Kriege um Karrieren

War es damals die globale Erwärmung, die bessere Ernten brachte? Im 16. Jahrhundert explodierte jedenfalls die Bevölkerung in Spanien und Portugal. Kurze Zeit später brachen die Karacken und Karavellen in die Neue Welt auf.

In England und Holland wiederholte sich der Prozess wenige Jahrzehnte später: Bevölkerungszuwachs mündete in die Eroberung der Welt durch den europäischen Imperialismus. In der Demografie sind die Folgen eines Jugendüberschusses in der Bevölkerung unter dem Stichwort „Youth Bulge“ seit Langem bekannt: Starkes Wachstum bei der Zahl junger Menschen in Ländern mit wirtschaftlicher Stagnation erhöht die Aggression und Kriegsgefahr – gekämpft wird um Brot und Arbeitsplätze, um Lebenschancen, Status und Macht. Die Folge sind Bürgerkriege, gewaltsame Eroberungen und Massenmigration.

Seit Jahrzehnten wird vor dieser Entwicklung in den Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens, den sogenannten Mena-Ländern, gewarnt. Dort wird sich die Zahl der 15- bis 24-Jährigen zwischen 1985 und 2025 verdoppeln. In Ägypten, Marokko und Algerien ist ein Drittel der Menschen jünger als 15 Jahre. Die wirtschaftliche Lage der meisten ist hoffnungslos. Anders als in China, Indien oder Brasilien haben es die autoritären Regimes der alten Männer nicht geschafft, die verkrusteten, religiös-blockierten, korrupten und illiberalen Gesellschaften zu modernisieren und ein Wirtschaftswachstum in Gang zu bringen, das mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt hält und den jungen Männern und Frauen Perspektiven gibt. Die Milliarden aus dem Öl- und Gasgeschäft werden von den arabischen Despoten in Paläste oder Yachten angelegt und in den Boutiquen von New York, London, Paris oder Dubai verprasst, nicht aber investiert. Wer nicht zu den Clans gehört, kann verrecken. Selbst in Saudi-Arabien steigen die sozialen Probleme, weil die Bevölkerung – fast zwei Drittel sind jünger als 24 – schneller wächst als die Ölerträge.

Glauben die Mubaraks wirklich, die jungen Männer, die sich an den Pyramiden von Gizeh den Touristen als „Guides“ anbieten, werden ewig stillhalten? Oder eine Karriere als Tellerwäscher auf Djerba wäre das Glück der vielen? Es geht um Würde, nicht nur um Brot. Die Literatur der nordafrikanischen Länder beschreibt die Stagnation in Algerien, Marokko und Palästina – und die Sehnsucht der Menschen nach der Flucht aus einer Welt ohne Zukunft in die Glitzerstädte Europas. Die Marine der europäischen Mittelmeerstaaten bringt ihre Seelenverkäufer vor Lampedusa auf, sie sammeln die Leichen der Ertrunkenen ein und sperren die Geretteten in die Lager Griechenlands. Aber stoppen werden wir sie nicht können, denn niemand kann Menschen auf der Suche nach ihrem Glück aufhalten. Das hat Erich Honecker mit seinen Scharfschützen und Schäferhunden nicht geschafft, und sie werden sich auch vom Mittelmeer nicht ausgrenzen lassen.

Lassen wir uns auch nicht blindquatschen, dies sei die Speerspitze des Islamismus, die fünfte Kolonne des Iran: Der Islamismus kann die Revolution allenfalls missbrauchen. Schaut sie euch an, die jungen Männer und, erstmals in der Geschichte, die jungen Frauen. Sie organisieren sich per Twitter und Facebook. Die Protest-Generation Nordafrikas überspringt die Gutenberg-Generation gedruckter und zensierter Zeitungen – im Cyberspace gibt es keine Zensurmöglichkeiten, und es wird nicht gelingen, sie in die Gesellschaftsgefängnisse der despotischen Herrscher zurückzuprügeln.

Dieser Konflikt ist nicht durch ein paar ausgetauschte Regierungsmarionetten lösbar. Und er ist nicht weit weg. Er spielt sich vor unserer Haustür ab. Wenn der Wohlstand nicht zu den Menschen kommt, kommen die Menschen zum Wohlstand. Deutschland, bislang gefangen in den alten Mustern der Nahost-Politik, muss sich an die Spitze der Reformbewegung stellen und erneut beweisen: Nur offene, demokratische Gesellschaften sind Garanten von Wachstum und Wohlstand für alle.

(Erschienen auf Wiwo.de am 05.02.2011)

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