Lauterbach drückt sich mit „völlig absurdem Vorschlag“ um eine echte Reform der kranken Kassen

Krankenkassen ist es per Gesetz verboten, Schulden zu machen. Mit einem Taschenspielertrick will Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) dieses Gesetz nun umgehen. Damit schiebt er die nötige Reform nur auf.

IMAGO/photothek

17 Milliarden Euro beträgt das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen, bei denen rund 90 Prozent der Deutschen versichert sind. Bleibt dieses Defizit, drohen den Mitgliedern deutlich höhere Beiträge. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Aufgabe, die Lücke zu schließen und in Zeiten der Inflation eine weitere Belastung für Bürger und Wirtschaft zu vermeiden – oder wenigstens zu mindern. Wenn auch mit Verspätung, tut er das. Der Referentenentwurf des „Finanzstabilisierungsgesetzes“ liegt nun vor. Und der enthält eine Tretmine.

Krankenkassen ist es bisher verboten, Schulden zu machen. Das Gesetz erfüllt einen wichtigen Zweck: Anders als in der Weimarer Republik sollen in Krisenzeiten nicht auch noch die Sozialsysteme zusammenbrechen. Das Verbot, Schulden zu machen, sorgt also für Stabilität. Nun haben Lauterbach und sein Haus ein Schlupfloch gefunden, wie sie das Gesetz umgehen können. Der „Gesundheitsfonds“ soll eine Milliarde Euro Schulden machen und das Geld den kranken Kassen überlassen, die es dann wieder zurückzahlen müssen.

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Schon der Gesundheitsfonds ist ein politisches Konstrukt. Ein Kompromiss nach Merkel-Art. 2009 drohten die Kassen zum Thema im Wahlkampf zu werden. In der Union forderte der damals noch starke Wirtschaftsflügel die „Gesundheitsprämie“. Alle Versicherten hätten den gleichen Beitrag zahlen müssen, egal wie viel sie verdienen. Die SPD verlangte die „Bürgerversicherung“. In die hätten alle, also auch Privatversicherte, Beamte und Selbstständige einzahlen müssen. Mit dem Gesundheitsfonds entpolitisierte die Kanzlerin das Thema – verschob aber auch eine Reform, die damals schon nötig gewesen wäre.

Der Gesundheitsfonds ist eine Art gemeinsames Konto der gesetzlichen Krankenkassen. Die Mitglieder und ihre Arbeitgeber zahlen in diesen Fonds ein, der verteilt das Geld dann an die Kassen. Für den Staat hatte dieses Prinzip den Vorteil, dass er seine Zuschüsse und Kostenerstattungen nicht mehr an die einzelnen Kassen, sondern nur noch an den Fonds überweisen musste. Sich selbst einen Arbeitsschritt gespart, anderen dafür mehrere zusätzliche Arbeitsschritte aufgenötigt. Selbstständige dürften dieses deutsche Verwaltungsprinzip kennen.

Dieser Fonds soll nun für die Kassen den Kredit aufnehmen, den sie selbst zurückzahlen müssen. An der Tatsache, dass somit das Schuldenverbot fällt, ändert das faktisch nichts. Auch nicht daran, dass die Solidität entsprechend verloren geht, die das Verbot bisher gesichert hat. Der Schritt verbessert lediglich die Bilanz Lauterbachs – aber auch das nur kurzfristig. Denn mit den Schulden können die Kassen jetzt Rechnungen bezahlen, werden aber später umso höhere Rechnungen haben.

Staat kommt nicht voll für Kosten auf
Rentner und Arbeitnehmer alimentieren mit ihren Krankenkassenbeiträgen das Hartz-IV-System
Die Kassen kritisieren daher auch den Entwurf in einer Erklärung ihres Dachverbandes: „Es handelt sich um einen Flickenteppich von Maßnahmen, die einzig und allein das Ziel haben, die Finanzierungslücke 2023 in Höhe von 17 Milliarden Euro kurzfristig und notdürftig zu stopfen.“ Vor allem der Vorschlag, Schulden zu machen über den Gesundheitsfonds als Mittelsmann, nennen die Krankenkassen „völlig absurd“. Dies sei eine „Finanzierung auf Pump“ und habe mit einer nachhaltigen und verlässlichen Finanzierung nichts mehr zu tun. Außerdem handele es sich um „einen Systembruch“, da den Kassen bisher eine Kreditfinanzierung verboten ist. Die Solidität des Systems würde durch Lauterbachs Vorschlag zudem geschwächt, weil die Kassen ihre Rücklagen aufbrauchen müssten.

Vorschläge, wie die Kassen entlastet werden könnten, habe Lauterbach nicht aufgegriffen. So weigere er sich weiterhin, dass der Staat den Kassen so viel für Hartz-IV-Empfänger bezahlt, wie diese die Kassen kosten. Deren Mitglieder müssten so für eine Lücke von 10 Milliarden Euro aufkommen. Auch erhebe der Bund die volle Mehrwertsteuer auf Arznei. Das würden in der EU sonst nur Bulgarien und Dänemark machen. Die Pharmaindustrie verschone Lauterbach indes: Sie könnte „deutlich mehr für die Sicherung der finanziellen Stabilität beitragen“. Stattdessen sei jetzt sogar der ursprünglich geplante Beitrag der Pharmaindustrie von einer Milliarden Euro in Frage gestellt.

Aus Sicht der Kassen schiebt Lauterbach mit seinem Entwurf die Probleme nur auf: „Damit drohen 2024 erneut Beitragssatzerhöhungen.“ Zumal die Inflation und die hohen Energiepreise die Kosten weiter in die Höhe trieben und die Politik die Ausgaben auch immer weiter in die Höhe treiben will, etwa durch Projekte wie den „Gesundheitskiosk“. Diese seien kaum noch zu finanzieren, warnen die Krankenkassen.

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Kommentare ( 46 )

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bkkopp
2 Jahre her

Der “ Gesundheitsfond“ könnte sehr leicht ein sehr gutes Vehikel sein, um mit maximaler Transparenz sicherzustellen, dass jeder Leistungsberechtigte entweder selbst mit seinem Arbeitgeber, oder über einen Zahlungsverpflichteten, Beiträge aufbringt. Die GKV zählen üblicherweise “ Mitglieder “ ohne zu berücksichtigen, dass sie fast 20 Millionen mehr Mitglieder ( Leistungsberechtigte ) haben als Beitragszahler. Die MWSt. auf verschreibungspflichtige Medikamente ist ein anderer, großer Brocken. Betreffend Kleinrentner gibt es noch ein strukturelles Defizit das zu bearbeiten wäre. Da wir in den Ballungsgebieten mehr als doppelt so viele Apotheken haben wie nötig wären, ist sicher auch bei den Apotheken-Margen für verschreibungspflichtige Medikamente einiges… Mehr

mlw_reloaded
2 Jahre her

Was soll Lauterbach denn auch groß tun? Das System ist seit so vielen Jahren kaputt dass jegliche nennenswerte Reformen massiv disruptive Folgen hätten, die durchaus zu einem Kollaps des Sektors führen könnten, selbst wenn man einen guten Plan hätte. Logisch dass Lauterbach da nicht dran will, selbst wenn er könnte. Mit sanften Maßnahmen ist es nicht getan, zumal Ideologie im Weg steht. An den Wildwuchs von knapp 100 Krankenkassen, die bis auf Kleinigkeiten ohnehin alle gleich sind, will man ja nicht dran. Die mehreren Millionen Ausländer in der Krankenkasse sollen ja auch bleiben – und mehr werden.

flin
2 Jahre her

Wer anderes von Hr. Lauterbach erwartet, hat bezüglich seiner Vita nicht aufgepasst. Seine Verbindungen zu Bertelsmann und anderen Nutznießern von Privatisierungen, Zahlungen etc. aus dem Gesundheitswesen sind bekannt. Zum Beispiel hat die Sendung „Die Anstalt“ hierzu eine sehr gute Satire mit vielen Details der Verbindungen und Abläufe aufgeführt. Fazit: Hr. Lauterbach hat sich wählen lassen, ist aber in erster Linie ein Lobbyist der Kapital- und Pharmaindustrie. Es werden Milliarden von Geldern seit Jahren vom Gesundheitssystem systematisch „umgeleitet“ auf die genannten Konzerne. Es gab eine Zeit, wo solche „Politiker“ vom Hof gejagt wurden. Dieses ist leider lange her bzw. im Gegenteil,… Mehr

RS
2 Jahre her

Die umlagenfinanzierten Sozialsysteme sind deutsches Gemeinschaftsvermögen. Dieses hat Fr. Merkel 2015 ff. an den Rest der Welt verschenkt. Auf dem münchener Bahnhof haben die Einheimischen es beklatscht, als die neuen Nettoempfänger unsere Gemeinschaftseigentums ankamen. Man fand es gut, daß die Oma aus Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea u.s.w. sich in Deutschland kostenlos die Hüfte oder die Zähne richten lassen konnte (Mein Zahnarzt berichtete mir von surrealen Szenen und Anspruchshaltungen von „Flüchtlingen“ in seiner Praxis. Er will keine mehr behandeln). Viele finden das auch heute noch gut. Dabei war damals schon klar, daß die Sozalsysteme durch die demografische Entwicklung außergewöhnliche Belastungen würden… Mehr

humerd
2 Jahre her

Das Problem: „ Erschwerend kommt die Ankunft vieler Roma-Großfamilien aus der Ukraine hinzu.“ …“. In einem Fall sei eine Familie mit 84 Mitgliedern angekommen, berichtet die Landrätin; in ihrem Landkreis liege die Höchstzahl bisher bei 48 Mitgliedern, davon 37 Kinder und Jugendliche sowie ein 15 Jahre altes schwangeres Mädchen.“ https://www.faz.net/aktuell/politik/thueringer-kommunen-haben-kaum-noch-platz-fuer-fluechtlinge-18179441.html ALLE Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten sofort Hartz IV und alle Hartz IV Empfänger sind in der gesetzlichen Krankenkasse versichert inkl kostenloser Familienmitversicherung der Ehepartner und Kinder, hier 37 Kinder & Jugendliche sind kostenlos mit versichert. Der Bund zahlt den gKVs lediglich ca. 100€ je Versicherten, also Haushaltvorstand. Die kostenlose Familienmitversicherung… Mehr

Paul Brusselmans
2 Jahre her
Antworten an  humerd

Ich weiss nicht, wie lang das alles gut geht. Unsichere öffentliche Räume, Pflegekräfte, denen am Monatsende trotz harter Arbeit kaum etwas übrig bleibt, dann aber hier eine Sozialarbeiterin, die die Romamutti mit 6 Kindern unterstützt, die nach EU-Recht gar nicht hier wäre, denn zur Freizügigkeit gehören Vermögen oder ein anständiger Job. Ich glaube, es war hier einfacher und fairer unter der Besetzung durch die Westallierten als unter der jetzigen deutschen Besatzung, die das Land auspresst, mit Verboten gängelt und Fremdlinge gegen den Willen der Bevölkerrung ansiedelt, die sie zudem alimentieren muss.

alter weisser Mann
2 Jahre her

Die Lösung heißt: Sondervermögen, das ist jetzt in.
Unterform: Fondssparen revers, durch Nachsparen, also erst ausgeben danach sparen.
Ansonsten: 17.000.000.000 Euro Defizit geteilt durch 70.000.000 Versicherte ergibt die Beitragserhöhung pro Kopf, wenn man nicht spart oder die Beitragsbasis verbreitert. Irgendwas um 20 Euro pro Monat, pro Beitragszahler (57.000.000) ist es natürlich mehr, eher 25 pro Monat.
Und so geht das weiter Jahr um Jahr, weil Reform ist ja nicht.

Last edited 2 Jahre her by alter weisser Mann
GefanzerterAloholiker
2 Jahre her

Bemerkenswert, dass solche Vorschläge aus Lauterbachs Ecke kommen. Seine Doktorarbeit handelt über Moral im Gesundheitswesen. Genau das wird von den Krankenkassen ausdrücklich betont.
Lauterbach hat also ganz andere Moralvorstellungen für ein Gesundheitswesen, als Deutschland es bisher kennt. Warum ist das dann nicht Teil des Koalitionsvertrages?
Sollte dann nicht die Richtlinienkompetenz der Regierung prüfen?

U.M.
2 Jahre her

Wer 1 und 1 zusammenzählen kann, kommt schnell auf das Ergebnis. Nämlich: Wenn Hunterttausende und deren Angehörige, die nichts in die Kassen einzahlen, volle Leistungen erhalten, sind diese natürlich in kurzer Zeit leer. Aber das Thema wird so gemieden, wie der Teufel das Weihwasser meidet.

Mocha
2 Jahre her

Auch hier wieder die falsche Diskussionsgrundlage. Die 97 Krankenkassen in Deutschland machen miese, also lösen wir das Problem in dem wir Schulden machen, die Leistungen kürzen und die Beiträge erhöhen. Mein Ansatz wäre, EINE Krankenkasse, halber Beitrag und volle Leistung. Senkt die Lohnnebenkosten, bringt mehr Netto und sorgt für dringend benötigte Facharbeiter auf dem Markt.

eifelerjong
2 Jahre her

Das KOMPLETTE politische System dieses Landes, egal wohin man schaut, ist seit Jahren nur noch auf Betrügereien, auf Tricksereien aufgebaut.
Würde sich Otto Normalbürger solcherart verhalten, er säße längst wegen Betruges, wegen Bildung einer kriminellen Organisation hinter Gittern.