Wir werden unserer Unabhängigkeit wegen geschätzt, als notwendige Alternative zu den Willkommens-Romantikern. Jetzt Trump zu idealisieren, wäre nicht bloß blauäugig sondern dumm. Wir werfen den kritischen, emotionslosen Blick auf den Lauf der Dinge.
Servus Tichy, schon erholt? Es wird Zeit, einen Schuss sauren Sprudel in den Sekt aus Kallstadt an der Weinstraße zu kippen. Das Triumphgeheul widert mich nicht weniger an als die Katastrophenszenarien derer, die jetzt im Mainstream absaufen. Es kann doch nicht wahr sein, dass wir, die unverdrossenen Skeptiker gegenüber dem System Merkel und der deutschen Wohlfühldemokratie, nun unsere Prinzipien fahren lassen und Trump nur noch toll finden. Wo bleibt der grundsätzlich kritische, emotionslose Blick auf den Lauf der Dinge? Es gibt überhaupt keine Veranlassung, sich mit Trump gemein zu machen. Wir werden unserer Unabhängigkeit wegen geschätzt, als notwendige Alternative zu den Willkommens-Romantikern. Jetzt Trump zu idealisieren, wäre nicht bloß blauäugig sondern dumm.
I.
Der große Donald ist kein Heilsbringer. Er ist Spielverderber. Das ist wahrscheinlich seine historische Rolle. Er gibt sie brillant. Er wurde nicht gewählt, obwohl er, sondern weil er den Rüpel gab. Er konnte und wollte diese Wahl nicht mit einem stringenten Programm gewinnen. Es genügte, das Establishment zu verhöhnen und dessen Umgangsformen zu ignorieren. Jetzt aber muss er selbst Regeln setzen. Es sind doch hoffentlich nicht die Regeln eines Immobilienmoguls. Jetzt soll er den Stil moderner Politik prägen. Es ist doch hoffentlich nicht der Stil einer Skripted-Reality-Show im Verblödungsfernsehen. Selbst falls Trump das meiste richtig machen wird, haben wir den Höhepunkt seines Wirkens gerade erlebt. Er hat den Unmut gegen das Machtkartell gebündelt und umgesetzt. Jetzt ist er an der Macht. Deshalb kann es für ihn, nüchtern gesehen, nur noch bergab gehen. Fragt sich bloß wie schnell. Und mit welchen Folgen. Nicht zuletzt auch in Europa.
II.
Das Versagen der medial-politischen Klasse ist evident. Erst konnte sie Trump nicht verhindern, war ungewollt sein bester Wahlhelfer, dann hat sie noch nicht einmal gemerkt, wohin die Reise geht, weil sie die Zukunft für eine Hochrechnung der Vergangenheit, den status quo für ein Naturgesetz und ihr eigenes Wunschbild für Realität hielt. Sie kochte im eigenen Saft, ernährte sich von sich selbst, ließ sich von der eigenen Selbstgefälligkeit blenden. Wer ist hier der Narziss? Auf dieser Bühne gibt es überwiegend machtbesessene Narzissten. Mister Trump muss jetzt vor allem einen zügeln: sich selbst. Trauen Sie ihm das zu, Tichy? Ich traue ihm alles zu, sogar dies. Er hat den Hochmütigen den Übermut genommen. Wird er in den Verlierern auch Demut wecken? Demut gegenüber dem Souverän, die alle Parteien benötigen, wenn sie Vertrauen zurück gewinnen wollen, jenseits wie diesseits des Großen Teichs.
III.
Ist Trumps Sieg Doping für AfD, Front National etc.? Die kommen sich nun wie natürliche Verbündete Trumps vor. Eine von vielen Paradoxien: Die größten Kritiker von Big Brother USA akzeptieren Donald Trump als ihren neuen Schirmherren. Unter dem Motto, Populisten aller Länder vereinigt euch. Der Milliardär als Schutzheiliger der Abgehängten? Ein Prolet ist nicht dasselbe wie ein Proletarier. Es kann ganz anders laufen als erwünscht. Vielleicht jagt Trumps Politik den Wählern in Deutschland und Europa den Schrecken in die Glieder, und lässt sie bei der Wahl zwischen den handelsüblichen Übeln vorsichtiger entscheiden. Wir wissen es nicht. Kapiert Europa, kapieren die Parteien den Weckruf? Hören sie die Signale? Wissen sie, dass auch sie am Dienstag verloren haben? Oder wissen sie noch immer alles besser? Tischen sie weiter ihre Konsens-Sülze auf, oder wagen sie endlich mehr Demokratie?
IV.
Die Frage ist nun, ob Trumps Sieg mehr ist als nur ein Auswechseln von Figuren und Charakteren. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, ob in der ältesten und größten Demokratie der westlichen Welt ein Systemwechsel möglich ist, ohne die Demokratie selbst auszuhebeln. Kann ausgerechnet Trump die amerikanische Politik aus den Fängen von Big Money lösen? Der Trump-Triumph ist keine Revolution, sondern bloß ein Wechsel. Bedenklich genug ist es, dass nun Legislative, Exekutive und das oberste Gericht in der Hand einer einzigen, der republikanischen Partei sind. Aber wenn die Republikaner eine in sich demokratische Partei bleiben, und nicht bloß ein Machtinstrument des Präsidenten sind, dann werden frei gewählte Abgeordnete und Senatoren ihre Überzeugungen nicht an der Kongress-Garderobe abgeben. Deutschland kennt keine Präsidialdemokratie, auch wenn Merkels Konzept der Gleichschaltung durch Symbiose zu ähnlichen Ergebnissen führt. Checks and Balances können nur funktionieren, wenn die Institutionen ihre Unabhängigkeit wahrnehmen.
V.
Der größte Vorzug der Demokratie ist nicht die Teilung der Macht, sondern der Wechsel. Deshalb sind Trumps Möglichkeiten so überschaubar wie seine Risiken. Überzeugt er nicht, hat in nur vier Jahren ein anderer oder eine andere seine oder ihre Chance. Und selbst, wenn er sich als Segen für Amerika und die Welt entpuppen sollte, müsste er in spätestens acht Jahren gehen. Merkel wäre in den USA längst weg. Bei uns, wo die Bürger ihren Kanzler nicht wählen dürfen, hat es schon sehr lange keinen wirklichen Politikwechsel mehr gegeben. Die mediale Klasse hält die deutschen Verhältnisse für besser, blickt von oben herab auf das politische System der USA. Nicht die weithin beklagte Spaltung des Landes aber ist die größte Gefahr, sondern die Lähmung der Demokratie durch ein Machtkartell, und sei es noch so sehr dem vermeintlich Wahren und Guten verpflichtet.
VI.
Jetzt tönen die neuen Besserwisser unter uns Journalisten so, als sei eine neue Zeitrechnung angebrochen. Die Niederlage der alten Weltendeuter sollte uns eine Lehre sein. Wir dürfen weder uns noch Donald Trump überschätzen. Und fangen wir jetzt bloß nicht an, selbst zu moralisieren. Dazu taugt Trump nicht. Er steht bestenfalls für Realismus statt Idealismus. Das Beste am Wahlsieg Trumps: Der vermeintliche Mainstream hat sich als nicht mehrheitsfähig erwiesen. Darauf ein Glas Kallstadter Saumagen, Riesling Spätlese trocken. Staubtrocken.
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