Das Neun-Euro-Ticket hat einen Zweck, über den öffentlich kaum geredet wird: Er soll deutsche Touristen im Land halten – und ihr Geld. Es geht um einen zweistelligen Milliardenbetrag.
82,7 Milliarden Euro haben deutsche Touristen ins Ausland getragen. 2019. Dem letzten Jahr vor Corona. In den beiden letzten Jahren waren es laut Statistischem Bundesamt nur noch 34 beziehungsweise 31,1 Milliarden Euro. 50 Milliarden Euro, die als Folge der Pandemiepolitik im Land geblieben sind. In Zeiten der Inflation, drohender Knappheit an Strom und Lebensmitteln ein durchaus relevanter Posten. Deshalb besteht ein handfestes politisches Interesse daran, das Geld auch weiter im Land zu halten.
Das Neun-Euro-Ticket läuft noch keine zwei Wochen. Zahlen dazu sind daher bisher wenig aussagekräftig. Doch erste Tendenzen sind bereits erkennbar: Ausländische Anbieter werben bei ihren Kunden für die Fahrten zum Schnäppchenpreis. Etwa das norwegische Portal „Flysmart 24″. Es richtet sich an Endverbraucher und weist auf die einmalige Chance, so günstig durch das mitteleuropäische Land zu kommen. Destinet richtet sich an die Branchenvertreter und sieht das Ticket kritischer. Zwar erkennt der Geschäftsführer des Deutschen Tourismusverbandes, Norbert Kurz, die Chance an, die in der Aktion stecke: „Das 9-Euro-Ticket ist ein preislich sehr attraktives Angebot, um in diesem Sommer das Auto in den Ferien stehen zu lassen und die gesamte ÖPNV-Mobilitätspalette kennenzulernen.“
Der Markt muss sich nach Corona neu aufstellen, sinkende Kaufkraft und dünner werdende Etats der Reisenden berücksichtigen. So bewirbt zum Beispiel „Wikinger Reisen“ Angebote, die günstiger sind – und auch in Deutschland möglich. Etwa Wanderurlaub mit dem Hund. Dazu gehören Rundreisen an Mosel und Donau oder in Südtirol und dem Wallis. Auch Radtouren bewirbt Wikinger, etwa von Prag nach Dresden. Oder über die Alpen. Wobei Wikinger solche Angebote mit dem Versprechen „Freiheit trifft Komfort“ anpreist: Vorgebuchte Hotels und Gepäcktransport von Bett zu Bett gehörten zum Paket.
Doch das Neun-Euro-Ticket gibt einen Vorgeschmack darauf, dass sich deutsche Touristen auf weniger komfortable Zeiten einrichten müssen. Die Geschäfts-Plattform Destinet bereitet die Branche darauf vor. Sie bietet Sprachregelungen an, die den Endverbrauchern in Zeiten des Neun-Euro-Tickets für unterwegs mitgegeben werden sollen: „Planen Sie ihre Reise außerhalb der bekannten Stoßzeiten.“ Oder: „Planen Sie flexibel für den Fall, dass Kapazitäten in Bus und Bahn an ihre Grenzen stoßen.“ Und schließlich: „Nehmen Sie auch Orte abseits der touristischen Highlights in den Fokus.“ Klingt ein wenig nach: Nehmen Sie den Urlaub, den Sie kriegen – besser wird es nicht.
In der Summe führen diese Probleme dazu, dass in Hotels und Gastronomie gar nicht investiert wird. Das war schon vor der Pandemie so. Damals hatte sich in Rheinland-Pfalz eine Enquetekommission mit dem Thema beschäftigt. Das Mittelrheintal hätte vom Städtetourismus profitieren können, der vor 2020 boomte.
Doch Orte wie Bacharach oder Boppard – mit hohem historischen Potenzial – wirken eher trist und abstoßend, aufgrund ihres traurigen Erscheinungsbildes. Neben dem öffentlichen Nahverkehr müsste die Politik auch in die Infrastruktur investieren und zudem bürokratische Hürden aufheben, um den heimischen Tourismus anzukurbeln und private Investitionen zu ermöglichen.
Eine Zahl weist auf die neue Bescheidenheit hin, mit der sich die Deutschen künftig abfinden müssen: Während das Geschäft von April 2019 auf April 2022 insgesamt massiv zurückgegangen ist, konnte eine Sparte Zuwächse verzeichnen. Die Zahl der Übernachtungen auf Campingplätzen hat laut Amt um 0,9 Prozent zugenommen. Deutschlands Entwicklung führt in Sachen Tourismus also nach vorne in die Vergangenheit: Zelt statt Vier-Sterne-Hotel. Nordsee statt Mittelmeer. Und wenn es da ebenfalls zu voll ist, muss es auch mal das Weserbergland tun. Das böse Flugzeug würde den Wanderstiefeln und dem Drahtesel weichen. Alles wie in den Heinz-Erhardt-Filmen aus der Adenauerära. Einen Vorteil hätte es: Das Filmangebot der dritten Programme wäre mit einem Schlag zeitgemäß.
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Mag sein, dass man mit der Aktion ein paar Milliarden Euro im Land behält. Es wäre mir aber neu, dass eine deutsche Regierung so denkt. Die reisen doch am liebsten mit der Gießkanne durch die Welt. Und raten Sie mal, wie viele Milliarden unsere Neubürger jedes Jahr in Ihre Heimatländer schicken und selbst dort Urlaub machen?
Interessante Sichtweise.
Hat das mal irgendjemand im Zusammenhang mit der Maskenpflicht überlegt? Lieber sitze ich 2h mit Lappen im Flugzeug (und erreiche dadurch entspanntere Länder), als 5h im Zug, Verspätung noch nicht eingerechnet.
Nachvollziehbare Überlegung. Wir haben stattdessen das Auto genommen. Keine Geßler-Maulwindel, keine komischen Leute im „Abteil“ 😉 , und man muss nicht sehr weit reisen um dem deutschen Wahn zu entkommen.
„Deshalb besteht ein handfestes politisches Interesse daran, das Geld auch weiter im Land zu halten“ …sorry, aber tragen wir das Geld nicht über die Urlaubskasse ins Ausland, dann sicher mit der nächsten Euro“rettung“. Denn eines ist doch klar, verdient der Süden nichts mehr an deutschen Urlaubern, müssen deren klamme Kassen eben über andere Wege aufgefüllt werden.
Also ab in den Auslandsurlaub, dann gibts fürs Geld wenigstens noch eine Gegenleistung.
Deutschland hat viele reizvolle Landschaften Deutschland hat 83 Millionen Einwohner. Deutschland hat eine hohe Bevoelkerungsdichte. Folge: Hohe Nachfrage generiert hohe Preise. Urlaub in Regionen wie Oberbayen oder MeckPomm werden unerschwinglich, vom Wetter ganz zu schweigen. Und nun kommen unsere Politiker auf die Idee, bleibt im Lande
Die Waehler wussten es und die werden ihren Untergang weiterhin waehlen.Aber mit gutem Gewissen. Zuhause bleiben, um den Planeten zu retten.
Die reizvollen Landschaften sollen mit PV-Anlagen und Vogelschredder aufgehübscht werden. Das wird zünden.
Letztens auf dem BER habe ich viele Reisende gesehen, nicht unbedingt unserer Kultur zugehörig aber die Flüge in bestimmte Städte südwärts von uns scheinen sehr beliebt zu sein. Nachdem Frau Faeser den Begriff Heimat neu definieren will sollen wir also in der selben Urlaub machen. Vielleicht sogar wandern gehen, sogar in Gruppen! Wie Nationalistisch ist das denn! Wandergruppen die sogar Spaß haben, sich unterschiedliche Menschen zu einem Ziel zusammen tun. Das ganze ohne staatliche Kontrolle? Da sei Haldenwang und seine Truppe vor, solche Leute werden argwöhnisch beäugt werden. Unsere Region MV lebt zu einem großen Teil vom Tourismus aber die… Mehr
Das Kalkül geht niemals auf. Auch ich kann nur raten, wer kann, so lange und oft wie möglich seinen Aufhentaltsort ausserhalb Schlants zu organisieren. Zu 90%+ ist es a) günstiger, b) entspannter, c) freundlicher, d) rücksichtsvoller……Gut, manchmal etwas langsamer. Aber sonst. Man braucht auch kein Sprachgenie sein. Paar Brocken Landessprache, paar Brocken Englisch, der Rest macht das Handy mit ner Übersetzungsapp.
Nun gut, das mag ja so sein, aber auf mich trifft das nicht zu. Ich hätte ganz sicher keine Auslandsreise unternommen, aber dieses 9-Euro-Ticket hab ich mir gekauft. Noch nicht genutzt, aber Monat ist ja noch lang, mal sehen, Nord oder Ostsee wären ganz nett. Oder mal wieder Flensburg begucken. Dortige Gastronomie wird es sicher erfreuen, eine Portion Pommes hole ich mir immer, und Einzelhandel wird sich um mich reißen, weil ich eine Flasche billigsten Fusels zu erwerben trachten werde, dazu zwei oder drei dieser Blechkameraden der Kohorte Büchsenglück. Aber natürlich nicht am Wochenende, das ist für unter der Woche… Mehr
Mit dem 9Euro Ticket zum Flughafen und ab geht’s.
„Kalkül bei Neun-Euro-Ticket: Verzicht auf Auslandsreisen hält hohen Milliardenbetrag im Land“
Nach dieser „Logik“ wäre auch die Inflation eine solches Kalkül der Regierung. Viele Leute können sich dann nur noch die basics leisten, Auslandsreisen bleiben aus und das Geld bleibt erst recht im Land.
Und schon sind wir im Bereich abstruser Verschwörungstheorien.
Ich hätte auch nichts dagegen, wenn die Regierung sich eit der Touristischen Ertüchtigung Deutschlangs betätigen würde, statt das Gegenteil, z.B. durch Verspargelung, zu betreiben.
Nachdem ich vor 14 Tagen in Dublin über die Good Germans referierte, verbunden mit einer Reise entlang des Atlantic Coast Ways, sitze ich nun während ich dies schreibe in der Bretagne (Finistere) am Strand und beobachte, wie die Flut zurückkommt. Deutschland kann mich am A… lecken.