möglich. Also sind das mindestens 200, eher 400 oder besser noch mehr als 1000 Menschen mit Talent und Organisationserfahrung – die nicht alle in Berlin oder Ostdeutschland sitzen.
Diese Gruppe ist groß und stellt ein Wählerreservoir, das die Wagenknecht-Partei locker zweistellig werden lassen könnte. Und die Gruppe macht Themen anschlussfähig, wenn sich die Wagenknecht-Partei an ihr orientiert: Verkehrspolitik? Muss zuerst dazu dienen, dass Arbeitnehmer so bequem wie möglich zur Arbeit kommen. Sozialpolitik? Keiner soll fallen gelassen werden. Aber Menschen, die den Wohlstand erwirtschaften, denen muss es auch gut gehen. Innenpolitik? Wir brauchen sichere, öffentliche Räume; unsere Zielgruppe ist auf die U-Bahn angewiesen, die Reichen können Taxi fahren. Das ließe sich durch alle politischen Themen weiter so durchdeklinieren.
Die Wagenknecht-Partei braucht aber auch Geld und Organisationsfähigkeit. Mit Großspenden wie die Grünen hätte sie anfangs eher nicht zu rechnen. Sie müsste also nicht nur die Arbeitnehmer als Wähler erreichen, sondern auch als Kleinspender. Ob es ihr gelingt, Hunderte von Menschen mit Organisationsfähigkeit in der Breite des Landes zu gewinnen, müsste sie erst beweisen. Immerhin hat Wagenknecht Zugang zu gesellschaftlichen Eliten. Die AfD hatte dies anfangs durch Hans-Olaf Henkel, und sogar den Grünen öffneten sich durch Petra Kelly und Gert Bastian manche Türen, die offen sein müssen, wenn eine Partei weiterkommen will.
Von einer neuen Partei geht immer der Zauber aus, dass sie noch keine Fehler gemacht hat. Der verfliegt mit den ersten Fehlern, die sich zwangsweise einstellen. Bis dahin müsste Wagenknecht Strukturen schaffen, die einen sicheren Geldfluss garantieren und auf ausreichend Menschen mit Verwaltungserfahrung basieren. Die es verstehen, eine soziologische oder ideologische Basis zu definieren, an der sich die Partei orientiert, wenn es darum geht, sich bei neuen Themen neu auszurichten. Das ist nicht unmöglich. Die Grünen und die AfD haben dies bewiesen. Aber Gesamtdeutsche Volkspartei, NPD, DKP, ÖDP, Republikaner, Stattpartei, Schillpartei, Piraten, Die Partei oder Volt beweisen, dass die Chancen eher gering sind.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Eine Partei hochzubringen und dort zu halten, ist eine Mordsarbeit, die weit über Fragen der Organisation und Finanzierung hinausgeht. Will Wagenknecht sich das wirklich nochmal antun und wenn ja, warum? Sie spiegelt mit ihrer politischen Weltsicht eigentlich den Kern der linken Bewegung. Sie denkt und handelt für ihre Wählerschaft und nicht für Umfrageergebnisse. Und genau das ist richtig. Ein demokratisches System sollte den jeweiligen unterschiedlichen Interessen im Volk eine Stimme geben. Umfrageergebnisse sind nicht Stimme des Volkes, sondern die Stimme der Medien und ihrer Wurmfortsätze. Wagenknecht hat das offensichtlich verstanden, viele andere führende Köpfe der Linken nicht. Es wäre also… Mehr
Wagenknecht erkennt Probleme, keine Frage. Aber bereits bei der Analyse der Ursache und dann vor allem auch bei der Lösung kommt nur noch kommunistische Ideologie in reinster Form. Damit konnte man und wird man auch nie erfolgreich regieren können. Wagenknecht ist, so wie Merz, eine in der Politik maximal überschätzte Person.
Karl Marx hatte damals ebenfalls herrschende Probleme gesehen und versucht, sie historisch abzuleiten. Nur haben seine Lõsungsvorschläge zu Millionen Todesopfern geführt und letztendlich in Deutschland auch zur Gründung der NSDAP als Abwehrmaßnahme gegen die kommunistische Ideologie. Wir brauchen wahrlich keine Kommunisten, die uns ihr Heil bringen. Hätte man nach dem Zusammenbruch der DDR eine Entstalinisierung betrieben, die genauso nõtig gewesen wäre wie die Entnazifizierung, wäre eine Wagenknecht heute nicht im Bundestag.
Eine neue Parteigründung hätte keine Chance würde sie auch nur ansatzweise das derzeitige grünrote Narrativ in Frage stellen würde sofort unter Dauerfeuer von ÖR und dem gesamten Medienkartell stehen . Es würden die zu oft wirksamen Formulierungen wie „ umstritten ,ungeklärt, Verdachtsfall,unseriös „ zuhauf verwendet bis diese eben die gleiche Wirkung der Abschreckung haben wie das Wort „ Rechsradikal“ in Bezug auf die AfD . Damit werden aktiv potentielle Wähler weggedrängt sich für diese Partei zu entscheiden .“Das will man ja nicht sein „.Somit ist das Ziel ja schon erreicht. Um in D. zu einem neuen Politikstil zu kommen müssen… Mehr
Eine neue Partei würde nur der Partei nützen, aber nicht den Zielen. Das weiß die kluge Sahra Wagenknecht und deshalb wird es zu keiner neuen Partei kommen.
Wagenknecht ist Kommunistin. Der einzige Unterschied zu ihren amtierenden Genossen ist die etwas realistischere Einstellung zur Armutsvölkerwanderung. Das „Bürgergeld“ der Ampel Regierung bezeichnet sie zwar als „Mogelpackung“, aber nicht, weil dieses üppige Sozialgeld noch mehr Armutsmigranten aus aller Welt nach Deutschland lockt, sondern, da ist sie ganz linkslinientreu und damit zwangsweise nebenläufig, bemängelt sie zu niedrige Einkommens- und Vermögenssteuer und das Fehlen eines Tempolimits auf Autobahnen.
Das Übel der Parteien ist ebendies, die Partei. Ich halte Direktmandate für wesentlich besser – es werden Menschen (mit besonderer Fähigkeit) gewählt und keine Partei-Listen, in denen sich nur Kostgänger und Speichellecker -zumeist ohne jegliche Qualifikation- tummeln. Ein Dilemma, denn der Slogan, gemeinsam ist man stark, ist richtig. Aber Gemeinsamkeit mit wem und für wen? Eine neue Partei wird es irgendwann sicher wieder geben, dass ist der Lauf der Zeit. Aber ob diese auch erfolgreich sein wird, da habe ich meine Zweifel. Deutschland ist mehrfach zerrissen und zersplittert in Einzelgruppen, die ihren eigenen Vorteil suchen. Die Altparteien schrumpfen und die… Mehr
Die Wagenknecht-Partei braucht aber auch die Medien. Eine Wagenknecht-Partei käme in den Medien nicht mehr vor. Sarah Wagenknecht würde nicht mehr zu Talkshows eingeladen usw.
So ist es besser: es reiben sich unsere linken „Qualitäts“journalistinnen an Äußerungen Wagenknechts auf und geben diesen dadurch Aufmerksamkeit.
Diese Analyse ist richtig bis auf einen einzigen, aber alles entscheidenden punkt: Wagenknecht ist eine Linke und würde eine linke Partei gründen wollen. Linke Parteien wollen Internationalismus statt Patriotismus und Umverteilung statt Eigenverantwortung. Dazu braucht man: * Geld (nicht mehr vorhanden) * Zuwanderer, die nicht in die Sozialleistungen, sondern in den Arbeitsmarkt drängen (leider nur eine Minderheit). Daher Wagenknecht nicht den Hauch einer Chance. Sie scheitert an der Erkenntnis des Nobelpreisträgers Milton Friedman: „Man kann nicht beides haben: Zuwanderung und Sozialstaat“ Entweder ein libertäres Einwanderungsland ohne Sozialleistungen. In Deutschland politisch aktuell undenkbar. Oder bezahlbare Sozialleistungen, was bedeutet, der Empfängerkreis bleibt… Mehr
Die öffentliche Wirkung verdankt Frau Wagenknecht ihrem Auftreten, Intellekt und Äußeren. Sie führt die Unfähigkeit und (bestenfalls) das Mittelmaß ihrer Parteigenossen und der „etablierten“ Parteien ständig vor Augen. Der gesundheitlichen Belastung einer Parteigründung wäre sie alleine nicht gewachsen. Sie würde medial im Nichts landen – es sei denn, sie könnte eine Reihe bekannter Führungspersönlichkeiten mit Mandatsposten mitziehen. AfD und neue Linke, das würde den Einheitsblock der anderen Parteien ganz empfindlich Bedeutung nehmen. Etwas links, aber mit Verstand, ist das AfD-Bashing der Medien bei Wagenknecht nicht anzuwenden. Aktuell würde man sie als Russland-Troll diffamieren. Mit jedem Monat der fortschreitenden Deindustrialisierung, der… Mehr
Top Beitrag!