Kritisches Denken in Alternativen findet immer weniger statt. Das Erbe der Aufklärung ist bedroht, wenn Intellektuelle zu Opportunisten werden. Nicht mehr jedem wird das gleiche Recht eingeräumt, am "Diskurs" und an der Meinungsbildung teilzunehmen.
Die Doktrin der Alternativlosigkeit der Kanzlerin und ihrer Anhänger scheint auch vielen Intellektuellen langsam aber sicher die Kraft und den Mut genommen zu haben, uns aus dem geistigen Stillstand unserer Zeit herauszuführen. Denn alle, die sich dieser Doktrin nicht anschließen können, werden sogleich mit den uns allen sattsam bekannten Etiketten beklebt, von denen Populismus noch das harmloseste ist.
Peter Sloterdijks Äußerungen im Cicero: „Die deutsche Regierung hat sich in einem Akt des Souveränitätsverzichts der Überrollung preisgegeben.“ lösten – anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen – umgehend abfällige Kommentare in den Leitmedien aus. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler kritisierte Sloterdijk scharf; der „Philosoph“ Richard David Precht warf ihm – mal was Neues – „Nazi-Jargon“ vor.
Nach „rechten Dumpfbacken“ sind es jetzt tatsächlich gelegentlich auch „Deutsche Denker“, die es wagen, Kritik an der Bundeskanzlerin und ihrer Politik zu üben: „Deutsche Denker gegen Merkel“ lautet dann auch prompt die Überschrift eines Artikels im Tagesspiegel. Weiter heißt es dort: „Rüdiger Safranski doziert, Botho Strauß grummelt, und jetzt spottet auch noch Sloterdijk.“
Das „auch noch“ spricht Bände und legt schon gleich zu Beginn der Lektüre die eindimensionale Tendenz des Textes offen. Später dann: „Einige von denen, die sich jetzt zu Wort melden, haben schon den Stahlhelm aufgesetzt. Stacheldraht ersetzt die Argumentation.“ Meint der Autor hier sich selbst?
Geistiger Stacheldraht
Missglückte, absurde Bilder und Aussagen, die den Philosophen – und später dann pauschal auch die Schriftsteller Rüdiger Safranski und Botho Strauß – sogleich in einem Boot mit AfD-Chefin Frauke Petry wähnen. Heute wird eben nicht mehr jedem das gleiche verbriefte Recht eingeräumt, in den jeweiligen „Diskurs“ einzusteigen und an der Meinungsbildung teilzunehmen. Die sonst so gepriesene Vielfalt – die „Sehnsucht nach Vielfalt“ à la Merkel – gilt hier anscheinend nicht.
Erst letzte Woche hat der Asta der Universität Bremen die Universitätsleitung unter Druck gesetzt, ihre Zusage zur Bereitstellung ihrer Räumlichkeiten für einen Vortrag von Jörg Baberowski, Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität, zurückzunehmen. Der Gewaltforscher wurde daraufhin unter Polizeischutz in andere Räumlichkeiten gebracht. Redefreiheit nur für Gleichgesinnte?
Der in Aberdeen lehrende Historiker Thomas Weber schrieb dazu: „Ich dachte Universitäten bestanden dafür, dass Ideen miteinander in Wettstreit treten könnten. Dies kann doch nur dann passieren, wenn man sich auch einmal mit Ideen auseinandersetzt, die einem nicht behagen.[…] Wir können den Geist der Aufklärung zu Grabe tragen, wenn wir uns nicht inhaltlich mit Thesen, die uns nicht behagen, auseinandersetzen.“
Denker für Angela Merkel – am Beispiel Herfried Münkler
Exemplarisch für den heutigen Intellektuellen steht der Sloterdijk-Kritiker Herfried Münkler, Professor am Institut für Sozialwissenschaften an der Berliner Humboldt-Universität. Münklers Vorlesungen waren vor einigen Monaten schwer angegriffen worden. Wieder waren es Studenten, die ihm Rassismus und Sexismus in ihrem Blog „Münklerwatch“ unterstellten. Inzwischen hat Münkler mit seiner Frau Marina ein Buch mit dem Titel „Die neuen Deutschen“ geschrieben.
In einem Gespräch am 3SAT-Stand der Frankfurter Buchmesse erklärt das Ehepaar uns, dass wir uns in einer globalisierten Welt zu „ertüchtigen“ hätten, neu – gemeint ist, positiv zu denken, um damit den neu zu uns Kommenden zu signalisieren, dass wir sie als „potenziell Dableibende“ betrachteten. Negative Narrative lähmten nur, denn ohne Einwanderung könnten wir unser Wohlstandniveau nicht halten. Marina Münkler: „Wer bei Verstand ist, muss sich dafür einsetzen.“ Andere Meinungen und Gefühle besorgter Bürger solle man zwar ernst nehmen, aber im Endeffekt zurückweisen.
Was soll man von diesen altbekannten, uns schon zu den Ohren herauskommenden Allgemeinplätzen halten? Ein Versuch der Münklers, einem akademischen Abstieg zu entgehen, indem man sich dem linken Zeitgeist unterwirft? „Deutsche Denker in Opposition zur Regierung?“ – anscheinend inzwischen an Universitäten ein Ding der Unmöglichkeit.
Vielfalt: ja – Meinungsvielfalt: nein
War nicht differenzierte Kritik an den Herrschenden einmal das, was einen Intellektuellen ausmachte? Was den Mitmenschen Mut zu eigenem Denken machen sollte? Zitat Kurt Tucholsky: „Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und zu sagen: Nein!“ War nicht das der Anspruch der Dichter und Denker, der Künstler aller Couleur, der Intellektuellen aller Länder, die so lange warnten, bis sie der Übermacht weichen mussten, wie wir es derzeit bei der Intelligenzia in der Türkei und in Anfängen auch bei uns sehen? Mit dieser Vorstellung bin ich jedenfalls nach dem Krieg aufgewachsen, nachdem die geistige Elite unseres Landes im letzten Jahrhundert gedemütigt, vertrieben und ermordet worden war und bis heute eine Riesenlücke hinterlassen hat.
Helmut Schmidt suchte – besonders in Zeiten der Not – das Gespräch mit kritischen Schriftstellern wie Heinrich Böll, Max Frisch und Siegfried Lenz. Am 5. September 1977 wurde Hanns Martin Schleyer entführt, am 13. Oktober die „Landshut“. In der Welt vom 11.11.2010 heißt es: „Schmidt ist nicht nur ernsthaft an den Meinungen und Überzeugungen seiner Gäste interessiert, er verbindet mit ihnen auch eine Hoffnung. In einer Lage, die alle Protagonisten der ‚Politischen Klasse‘ schlicht überfordert, sucht er Hilfe von außen.“ Auch bei Gerhard Schröder waren alle, die auf diesem Gebiet Rang und Namen hatten, schon einmal eingeladen.
Hinter der Fassade der harmlosen, wortarmen, hart arbeitenden, biederen „Mutti“, umgeben von Gestalten wie Kanzleramtsminister Altmaier und Generalsekretär Tauber, verbirgt sich eine Frau, deren Abgründe noch auszuloten sind: Die Fluchtbewegungen als Instrument nutzt zum Zweck der Auflösung des Nationalstaats in einer europäischen Superstruktur, in der wir Rechte und Souveränität an andere abgeben müssen? Es wäre die Aufgabe der intellektuelle Elite, hier tiefer einzudringen und besonders auch auf die Gefahren des damit immer präsenter werdenden Islams aufmerksam zu machen. Wir brauchen wieder starke und auch laute Stimmen, die den Dingen mutig auf den Grund gehen und sich nicht scheuen, ihre Befunde klar darzulegen.
Heikles in Romanform
Einige Schriftsteller wie Michel Houellebecq, Michael Lüders, Boualem Sansal, Wolfgang Schorlau oder Leon de Winter sind dazu übergegangen, heikle Themen in Romanform zu verpacken. Zahlreiche Intellektuelle aus islamischen Ländern wie Ismail Tipi und Mimoun Azizi hier auf Tichy’s Einblick; Ayaan Hirsi Ali, Sabatina James, Necla Kelek, Hakim-Abdel Ourghi, Bassam Tibi nehmen kein Blatt vor den Mund. Den (Mund) würde man ihnen zwar am liebsten verbieten, aber man wagt nun doch nicht, Muslime als Nazis zu beschimpfen – obwohl auch das schon geschehen ist. Viele sind mit dem Tod bedroht und stehen unter ständigem Polizeischutz.
Hamed Abdel Samad ist eine der mutigsten und kenntnisreichsten Stimmen. Weil er Mohamed als „Massenmörder und krankhaften Tyrann“ bezeichnet hat, wurde er sogar in Berlin angezeigt und von der Staatsanwaltschaft wegen Verstoßes gegen die Meinungsfreiheit verhört. Wer die Wahrheit sagt, hat auch in unserem Land nichts mehr zu lachen! In einem Interview in der Welt antwortet Abdel-Samad auf die Frage, ob Islam und Demokratie kompatibel seien: „Natürlich nicht. Wenn man das behauptet, verlängert man die Krankheit und verzögert den Heilungsprozess. […] Es ist eine Selbstlüge der islamischen Welt zu denken, ein islamisches System könne demokratisch sein. Demokratie bedeutet: Das Volk entscheidet. Islam bedeutet, Gott ist der Gesetzgeber.“
Heute brauchen wir diese mutigen Intellektuellen, die es wagen, den Zeitgeist zu hinterfragen und Klartext zu sprechen, mehr denn je. Denn – Zitat und sicher auch Einsicht des politisch nicht unumstrittenen Dichters Gottfried Benn: „Das Abendland geht nicht zugrunde an den totalitären Systemen, auch nicht an seiner geistigen Armut, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Zweckmäßigkeiten.“
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