Humboldt-Uni stellt sich nicht hinter Wissenschaftler

Auch nach dem Skandal um den abgesagten Vortrag einer Biologin tut die Hochschule nichts Konkretes, um Experten vor Eiferern zu schützen. Das zeigen Antworten auf Fragen von TE

IMAGO/Panthermedia

Die Diskussion um die Bedrohung der Lehr- und Forschungsfreiheit in Deutschland zieht weite Kreise, nachdem militante Aktivisten es mit Drohungen erreicht hatten, dass ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht über biologisches Geschlecht und Geschlechterrollen an der Humboldt-Universität abgesagt wurde. Vollbrecht hatte vor, bei der „Langen Nacht der Wissenschaft“ am Samstag sprechen. In ihrem Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“ wollte die Wissenschaftlerin am Samstagabend einem interessierten Publikum den Unterschied zwischen dem biologischen Geschlechtsbegriff und Geschlechterrollen erläutern. Zu ihrem Referat – das sie dann online hielt – gehörte auch die Feststellung, dass die Biologie nur zwei Geschlechter kennt. Diese Aussage zählt zu den Grundlagen in der Biologie, wie sie weltweit und auch an der Humboldt-Universität selbst gelehrt wird. Für militante so genannte Trans-Aktivisten stellt allerdings schon die die Feststellung der biologischen Zweigeschlechtlichkeit eine unerträgliche Provokation dar. Eine kleine Aktivistengruppe namens „Kritische Juristen“ bezeichnete Vollbrecht vor dem Vortrag als „bekanntermaßen transfeindlich“, und kündigte an, ihren Vortrag massiv zu stören. Darauf knickte die Leitung der Humboldt-Universität ein und sagte den Vortrag wegen „Sicherheitsbedenken“ ab.

Die militanten Wissenschaftsgegner konnten sich durch prominente Unterstützung ermutigt und bestätigt fühlen. Schon vor einigen Wochen hatte der Staatssekretär der Bundesregierung und Queer-Beauftrage Sven Lehmann (Grüne) in der „Welt“ erklärt, wer von nur zwei biologischen Geschlechtern ausgehe, sei „quasi-kreationistisch“. Der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck meinte nach der Absage per Twitter, Sicherheitsbedenken seien zwar kein legitimer Grund, um Vollbrechts Vortrag zu verhindern – ihr angeblich „inhumane Biologismus“ aber schon.

Vortrag über Geschlecht und Gender abgesagt: https://t.co/PHNqOFGmV4

— Volker Beck ?? (@Volker_Beck) July 3, 2022

Vollbrecht selbst erklärt in einem WELT-Interview, sie sei „linksliberal“ und wende sich überhaupt nicht gegen die Rechte von Transsexuellen. Sie werde aber nicht davon abrücken, dass der biologische Geschlechtsbegriff etwas anderes meint als eine Geschlechtsrolle, die jemand bewusst wählt.

Einen besonderen Anschlag auf die rationale Debatte leistete sich ausgerechnet der Parlamentarische Staatssekretär im Bildungs- und Forschungsministerium Jens Brandenburg (FDP), der die Aussage zu der biologischen Zweigeschlechtlichkeit in die Rubrik „längst widerlegte Thesen“ einsortierte und „schwer erträglichen Unsinn“ nannte, den die Öffentlichkeit aber trotzdem ertragen müsse.

Woher seine Expertise stammt, um biologischem Grundlagenwissen zu widersprechen, erklärte Brandenburg – studierter Politikwissenschaftler und Volkswirtschaftslehre – bisher nicht.

Auch unter den üblichen Twitter-Aktivisten agitierten etliche gegen Vollbrecht – etwa die sächsische Grünen-Politikerin Lydia Engelmann, die meinte, eine Biologin, die von der Existenz nur zweier Geschlechter ausginge, habe „den Beruf verfehlt“.

Engelmann ist allerdings keine Naturwissenschaftlerin. Die Publizistin Teresa Bücker belehrte „Politik-Journalist*innen“ darüber, sie sollten passende Artikel zu dem fall Vollbrecht liefern und sich „in diese Zusammenhänge einarbeiten“.

Bücker studierte Politik, Psychologie und Publizistik, erwarb aber keinen Abschluss. Insgesamt fällt auf, dass sich unter denjenigen, die öffentliche über Vollbrecht herfallen, keine Naturwissenschaftler befinden.

Auch von Seiten der Medien bekamen die Agitatoren gegen Wissenschaftsfreiheit Zuspruch. Die Plattform n-tv stempelte Vollbrecht ohne weitere Erklärung als „umstrittenen Biologin“ ab, und suggerierte faktenwidrig, nicht eine militante Gruppe, sondern ganz allgemein Studenten hätten gegen Vollbrechts Vortrag protestiert („Studenten machen mobil“).

TE fragte die Humboldt-Universität, welche konkreten Drohungen der Vortragsabsage vorausgegangen war, und welche Maßnahmen die renommierte Bildungseinrichtung ergreifen will, um die Freiheit von Lehre und Forschung künftig zu sichern. Für Anhänger der Wissenschaftsfreiheit fallen die Antworten ernüchternd aus. Zur Frage nach der Vorschichte des Eklats antwortete ein Universitätssprecher:
„Am Vormittag wurde neben der angekündigten Demonstration (gegen den Vortrag – a. d. Redaktion) auch zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Die Stimmung in den Social Media eskalierte, wir konnten nicht abschätzen, wie die Situation eskalieren würde.“

Demnach genügte also schon „Stimmung auf Social Media“ und die bloße Möglichkeit einer „Eskalation“, um eine Veranstaltung abzusagen. Außerdem klingt die Antwort so, als habe die Ankündigung einer Gegenveranstaltung den Ausschlag gegeben, also einer Demonstration für Wissenschaftsfreiheit. Die Führung der Humboldt-Universität platziert sich offenbar neutral in beide Richtungen, statt die verfassungsmäßige Freiheit von Lehre und Forschung zu verteidigen. Auf die Frage, ob die Universität sich an die Polizei gewandt habe, um den Vortrag gegen mögliche Störer abzusichern, geht der HU-Sprecher nicht konkret ein. Er teilt nur mit:

„Die Polizei unterrichtete uns über die angekündigte Demonstration.“

Besonders grotesk wirkte am Samstag die Tatsache, dass der Aushang in der Universität, der den Vortrag Vollbrechts und noch eine weitere Veranstaltung angekündigt hatte, mit dem Hinweis überklebt worden war: „Veranstaltung fällt krankheitsbedingt aus.“

Vollbrecht befand sich an dem Tag bei bester Gesundheit.

Der Universitätssprecher erklärte auf Nachfrage von TE, wer diese Überklebung anbrachte: „Mir ist nicht bekannt, wie diese Ankündigung zustande kam. Der nachfolgende Beitrag fiel krankheitsbedingt aus. Wer und aus welchem Grund diesen Zettel so geklebt hat ist mir unbekannt. Die HU kommunizierte den Grund der Absage offen, wie in den Medien ja leicht ersichtlich ist.“

Entscheidend für das künftige Klima an der Universität und an Hochschulen in Deutschland insgesamt dürfte allerdings die Antwort auf die Frage von TE sein, was die Universitätsleitung künftig gegen Drohungen zu unternehmen gedenkt, die darauf abzielen, Veranstaltungen und vor allem bestimmte wissenschaftliche Aussagen zu unterdrücken. An Maßnahmen zur kompromisslosen Verteidigung von Lehre und Forschung denkt in der HU-Leitung offenbar niemand.

„Wir werden die Veranstaltung zeitnah aufgreifen, kontextualisieren und im Gespräch mit verschiedenen Akteuren, auch aus der Politik, weiteres Vorgehen öffentlich diskutieren“, erklärte der Universitätssprecher. Auch dieser Teil der Stellungnahme klingt danach, als ob sich die Universitätsleitung eher als Vermittler zwischen aggressiven wissenschaftsfeindlichen Gruppen und Wissenschaftlern („verschiedene Akteure“) sehen würde, und nur mit beiden diskutieren möchte, statt Störer konsequent aus der Universität zu werfen.

Schon in der Vergangenheit hatten linksradikale Aktivisten die an der Universität lehrenden Historiker Herfried Münkler und Jörg Baberowski belästigt und mit grotesken Anschuldigungen überzogen. Im Fall des renommierten Osteuropa-Forschers Baberowski verhinderten radikale Studenten im Akademischen Senat die Gründung eines Instituts für vergleichende Diktaturforschung durch den Historiker.
Auch damals hatte sich die Universitätsleitung nicht klar auf die Seite Baberowskis gestellt.

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