Die EZB sucht nach neuem „Instrument“ zum Aufschub der Staatsschuldenkrise

Die Schuldenkrise ist wieder da. In einem mageren Statement nach der Sondersitzung des EZB-Rates kommt das Wort „Inflation“ nicht vor. Stattdessen die Ankündigung eines künftigen Instruments gegen die „Fragmentierung“ – also letztlich der weiteren Verschiebung der Krise.

IMAGO / ANP
Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank

Die Eurokrise war nie vorbei. Wie alle großen Krisen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart wurde sie nicht gelöst und bereinigt, sondern in eine scheinbar ferne Zukunft verschoben. Doch diese bricht jetzt an – wie die offenkundige Unruhe an den Anleihemärkten und unter Notenbankern zeigt. 

Der geldpolitische Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) kam heute zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen und beschloss – um es vorwegzunehmen – wenig Konkretes. Sie hat – wie zu erwarten – erneut ihre Bereitschaft bekräftigt, für den Zusammenhalt der Eurozone zu sorgen. In einem Statement nach der Sitzung hieß es nur, der Rat habe die „relevanten Gremien“ beauftragt, „beschleunigt“ ein Konzept für ein neues „Instrument“ zu erarbeiten, mit dem eine „Fragmentierung“ der Währungszone verhindert werden könne („the design of a new anti-fragmentation instrument“). Und man bekräftigte, Anleihekäufe unter dem Notfallprogramm PEPP könnten „flexibel“ eingesetzt werden. Unter PEPP (in der Corona-Pandemie geschaffen) werden zwar netto keine Schuldpapiere mehr dazugekauft, aber auslaufende werden bis auf Weiteres ersetzt. Unter „flexibel“ ist wohl zu verstehen, dass beispielsweise fällig werdende deutsche Bundesanleihen durch italienische Staatsanleihen ersetzt werden.

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Der Anlass der Sondersitzung war: Die Risikoaufschläge (Spreads) für höher verschuldete Euro-Staaten sind nach der Ankündigung der Zinswende durch die EZB stark gestiegen. Der Spread für Italien, also die Differenz zur als sicher geltenden deutschen Staatsanleihe mit zehn Jahren Laufzeit, war zuletzt zeitweise auf über 2,4 Prozentpunkte gestiegen. Die Risikoaufschläge zeigen die Sorge der Investoren, dass mit der Straffung der Geldpolitik diese Länder in Zahlungsschwierigkeiten kommen könnten.

Die angekündigte Anhebung der Zinsen, das Ende des billigen Geldes, ist die – verspätete – Reaktion auf die überall in der Eurozone galoppierende Geldentwertung, die endlich auch der EZB Sorgen bereitet, nachdem sie bis vor kurzem verharmlost wurde. 

Zusammenfassend: Die (absehbare) Wiederkehr der Staatsschuldenkrise ist diesmal von der Inflation ausgelöst worden – aber diese ist kein externer Schicksalsschlag, sondern selbst eine Folge der Nullzins-Geldschwemme-Politik der EZB im Verein mit der fortgesetzten Verschuldungsfreude der EU-Mitgliedsstaaten (und seit kurzem auch der EU selbst). Die EZB medikamentiert also an Symptomen herum, die sie selbst mitverschuldet hat. 

In den fast täglichen neuen Schreckensmeldungen des Statistischen Bundesamtes über die Verteuerung fehlt seit dem 24. Februar fast nie ein Satz zum Ukraine-Krieg, zum Beispiel hier: „Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine hat sich der bereits zuvor beobachtete Anstieg der Preise für Energie merklich verstärkt und beeinflusst die Inflationsrate erheblich.“ Oft fehlt in solchen Erklärungen allerdings auch der Einschub „bereits zuvor beobachtete“.

Natürlich haben Politiker ein Interesse daran, die jetzige Inflation als Folge des Ukraine-Krieges, jedenfalls nicht als Folge ihrer eigenen Politik darzustellen. Ihnen muss man das Diktum von Ludwig Erhard entgegenhalten: „Die Inflation kommt nicht über uns als ein Fluch oder als ein tragisches Geschick; sie wird immer durch eine leichtfertige oder sogar verbrecherische Politik hervorgerufen.“ Inflation ist das Ergebnis von falscher Geldpolitik im Zusammenwirken mit verantwortungsloser Staatsschuldenpolitik. 

Zeitenwende
Die Inflation ist Dynamit für die Politik
Dass die tieferen Gründe für die Inflation weniger in der Ukraine beziehungsweise im Kreml zu suchen sind als in Brüssel, den europäischen Hauptstädten und nicht zuletzt in der EZB, legt auch die Tatsache nahe, dass die Schweiz genau die gleichen, unverschuldeten äußeren Schicksalsschläge (von Corona bis zum Ukraine-Krieg) zu verdauen hat wie die EU-Staaten – aber keine besonders hohen Inflationsraten zeigt. Was die kleine Republik unterscheidet? Eine stabilitätsorientierte Geld- und Schuldenpolitik jenseits der Währungsunion.

Die Bilanzsumme der Schweizer Nationalbank hat sich seit 2019 um moderate 20 Prozent vergrößert. Die der EZB explodierte im gleichen Zeitraum um fast 90 Prozent, von 4,7 auf 8,8 Billionen Euro. In der Eurozone sind also gigantische Geldmengen aus dem Nichts geschaffen worden, die den Zuwachs der Güter und Dienstleistungen bei Weitem übertreffen. Man muss kein Finanzwissenschaftler sein (vielleicht sollte man es sogar gerade nicht sein), um zu begreifen, dass es unter solcher Voraussetzung früher oder später zu einer Entwertung des Geldes kommen muss.

Das einzige, was die EZB unter Christine Lagarde gegen die offenkundige Inflationsgefahr tat, war die Aussendung von Beschwichtigungsbotschaften mit Unterstützung einer ihr weitgehend hörigen Mehrheit in Ökonomik und Journalismus. Die Warner mit dem ehemaligen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann an der Spitze hatten keine Chance. Weidmann trat Ende 2021 zurück. Nun gibt ihm die Entwicklung recht.

Fratzscher, Bofinger und viele andere
Ökonomen und Journalisten verharmlosten noch 2021 die Inflationsgefahr
Mario Draghis, dann von Lagarde treu weitergeführte Nullzins-Geldschwemme hatte ein politisches Motiv. Es ging um nichts anderes als darum, Draghis Versprechen – „whatever it takes“ – einzuhalten, also den extrem hoch verschuldeten Staaten im Süden Europas die Zinslast zu nehmen, letztlich deren Bankrott und damit das Zerbrechen der Währungsunion zu verhindern.  Wie wirksam das war, zeigt sich eben jetzt: Schon die Ankündigung der Zinswende der EZB führte zu panikartigen Verkäufen an den Anleihemärkten. 

Da ist sie also wieder: die Staatsschuldenkrise. Eigentlich war sie nie wirklich weg. Und die EZB sucht nicht wirklich nach einer Lösung, die reinen Tisch macht, sondern nach einem neuen „Instrument“, um sie wieder ein Stück weiter in die Zukunft zu schieben. Das meint man im EZB-Rat mit der Verhinderung der „Fragmentierung“ („resurgent fragmentation risks“), was nur ein Euphemismus für den Bankrott überschuldeter Staaten und das Auseinanderbrechen der Währungsunion ist.  

Fazit: Nicht die Verhinderung der Inflation – klassische primäre Aufgabe einer Zentralbank und laut Verträgen auch der EZB – beschäftigt die EZB (das Wort kommt in dem kurzen Statement gar nicht vor), sondern die Verhinderung des Zerfalls der Währungsunion. Oder um es mit einfachen nicht-notenbankerischen Worten zu sagen: die Fortsetzung des Nichteingestehens des Scheiterns der Währungsunion. Die Inflation ist der Preis dafür.

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Kommentare ( 45 )

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Peter Silie
2 Jahre her

Würde ein Unternehmen so schlecht geführt werden, wie es in der Politik Gang und Gäbe ist, es wäre sofort pleite.
Worin liegen die Ursachen, daß Politik immer so systematisch gravierend viel schlechter ausfällt als Unternehmensführung?

Ante
2 Jahre her

Die böse USA erhöht rigoros die Zinsen. Und wird damit Erfolg haben. Die USA ist nicht davor gefeit, Unfug zu tun. Aber sie ist immerhin in der Lage, Unfug zu korrigieren. Die EZB kann genau das nicht.

Markus Gerle
2 Jahre her
Antworten an  Ante

Und genau dadurch werden die USA für die EU gerade gefährlich. Denn inzwischen macht es wieder Sinn, in US-Anleihen zu investieren. Der erzielbare Zins erscheint angesichts des geringen Ausfallrisikos recht fair zu sein. Selbst der aktuell schon recht hohe Zinssatz für bspw. griechische Staatsanleihen erscheint mir angesichts des möglichen Ausfallrisikos immer noch zu gering.
Kapital wird somit zunehmend aus dem Euroraum in die USA fließen.

Ante
2 Jahre her

Es gibt keine Maßnahmen als eine Zinserhöhung auf zunächst 5 Prozent bis 2025 und anschließend eine Erhöhung auf 8 Prozent bis 2030. Flankierend ist die Geldmenge deutlich d.h. um ein Drittel zu reduzieren. Danach ist aufzukehren. Ansonsten geht ihr unter.

Andreas Karatassios-Peios
2 Jahre her
Antworten an  Ante

Ohne mich auf Ihre 5% festzulegen müsste man die Banken ‚Zwangssanieren‘ (Ein Ehrlicher Kassensturz, alle schlechten Staatspapiere in eine Ecke, frisches Geld von der EZB als Ersatz), Banken, die nicht mehr sanierbar sind, werden geschlossen, die Kunden bekommen die Einlagensicherung. Unternehmen, die dadurch Insolvent werden erhalten kurzfristig Geld von der EZB, wenn sie gesund sind, ansonsten gehen sie in die Insolvenz. Die Staaten mit mehr als 60% Staatsverschuldung (Maastricht) stehen grundsätzlich unter Zwangsverwaltung durch Konkursverwalter. Auf Deutschland bezogen, also der Bund, die Länder und die Kommunen. Die Vermögenswerte der Staaten werden liquidiert, die Basisaufgaben (Sozialhilfe, Krankenversorgung, Schulen, Verwaltung) werden daraus… Mehr

Andreas Karatassios-Peios
2 Jahre her

PEPP weitet die Bilanzsumme der EZB aus, und zwar erheblich, da irrt der Artikel vollständig. Welche ‚Neuen Maßnahmen‘ die EZB nun ergreifen wird, das möchte Lagarde nicht konkret sagen. Überhaupt möchte Frau Lagarde im Allgemeinen niemals konkret werden. Frau Lagarde ist auch völlig inkompetent in Bezug auf Notenbankpolitik, denn anders als alle ihre Vorgänger ist sie keine Ökonomin. Frau Lagarde ist schlicht Fach-Juristin für internationale Verträge. Unterstellt man der Personalauswahl, die gezielte Absicht den Euro aufzulösen, dann ist jetzt wohl ein kleines Unglück passiert. Sturm ist aufgekommen auf dem ruhigen Wasser der 0%-Politik der EZB. Es geht nicht mehr weiter.… Mehr

pbmuenchen
2 Jahre her

In welche der Gestalten kann man eigentlich noch halbwegs Vertrauen haben? Es sieht leider äußerst düster aus. Der einzige Ausweg scheint der Zusammenbruch zu sein.

Alf
2 Jahre her

Keine Sorge das Verfahren, das es nicht gibt, wird mangels Masse nicht eröffnet.
What ever it takes, the show must go on.
Aber nicht mehr lange.

Demokrat1
2 Jahre her

Der Euro war eine „Erfindung“ der Politik, nahezu alles was Politiker bisher zustande gebracht haben war Murks.

Ante
2 Jahre her

Jeder hatte es in der Hand, der Euro-Einführung eine klare Absage zu erteilen. Es gab damals Parteien und Initiativen, die den Euro strikt ablehnten. Der BRD-Wähler wollte den Euro. Jetzt hat er den Salat und er wird es überleben. Aber mit deutlich weniger Wohlstand. Ich habe kein Problem damit, wenn der Wohlstand in der BRD deutlich sinkt. Vielleicht trägt das zur Volksgesundung bei.

meckerfritze
2 Jahre her

Betrüger hören niemals auf, zu betrügen.

Karl Schmidt
2 Jahre her

Nein, die Inflation ist nicht der Preis. Die Zahlungsunfähigkeit ist der Preis und die Inflation ist ihr Prophet.